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Die neuen Spione

Spionage ist ein Relikt aus dem Kalten Krieg? Weit gefehlt. Das russische Regime setzt verstärkt Spione ein, um geheime Informationen aus Deutschland zu entwenden. Dabei bekommen die russischen Geheimdienste ungeahnte Hilfe: von den sogenannten „Selbstanbietern“.

Schlapphüte tragen die meisten Spione heutzutage nicht mehr. Doch die Gefahr durch russische Spionage nimmt seit Beginn des russischen Angriffskriegs in der Ukraine auch in Deutschland wieder massiv zu.

Foto: AdobeStock.com / J Golby

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Es war eine rauschende Ballnacht. Die Luftwaffe lud im Februar 2014 zu ihrem jährlichen „Ball der Luftwaffe“ in die Beethovenhalle in Bonn. Eine Bigband spielte, es wurde getanzt, gut gegessen. Unter den Gästen war auch Ralph G., Oberstleutnant der Reserve. Der damals 56-Jährige war extra aus seinem Heimatort Erkrath angereist. Der Reserveoffizier E. arbeitete in seinem Zivilleben als Vertriebsleiter einer US-Firma in Deutschland. Er interessierte sich für Sicherheitspolitik. Und für die Beziehungen zu Russland. Ihm liege ein gutes Verhältnis zum großen Nachbarn im Osten am Herzen, so wird er es später vor Gericht aussagen. Da traf es sich gut, dass auch Michail Starow unter den Ballgästen war. Starow war damals offiziell als Luftwaffenattaché an der russischen Botschaft akkreditiert, inoffiziell arbeitete er für den russischen Militärgeheimdienst GRU. Die beiden verstanden sich gut, tauschten Kontaktdaten aus – und blieben in Kontakt. Starow besuchte G. in Erkrath, G. kam mehrere Male zu Starow nach Berlin. G. flog auch öfter nach Russland, pflegte Kriegsgräber in Kaliningrad, nahm an einer Sicherheitskonferenz in Moskau teil.

Acht Jahre nach dem Ball in Bonn steht G. vor Gericht. Der Vorwurf des Oberlandesgerichts Düsseldorf: G. soll als Agent für die Russen gearbeitet haben. Konkret wirft ihm das Oberlandesgericht vor, von 2014 bis 2020 Dokumente zum Beispiel über das deutsche Reservistenwesen oder einen Auszug aus dem damals noch unveröffentlichten neuen Weißbuch der Bundeswehr an Starow geschickt zu haben. Zudem soll der deutsche Oberstleutnant der Reserve dem russischen Geheimdienstmitarbeiter verraten haben, welche ranghohen Bundeswehroffiziere er für russlandfreundlich hielt – damit die Russen diese kontaktieren konnten. Auch über die Auswirkungen der Sanktionen gegen Russland auf die deutsche Wirtschaft berichtet er den Russen. Als Vertriebsleiter seiner Firma ist G. bei der IHK in Düsseldorf aktiv. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilt G. schließlich im November 2022 zu einem Jahr und neun Monaten Haft auf Bewährung. G. kommt glimpflich davon, vor allem, weil er den Russen keine geheimen Dokumente übergeben hat. Auch räumt er die Vorwürfe vor Gericht ein.

Beim Ball der Luftwaffe im Jahr 2014 lernte Oberstleutnant d. R. Ralph G. den vermeintlichen russischen Luftwaffenattaché Michail Starow kennen. In den Folgejahren übergab G. den russischen Geheimdiensten mehrere Dokumente, unter anderem den damals noch unveröffentlichten Entwurf des Weißbuchs von 2016. (Foto: picture alliance / dpa)

G. ist bei weitem kein Einzelfall, die Gefahr durch russische Spionage ist hoch: „Wir befinden uns auf einem Niveau wie zu Zeiten des Kalten Kriegs“, sagte Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesverfassungsschutzes und damit oberster Spionagebekämpfer Deutschlands im vergangenen Jahr. Deutschland ist dabei besonders im Visier der russischen Geheimdienste: Die Bundesrepublik ist nach den USA der zweitgrößte Unterstützer der Ukraine. Die Bundesregierung stellt den Ukrainern kriegswichtige Militärgüter wie die Flugabwehrsysteme Patriot und Iris-T oder die Panzerhaubitze 2000 und bildet Tausende ukrainische Soldaten aus. Bis vor Kurzem war Deutschland zudem der wichtigste westliche Abnehmer von russischem Gas- und Öl. Auch der Maschinenbausektor und die Rüstungsindustrie sind höchst interessant für russische Geheimdienste – zumal in Zeiten westlicher Sanktionen.

„Ach hallo, wie geht’s?“

Um geheime Informationen abzufischen, ziehen die russischen Geheimdienste alle Register: von der Cyberspionage bis hin zur Anwerbung „menschlicher Quellen“. Politiker, Wissenschaftler, Militärs werden einfach angesprochen, zunächst ganz harmlos mit Small- Talk. So lief es zum Beispiel bei Roderich Kiesewetter, CDU-Bundestagsabgeordneter und von 2011 bis 2016 Präsident des Reservistenverbandes. „Ach hallo, wie geht’s?“, sprach ihn ein fremder Mann beim Verlassen seines Hauses an, erzählt Kiesewetter in der ARD-Doku „Im Visier des Kreml“. Er habe auch militärischen Hintergrund – genauso wie Kiesewetter – habe der fremde Mann gesagt. Später stellte sich heraus, dass es sich bei dem Mann vor Kiesewetters Haus um den russischen Verteidigungsattaché gehandelt hatte. Anstatt auf den Anbahnungsversuch einzugehen, meldete Kiesewetter den Vorfall. Erste unverbindliche Gespräche, dann Einladungen zu Veranstaltungen oder Russlandbesuchen – so laufen die russischen Anbahnungsversuche häufig ab.

Um den russischen Agenten das Handwerk zu legen, verwies die Bundesregierung vergangenes Frühjahr 40 dieser als Diplomaten getarnten Geheimdienstmitarbeiter des Landes. Mit der Ausweisung reagierte die Bundesregierung auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine und die Gräueltaten, die die russische Armee an den Einwohnern des Kiewer Vorortes Butscha verübt hatte. Viele europäische Staaten taten das Gleiche. Insgesamt mussten über 400 russische „Diplomaten“ die Gastländer verlassen.

„Immerhin ein Anfang“

Ist die Gefahr damit gebannt? Nein. „Aber es ist immerhin ein Anfang“, sagt Erich Schmidt-Eenboom, Leiter des Forschungsinstituts für Friedenspolitik in Weilheim und jahrzehntelanger Kenner der Geheimdienste im Gespräch mit loyal. „Der unbestrittene Vorteil der Ausweisung liegt darin, dass sich die Observationskräfte des Verfassungsschutzes auf weniger russische Geheimdienstmitarbeiter konzentrieren können“, sagt Schmidt-Eenboom. Er gibt allerdings zu bedenken, dass wohl nicht alle als Diplomaten getarnten Geheimdienstmitarbeiter ausgewiesen wurden. Schmidt-Eenboom schätzt, dass sich vor den Ausweisungen etwa 200 auf deutschem Boden befunden hätten.

Lebten jahrzehntelang unentdeckt in einer hessischen Kleinstadt: das Agenten-Ehepaar Heidrun und Andreas Anschlag, hier vor Gericht in Stuttgart im Jahr 2012. Die Anschlags reisten Mitte der 1980er-Jahre als vermeintliche Österreicher nach Deutschland ein. In Wahrheit waren sie vom KGB ausgebildete Agenten. (Foto: picture alliance / dpa)

Schmidt-Eenboom geht davon aus, dass die Russen den Ausfall der Agenten kompensieren werden. Zum Beispiel mithilfe sogenannter „Illegaler“. Diese agieren besonders heimtückisch und geheimnisumwittert. Oft über Jahrzehnte leben sie unerkannt inmitten der deutschen Gesellschaft. Niemand ahnt, dass der vermeintliche Kollege oder der Fußballfreund in Wirklichkeit ein russischer Spion ist. So war es beim Agenten-Ehepaar Heidrun und Andreas Anschlag. Über 30 Jahre lang lebten sie unerkannt in einer hessischen Kleinstadt, kauften ein Einfamilienhaus, zogen ihre Tochter groß. Niemand kam auf den Gedanken, dass die Eheleute, die etwas piefig wirkten, russische Staatsbürger waren und für den russischen Auslandsgeheimdienst SWR spionierten. Auf Veranstaltungen sprachen beide Militärs, Politiker und Geschäftsleute an, ihre Erkenntnisse aus den Gesprächen schickten sie nach Russland. Doch ihr größter Coup gelang ihnen, als sie einen Beamten des niederländischen Außenministeriums rekrutierten. Dieser lieferte dem Ehepaar über Jahre hinweg Informationen aus dem Innenleben der EU und der NATO. Im Jahr 2011 flog das Ehepaar auf, die CIA war ihnen auf die Spur gekommen und hatte den deutschen Verfassungsschutz informiert. Im Jahr 2013 wurde das Paar zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Ungeahnte Hilfe von deutschen Staatsbürgern

Wie viele solcher „Illegale“ in Deutschland leben, könne man unmöglich beziffern, so Schmidt-Eenboom. Klar ist: Personen mit einer wasserdichten, glaubwürdigen Legende auszustatten, ist aufwendig. Und ob diese dann mit den Jahren an eine verantwortliche Position in Wirtschaft, Militär oder Politik gelangen, von wo sie gehaltvolle Informationen an die russischen Geheimdienste übermitteln können? Ein Glücksspiel. Auf „Illegale“ zu setzen ist mühsam, der Erfolg keinesfalls gesetzt. Oft müssen die russischen Dienste aber gar nicht einen solch großen Aufwand betreiben. Denn sie bekommen ungeahnte Hilfe von deutschen Staatsbürgern, die ihnen von sich aus geheime Informationen anbieten.

So war es beim oben genannten Fall des Oberstleutnants Ralph G. Doch G. war lediglich ein kleiner Fisch in Sachen Spionage. Von einem ganz anderen Kaliber ist der Fall Carsten L. Dieser arbeitete beim Bundesnachrichtendienst (BND) als Referatsleiter im Bereich „Technische Aufklärung“. Der ehemalige Bundeswehroffizier hatte Zugang zu hochsensiblen Informationen, die der Dienst über Satelliten, Funk oder Internet weltweit abgriff. Im Dezember 2022 wurde Carsten L. verhaftet. Über einen Kurier soll er geheime Informationen an den FSB nach Moskau weitergegeben haben, darunter mutmaßlich Informationen zum Krieg in der Ukraine. L. soll die BND-Dokumente von seinen Dienstrechnern ausgedruckt oder vom Bildschirm abfotografiert haben. Die Russen wollten zum Beispiel von Carsten L. wissen, wie viele Mehrfachraketenwerfer vom Typ Himars in die Ukraine geliefert wurden, ob deren GPS-Funktion permanent aktiviert sei und wo genau sich diese befänden, schreibt Der Spiegel. Für die gelieferten Informationen soll L. 450.000 Euro erhalten haben.

Die russische Botschaft in Berlin. (Foto: picture alliance / dpa)

Carsten L. wurde im Dezember 2022 verhaftet, nachdem ein befreundeter Geheimdienst den BND – laut Schmidt-Eenboom war das wiederum die CIA – auf ein Informationsleck hingewiesen hatte. Mitarbeiter des US-amerikanischen Geheimdiensts hatten in den Netzen der russischen Sicherheitsbehörden Informationen gefunden, die sie dem BND zuordnen konnten. Carsten L. sitzt in Untersuchungshaft, sein Gerichtsverfahren begann Mitte Dezember. Ihm wird Landesverrat vorgeworfen und es droht lebenslange Haft.

Der mutmaßliche Landesverrat eines eigenen hochrangigen Mitarbeiters ist für den BND eine Katastrophe. Besonders misslich ist, dass L. wohl auch Partnerdienstinformationen an die Russen weitergab. „Gerade die angelsächsischen Dienste reagieren darauf mit einer Drosselung der Informationen, die sie dem BND übermitteln“, sagt Schmidt-Eenboom. Das habe sich bereits bei der Wagner-Verschwörung im Sommer 2023 gezeigt. Diese Rebellion habe die CIA frühzeitig aufgeklärt, den BND aber nicht davon unterrichtet, so Schmidt-Eenboom.

„Selbstanbieter“ eint eine Nähe zur AfD

Warum übergibt ein Mitarbeiter einer deutschen Sicherheitsbehörde einem russischen Geheimdienst Informationen? Klar ist, die meisten der bekannt gewordenen „Selbstanbieter“ eint eine Nähe zur AfD, sie lehnen unser politisches System ab. Bei Carsten L. gab es laut Medienberichten Hinweise auf eine rechtsradikale Gesinnung. Laut Der Spiegel erzählten seine Kollegen, er sei bei der Arbeit für seine rechtsradikalen Sprüche bekannt gewesen, einmal soll er gesagt haben, Flüchtlinge solle man erschießen. Nach Informationen der ARD spendete er im Jahr 2015 und 2016 jeweils 100 Euro an die AfD.

Symbolbild: Thomas H. wurde beim Betreten der russischen Botschaft in Berlin gefilmt und kurz darauf festgenommen. (Foto: unsplash.com / Rene Bohmer)

Auch ein anderer mutmaßlicher Spion suchte die Nähe zur AfD. Nämlich Thomas H., ein Hauptmann der Bundeswehr und Mitarbeiter des Beschaffungsamts (BAAINBw) in Koblenz, der im Sommer 2023 aufflog. Laut Medienberichten stellte Thomas H. kurz vor seiner Festnahme einen Antrag zur Aufnahme bei der AfD in Koblenz. Vorher habe er jahrelang die bisherige Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht wegen ihrer russlandfreundlichen und migrationsfeindlichen Politik bewundert, so Medienberichte. Thomas H. wird vorgeworfen, sich aus eigenem Antrieb mehrmals bei der russischen Botschaft in Berlin und dem Generalkonsulat in Bonn gemeldet und eine Zusammenarbeit angeboten zu haben. H. war im Beschaffungsamt in der Abteilung U 5 tätig und hatte dabei Zugang zu Informationen im Bereich Elektronische Kampfführung, Aufklärung und Flugsicherung. Er hatte also mit sensibler Wehrtechnik zu tun. Im Sommer 2023 wurde H. festgenommen. Die russische Botschaft und das Generalkonsulat waren vom Bundesamt für Verfassungsschutz überwacht und er beim Betreten derselben gesehen worden.

Die Bundesrepublik steht dem ganzen Treiben ziemlich unvorbereitet gegenüber. Nach dem Ende des Kalten Krieges sparten die verschiedenen Bundesregierungen nicht nur bei der Bundeswehr, sondern auch bei der Spionageabwehr. Russland schien keine Gefahr mehr zu sein. Stellen beim Bundesamt und den Landesämtern für Verfassungsschutz und beim MAD wurden abgebaut. „Deutschland hat nach der Wiedervereinigung weitestgehend seine Spionageabwehr eingestellt, während andere Länder einfach weitergemacht haben wie im Kalten Krieg“, sagt Konstantin von Notz, Bundestagsabgeordneter der Grünen und Vorsitzender des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Nachrichtendienste. Notz konstatiert für Deutschland nun ein „fulminantes Sicherheitsproblem“. Gab es zum Ende des Kalten Krieges noch fast 400 Beschäftigte in der Fachabteilung Spionageabwehr im Bundesamt für Verfassungsschutz, waren es im Jahr 2014 nicht mal mehr die Hälfte. Vor Kurzem bekam das Bundesamt zwar neue Stellen für die Spionageabwehr bewilligt. Doch es dauert, bis Fachpersonal gefunden und eingearbeitet ist.

Stau bei den Sicherheitsüberprüfungen

Auch aus Personalnot rührt der lange Stau bei den Sicherheitsüberprüfungen. Diese Screenings sollen sicherstellen, dass in den deutschen Sicherheitsbehörden keine Verfassungsfeinde arbeiten. Allein beim MAD, der die Sicherheitsüberprüfungen für die Bundeswehr macht, waren im Mai 2023 knapp 70.000 Sicherheitsüberprüfungen anhängig, so eine Antwort des Verteidigungsministeriums auf eine Anfrage der Unionsfraktion. Wohlgemerkt: Die Bundeswehr zählt im Moment knapp 185.000 Soldaten. Bei einem Großteil ist die Bundeswehr also nicht im Bilde, ob die Soldaten noch auf dem Boden der freiheitlich-demokratischen Grundordnung stehen. Doch selbst wenn die Sicherheitsüberprüfungen in der erforderlichen Zeit durchgeführt würden, gibt es Zweifel daran, dass sie in der derzeitigen Form Extremisten oder Spione „herausfischen“ könnten. Sie seien zu starr formuliert und ihre Bearbeitung zu langwierig und kompliziert, sagt Konstantin von Notz.

Behördencharme der 1970er-Jahre: die Zentrale des Bundesamts für Verfassungsschutz in Köln. (Foto: picture alliance / dpa)

Das Bundesamt für Verfassungsschutz dagegen hemmt zudem noch ein Kompetenzwirrwarr. Denn zusätzlich zum Bundesamt hat jedes Bundesland seine eigene Verfassungsschutzbehörde. Erkenntnisse werden oft nicht ausgetauscht, sondern eifersüchtig bewacht. Und der BND? Der Auslandsnachrichtendienst sorgt mit eigenen Spionen im russischen Sicherheitsapparat sicherlich dafür, dass Informationslecks schnell auffliegen, oder? Weit gefehlt. „Das traditionelle Grundproblem des BND ist seine Risikoscheu in der Beschaffung mit menschlichen Quellen“, sagt Schmidt-Eenboom. Gerade bei der Gegenspionage, also der Königsdisziplin nachrichtendienstlicher Arbeit, habe der Dienst weitgehend versagt, so Schmidt-Eenboom. „Die Gefahr, bei solchen Operationen Doppelagenten aufzusitzen, erschien dem BND stets zu groß.“

Ist die Bundesrepublik also hilflos den russischen Aktivitäten ausgeliefert? Nein. Gustav Gressel, Russland-Experte beim European Council on Foreign Relations (ECFR), fordert, die Sensibilität in Unternehmen und Sicherheitsbehörden für die Gefahr der Spionage zu schärfen. Ein Mentalitätswechsel müsse her. „Wir müssen wieder mehr in den Kategorien des Kalten Krieges denken. Wir haben jetzt wieder Feinde, die uns fundamental schaden wollen. Das muss bei jedem ankommen“, sagt er. Kollegen und Mitarbeiter müssten genauer hinschauen: Gerät ein Kollege in eine Lebenskrise? Könnte er deshalb besonders anfällig für die Ansprache fremder Dienste sein? Ist er frustriert vom Arbeitgeber und der deutschen Politik insgesamt? Dann sei Aufmerksamkeit angebracht. Klar, einen Kollegen zu „verpetzen“, davor dürften viele zurückschrecken.

Erfolgreiche CIA-Taktik

Schmidt-Eenboom bringt noch ein anderes Mittel ins Gespräch, das die CIA bereits mit Erfolg nutzt: Der US-Geheimdienst richtet Anfragen unter falscher Flagge an eigene Mitarbeiter, um ihnen auf den Zahn zu fühlen und zu testen, ob diese loyal sind. „Ein solches Risiko, von der eigenen Sicherheitsabteilung und nicht von einem zahlungskräftigen gegnerischen Geheimdienst angeworben zu werden, dürfte die Bereitschaft zum Landesverrat nachhaltig bremsen“, sagt er.


Hintergrund

Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV)

Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die 16 Landesämter sollen Verfassungsfeinde in Deutschland ausfindig machen. Darunter zählen zum Beispiel Links- und Rechtsradikale, Islamisten und Spione fremder Mächte. Am Standort des Bundesamts in Köln arbeiten 3.500 Mitarbeiter.

Doch: „Das Bundesamt und die Landesämter für Verfassungsschutz leiden an einer massiven Überforderung durch die Beobachtung von Links- und Rechtsextremismus, der Aufklärung in- und ausländischen Terrorismus und der Abwehr von Spionage aus zahlreichen Staaten, allen voran nicht nur Russland, sondern auch China“, sagt Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom. Außerdem läuft die Koordination und Informationsübermittlung zwischen den 16 Landesämtern und dem Bundesamt oft nur schleppend.

Trotzdem gelingen dem BfV auch Erfolge: Etwa beim „Selbstanbieter“ und Beschaffungsamt-Mitarbeiter Thomas H., den es beim Betreten der russischen Botschaft und des russischen Generalkonsulats entdeckte.

Vor der neuen Zentrale des BND in Berlin. Von hier aus steuert der Nachrichtendienst seine weltweite Arbeit. (Foto: picture alliance / dpa)

Der Bundesnachrichtendienst (BND)

Insgesamt arbeiten 6.500 Personen für den BND. Die Mehrzahl davon in der 2019 eingeweihten neuen Zentrale in Berlin-Mitte. Etwa 1.000 Mitarbeiter, hauptsächlich die Experten für technische Aufklärung, verblieben am bisherigen Standort in Pullach bei München.

Der BND soll als Augen und Ohren der Bundesrepublik im Ausland agieren und sicherheitsrelevante Informationen sammeln. Das Ziel ist, so gut informiert zu sein, dass die Bundesrepublik wichtige Ereignisse und Sicherheitsgefahren im Ausland voraussieht und schnell und effektiv darauf reagieren kann. Doch es gibt Zweifel, dass der BND das kann. Dieser sei ein „zahnloser Wachhund mit Maulkorb und Eisenkette“ kritisierten die beiden ehemaligen BND-Präsidenten August Hanning und Gerhard Schindler vor einigen Monaten. Dagegen warnen Kritiker – vor allem aus dem linken und liberalen Lager – vor übergriffigem Verhalten des BND, das Bürger- und Persönlichkeitsrechte aushebele.

Klar ist: Im Vergleich zu anderen Diensten wie CIA und Mossad agiert der BND weit weniger offensiv. Tötungsmissionen gibt es bei ihm nicht. Sogenannte „Venus-Fallen“ oder „Romeo-Fallen“, gutaussehende Agentinnen oder Agenten also, die Zielpersonen durch das Vorgaukeln einer Liebesbeziehung Informationen entlocken, auch nicht.

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