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Geplatzte Würstchen auf Pampe

Kleinkindchaos bei den Gebirgsjägern. Testosterongeladene Stimmung in der Kaserne. Traumatisierte Soldaten: Ob schräger Klamauk, preisgekrönte Inszenierung oder verstörende Dokumentation – die Bundeswehr ist immer wieder Thema im Film. Aufmerksamkeit erfährt sie dabei allemal. Doch wie realistisch ist die Darstellung der Bundeswehr in Film und Fernsehen? Und was tut die Bundeswehr selbst für ihr Image auf der Leinwand?

Die YouTube-Serie "Die Rekruten" sollte Arbeitgebermarke positiv beeinflussen.

Foto: Bundeswehr

bundeswehrfilmloyal

Es war 1960, die Bundeswehr war gerade fünf Jahre alt, da bekamen Regisseur Ulrich Erfurth und sein Team mediales Fett weg: In dem Streifen „Himmel, Amor und Zwirn“ geht es um den Damenschneider Friedrich Himmel (Hartmut Reck), der zum Bund eingezogen wird und just zu allem Übel auch noch von den Launen seiner Gattin Susanne (Grit Boettcher) überrascht wird. Mann und Nachwuchs überdrüssig geworden, überlässt Frau Himmel ihrem Mann das Baby und verschwindet. Notgedrungen nimmt der Rekrut das Kind mit in die Gebirgsjäger-Truppe. Die Turbulenzen in der Stube und auf dem Kasernenhof lassen nicht lange auf sich warten. „Nicht sonderlich originell“, hieß es im Filmlexikon. „So möchte man fluchen, wenn man diesen Film bis zum Ende verfolgt hat“, ärgerte sich der Rezensent des Hamburger Abendblatts. Mit Blick auf die damalige Zeit mag es der filmischen Schmonzette gelungen sein, für kinderliebe Soldaten und eine menschliche Armee zu werben – und nebenbei auch noch die aufkeimende Emanzipation der Frau zu thematisieren. Filmgeschichte geschrieben hat das Stück indes nicht gerade. Das taten andere Filme mit deutschen Soldaten im Fokus.

Sie tauchen in ganz verschiedenen Formen auf: mal als politischer, als moralischer, als funktionierender, als lustiger, als desertierter, als verheizter oder auch als böser, gebrochener oder besiegter Soldat.  Als Ausdruck ihrer jeweiligen Entstehungszeit ziehen sich vielfältige Rollen der Uniformierten durch die deutsche Film- und Fernsehserienlandschaft. Sie reichen von Heldentum über Verzweiflung bis hin zur offenen Kritik am Militär, oft mit großen Namen verbunden. Regisseure wie Geza Grosschmid („Der Arzt von Stalingrad“, 1958), Wolfgang Petersen („Das Boot“, 1981), Joseph Vilsmaier („Stalingrad“, 1993) und auch Sönke Wortmann („Das Wunder von Bern“, 2004) sowie Miguel Alexandre („Starfighter“, 2015) haben sich dem Genre gewidmet. Manche von ihnen wurden harsch kritisiert. Der 2015 verstorbene Fritz J. Raddatz, einflussreicher Literaturkritiker seiner Zeit, urteilte etwa über das als Antikriegsfilm gefeierte Werk „Das Boot“, es sei eine „Trivialschnulze“, ein „Kriegsfilm am Rande der Verherrlichung“.

Soldatenfiguren meist eher unvorteilhaft gezeichnet

Waren es zu Beginn der Bundesrepublik vor allem filmische Darstellungen von Wehrmachtssoldaten, so rückte im Laufe der Zeit immer stärker die Bundeswehr ins Interesse der Film- und Fernsehmacher – bis hin zu einigen Tatort-Folgen, in denen Soldatenfiguren zumeist nicht sehr vorteilhaft gezeichnet wurden. Während Tatort-Kommissarin Ulrike Folkerts alias Lena Odenthal sich selbst bei den Dreharbeiten zu „Das Verhör“ (2022) eine „Heidenangst vor den Panzern“ attestierte, formulierte Stephan Voges, ein Sprecher der Bundeswehr, gegenüber dpa: Man sehe mit dem Dreh die Möglichkeit, zum Thema Gleichberechtigung ein positives Signal zu senden. In „Das Verhör“ ermittelt Odenthal in einem Femizid, der in die Reihen der Bundeswehr führt. Die Bundeswehr selbst ließ solche Krimis über sich ergehen.

Dr. Heiner Möllers, Historiker am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam, weist in diesem Zusammenhang im Gespräch mit loyal auf das Problem der Distanz zwischen Filmschaffenden und Truppe hin: „Die Bundeswehr hat strategische Kommunikation in den Streitkräften überhaupt noch nicht hinbekommen und leistet im Grundsatz reaktive Pressearbeit.“ Heißt in puncto fiktiver Film: „Wenn eine Fernseh­­­­produktionsfirma einen Tatort mit einem Bundeswehrthema ausschmückt und dann um Unterstützung bittet, ist die Zuarbeit oder die Unterstützung und Mitwirkung häufig schleppend, zögerlich und lieber nicht.“

Authentizität bleibt auf der Strecke

Diese Erfahrung bestätigt Drehbuchautor Christian Jeltsch. Für den Dreh zum Tatort „Krieg im Kopf“  von 2020 habe das Team die Bundeswehr kontaktiert, aber „da war kein großes Interesse“. So kommt es, dass Realität und Authentizität mitunter auf der Strecke bleiben. Es ist fiktiv, wenn Maria Furtwängler als Kommissarin Charlotte Lindholm in der Tatort-Folge im Umfeld von Soldaten ermittelt, die aus Mali zurückgekehrt sind. Dabei stößt sie auf brisante bis skandalöse Details: Die Bundeswehr, insbesondere der MAD, steht im Verdacht, geheime Hirnforschungen an den Heimkehrern durchgeführt zu haben. Basiselemente dieses Tatorts entsprechen vielleicht der Realität, doch es drängt sich die Frage auf, wie absurd es ist, dass der MAD als dritter Nachrichtendienst des Bundes und Teil der Bundeswehr mit Hochtechnologie manipulativ an Menschen experimentiert.

„Manipulationen von Soldaten hat es nachweislich schon immer gegeben“, sagt Jeltsch – Stichwort „Panzerschokolade“: Das stimulante Methamphetamin „Pervitin“, ein Arzneimittel der Firma Temmler, wurde während des Zweiten Weltkriegs freizügig an Soldaten abgegeben. Es diente als Muntermacher und Schmerzdämpfer und ist als „Panzerschokolade“ oder auch „Hermann-Göring-Pille“ bekannt geworden. Mit dem Tatort aber habe das nichts zu tun. Weder die Mali-Szenen noch der Verlauf des Films seien dokumentarisch. Jeltsch, der im Rahmen von technischen Möglichkeiten auch beim Karlsruher Institut für Technologie und der US-Behörde Darpa recherchierte und den Bereich faszinierend findet, stellt klar: „Ich habe eine Geschichte erzählt, die auf realer Forschung basiert, die ich aber ein wenig weitergesponnen habe.“

„Regisseure und Produzenten holen sich Informationen zur Bundeswehr durchaus von Stellen außerhalb der Bundeswehr“, sagt Dr. Michaela Ast, Teilsachgebietsleiterin Öffentlichkeitsarbeit/Presse der Bundeswehr – das sei künstlerische Freiheit. Beispielszene in „Snipers Valley“ (2007): Bei der Essenausgabe drückt der Küchenbulle den Soldaten geplatzte Würstchen auf Pampe ins Geschirr, streut Parmesan drüber und verkündet die italienische Woche. Für Historiker Möllers ist das nicht glaubwürdig: „Einen solchen Küchenfritzen würden Soldaten an Ort und Stelle mit passenden Kommentaren versehen.“

Neue Werbeoffensive

So wie filmisches Erzählen im Laufe der Zeit auch dem Wandel gesellschaftlicher Strömungen unterliegt, so wandelbar ist auch der Blick auf die deutsche Armee. Während die Bundeswehr selbst keinen Einfluss auf die Darstellung ihrer Institution in freien Produktionen nehmen kann, sieht das bei eigenproduzierten Streifen ganz anders aus. Gerhard Kümmel, Politikwissenschaftler und Militärsoziologe, schlüsselt in einem Aufsatz unter dem Titel „Das Militär im bundesrepublikanischen Film“ auf, dass die institutionelle Präsenz der Bundeswehr mit selbstinitiierten und teils geförderten Werbefilmen auf Social-Media-Plattformen und eigenen Youtube-Kanälen gepflegt wird. Ein Motiv sei hierbei, die Bewerberzahlen und die Bundeswehr als Arbeitgebermarke positiv zu beeinflussen, so zum Beispiel in „Die Rekruten“ (2016) und „Mali“ (2017). Andererseits unterstützten das Verteidigungsministerium und die Bundeswehr durchaus auch Filme und Dokumentationen – allein 54 im Zeitraum von 2005 bis 2010. In der Serie „Die Rettungsflieger“ mit 108 Folgen hat die Bundeswehr sogar als Co-Produzentin fungiert.

Die Rolle der Bundeswehr in internationalen Einsätzen findet sich ebenfalls in Kino und TV wieder. Der Bundeswehrsoldat ist hier mal das brave Frontschwein, mal der Ritter in Uniform, mal der Rebell. Insbesondere dann sei es „sehr variierend“, so Möllers, wenn der Streifen nicht auf einer Literaturvorlage beruhe wie „Neue Vahr Süd“. Personen würden überzeichnet, der Formalismus übertrieben: „Da wird immer stramm zackig gegrüßt.“ Oder das Gegenteil werde dargestellt. Tatsächlich aber sei der Umgang in der Bundeswehr auf dem Mittelweg. „Die Normalisierung wird in Filmen öfters nicht berücksichtigt.“

Dient die Armee im Film mehr der Friedenssicherung und Stabilität oder ist sie gar ein Instrument auswärtiger Politik? Im Mittelpunkt des Streifens „Auslandseinsatz“ von 2022 stehen drei junge Soldaten, die bei der Friedensmission am Hindukusch in einem entlegenen afghanischen Dorf humanitäre Hilfe leisten sollen. Beim Wiederaufbau einer Schule geraten sie in das Konfliktfeld zwischen Militär, Dorfältesten und Taliban. Am Ende einer nicht genehmigten Befreiungsaktion ist der Tod eines Kameraden und einer Entwicklungshelferin zu beklagen. Der sich den Befehlen seines Hauptmanns widersetzende Oberfeldwebel wird unehrenhaft entlassen. Zum Schluss stürzt ein vom Dorfjungen zum Selbstmörder radikalisierter Afghane die Story ins Leinwanddunkel.

Benjamin Wetter, Oberstleutnant (vorl.) d.R. und Vorsitzender der Cyber-Reservistenarbeitsgemeinschaft Hamburg (CRAG HH), sieht in dem Film eine gelungene Umsetzung, die Charaktere spiegelten ein authentisches Bild: „Thematisiert wird die grundsätzliche, ohnmächtige Situation mit internen Interessenkonflikten und moralischen Aspekten. Der Mix aus eher ,einfachen‘ und ,weiterdenkenden‘ Charakteren vereint die Friedensbemühungen im Grundsatz gut. Die Darstellung von Führungskräften und Ausführenden sowie die Sprache der Soldaten wurden prinzipiell realistisch wiedergegeben.“ Stefan Birkner, Mitglied der Cyber-Reservisten-AG in Hamburg, empfindet den Film so: „Insgesamt noch gut dargestellt, es werden Spannungsfelder aufgezeigt.” Der Einsatz eines französischen Transportpanzers (VAB) und eines amerikanischen Hummer falle Unkundigen nicht auf, sei aber wenig authentisch.

Näher an der Realität

Ein anderes Kaliber stellen dokumentarische Filmproduktionen dar und solche, die auf wahren Begebenheiten beruhen. Thematisch stehen dabei oft Soldaten und Heimkehrer mit Posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) im Mittelpunkt. Ob in „Ausgedient“ von 2014, in „Stiller Kamerad“ (2017) oder ähnlichen Werken: Zu hören sind wuchtige, verstörende O-Töne seelisch erkrankter Kameraden, von denen sich inzwischen viele offen vor die Kamera trauen.

Das Thema „Militär und Film“ bleibt eine Faszination, die auch oder gerade in Zeiten kriegerischer Konflikte Aufschwung erlebt: Auf der diesjährigen Berlinale feierte US-Schauspieler Sean Penn mit „Superpower“ Weltpremiere. Ursprünglich wollten Penn und Regisseur Aaron Kaufman, beide am 24. Februar 2022 in Kyjiv, ein Porträt über Wolodymyr Selenskyj drehen. Doch dann kam ihnen der Krieg in der Ukraine dazwischen. Herausgekommen ist am Ende eine Echtzeitreportage über die russische Invasion, gespickt mit Sequenzen aus Selenskyjs Karriere als Schauspieler und Komiker, der er vor seinem Präsidentenamt war.


Kriegsfilme der 1950er-Jahre

Eine regelrechte Filmwelle ergoss sich über die Bundesrepublik von 1949 bis 1960 mit Kriegsfilmen von zunächst meist amerikanischer, dann ab Mitte der fünfziger Jahre zunehmend deutscher Provenienz. Für 25 Prozent zeichneten westdeutsche Produzenten verantwortlich. „Canaris“, „Des Teufels General“, „Hunde, wollt ihr ewig leben“, „Haie und kleine Fische“, „Strafbataillon 999“, um nur einige wenige zu nennen, basierten auf literarischen Vorlagen und waren kommerziell äußerst erfolgreich.

Zwischen 1956 und 1958 verzeichnete jeder Kriegsfilm durchschnittlich 3,8 Millionen Besucher. Der Marktanteil lag bei 30 Prozent.

Aus dem Aufsatz von Wolfgang Schmidt „Wehrzersetzung oder Förderung der Wehrbereitschaft?“, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 59 (2000), S. 387-405.


Die Autorin

Vivian Simon ist Journalistin und Change Managerin für die digitale Transformation. Sie arbeitet als Autorin und Dozentin mit dem Schwerpunkt Cyberkriminalität.

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