„Die CSU ist die treibende Kraft hinter der Trendwende“
Markus Söder (CSU), geboren 1967 in Nürnberg, ist Ministerpräsident des Freistaats Bayern und Vorsitzender der CSU. Er studierte Jura und arbeitete als Redakteur beim Bayerischen Rundfunk. 1994 zog er erstmals in den Landtag ein und machte schnell Karriere. Er war CSU-General-sekretär und Staatsminister in verschiedenen Ressorts. Im Machtkampf um die Nachfolge von Horst Seehofer als Landesvater und Parteichef inszenierte sich Söder als volksnah, konservativ und durchsetzungsstark. Er leistete 1987 Wehrdienst im Transportbataillon 270 in Nürnberg.
Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder sieht die CSU als „die Partei der Bundeswehr“. Im loyal-Gespräch plädiert er für einen Dienst junger Menschen für die Gesellschaft und einheitliche europäische Regeln für Rüstungsexporte
Herr Ministerpräsident, im CSU-Positionspapier „Bekenntnis zu Bundeswehr und Bündnissen“ vom Mai 2019 heißt es, die Bundeswehr müsse „handlungsfähiger“ werden. Warum? Welche Gefahren sehen Sie für die Sicherheit Deutschlands?
Markus Söder: Wir sehen derzeit dramatische Veränderungen in der Welt. Nicht nur an den Rändern Europas sorgen Krieg und zerfallende Staaten für enorme Spannungen, auch global werden Europa und die internationale Ordnung unter Druck gesetzt. Um diesen enormen Herausforderungen zu begegnen, gilt es, die Bundeswehr besser zu wappnen. Denn wir stehen für eine Ordnung, die Frieden, Freiheit und Sicherheit in Europa und der Welt befördert.
Inwiefern muss die Bundeswehr da handlungsfähiger werden?
Wir müssen das Fähigkeitsprofil der Bundeswehr an die geänderten Rahmenbedingungen anpassen. Während wir uns seit Beginn des Jahrtausends primär auf Auslandseinsätze fokussiert haben, müssen wir seit spätestens 2014 mit der Invasion der Krim durch Russland feststellen, dass wir wieder mehr Prioritäten in der Landes- und Bündnisverteidigung setzen müssen. Daher muss die Bundeswehr besonders in diesem Bereich handlungsfähiger werden. Wir sind dank der eingeleiteten „Trendwende Bundeswehr“ auf einem guten Weg.
Auch andere Parteien wollen die Bundeswehr stärken. Die ehemalige Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat bereits Trendwenden für Personal und Material ausgerufen. Was ist das spezifisch Christsoziale an Ihrem Vorschlag?
Ursula von der Leyen hat unseren CSU-Vorschlag von der Trendwende aufgegriffen und eingeleitet. Uns ist wichtig, dass das nun konsequent weitergeführt und umgesetzt wird. Gleichzeitig wollen wir aber auch neue Akzente setzen, wie beispielsweise durch die Stärkung der Cyber- und Space-Fähigkeiten. Wir ziehen hier übrigens an einem Strang mit der CDU.
Es war mit Karl-Theodor zu Guttenberg ein CSU-Verteidigungsminister, der vor knapp zehn Jahren die Wehrpflicht ausgesetzt, die Truppe verkleinert und freiwillig weniger Geld für die Bundeswehr verlangt hat. Würden Sie diese, von einem CSU-Minister getroffenen Entscheidungen gern zurückdrehen?
Klar ist: Die Reformen seit 2010 bedeuteten teils große Einschnitte für die Bundeswehr. Aber spätestens seit 2014, vor dem Hintergrund einer veränderten geopolitischen Lage, ist die CSU die treibende Kraft hinter der Trendwende Bundeswehr. So konnten wir unter anderem erreichen, dass der Verteidigungshaushalt zwischen 2014 und heute um ein Drittel gestiegen ist. Wir als CSU verstehen uns seit jeher als Partei der Bundeswehr und werden uns daher weiter für deren Stärkung einsetzen.
In ihrem Positionspapier fordert die CSU die Einführung eines staatsbürgerlichen Deutschland-Praktikums, bei dem junge Menschen für einige Monate bei der Bundeswehr oder ökologischen und sozialen Initiativen mitarbeiten können. Doch es gibt bereits den Freiwilligen Wehrdienst und das Freiwillige Soziale Jahr. Warum sollte es noch ein „Deutschland-Praktikum“ geben?
Das Deutschland-Praktikum soll ein komplementäres Instrument sein. Wir sehen ja, dass der Freiwillige Wehrdienst und das Freiwillige Soziale Jahr nicht die Nachfrage erfahren, die ursprünglich erhofft war. Daher wollen wir die Hemmschwelle für junge Menschen, sich für unseren Staat zu engagieren, senken. Ein Deutschland-Praktikum muss einen erkennbaren Mehrwert für Staat und Gesellschaft haben. Am Ende muss es aber besonders auch ein Gewinn für die junge Generation sein. Dass diese Idee großen Anklang findet, zeigt eine Umfrage unter unseren Mitgliedern, die das Deutschland-Praktikum zu 92 Prozent unterstützen. Derzeit arbeiten wir an einem tragfähigen Konzept unter Berücksichtigung der staatlichen, sozialen, ökologischen und zivilgesellschaftlichen Einrichtungen und der Bundeswehr.
Der Reservistenverband und andere Organisationen setzen sich für einen Gesellschaftsdienst ein, der für alle jungen Frauen und Männer in Deutschland verpflichtend sein soll. Wie stehen Sie dazu?
Ich denke, hier gibt es viele Überschneidungen zu unserer Idee des Deutschland-Praktikums. Wir wollen, dass sich junge Menschen über einen gemeinnützigen Dienst mit den Werten unseres Staates identifizieren.
Die CSU wolle sich für eine echte europäische Verteidigungsunion einsetzen, heißt es in Ihrem Positionspapier. Wollen Sie eine EU-Armee, die die Bundeswehr und andere nationale Streitkräfte ersetzt?
Es geht bei diesen Überlegungen nicht darum, die Bundeswehr abzuschaffen. Europa muss gemeinsam verteidigungsfähiger werden. Denn unsere internationale Sicherheitsarchitektur gerät zunehmend unter Druck. Diese Herausforderungen können wir als Europäer nur gemeinsam lösen. Dazu gehört eben auch eine effiziente und wehrhafte europäische Verteidigungsunion. Hier fordern wir gemeinsame europäische Kommandostrukturen in den Bereichen Land, Luft, See und Cyber, in denen eine einsatzbereite und gut ausgerüstete Bundeswehr einen verlässlichen Beitrag leisten wird. Die Bundeswehr wird ein elementarer Bestandteil der europäischen Verteidigungsunion sein und absehbar nicht durch eine EU-Armee ersetzt werden.
„Wir wollen Waffensysteme in Europa standardisieren“, fordert ihre Partei im neuen Positionspapier. Was heißt das konkret für die heimische Industrie?
Die EU-Mitgliedsstaaten leisten sich heute mehr als 178 verschiedene Waffensysteme, also circa sechsmal so viele wie die US-Amerikaner. Das ist sowohl aus finanziellen Gesichtspunkten als auch aus taktisch-operativen Überlegungen ineffizient. Wenn wir als Europäer unsere Streitkräfte gemeinsam effektiv einsetzen wollen, dann müssen wir auch gemeinsam ausbilden und üben. Dazu zählt auch der Einsatz von standardisierten und interoperablen Waffensystemen. Davon wird am Ende auch unsere heimische Industrie profitieren.
Heißt das, dass Deutschland ein französisches Raketensystem kauft, wenn es das Beste ist, auch wenn dafür die eigenen Betriebe, zum Beispiel MBDA im bayerischen Schrobenhausen, leer ausgehen?
Es ist durch die europäischen Vergaberichtlinien doch bereits gang und gäbe, dass sich die deutschen Unternehmen im europäischen Wettbewerb behaupten müssen. Im Übrigen ist MBDA ein Musterbeispiel für die europäische Integration in diesem Bereich. Mit Spanien, Großbritannien, Italien, Frankreich und Deutschland steht dieser Konzern auf fünf nationalen Säulen, die als erfolgreiches europäisches Unternehmen vereint sind.
Die CSU setzt sich für verbesserte Kooperation auf EU-Ebene ein. Sie erwarten sich davon mehr Effizienz und Interoperabilität. Sollen sich große europäische Betriebe bilden, die gegebenenfalls auch die (mittelständischen) deutschen Betriebe ersetzen?
Wir brauchen wettbewerbliche Rahmenbedingungen in ganz Europa. Diese müssen es den Unternehmen erlauben, wirtschaftlich zu produzieren und ihre beachtlichen Investitionen in Forschung und Entwicklung aufrechtzuhalten. Es muss unser Ziel sein, die erforderlichen militärischen Fähigkeiten, die Versorgungssicherheit der Bundeswehr sowie die Rolle Deutschlands als zuverlässigen Kooperations- und Bündnispartner technologisch und wirtschaftlich sicherzustellen. Dies gelingt nur, wenn wir unseren wehrtechnischen Mittelstand stärken und uns im Kontext der wachsenden Europäisierung der Verteidigungsindustrie zum Erhalt nationaler verteidigungsindustrieller Schlüsseltechnologien bekennen.
Sie sprechen sich im CSU-Positionspapier für die Einhaltung des Zwei-Prozent-Ziels der Nato aus. Das wäre mit mehr als 70 Milliarden Euro fast eine Verdoppelung des bisherigen Etats. Wo soll das Geld herkommen?
Nach uns hat sich auch die neue Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer erst kürzlich für die Einhaltung des Zwei-Prozent-Ziels ausgesprochen. Das war ein wichtiges Signal an unsere Verbündeten sowie unsere Soldatinnen und Soldaten. Unsere Verteidigungsfähigkeit muss uns wieder mehr wert sein. Deshalb braucht es mehr Geld aus dem Bundeshaushalt. Das Ziel muss 1,5 Prozent bis 2024 auf dem Weg zu zwei Prozent sein. Im Übrigen geben die meisten, auch deutlich weniger wirtschaftsstarken Nato-Mitglieder im Verhältnis mehr für unsere gemeinsame Sicherheit aus als wir. Es gilt also besonders auch, innerhalb unserer Bündnisse Nato und EU unsere Handlungsfähigkeit und Glaubwürdigkeit zu bewahren.
Sie schlagen Eilbeschaffungen vor. Wie sollen diese funktionieren?
Oft sind Geld und Wille zur Modernisierung der Bundeswehr bei bestimmten Projekten da, aber langwierige Beschaffungsverfahren stehen dem im Weg. Das führt oft zu Frustrationen und Irritationen in der Truppe. Wir müssen wichtige Rüstungsprojekte priorisieren und deren Beschaffung beschleunigen. Vor allem, wenn durch eine verzögerte Beschaffung ein akuter Fähigkeitsverlust der Bundeswehr droht.
Ex-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat extra neue Prüfschleifen bei Rüstungsprojekten eingebaut, damit die Industrie, salopp gesagt, den Bund nicht mehr über den Tisch ziehen kann. Würden Eilbeschaffungen dieser Vorgehensweise nicht widersprechen?
Wenn große Beschaffungsvorhaben verlangsamt oder ganz gestoppt werden, ist es schwer, sie wieder in Gang zu setzen. Deshalb sollten wir die Prozesse bei dringenden Beschaffungen eher verschlanken, als sie in die Länge zu ziehen. Natürlich will sich keiner „über den Tisch ziehen“ lassen. Aber ich denke, dass auch die wehrtechnische Industrie ein Interesse daran hat, gute Produkte pünktlich zu liefern.
Sie wollen einheitliche europäische Richtlinien für Rüstungsexporte. Wie würden Sie es begründen, wenn wir Deutsche deshalb künftig weniger genau auf die sicherheitspolitische und Menschenrechtslage in einem Zielland für Rüstungsexporte achten?
Europa muss auch bei Rüstungsexporten mit einheitlichen Regeln und Werten handeln. Wir erreichen mit deutschen Alleingängen in der Sache nichts, schaden uns aber wirtschaftlich selbst, verprellen unsere europäischen Partner und verlieren außenpolitischen Einfluss. Rüstungskontrolle muss ein gemeinsames europäisches Anliegen sein. Wenn wir etwa immer wieder aufgrund teils kleinster Komponenten aus deutscher Fertigung Ausfuhren verhindern, dann gilt Deutschland schnell als schwieriger Partner. Es darf nicht sein, dass in Zukunft ganze Produktionen deshalb „German free“ konzipiert werden, also komplett ohne deutsche Beteiligung. Im Übrigen möchte ich nicht, dass wir die strategische Autonomie, die wir durch eigene Rüstungsproduktionen erreichen, aufgeben.
In Bayern wurde vor Kurzem das erste Landesregiment in Dienst gestellt. Was erwarten Sie sich davon?
Wir sind in Bayern sehr stolz darauf, dass das erste Landesregiment bundesweit hier im Freistaat aufgestellt wurde. Das liegt daran, dass Bayern besonders viele Reservisten beheimatetet und diese sich besonders stark über ihre aktive Zeit hinaus engagieren. Dafür an der Stelle auch mal ein Dankeschön. Host Nation Support, Schutz kritischer Infrastrukturen und der Schutz der Bevölkerung im dafür verfassungsmäßig vorgesehen Rahmen werden weiter an Bedeutung gewinnen. Dies ist auch der Kernauftrag des künftigen „Landesregiments Bayern“. Gleichzeitig hat der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Katastrophenhilfe, etwa bei Schneelagen, Hochwasser et cetera, einer breiten Öffentlichkeit gezeigt, wie notwendig eine kurzfristig aktivierbare und schlagkräftige Reservestruktur in Bayern ist. Wir wollen die Attraktivität der Reserve und die Verankerung der Reserve in der Mitte der Gesellschaft fördern und stärken.
Herr Ministerpräsident, vielen Dank für das Gespräch.