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Drehscheibe ohne Schwung

Deutschland und Europa arbeiten an einer Stärkung ihrer Militärlogistik. Eine überzeugende Mobilisierung wäre die Basis zur Abschreckung eines aggressiv auftretenden Russlands. Doch das Vorhaben leidet an dürftigen Konzepten, zerfaserter Umsetzung und an zu wenig Geld.

Schützenpanzer vom Typ Marder werden auf dem Truppenübungsplatz Grafenwöhr in Bayern 2017 zum Bahntransport nach Litauen verladen.

Foto: picture alliance / Armin Weigel / dpa

Die Bundesrepublik ist durch ihre Lage im Herzen Europas der natürliche Dreh- und Angelpunkt militärischer Logistik auf dem Kontinent. In der ersten Nationalen Sicherheitsstrategie von 2023 wird ihre Rolle als „logistische Drehscheibe“ für die NATO herausgestrichen, als zentraler Faktor, der die militärische Bedeutung Deutschlands ausmacht. Die Militärlogistik in Deutschland zu stärken und zu schützen, wird in der Strategie deshalb als wichtige Aufgabe beschrieben. Der Ausbaubedarf ist in der Tat massiv. Zu den Hochzeiten des Afghanistaneinsatzes waren nur circa 30 Prozent der Allianztruppen umfassend verlegefähig. Nur dürre sechs Prozent konnten jederzeit versorgt werden, so NATO-Angaben. Deren Eingreiftruppe nach Annexion der Krim durch Russland 2014 hatte noch ein Maximum von 40.000 Soldaten. Seit der Invasion Russlands in die Ukraine 2022 will die NATO wieder zahlreiche Divisionen an die Ostflanke verlegen können – in drei Wellen bis zu 800.000 Soldaten. Die Masse davon müsste von Deutschland als Host-Nation, als gastgebendes Land, aufgenommen, versorgt und nach vorne verteilt werden.

Wie die neue NATO-Logistik funktionieren soll

Eine überlegene Logistik entscheidet über Sieg oder Niederlage. Trotzdem ist sie bei der NATO bisher keine Gemeinschaftsaufgabe, wie zum Beispiel die Aufklärung. Hierfür betreiben die Allianzstaaten zusammen Flugzeuge und Drohnen. Doch eine „NATO-Streitkräftebasis“ aus gemeinsamen Logistikeinheiten existiert nicht. Es gilt das Prinzip: Logistik ist nationale Angelegenheit, jeder muss schauen, wo er bleibt. Das einzige NATO-Element ist bis jetzt die Aufmarschplanung über einen Stab mit 26 Offizieren: das Joint Support and Enabling Command in Ulm (JSEC). Seit Anfang dieses Jahres wird es aus dem NATO-Budget finanziert. Das JSEC plant den Truppenaufmarsch nach NATO-Szenarien an alle Ränder des Allianzgebiets.

Was die einzelnen Armeen dafür leisten sollen, stimmt das JSEC zweimal im Jahr mit den NATO-Nationen ab – auf Konferenzen des Reinforcement and Sustainment Network RSN. Über das RSN-Netzwerk sammelt der JSEC-Stab Informationen zur Logistik bei den 32 Bündnisstaaten für seine Planungen. „Für die NATO setzten die Alliierten die durch das JSEC erarbeiteten Pläne um“, so das offizielle Statement der NATO gegenüber loyal. Eine Zertifizierung für diese Logistik, wie es sie für ihre Kampfverbände gibt, hat die NATO nicht. Im Ernstfall gibt es 32 nationale Logistiksäulen, die im Ablauf zusammen funktionieren sollen. Die Aufmarschplanung beruht in Gänze darauf, dass die Allianzstaaten ihren Logistikanteil konsequent aufbauen. Machen das einige nicht oder nur ungenügend, gibt es keine NATO-Logistik, die Ausfälle im Ernstfall rasch ausgleichen kann.

Material der Gebirgsjägerbrigade 23 der Bundeswehr wird 2024 zum Seetransport nach Norwegen verladen.Die Bundeswehr hat keinen eigenen strategischen Seetransport. Dieser läuft über einen Kooperationsvertrag mit der dänischen Reederei DFDS Seaways. (Foto: Bundeswehr / Susanne Hähnel)

Die Bewertung von Jannik Hartmann, der zur militärischen Mobilität in der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin forscht, lautet: „Klar ist, dass die Trennung zwischen nationaler Verantwortung und multinationaler Koordination in der NATO-Logistik nicht reibungslos funktioniert. Das hat das Großmanöver Steadfast Defender im vergangenen Jahr gezeigt. Da kam es unter anderem zu Schwierigkeiten bei Nachversorgung und Wartung von Ausrüstung unter Feldbedingungen. Um die Verbundlogistik effizient zu gestalten, würde man sicher nicht vermeiden können, dem JSEC mehr Kompetenzen und Ressourcen an die Hand zu geben.“

Wie Deutschland seine Streitkräftelogistik erneuert

Für ihren Aufmarsch nach JSEC-Planung hat die Bundeswehr seit vergangenem Jahr den geheimen Operationsplan Deutschland (OPLAN), koordiniert vom neuen Operativen Führungskommando. Im OPLAN sind die Aufmarschkorridore ebenso festgelegt wie die Versorgung von Marschkolonnen durch sogenannte Convoy Support Center – günstig gelegene militärische Liegenschaften. Ein potenzielles Beispiel wäre die Glückauf-Kaserne in Unna. Diese liegt nahe an einem Autobahnkreuz. In solchen Bundeswehranlagen sollen Tank-, Reparatur- und Schlafmöglichkeiten für die Truppen bereitgestellt werden. Vorgesehen ist wohl, dass die zivile Wirtschaft einen Großteil der Convoy Support Center stellt.

Für den Betrieb einer geheim gehaltenen Anzahl dieser Zentren gab es eine europaweite Ausschreibung, die sich soeben der Rüstungskonzern Rheinmetall sicherte. Für die Militärs ist es das wahrscheinlichste Szenario, dass NATO-Staaten schon in einer Krise, weit vor Spannungs- oder gar Bündnisfall, präventiv Truppen verlegen. Das aber ist ungünstig, denn solange offiziell Frieden herrscht, hat die Bundeswehr bisher keine Sonderrechte. Die Verkehrswege wären mit dem üblichen zivilen Verkehr belegt. Ein Sprecher des Innenministeriums gibt an, dass Bund und Länder eine Prüfung verabredet haben, ob die Rechtslage noch passt – „insbesondere im Hinblick auf vorbereitende Maßnahmen in Krisenfällen unterhalb des Spannungsfalls.“

Ohne eine Zuarbeit der Länder geht nichts im deutschen Föderalismus. Das wichtigste Gremium zur Arbeit am OPLAN firmiert unter dem sperrigen Kürzel „BLKG MM/ZV“. Das steht für „Bund-Länder-Koordinierungsgremium für Angelegenheiten der zivilen Unterstützung militärischer Mobilität einschließlich Belange der zivilen Verteidigung im Bereich Verkehr.“ Dieses Abstimmungsgremium mit Arbeitsgruppen gibt es seit 2019. So haben die Länder etwa die Zuständigkeit für Schwerlasttransporte. Erst in den letzten Jahren haben sie wieder begonnen, strukturiert Daten zu erheben, welche Routen für Militärtransporte im jeweiligen Bundesland überhaupt nutzbar sind und ob eine bestimmte Brücke Panzer tragen kann. Es gibt inzwischen eine vollständige Karte des Militärstraßengrundnetzes, das jährlich durch die Länder überprüft wird, so ein Sprecher des Operativen Führungskommandos zu loyal.

Ein Tankwagen liefert Treibstoff in einem temporären Convoy Support Center. Dieses haben Soldaten der Streitkräftebasis bei der Übung „Robuste Basis“ vor drei Jahren auf dem Truppenübungsplatz Klietz in Sachsen-Anhalt eingerichtet. (Foto: Bundeswehr)

Die gelben Schilder mit militärischen Lastenklassen wie im Kalten Krieg werden aber nicht wieder aufgestellt. Die Freigaben an Bauwerken mit dem Militärstraßengrundnetz sind digital im Intranet der Bundeswehr hinterlegt. Analoge Karten dazu werden noch erstellt. „Die erarbeitet zurzeit der Geoinformationsdienst der Bundeswehr“, so ein Sprecher des Operativen Führungskommandos. Zudem ist die Bundeswehr ein Koordinator des PESCO-Projekts „Network of LogHubs“ mit 17 weiteren Unionsstaaten und Kanada. Darüber soll ein Netz von Logistikknotenpunkten in Europa entstehen, über die EU- und NATO-Operationen unterstützt werden können.

Die Bundeswehr hat ihr Hauptdepot Süd in Pfungstadt zu einem Logistik-Hub ausgebaut. Nach EU-Angaben gibt es inzwischen 27 dieses Hubs. Laut Plan sollte das Netzwerk seit diesem Jahr einsatzbereit sein. Was es leisten kann, ist unklar. Das Operative Führungskommando gibt darauf nur die ausweichende Antwort: „Die Einsatzbereitschaft der europäischen Loghubs orientiert sich an der Zielentwicklung.“ Ein Vorreiterprojekt zur Ostflankenverlegung von Großverbänden soll ein „Musterkorridor“ Niederlande-Deutschland-Polen werden, den die drei Staaten Anfang 2024 vereinbart haben. Dieser soll bis Juli dieses Jahres funktionieren, so ein Sprecher des Operativen Führungskommandos. Allerdings sind die 20 Maßnahmen dafür erst „identifiziert“ und vor allem rechtlicher Natur, was gerne zu Verzögerungen führt.

Militärlogistik über die EU: Keine Steuerung und wenig Geld

Die EU-Staaten wollen seit 2017 die zwei wichtigsten Felder für Streitkräftelogistik in Europa voranbringen: Weniger Bürokratie und mehr Infrastruktur. Doch für „Military Mobility“ stellten die Unionsstaaten dann nur klägliche Mittel bereit. Die Bewertung von DGAP-Logistikfachmann Jannik Hartmann: „Für die Finanzierung von 95 Projekten schlug die EU-Kommission ursprünglich ein Budget von 6,5 Milliarden Euro vor. Nach Verhandlungen mit den Mitgliedsstaaten wurde es 2017 auf lediglich 1,69 Milliarden Euro gekürzt. Im Januar 2023 wurden zwar weitere 807 Millionen Euro für 38 zusätzliche Projekte bewilligt. Es bräuchte aber hohe zweistellige Milliardenbeträge, um echten Fortschritt zu erzielen.“

Der Schwerpunkt der EU-Förderung liegt auf dem Ausbau des Nordost-Korridors auf der Schiene von den Nordseehäfen über das Baltikum bis nach Finnland. Laut EU-Angaben gingen 50 Prozent der bisherigen Military-Mobility-Mittel in den Ausbau der Bahnlogistik. Deutschland hat mit 282 Millionen Euro die größte Summe erhalten, wie eine aktuelle Analyse des Europäischen Rechnungshofs zeigt. Allerdings werden damit nur vier Projekte unterstützt: unter anderem die Erneuerung einer Eisenbahnbrücke der Güterumgehungsbahn Hannover, einer der wichtigsten Trassen für Bahnfracht durch Deutschland.

Kettenfahrzeuge vom Typ Hägglund der Bundeswehr beim Seetransport nach Norwegen während der Verlegeübung „Grand North“ im vergangenen Jahr. (Foto: Bundeswehr / Susanne Hähnel)

Daneben wollen die Unionsstaaten Bürokratie abbauen, um Truppen und Material auch im Frieden unkompliziert zu verschieben. Das ist wichtig, um große Kampfverbände zur Abschreckung aufbieten zu können, noch bevor ein Spannungsfall auftritt, bei dem dann Notstandsgesetze greifen. Das ist eine Erkenntnis aus Russlands Überfall auf die Ukraine, wo Putin Truppen zunächst scheinbar nur zu Manövern zusammenzog und über lange Zeit beschwichtigte. Die EU-Staaten haben sich verpflichtet, nationale Military Mobility Plans zu erarbeiten und abzustimmen, die mit lediglich drei Tagen für Genehmigung von Truppenlogistik auskommen sollen. Das Prozedere ist aufwendig: Jede Ein- und Durchreise von Truppen muss im betroffenen Land durch den Militärattaché des Verlegestaates einzeln angemeldet werden.

Was unternimmt Deutschland hier zur Rationalisierung? „Zur Vereinfachung des Verfahrens wird seitens Deutschlands dazu übergegangen, für ausgewählte Partner Dauergenehmigungen zu erteilen“, so ein Sprecher des Operativen Führungskommandos zu loyal. Fragt man beim deutschen Zoll nach, welche Einfuhrregeln den Aufwand europäischer Militärlogistik verdeutlichen, nennt ein Sprecher zwei parallel existierende Zollverfahren von EU und NATO. Um die Transportregeln EU-weit anzugleichen, wurde vor mehr als einer halben Dekade 2018 das Programm Optimising Cross-Border-Movement Permission (CBMP) begonnen, betreut von der Europäischen Verteidigungsagentur EDA.

Als zentrale Errungenschaften nennt ein Sprecher der EDA zwei Vereinbarungen für Standards zum militärischen Grenzverkehr – jeweils zu Land und zur Luft. Eine dritte Vereinbarung zum Seetransport soll in diesem Jahr erfolgen. Die meisten EU-Staaten und Norwegen sind der Land- und der Luftvereinbarung inzwischen beigetreten; allerdings fehlt die wichtige Militärmacht Großbritannien. Und die Vereinbarungen sind von den Staaten nicht umfassend implementiert. So berichtet der EU-Rechnungshof in einem aktuellen Sonderbericht zur militärischen Mobilität von einem ungenannten EU-Staat, der noch 45 Tage Ankündigung im Voraus benötigt, um Militärtransporte seiner Unionspartner zu genehmigen. Die wichtigste Kritik des Rechnungshofs: Eine strategische Steuerung der Military-Mobility-Agenda fehlt völlig.

Gepanzerte Transportfahrzeuge Boxer beim Straßenmarsch über eine Autobahn durch Deutschland in Richtung Ostflanke beim großen NATO-Manöver „Steadfast Defender“ im vergangenen Jahr. (Foto: picture alliance / ANP)

Ein eindrückliches Fallbeispiel aus dem Bericht: Die ersten Straßenabschnitte einer, „der aus militärischer Sicht wichtigsten Straßen der EU“ wurden gefördert, die letzten Straßenabschnitte aber nicht mehr. Obwohl 2017 gestartet, gibt es bis heute für die Military-Mobility-Projekte der EU kaum Zielvorgaben. Indikatoren zur Erfolgsmessung fehlen völlig. Bis heute fehlt zentralen Akteuren wie den Verteidigungsministerien der Durchblick, wer bei militärischer Mobilität welche Aufgaben hat, stellten die Rechnungshof-Prüfer fest. Der Hintergrund: Die EU-Staaten sträuben sich gegen eine Vergemeinschaftung der Verteidigungspolitik. Nur vier der sieben Teststaaten, welche die Prüfer besuchten, sehen den Aktionsplan zu Military Mobility als operatives Dokument, die anderen lediglich als unverbindliche politische Willensbekundung. So zuckelt die Entwicklung von Europas militärlogistischer Infrastruktur vor sich hin, anstatt Fahrt aufzunehmen.

Was die Bundeswehr an Logistik braucht

Was die deutschen Streitkräfte an Transportmitteln benötigen, wollen sie aus Geheimschutzgründen auf Anfrage nicht kommunizieren. Ein Sprecher des Logistikkommandos äußert nur allgemein: „Damit die Schere zwischen Wirkung und Unterstützung nicht weiter auseinanderklafft, ist es unerlässlich, die konzeptionell ausgeplanten Logistikkräfte zu realisieren. Bisher liegen alle Maßnahmen der Umstrukturierung im Zeitplan.“ Zahlen des Planungsamts vom März 2022, kurz nach Beginn des russischen Angriffskrieges, prognostizierten einen Bedarf von 32.500 Transportfahrzeugen bis 2027 und 59.000 bis zum Ende des Jahrzehnts.

Dazu gehören Sanitätsfahrzeuge, Schwerlasttransporter und vor allem diverse Lkw. Die Bundeswehr will vor allem mehr Wechsellader. Das sind Lkw, die verschiedene Ausrüstungen in Containern transportieren können. Die Bundeswehr hat mehr als 800 unterschiedliche solcher „Rüstsätze“, die sie flexibel verlegen will. loyal hat bei den vier Teilstreitkräften der Bundeswehr nachgefragt, was ihre besonderen Interessen bei der Stärkung der Logistik sind. Die Marine gibt an, vor allem die Werftliegezeiten ihrer seegehenden Einheiten optimieren zu wollen, damit diese die NATO-Vorgaben für das New Force Model erfüllen. Das Ziel ist eine Einsatzbereitschaft von mindestens 66 Prozent der Einheiten.

Wechsellader-Lkw der Bundeswehr, die flexibel verschiedene Ladungen aufnehmen können, sind ein Schwerpunkt im logistischen Konzept der Bundeswehr – hier beim Logistikbataillon 172 während der Übung „Blue Lightning“ 2023. (Foto: Bundeswehr / Susanne Hähnel)

Ein Sprecher der Deutschen Marine: „Das fängt bei einer Vielzahl kleinerer Maßnahmen unter dem Slogan Route 66 an – zum Beispiel die Erhöhung logistischer Vorräte und eine Straffung der Werftliegezeiten.“ Die zentrale Maßnahme ist ein Ausbau des Marinearsenals Warnowwerft in Rostock-Warnemünde. Der Marinesprecher weiter: „Für die Unterstützung unserer Bündnispartner im Ostseebereich kommt dem Marinearsenal eine strategische Bedeutung zu.“ Ebenso plant die Marine einsatznahe Instandsetzungen. Ein erstes Projekt dazu ist eine Wartungswerft im norwegischen Bergen, deren Bau vor Kurzem begonnen hat. Die Werft wird für die neuen U-Boote vom Typ 212 CD ausgerüstet, die Deutschland und Norwegen gemeinsam beschaffen. Um ihre eigene Logistik resilienter zu machen, prüft die Marine auch die Vorausstationierung und Lagerung von Vorräten im Ausland.

Die neue Teilstreitkraft Cyber- und Informationsraum (CIR) verweist darauf, dass sie für ihre Kernaufgabe IT-Vernetzung mehr logistische Unterfütterung mit Blick auf die Großverbände des NATO New Force Model benötigt. Als Beispiel nennt ein CIR-Sprecher die mobilen Service Delivery Points, mit denen die IT-Bataillone Gefechtsstände anbinden. „Dies leisten wir nicht nur für die weiteren deutschen Anteile des New Force Models, sondern wir arbeiten an einer vollständigen Integrierbarkeit in den NATO-Verbund.“

Das Heer will sich aus Gründen „operativer Sicherheit“ nicht äußern. Sicher ist, dass die Landstreitkräfte ihre Lagerhaltung massiv ausbauen müssen, vor allem bei Munition. In den Jahrzehnten der Auslandseinsätze ging es nur darum, zwei Infanteriekampfverbände mit je 1.000 Soldaten stellen zu können. Nun sollen acht Brigaden und mehr rasch und umfassend gefechtsklar sein. Dazu müssen auch Depots an der Ostflanke angelegt werden. Die neue Heimatschutzdivision des Heeres über die Reserve wäre wichtig, um die Logistikinfrastruktur in Deutschland zu schützen und den Truppenfluss über die Drehscheibe bei Angriffen zu gewährleisten. Dafür müsste der Großverband aber personell massiv aufwachsen und starke Pionierkräfte sowie Logistik erhalten, was nicht absehbar ist.

Bundeswehrsoldaten begutachten den Schlafsaal für Einsatzkräfte bei einer Übung zur Sicherung eines logistischen Umschlagpunkts bei Alsfeld in Hessen im vergangenen Jahr. (Foto: picture alliance / dpa)

In der Politik gilt die Stärkung der Reserve parteiübergreifend als ein Ziel, das sich nur langfristig umsetzen lässt (siehe loyal 2/2025). Auch die Luftwaffe will zu ihren Interessen an Logistik und Infrastruktur wegen „operativer Sicherheit“ nichts sagen. Die NATO hat durch den Beitritt Finnlands und Schwedens an der Nordostflanke mehr strategische Tiefe gegen Russland gewonnen, besonders für den Einsatz von Luftstreitkräften. Die deutsche Luftwaffe übte bereits die Nutzung von Notlandepisten in Finnland. Inwieweit sie sich in der Nordregion engagiert und Basen benötigt, muss sich noch zeigen. Das NATO-New Force Model weist Deutschland Zentraleuropa mit dem Baltikum zu. Für den Schutz der Drehscheibe Deutschland setzt die Luftwaffe auf die hiesigen militärischen und zivilen Flugplätze. Deren Anzahl sei so hoch, dass es keinen Bedarf gebe, die Notlandeplätze auf Autobahnen aus dem Kalten Krieg zu reaktivieren, so eine Meldung der Luftwaffe.

Bundeswehrlogistik: Anspruch und Wirklichkeit

Für den Aufmarsch der Divisionen 25 und 27 zum New Force Model der NATO hat die Streitkräftebasis ihre Logistikbataillone in zwei Regimentern gebündelt. Es fehlen allerdings noch Bataillone – ein aktives und zwei gekaderte mit Reservisten. Entsprechende Dienstposten gibt es noch nicht. Gefragt, bis wann die Aufstellung erfolgen muss, antwortet ein Sprecher des Logistikkommandos: „Die Maßnahmen sind im Zeitplan.“ Zum Ende dieses Monats geht die Streitkräftebasis im neuen Unterstützungskommando der reformierten Bundeswehrstruktur auf.

Bundeswehrfahrzeuge auf dem Straßenmarsch. (Foto: Bundeswehr / Dorow)

Die Reform-Projektgruppe bezeichnete die Logistik als „Mangelressource“ in ihrem Bericht. Im Bedarfsfall käme es wahrscheinlich zu Konflikten um die Transportmittel zwischen den Teilstreitkräften. Der kommende Kommandeur des Unterstützungskommandos, Generalleutnant Gerald Funke, äußerte jüngst im Branchenmagazin CPM: „Mein Wunsch wäre, dass im Host Nation Support und der Drehscheibe Deutschland möglichst alles zivilgewerblich oder durch andere zivile Leistungserbringer zur Verfügung gestellt wird, weil ich nämlich dann mit meinen Kräften den Einsatz maximal unterstützen kann.“ Das heißt: Die Bundeswehrlogistik für eigene Fronttruppen wäre auf Kante genäht, für den Host-Nation-Support von Partnern in Deutschland reicht sie allemal nicht.

Ein ausgereiftes Konzept zur zivilen Logistik, damit die Drehscheibe funktioniert, gibt es nicht.  Beispiel Bahntransport: Der Cargo-Vertrag der Bundeswehr mit der Bahn, essenziell um schweres Gerät wie Panzer in Masse zu verlegen, ist 2024 ausgelaufen. Ein neuer Vertrag wird verhandelt.  „Gleichwohl besteht die Möglichkeit, auf Basis des Vertrages Leistungen abzurufen“, so ein Sprecher des Operativen Führungskommandos. Ob diese Leistungen dem Bedarf der Division 25 entsprechen, will das Führungskommando nicht sagen. Es verweist darauf, dass die Bundeswehr von der Bahn die Verlegung nach der Streitkräfteverkehrsleistungsverordnung fordert, sollte eine Mobilisierung kommen.

Allerdings sind auch die Ressourcen der freien Wirtschaft teils sehr endlich. Der Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung verweist auf den europaweit grassierenden Mangel an Lkw-Fahrern und hofft wiederum auf Beistand durch die Streitkräfte. Ein Verbandssprecher zu loyal: „Wir könnten uns eine unbürokratische Unterstützung seitens der Bundeswehr vorstellen. So lange ist es noch nicht her, dass die Bundeswehr als ‚Die Fahrschule der Nation‘ galt und Jahr für Jahr Tausenden jungen Menschen zum Lkw-Führerschein verhalf.“

Klar ist, dass der Transportbedarf der Bundeswehr massiv steigen wird. Bisher galt das mittelfristige Ziel, dass die Bundeswehr ab den 2030er-Jahren drei Heeresdivisionen als NATO-Korps zum Einsatz bringen kann, flankiert von Luftwaffe und Marine. Wegen des Ukrainekriegs erhöht die NATO inzwischen ihre Fähigkeitsziele. Die Bundeswehr wird ihren Umfang erweitern müssen. Offiziell gibt es noch keine Zahlen. Laut Medienberichten geht es in Richtung eines weiteren Korpsstabs, eines weiteren Hubschrauberverbands und fünf bis sechs zusätzlichen Kampfbrigaden. Ein Mehrbedarf an Transportmitteln zeigt auch die Kriegsführung in der Ukraine. Dort werden Versorgungspunkte durch Drohnen schnell aufgeklärt und vernichtet. Deshalb gilt: Munition und anderes Material am besten gar nicht mehr abladen, sondern von den Fahrzeugen verteilen, um die Versorgung zügig auflösen zu können.

Die Achillesferse: Treibstoffversorgung der NATO-Luftwaffen

Überlegene Luftstreitkräfte sind ein Hauptfaktor der NATO-Doktrin, um Russland abzuschrecken. Die Herausforderung ist dabei: Luftwaffen sind der weitaus größte Treibstoffkonsument bei Streitkräften. Bei der Bundeswehr gehen laut jüngstem Nachhaltigkeitsbericht der Armee 60 Prozent des gesamten Kraftstoffverbrauchs auf die Luftwaffe. Die NATO legte deshalb bereits in ihrer Entstehungsphase Pipelinesysteme an, damit ihre Kampfjets ausdauernd an der Front operieren konnten. Das Wichtigste ist das Central European Pipelinesystem CEPS (siehe Karte Seite 20). Heute werden 30 Prozent des Transportvolumens der Pipelines zivil genutzt, so die Betreibergesellschaft FBG mit Sitz in Bonn. Unter anderem versorgt sich der Flughafen Frankfurt am Main über das CEPS mit Kerosin.

Laut einem FBG-Sprecher gegenüber loyal ist der militärische Bedarf durch die Zeitenwende bisher nicht signifikant gestiegen. Allerdings reicht das CEPS nur bis Westdeutschland. Der Flughafen Leipzig erhält seinen Treibstoff über Straße und Schiene. Dort aber liegt der Bundeswehr-Hub für den strategischen Lufttransport mit aus der Ukraine gecharterten Antonow-An-124-Flugzeugen, die sogenannte Strategic Airlift International Solution (SALIS). Die Operationsräume der NATO-Luftstreitkräfte liegen heute weit östlich: im Baltikum, in Polen und in Rumänien. Das CEPS-Pipeline-System zur neuen Ostflanke zu erweitern ist seit Jahren ein Thema in der Allianz. Doch wegen der Aufteilung der nötigen Milliardeninvestitionen gibt es bis jetzt keine Einigung, so die Information aus Militärkreisen gegenüber loyal. Fragt man bei der NATO nach, hört sich das so an: „Derzeit wird an der Verbesserung der NATO-Kraftstoffversorgungskette für die Ostflanke der NATO gearbeitet, und das CEPS spielt dabei eine entscheidende Rolle. Die Entscheidung über das weitere Vorgehen ist von den Bündnispartnern noch nicht getroffen worden“, so die Rückmeldung eines NATO-Sprechers.

Wie meist in militärischen Belangen sind die USA hier weiter als die Europäer. Mit Polen schlossen sie 2020 ein Abkommen, das auch den Ausbau von Treibstofflogistik für die US-Air Force beinhaltet. Dafür baut Warschau nun Tanklager und Pipelines.

Die USA stärken ihre Logistik konsequenter als die Europäer

Die US-Streitkräfte machen das, was die Bundeswehr bräuchte: Sie unterhalten und bauen Depots, in denen das komplette Material für eine Kampfbrigade wie Schützenpanzer eingelagert ist. So können Soldaten rasch per Lufttransport aus den USA nach Europa verlegt werden; der Verband hat seine Ausrüstung schon vor Ort. Fünf dieser Army Prepositioned Stocks (APS) hat die US-Army Europe and Africa in Westeuropa, ein weiteres APS wird in Powidz, Polen, aufgebaut. Dessen Betrieb wird durch eine Logistikeinheit gesichert, die Polens Armee extra dafür aufgestellt hat. Ebenfalls in Powidz entsteht ein Betankungsstützpunkt der USA, damit deren Luftstreitkräfte intensiver an der Ostflanke operieren können. Die US-Air Force stationiert dort rotierende Tankerflotten, die vorher ihre Basis in Spangdahlem in der Eifel hatten.

Die US-Army baut in Powidz in Zentralpolen ein neues Großdepot mit Reservematerial wie Kampfpanzern vom Typ Abrams. (Foto: public domain)

Ein strategisches US-Vorhaben für eine belastbare Logistik ihrer Truppen ist das Regional Sustainment Framework (RDF). Damit wollen die USA in allen Weltregionen ein dichtes Instandsetzungsnetzwerk aufbauen. Dazu sollen mit europäischen Staaten und Firmen Verträge geschlossen werden. Das 2024 begonnene RDF steckt aber noch in den Kinderschuhen. Ein Sprecher des US-Army-Kommandos für Europa und Afrika zu loyal: „Das Europäische Kommando der USA hat dafür noch keine Programme oder Partner ausgewählt.“ Dies soll in den kommenden Monaten erfolgen. Für die US-Armeelogistik in Deutschland ist das 21st Theater Sustainment Command in Kaiserslautern zuständig. „Das hat eine hohe Interoperabilität mit der Bundeswehr entwickelt. Einige Transportanforderungen der Bundeswehr und anderer Alliierter können so unterstützt werden“, so der Sprecher der US-Army Europe and Africa. Allerdings betont er, dass es wegen der Komplexität von Logistik sinnvoll sei, dass diese aus einem Guss bei den nationalen Armeen verbleibt.

Was Deutschlands Ostflankenpartner Litauen plant

Das Nadelöhr der NATO-Logistik ins Baltikum ist die sogenannte Suwałki-Lücke, die nur 65 Kilometer lange Grenze zwischen Polens und Litauen mit der Oblast Kaliningrad am einen und Weißrussland am anderen Ende. „Litauen ist dabei, die Widerstandsfähigkeit des Verkehrssystems im Suwałki-Korridor zu erhöhen“, so ein Sprecher des Verteidigungsministeriums in Vilnius zu loyal. Die wichtigste Straßenverbindung durch den Korridor wird nahe der polnischen Grenze saniert. „Darüber hinaus ist in Zusammenarbeit mit dem polnischen Verkehrsministerium eine gemeinsame Initiative zur Anpassung des Straßennetzes von Polens Grenzknotenpunkt Augustów nach Vilnius für militärische Zwecke geplant.“

Obwohl in Litauen die deutsche Panzerbrigade 45 aufgebaut wird, ist das Land bis jetzt nur Beobachter des Projekts eines militärischen Mobilitätskorridors Niederlande-Deutschland-Polen. Ein großer militärischer Schwachpunkt des Landes ist die dortige russische Bahnspurweite. Die europäische Spur endet im litauischen Kaunas.  Dort entstehen vier Doppelladestellen, um militärisches Material aus dem Westen schneller ent- und umladen zu können. Die erste Entladestelle soll 2027 fertig sein, so der Sprecher des litauischen Verteidigungsministeriums. Auch sollen die Übungsgelände der NATO-Truppen wie Rūdninkai Schienenstränge erhalten. Es gibt Pläne, um Litauens wichtigsten Hafen Klaipėda für militärischen Seecargo zu erweitern. Standorte für Convoy Support Center wurden nach Angaben des Verteidigungsministeriums inzwischen festgelegt. Allerdings hat ihr Bau noch nicht begonnen.

Wie Truppenverlegungen besser trainiert werden können

Mit Trident Juncture 2018 hat die NATO begonnen, die Verlegung großer Truppenkontingente zu üben. Zuletzt gab es das Großmanöver Steadfast Defender. Laut DGAP-Militärlogistikexperte Jannik Hartmann zeigte Steadfast Defender verbesserte Ausfallraten und Verlegezeiten im Vergleich zu früheren Übungen. „Die Bundeswehr war mit 12.000 Soldaten und 30 Luftfahrzeugen und Schiffen beteiligt. Im Bündnisfall müssten es aber 35.000 Soldaten sowie 200 Schiffe und Kampfflugzeuge in den ersten 30 Tagen sein.“

Niederländische Heereseinheiten überqueren mit einer Pontonbrücke den Fluss Ijssel auf dem Weg nach Deutschland.Brückenlegefähigkeiten sind im Ernstfall wichtig, weil sie bei zerstörten Brücken den Bewegungsfluss sichern. In der NATO sind sie Mangelware. Die Bundeswehr hat ihre wenigen Schwimmbrücken M3 mit der British Army in einem Bataillon gebündelt. (Foto: picture alliance / ANP)

Hartmann verweist auch noch auf einen weiteren Aspekt. „Die Übung wurde auf ausgewählten Routen durchgeführt, die den logistischen Anforderungen standhalten. Im Ernstfall würden Herausforderungen auftreten, wenn Streitkräfte auf alternative Routen in Deutschland ausweichen müssten. Marode Straßen und instabile Brücken könnten zu erheblichen Verzögerungen führen und weite Umwege erforderlich machen, was die Verlegezeiten deutlich verlängert.“ Bei Gesprächen in der Truppe hörte loyal vielfach den Wunsch, künftig stark auf „Alarmierungsübungen“ zu setzen. Das sind Ad-hoc-Übungen mit Vorlaufzeiten von teils wenigen Tagen. Damit lässt sich weitaus besser testen, wie einsatzbereit Kampfverbände wirklich sind. Der zweite Vorteil: Es zeigt sich, ob die Logistik spontan ihre Unterstützung zu den Kampfeinheiten bringen kann.

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