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Alle großen Armeen der EU haben ihre Transportflotten in einem Kommando zusammengelegt - Beispiel einer guten Zusammenarbeit im europäischen Rahmen. Besuch im EATC-Hauptquartier in Eindhoven.

Eine Lockheed C-130 Hercules der französischen Luftwaffe, aufgenommen auf der Basis in Orléans Bricy.

Foto: Jean-Luc Brunet/Armée de l'Air/Armées

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Andreas Schick ist Herr über mehr als 150 Flugzeuge. Ziemlich große Flugzeuge sogar, sie können Kampfhubschrauber transportieren und Schützenpanzer. Aber wenn der Generalmajor der Luftwaffe aus dem Fenster seines Hauptquartiers in Eindhoven sieht, blickt er erst mal nur auf einen Parkplatz, Bäume und ein ausgemustertes Kampfflugzeug. Ein paar niederländische Hercules-Transporter und Tankflugzeuge stehen hinter den Bäumen, auf dem militärischen Teil des Flughafens, gewiss, doch alle anderen sind gut über Europa verteilt. Schick hat Maschinen im niedersächsischen Wunstorf stehen, im französischen Orléans, im spanischen Saragossa, in der Nähe von Rom, insgesamt an 15 Orten. Genau genommen gehört ihm keine einzige davon. Trotzdem steuert er sie die meiste Zeit um die Welt.

Das ist eine der Besonderheiten des Europäischen Lufttransportkommandos, das Schick führt. „Die Staaten können sich jederzeit die volle Verfügungsgewalt über jedes ihrer Flugzeuge zurückholen“, sagt der 60 Jahre alte Offizier gleich zur Einführung, „das ist ihnen sehr wichtig.“ Natürlich versuche man, schiebt er hinterher, die Gründe dafür zu minimieren. Es kommt auch nicht oft vor, dass ein Land die „rote Karte“ zeigt. Aber es geht ums Prinzip. Die sieben Staaten, die in Eindhoven vertreten sind, praktizieren die weitestgehende militärische Zusammenarbeit, die es in Europa gibt. Trotzdem sind sie immer noch souverän.

Generalmajor Andreas Schick führt das Europäische Lufttransportkommando EATC. Seine Maschinen sind über halb Europa verteilt – von Saragossa bis Wunstorf. (Foto: EATC)

Es ist ein Experiment, das hier jeden Tag läuft, mit gut 200 Mitarbeitern in einem modernen, lichtdurchfluteten Gebäude. Militärs nennen es „Pooling and Sharing“: Die Staaten legen ihre Fähigkeiten zusammen und teilen sie. Jedes Flugzeug trägt ein nationales Hoheitsabzeichen und steht auf einem nationalen Stützpunkt. Aber wenn es darum geht, welche Maschine eingesetzt wird, spielt das nur ein Nebenrolle. Die wichtigste Frage ist: Wer hat für einen bestimmten Transport das am besten geeignete Flugzeug? Und: Ist es gerade verfügbar? In der Praxis oft genauso wichtig: Wer bekommt am schnellsten die notwendigen Überflug- und Landegenehmigungen?

Christian Guntsch wirft eine Karte an die Wand, um das zu erklären. Es geht um die damalige Rückverlegung aus Afghanistan; sie hat den Leiter des Lagezentrums vergangenes Jahr wochenlang beschäftigt. Auf der Karte steht, wie lange es bei jedem Land dauert, bis eine „diplomatic clearance“ erteilt wird, die Freigabe für ein staatliches Flugzeug. In Europa ist das Routine, außerhalb nicht. In einem Land sind es fünf Tage, im nächsten zehn, in einem sogar 15 Tage. Bei Gefahrgut, Waffen und Munition also, kann sich die Wartezeit auch leicht verdoppeln.

Schnellere Genehmigung auf dem Umweg

Deshalb plante Guntsch mit zwei unterschiedlichen Routen für die Mission. Der „normale“ Weg führte von Kabul über Tiflis nach Deutschland. Gefahrgut wurde dagegen über Islamabad, die Emirate am Golf und Jordanien ausgeflogen. Das ist zwar nicht die direkte Verbindung, aber auf diesem Umweg ging die Genehmigung schneller. „Außerdem brauchen wir immer einen Plan B für den Fall, dass ein Land uns die Überfluggenehmigung entzieht, sagt der deutsche Offizier. Es geht dabei nämlich auch um Politik. So musste Italien während des Afghanistan-Rückzugs eine Basis in den Vereinigten Arabischen Emiraten aufgeben und nach Kuwait umziehen. Die Emirate hatten Rom gedrängt, einem Rüstungsgeschäft zuzustimmen, was die Regierung ablehnte.

Quelle: EATC, Juli 2022

Kostenfrei sind die Flüge nicht. Jedes Land bestreitet sie aus seinem nationalen Budget. Deshalb haben die Staaten ein System erfunden, in dem sie Leistungen untereinander verrechnen, allerdings nicht in Geld. Die Währung ist vielmehr eine Flugstunde mit einem Transportflugzeug Hercules (C-130) oder einer Transall (C-160). Für die anderen Typen gibt es einen Faktor, der sich darauf bezieht. So ergibt sich für jede Transaktion ein Wert, der jenem Staat gutgeschrieben wird, der einen Flug leistet, und dem Begünstigten belastet wird. Mittelfristig sollen die Konten ausgeglichen sein, „und das ist auch der Fall“, sagt Kommandeur Schick. Tatsächlich können die Guthaben sogar mit anderen Leistungen wie dem See- und Landtransport verrechnet werden. Es gibt dafür eine Art Börse, das Movement Coordination Centre Europe, das sich gleich neben dem Luftfahrtkommando in Eindhoven befindet.

Fähigkeitslücken werden nun gefüllt

Für die teilnehmenden Staaten ergibt sich ein weiterer Vorteil. Fünf von ihnen sind gerade dabei, ihre Transportflotte mit dem modernen A400M zu erneuern. Während ein Land umsteigt, hat es weniger eigene Kapazitäten – kann sich diese aber bei einem Partner borgen und dann „zurückzahlen“, wenn die neuen Transporter einsatzbereit sind. Bis 2025 wird der Militär-Airbus das Rückgrat der Transportflotte sein, mit hundert Flugzeugen. Außerdem soll es bis dahin neun A330-Flugzeuge geben, die hauptsächlich zur Luftbetankung von Kampfflugzeugen eingesetzt werden. Auch das war eine sogenannte Fähigkeitslücke, die vor vielen Jahren identifiziert wurde und nun gefüllt wird. Das Flugzeug gibt es außerdem als fliegende Intensivstation, um verletzte Soldaten zu transportieren.

Der Airbus A400M soll bis 2025 das Rückgrat der europäischen Transportflugzeugflotte sein – hier bei der Verladung eines Radpanzers. (Foto: Wolfram Skupio/EATC)

Mit den neuen Typen wird die Zusammenarbeit einen weiteren Schub bekommen. Nicht nur, weil sich die Reichweiten und Lasten erhöhen. Sondern auch, weil nun alle Prozesse aufeinander abgestimmt werden. „In einer idealen Welt würde es so laufen“, erläutert Schick: „Eine deutsche A400M wird von einem belgischen Wartungsteam mit französischen Ersatzteilen repariert und von einer spanischen Crew geflogen.“ Davon sei man noch weit entfernt, aber es zeichne die Richtung vor. Immerhin ist es schon jetzt möglich, dass etwa ein französisches Team die Reifen eines deutschen Flugzeugs tauscht.

Weder der EU noch der NATO untergeordnet

Der Anstoß zu dem gemeinsamen Flugdienst reicht weit zurück, bis ins Jahr 1999. Damals trafen die EU-Mitgliedstaaten weitreichende Beschlüsse, um eine gemeinsame Verteidigungspolitik aufzubauen. Der wichtigste davon blieb ein Papiertiger, nämlich eine Interventionstruppe von bis zu 60.000 Soldaten. Heute ist die Europäische Union schon froh, wenn sie 5.000 Mann zusammenbekommt. Das Transportkommando wurde 2010 von vier Staaten eingerichtet: Deutschland, Frankreich, Belgien und den Niederlanden. Später schlossen sich neben Luxemburg auch Spanien und Italien an. Damit sind alle wichtigen kontinentaleuropäischen Staaten vertreten. Trotzdem ist das Kommando weder der Europäischen Union noch der NATO untergeordnet. „Wir sind eine Koalition der Willigen und nur den nationalen Luftwaffenchefs verantwortlich“, sagt Schick.

Die Fähigkeit zur Luftbetankung wurde vor Jahren als europäische Fähigkeitslücke identifiziert – und wird nun ausgefüllt. (Foto: Jonathan Case/EATC)

Natürlich können sich EU und NATO der Dienste des Lufttransportkommandos bedienen. Es bleibt ihnen bei Einsätzen und Übungen gar nichts anderes übrig, denn die meisten Teilnehmer haben ihre Transportflotten komplett in dessen Obhut gegeben und ihre nationalen Kommandos aufgelöst. Auch in Deutschland ist das so. Anfragen müssen stets über eines der Mitgliedsländer gestellt werden, nur so funktioniert das interne Verrechnungssystem. Diese Konstruktion ist auch deshalb interessant, weil keine Konkurrenz zwischen EU und NATO entstehen kann. Das könnte ein Vorbild für andere militärische Fähigkeiten sein, die zwischen den Staaten im Rahmen der verstärkten EU-Zusammenarbeit entwickelt werden.

Vertrauen durch tägliche Zusammenarbeit

Auch an der Evakuierung von Kabul war das Kommando beteiligt. Die übliche Vorplanung fiel damals aus – es wurden ja alle davon überrascht, wie schnell die Taliban Afghanistan überrannten. Jedes Land organisierte für sich Rettungsflüge; Eindhoven stellte nur die Flugzeuge bereit. Was an Absprachen stattfand, geschah ad hoc. Dass dann jedes Land auf seinen Flügen auch Personen für andere EU-Staaten mitnahm, beruhte freilich auch auf dem Vertrauen, das durch die tägliche Zusammenarbeit in einem gemeinsamen Kommando entstanden ist. Es brachte 12.000 Menschen auf 130 Flügen in Sicherheit.

„Wir können mehr zur Unterstützung im Rahmen von Kriseneinsätzen beitragen“, sagt Schick mit Blick in die Zukunft. Denn da stößt die besondere Stellung seines Kommandos jenseits der Strukturen von EU und NATO an Grenzen. Die Tankerflotte leistet zwar gerade gute Dienste, um Kampfflugzeuge der Verbündeten in der Luft aufzutanken, die an der Ostflanke Patrouille fliegen. Wenn die Allianz aber Teile ihrer Krisenreaktionskräfte dorthin verlegt, um Russland abzuschrecken, kann der NATO-Oberbefehlshaber das nicht direkt in Eindhoven anordnen. „Wir müssen mit unseren Mitgliedstaaten neue Prozeduren entwickeln, um unsere Fähigkeiten besser zum Tragen zu bringen“, sagt Schick. „Wenn wir multinational vorgehen, können wir immer mehr Optionen anbieten.“

Der Autor

Thomas Gutschker ist politischer Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung für NATO, EU und Benelux.

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