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China: Deutschlands unzähmbarer Partner – und Rivale

Deutschland hat sich im vergangenen Sommer erstmals eine China-Strategie gegeben. Es geht um weniger Abhängigkeit von China und um mehr Menschenrechte dort. Vor einer klaren Positionierung im Konflikt zwischen China und Taiwan scheut sich Berlin. Auch sonst ist die deutsche China-Politik nicht widerspruchsfrei.

Chinas führender E-Autohersteller, BYD, wird vom Staat subventioniert und bringt dank günstiger Preise Deutschlands Autoindustrie ins Schwitzen.

Foto: picture alliance / SZ Photo

china

Auf dem Cover des 64-seitigen Dokuments zur deutschen China-Strategie ist ein Spielbrett des chinesischen Strategiespiels Go zu sehen. Gespielt wird Go von zwei Personen, die abwechselnd schwarze und weiße Steine auf ein quadratisches Gitterfeld setzen. Anders als beim Schach geht es bei Go nicht um das Mattsetzen des Gegners, sondern um das Erlangen vorteilhafter Positionen und die Verteidigung von im Spiel erlangter sogenannter Freiheiten. Dazu stehen den Spielern sage und schreibe 10170 Konstellationen zur Verfügung – eine unvorstellbar große Zahl. Der Online-Nachrichtendienst Heise-online spricht von einer „irrwitzigen Komplexität“.

Ganz so komplex wie im Go-Spiel sind die Möglichkeiten der deutschen Diplomatie gegenüber China nicht, aber auch auf diesem Feld sind hohe Kunst und strategisches Denken und Handeln gefragt. Dass die deutsche China-Strategie mit dem Foto eines Go-Spiels beginnt, ist daher durchaus sinnbildlich zu verstehen. Deutschland unterstreicht damit seinen Willen, gegenüber China vorteilhafte Positionen einnehmen zu wollen und sich Handlungsoptionen offenzuhalten. Doch gelingt das wirklich?

Die China-Strategie der Bundesregierung war eine schwere Geburt. 83 Wochen, so hat es das Mercator-Institut für China-Studien in Berlin ausgerech­net, dauerte es, bis das im Koalitionsvertrag der Ampel angekündigte Papier im vergangenen Juli endlich das Licht der Öffentlichkeit erblickte. Die Verhandlungen zwischen Kanzleramt und Auswärtigem Amt waren offensichtlich zäh. Auch wenn es lange gedauert hat, so war es doch dringend nötig, dass die Bundesrepublik zielgerichtet über ihren Umgang mit China nachdenkt. Die deutsche China-Politik ist eines der Schlüsselfelder deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Bislang gab es allenfalls Fragmente einer schlüssigen Strategie gegenüber Peking. Im Gegensatz zu den dürren Worten über China in der Nationalen Sicherheitsstrategie finden sich im China-Papier der Bundesregierung klarere Worte. Allerdings lassen sie nach wie vor viel Spielraum in der Frage, wie denn nun konkret mit China umzugehen ist.

China-Strategie wurzelt in blauäugiger Russland-Politik

Dass sich Deutschland überhaupt endlich eine China-Strategie gibt, liegt unter anderem an der blauäugigen Russland-Politik der Regierungen Schröder und Merkel, die blind waren für Realitäten und Gefahren. Jahrzehntelang hatte Berlin beste Beziehungen zu Russlands immer autokratischer regierendem Präsidenten Wladimir Putin unterhalten und dabei Länder wie Polen oder die Ukraine und deren (Sicherheits-)Interessen ignoriert. An der Gaspipeline Nord Stream II wurde noch gearbeitet, als Putin 2014 schon die Ukraine überfallen und die Krim und Teile der Ostukraine annektiert hatte. Erst die Großinvasion Russlands in der Ukraine nach dem 24. Februar 2022 ließ deutsche Politiker aus ihrem Russland-Traum erwachen. Der Überfall auf das Land führte zu einem Umdenken. Plötzlich stellte man in Berlin fest, wie abhängig Deutschland doch von billigen Gas- und Ölimporten aus Russland ist – und musste sich binnen weniger Monate umstellen, als Putin den Gashahn zudrehte.

Gegenüber China ist Deutschlands Abhängigkeit noch viel größer, als sie es gegenüber Russland war. Die Volksrepublik ist Deutschlands wichtigster Handelspartner überhaupt. Ohne China sähe es in der deutschen Wirtschaft noch düsterer aus als ohnehin. Das Problem ist aber: Deutschland kauft in China immer mehr ein, während die deutschen Exporte ins Reich der Mitte nur langsam steigen: 2022 nahm das Handelsbilanzdefizit auf 84 Milliarden Euro zu – doppelt so viel wie im Jahr davor. Die Importe aus China explodierten 2022 geradezu um 33 Prozent, die deutschen Exporte nach China wuchsen hingegen nur um drei Prozent. Das industrienahe Institut der deutschen Wirtschaft hält das für eine gefährliche Entwicklung. Denn: Die deutsche Abhängigkeit von China ist für Deutschland auch ein geopolitisches Risiko. Würde China Taiwan angreifen, hätte dies massive Auswirkungen auf die Wirtschaft hierzulande.

Die Bundesregierung setzt sich für Menschenrechte in China ein – etwa die der muslimischen Uiguren in der Provinz Xinjiang. (Foto: picture alliance / dpa)

Allerdings benennt die China-Strategie Pekings Aggressivität durchaus. Ein außenpolitisch deutlich offensiver auftretendes China versuche „auf verschiedenen Wegen, die regelbasierte internationale Ordnung umzugestalten. Dies hat Auswirkungen auf die europäische und globale Sicherheit“, heißt es. Nur folgt aus dieser Erkenntnis nicht viel. Die China-Strategie, so hat es sich die Bundesregierung zum Ziel gesetzt, soll den Rahmen setzen, innerhalb dessen die Bundesministerien ihre China-Politik kohärent gestalten können. Und sie soll Wege aufzeigen, wie Deutschland mit China zusammenarbeiten kann, ohne unsere freiheitlich-demokratische Lebensweise, unsere Souveränität und unsere Sicherheit zu gefährden. Nur: Das alles bleibt vage.

Ungleichgewicht zwischen Ein- und Ausfuhren

China ist für Deutschland, so ist es in dem Strategiepapier formuliert, ein Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale. China wird einerseits als unverzichtbarer Partner etwa beim Kampf gegen den Klimawandel angesehen. Immerhin ist das Land der mit Abstand größte Luftverschmutzer der Welt, was den Ausstoß von CO2 angeht. Für mehr als 30 Prozent des globalen CO2-Ausstoßes ist China verantwortlich, Deutschland nur für 1,8 Prozent. Gleichzeitig ist China der größte Produzent erneuerbarer Energien.

Als Wettbewerber nimmt Deutschland China in der Wirtschaft wahr. Das beschriebene Ungleichgewicht zwischen Ein- und Ausfuhren will die Bundesregierung durch eine Minderung von Risiken (De-Risking) mildern, wobei sie aber auch hier offenlässt, was damit konkret gemeint ist. Risikominimierung ist überhaupt der Schlüsselbegriff des Strategiepapiers, der auf vielen Seiten wie ein Allheilmittel angepriesen wird. Abgelehnt wird eine Entkopplung der beiden Volkswirtschaften (De-Coupling).

Die systemische Rivalität zeige sich darin, dass Deutschland und China in wichtigen Bereichen unterschiedliche Vorstellungen über die Prinzipien der internationalen Ordnung haben. „Mit Sorge betrachtet die Bundesregierung Bestrebungen Chinas, die internationale Ordnung entlang der Interessen seines Einparteiensystems zu beeinflussen und dabei auch Grundfesten der regelbasierten Ordnung wie beispielsweise die Stellung der Menschenrechte zu relativieren“, heißt es. Chinas Entscheidung, das Verhältnis zu Russland auszubauen, ist in der Einschätzung der Bundesregierung von unmittelbarer sicherheitspolitischer Bedeutung. Im Indopazifik beanspruche China immer offensiver eine regionale Vormachtstellung und stelle dabei völkerrechtlicher Grundsätze in Frage.

(Illustration: Ruwen Kopp & Adobe Firefly KI)

Systemische Rivalität

Dass gerade die systemische Rivalität herausgestellt wird, kann als eine Anerkennung der Realitäten gewertet werden. Die China-Strategie der Europäischen Union war vor zehn Jahren noch von einer umfassenden strategischen Partnerschaft mit Peking ausgegangen. Chinas aggressive Außenpolitik hat aber in den überarbeiteten Fassungen dieser „Strategic Agenda for Cooperation“ – zuletzt 2019 – zu einer deutlichen Verschiebung in Fokus und Tonfall ihren Niederschlag gefunden. China wird von Brüssel mehr und mehr als Konkurrent wahrgenommen.

Das deutsche Strategiepapier zu China bleibt alles in allem auf der Ebene einer Bestandsaufnahme stecken. Im Handlungsteil belässt es die Bundesregierung bei einem Appell an die deutsche Wirtschaft, Lieferketten zu diversifizieren und Risiken zu minimieren. Keine Angaben werden in dem Papier darüber gemacht, ob und in welchem Maß die Bundesregierung der Wirtschaft dafür finanzielle Mittel zur Verfügung stellen wird. Auch sind keine Anpassungen der Strukturen der institutionellen Zusammenarbeit mit China vorgesehen. Ebenso fehlt ein Zeitplan, wann man welchen Schritt zum Beispiel bei der Risikominimierung gegangen sein will.

So bleibt der Eindruck, dass man sich zwar viele richtige Gedanken zum deutsch-chinesischen Verhältnis gemacht hat, dass aber die Folgerungen daraus in den wichtigen Fragen eher nebulös bleiben. So wird beispielsweise nicht weiter ausgeführt, was mit „kritischer Infrastruktur“ gemeint ist, die in Deutschland durch China bedroht sein könnte. Hier verweist das Papier im Energiebereich auf eine von der Bundesnetzagentur zu erarbeitende Liste kritischer Funktionen. Der zurückliegende Streit um eine chinesische Beteiligung am Hamburger Hafen wird gar nicht erwähnt.

Entwicklungshilfe ist nicht plausibel

Das Strategiepapier zeigt insgesamt ein Dilemma der deutschen China-Politik: Deutschland pocht zu Recht auf die Einhaltung von Menschenrechtsstandards auch in China, kann diese Forderungen aber de facto nicht durchsetzen. Es herrscht die Angst, China könnte unfreundlich reagieren.  Die Abhängigkeit der deutschen Wirtschaft von ihren (staatlich gelenkten) chinesischen Geschäftspartnern ist einfach zu groß.

Einen großen Widerspruch gibt es auch in der Entwicklungszusammenarbeit. Dass ein Land, das zu den wichtigsten Industrienationen zählt, das über die drittgrößte Armee der Welt verfügt, das ein beachtliches Atomwaffenarsenal besitzt, das eine Raumstation unterhält und Raumsonden zum Mond schickt, immer noch von Deutschland Entwicklungshilfe erhält, ist nicht plausibel. In Europa gibt es kein Land, das so viel für Entwicklungshilfe ausgibt wie Deutschland – laut OECD waren es 2022 fast 32 Milliarden Euro. Als einzige Industrienation übererfüllt Deutschland mit 0,73 Prozent das UN-Ziel von 0,7 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Entwicklungshilfe. Anders sieht es beim NATO-Ziel von zwei Prozent für Verteidigung aus, an dem Berlin nach wie vor scheitert. Laut Homepage des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) gibt es immer noch 339 Projekte in China, in die 1,59 Milliarden Euro an Entwicklungshilfe fließen.

Diese Unterstützung wird allerdings seit 2010 nicht mehr Entwicklungshilfe genannt, weil das Land seitdem nicht mehr als Entwicklungsland geführt wird. Unter diese Hilfe fallen Projekte wie dieses: „Kapazitätsaufbau und Gender-Training für zivilgesellschaftliche Basis-Organisationen und Sozialarbeiterstationen in einer Provinz Chinas“. Warum China als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt, viermal größer als die deutsche, Unterstützung aus Deutschland bei solchen Projekten braucht und diese nicht selbst bezahlt, wird in der China-Strategie der Bundesregierung nicht dargelegt. Die immer noch laufende Entwicklungshilfe Deutschlands für China findet in dem Papier an keiner Stelle Erwähnung.


Veranstaltungshinweis

Um China geht es auch am kommenden Wochenende, wenn der Reservistenverband unter dem Dach der Münchner Sicherheitskonferenz wieder ein „Side-Event“ ausrichtet. Am Samstag, 17. Februar, geht es um China und den Indopazifik-Raum. Beginn ist um 18 Uhr. Die Podiumsdiskussion wird über YouTube live gestreamt. Dabei gibt es wie schon in den vergangenen zwei Jahren wieder die Möglichkeit, sich über einen Chat mit Fragen an der Diskussion zu beteiligen.

„Angesichts des weltweit wachsenden Einflusses Chinas scheinen weitere Spannungen unausweichlich. Ein stärkeres westliches Engagement ist notwendig, um die Freiheit der Handelswege zu sichern und die Abhängigkeit von China zu verringern. Die NATO muss eine dauerhafte, glaubwürdige Abschreckung und Signalverteidigungsfähigkeiten bereitstellen“, heißt es im Exposé zur Veranstaltung.


Buchtipp

Janka Oertel
Ende der China-Illusion. Wie wir mit Pekings Machtanspruch umgehen müssen.
Piper Verlag, 301 Seiten, 24 Euro

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