Flugzeugträger mit Palmen
Eine winzige Insel mitten im Indischen Ozean spielt für die Militärmacht der USA eine global enorm wichtige Rolle. Doch die Zukunft des Stützpunkts Diego Garcia ist ungewiss. Es geht um Dekolonisierung und einen völkerrechtlichen Streit. Am Ende könnte sich China Diego Garcias bemächtigen.
Nur wenigen Menschen in Europa dürfte der Name Diego Garcia etwas sagen. Es handelt sich mitnichten um einen Latinopop-Sänger oder einen spanischen Fußballer, wie bei dem Namen zu vermuten wäre. Diego Garcia hat nichts mit Spanien oder Südamerika zu tun, ganz im Gegenteil. Es ist eine winzige Insel im Indischen Ozean, 700 Kilometer südlich der Malediven. Das Eiland gehört zum Chagos-Archipel und ist ein tropisches Paradies, mit 27 Quadratkilometern allerdings nur so groß wie Norderney. 3.700 Menschen leben auf Diego Garcia, fast ausschließlich amerikanische Soldaten und Geheimdienstagenten sowie ein paar britische Armee- und Verwaltungsangehörige.
Das hat seinen Grund: Diego Garcia liegt strategisch außerordentlich günstig zwischen Afrika, Australien, Indien und der Arabischen Halbinsel. Deshalb ist es eine der wichtigsten Militärbasen überhaupt für die USA. Eine mehr als 3.600 Meter lange Startbahn zeugt davon. Doch die Tage dieses für Washington so wichtigen unsinkbaren Flugzeugträgers aus Sand und mit Palmen könnten gezählt sein. Geostrategische Machtansprüche und eine verschleppte Dekolonisierung haben zu einem vergifteten Klima beigetragen, das zwischen allen an Diego Garcia interessierten Staaten herrscht.
Völkerrechtlich gehört Diego Garcia zur Republik Mauritius, einem 2.100 Kilometer südöstlich entfernt liegenden Inselstaat. De facto hat Großbritannien die Hoheit über Diego Garcia. Die USA sind Pächter der Militärbasis. Und China würde nur allzu gerne die Insel beherrschen, die bestens zur Expansionspolitik der Volksrepublik passen würde.
Letztes Konfetti des britischen Empire
1968 entließ Großbritannien nach 150-jähriger Kolonialherrschaft Mauritius in die Unabhängigkeit – allerdings ohne Diego Garcia, das es vorher administrativ abgetrennt hatte. Dieses verblieb mit dem gesamten Chagos-Archipel bei Großbritannien. Bis heute tragen die Inselchen offiziell die Bezeichnung „Britisches Territorium im Indischen Ozean“. Es ist das letzte Konfetti des einst größten Kolonialreichs der Welt. Die insgesamt rund 60 Miniinseln sind bis auf Diego Garcia alle unbewohnt. Aber das waren sie nicht immer, und das ist heute ein Teil des Problems.
1966 wurden die etwa zweitausend Chagossianer, wie sich die Einwohner des Archipels nennen, durch die britische Kolonialmacht zwangsumgesiedelt. Ureinwohner im eigentlichen Sinne gab es dort keine; die Chagossianer stammen von Plantagenarbeitern ab, die die Franzosen angesiedelt hatten, die über die Inseln herrschten, bevor sie am Ende der napoleonischen Ära 1814 an Großbritannien fielen. Die Chagossianer und ihre Nachfahren leben heute meist in Armut auf Mauritius, auf den Seychellen oder in Großbritannien. London konnte Diego Garcia „gekehrt und gesäubert“, wie es damals das Pentagon gewünscht hatte, an die USA verpachten. Washington hatte im Kalten Krieg Mitte der 1960er-Jahre einen Militärstützpunkt im Indischen Ozean gesucht und war sich mit London einig geworden. 1966 wurde gegen die Zahlung von 14 Millionen Dollar ein Pachtvertrag bis 2016 ausgehandelt, den beide Seiten inzwischen bis 2036 verlängerten.
Die USA übernahmen die bereits von den Briten im Zweiten Weltkrieg errichtete Luftwaffenbasis und bauten sie aus. Stationiert wurden im Laufe der Jahrzehnte unter anderem Langstreckenbomber, AWACS-Aufklärer, Tankflugzeuge, bunkerbrechende Bomben, U-Boote. Sogar Flugzeugträger können hier anlanden. Es entstanden Satelliten-Bodenstationen, Rundfunk- und Fernsehsender, Lauschanlagen, Kommunikationszentralen, Einrichtungen für die Cyberkriegführung mitsamt Unterkünften, Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten für die Soldaten.
Geostrategischer Stellenwert
Von Diego Garcia aus starteten US-Flugzeuge seinerzeit zu Bombardements im Irak und in Afghanistan. In einem Gefängnis auf der Insel wurden 2002 und 2003 Terrorverdächtige inhaftiert und gefoltert, was nicht nur der USA, sondern auch Großbritannien internationale Kritik einbrachte, weil sich herausstellte, dass es Mitbetreiber der Einrichtung war. Die deutsche Fregatte „Bayern“ legte 2021 auf ihrer Reise in den Indopazifik einen Bunkerstop auf dem Archipel ein, was zu einer Kleinen Anfrage der Linksfraktion im Bundestag führte.
Die Kriege im Irak und in Afghanistan sind zwar Geschichte, aber die Militärbasis im Indischen Ozean ist für die Amerikaner heute nicht weniger wichtig. Aktuell geht es um Iran, Pakistan, Afrika – und um China, das im Indischen Ozean geostrategisch immer weiter ausgreift und dessen Militäraktivitäten in der Region sich von Diego Garcia ideal kontrollieren lassen. Gleich drei amerikanische Kommandozentralen sind heute auf den Stützpunkt angewiesen: das Indo-Pacific Command auf Hawaii, das Central Command in Florida und das Africa Command in Stuttgart.
Großbritannien und die USA stehen allerdings vor dem Problem, dass die ehemals vertriebenen Chagossianer nach Jahren der Tabuisierung ihres Schicksals in Großbritannien inzwischen mehrfach Recht in ihrem Kampf um die Heimat bekommen haben: 2000 von einem britischen Gericht, 2019 vom Internationalen Gerichtshof und 2021 vom Internationalen Seegerichtshof. Vor allem das Gutachten des Internationalen Gerichtshofs gilt als bahnbrechend. Die Verfahren führten dazu, dass die Völkerrechtler genauer hinschauten und feststellten, dass der Archipel zu Unrecht von Großbritannien beansprucht wird. In einer Resolution forderte die Generalversammlung der Vereinten Nationen Großbritannien auf, die Inselgruppe an Mauritius zurückzugeben.
Große Bedeutung für USA und den Westen
Der Druck auf Großbritannien und mittelbar auf seinen Pächter USA wächst also. Schließlich berufen sich beide Staaten immer wieder auf eine regelbasierte Weltordnung und stehen daher moralisch unter Druck, sich dem internationalen Recht dann auch zu beugen, wenn es ihnen selbst wehtut. Dazu trägt auch eine verstärkte öffentliche Diskussion über Fragen der Dekolonisierung und des Umgangs mit dem globalen Süden bei. In dem in diesem Jahr erschienenen Buch „Die letzte Kolonie. Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Indischen Ozean“ zeichnet der britisch-französische Völkerrechtler Philippe Sands die Grausamkeit des Vorgehens der Briten gegen die Chagossianer nach und gibt den Opfern der damaligen Vertreibung eine Stimme. Das Buch hat in Großbritannien für große Aufmerksamkeit gesorgt und ist inzwischen auch in deutscher Übersetzung erhältlich.
Die Bedeutung von Diego Garcia für die USA, für Großbritannien und den gesamten Westen kann nicht überschätzt werden. Der Indopazifik-Experte des Bundeswehr-Thinktanks GIDS, Deniz Kocak, verweist im Gespräch mit loyal darauf, dass der Chagos-Archipel für die USA militärisch nicht zu ersetzen wäre. Dies umso mehr, als sich die weltweiten geostrategischen Schwerpunkte vom Atlantik weg in den indopazifischen Raum hinein verschieben. Und nicht nur das: „Auch für die weltweiten Wirtschaftsbeziehungen ist der Chagos-Archipel extrem wichtig. 70 Prozent des Handels von Asien nach Europa wird über Routen in der Nähe von Diego Garcia abgewickelt. Störungen dieser Lieferketten könnten gravierende Auswirkungen haben“, so Kocak.
Auf Mauritius kommt es an
Über kurz oder lang wird Großbritannien den Chagos-Archipel an Mauritius zurückgeben. Dann kommt es darauf an, wie sich die Regierung dort zu dem amerikanischen Stützpunkt auf Diego Garcia verhält. Mauritius ist eine parlamentarische Demokratie, das Regierungssystem ist stabil, es gibt freie Wahlen und Pressefreiheit. Soweit, so gut. Mauritius dürfte sich aber den Verbleib der Amerikaner auf Diego Garcia über 2036 hinaus gut bezahlen lassen und sich ausbedingen, dass die Chagossianer auf den Archipel zurückkehren dürfen. Die Regierung in Port Louis hat bereits eine Verpachtung auf 99 Jahre an die USA ins Gespräch gebracht.
Allerdings treibt die Amerikaner die Sorge um, dass Mauritius hoch pokern und Diego Garcia auch der Volksrepublik China mit ihren imperialen Interessen anbieten könnte. Die Sorge ist nicht unbegründet, denn Mauritius ist in Peking hoch verschuldet und könnte sich von dieser Last mit einem Schlag befreien. Dass die Amerikaner in diesem Fall widerstandslos abziehen und den Chinesen die Militärbasis überlassen könnten, gilt als ausgeschlossen. Zu groß sind die amerikanischen Interessen an Diego Garcia – und nicht nur ihre. Auch Indien dürfte bei dem bevorstehenden Deal ein Wörtchen mitreden wollen. Neu Delhi wird es kaum hinnehmen, dass der Erzrivale China sich auf einer derart wichtigen Insel direkt vor der Haustür Indiens festsetzt.
Steckbrief
- Größte Insel des Chagos-Archipels im Indischen Ozean
- Teil der letzten britischen Kolonie „Britisches Territorium im Indischen Ozean“
- Völkerrechtlich zur Republik Mauritius gehörig
- Seit 1966 bedeutendste US-Militärbasis in der Region
- Höchste Erhebung: 20 Meter
- Keine zivilen Einwohner
Buchtipp
Philippe Sands: Die letzte Kolonie. Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Indischen Ozean; S. Fischer-Verlag, 318 Seiten, 25 Euro