Ein ziemlich guter Lauf
Bei Heckler & Koch in Oberndorf am Neckar läufts gerade richtig gut. Der Produzent des neuen Sturmgewehrs der Bundeswehr hat volle Auftragsbücher, es wird im Drei-Schicht-Betrieb gearbeitet. Noch vor sechs Jahren sah das ganz anders aus. Ein Ortsbesuch.
Kann sich noch jemand an folgende Überschriften erinnern? „Der Waffenhersteller Heckler & Koch steht vor dem Aus“ oder „Heckler & Koch kämpft um sein finanzielles Überleben“. So stand es vor sechs Jahren in bekannten Medien (eine Überschrift stammt aus der Neuen Zürcher Zeitung, eine aus der Welt). Heute hingegen heißt es in Pressemitteilungen des Unternehmens: „Hauptversammlung 2023: Heckler & Koch präsentiert Rekordjahr“ (21. Juni 2023), „Heckler & Koch stellt sich auf weiteres Wachstum ein“ (11. Dezember 2023) oder „Erfolgreicher Jahresstart: NATO-Länder beauftragen Heckler & Koch“ (24. Januar 2024). Wie kann das sein? Wie kann sich ein Unternehmen innerhalb von sechs Jahren so sehr wandeln? loyal hat das Unternehmen in Oberndorf am Neckar besucht, um Antworten auf diese Fragen zu finden.
Mitte April: Der Vorstandsvorsitzende Jens Bodo Koch (nicht verwandt mit einem der beiden namensgebenden Unternehmensgründer) wirkt beim Besuch von loyal entspannt und ausgeruht. Wie geht es ihm und dem Unternehmen? Die angespannte Sicherheitslage in Europa trage dazu bei, dass sich viele Staaten mit Produkten seines Unternehmens schützen wollen, sagt Koch. So weit, so erwartbar. Und doch ist es natürlich so: Um sich besser gegen ein immer aggressiveres Russland zu wappnen, geben die NATO-Länder mehr Geld für ihre Rüstung aus und vergrößern ihre Armeen. Mehr Soldaten bedeuten auch: mehr Handwaffen. Einen großen Teil der ausgeschriebenen Aufträge für Pistolen, Gewehre und Granatmaschinenwerfer konnte das Unternehmen aus Oberndorf am Rand des Schwarzwalds für sich gewinnen.
Trendwende in den Jahren 2018 und 2019
Los ging es mit der Trendwende in den Jahren 2018 und 2019, als Norwegen, Litauen und Lettland größere Mengen an Handfeuerwaffen bei H&K bestellten. Spanien, die USA, Frankreich, die baltischen Staaten – kaum ein NATO- oder EU-Land, das Heckler & Koch derzeit nicht mit Handwaffen versorgt. Jüngst kam ein Auftrag des spanischen Militärs rein, für das Heckler & Koch 9-Millimeter-USP-Pistolen und G36-Sturmgewehre im Wert von 14,1 Millionen Euro liefern soll.
Einer der Verkaufsschlager des Unternehmens ist neben dem G36 das Sturmgewehr HK416. Die französischen und die norwegischen Streitkräfte nutzen es als Standardwaffe, aber auch die US-Spezialkräfte oder das KSK. Einen Hauptkunden oder einen Hauptauftrag habe sein Unternehmen nicht, sagt Jens Bodo Koch. Und: Heckler & Koch sei mit den vielen verschiedenen Aufträgen aus unterschiedlichen Ländern für die nächsten sieben, acht Jahre ausgelastet.
Und doch gibt es im Moment einen Auftrag, der heraussticht: Für etwa 200 Millionen Euro – genau ist die Summe nicht bekannt – wird das Unternehmen 118.718 Sturmgewehre vom Typ HK416A8, auch bekannt als G95, an die Bundeswehr liefern. Das G95 soll das G36 aus dem Hause Heckler & Koch als Standard-Sturmgewehr der Bundeswehr ablösen. Der Bundeswehrauftrag spült nicht nur viel Geld in die Kassen des Unternehmens, er gibt H&K auch Planungssicherheit für die nächsten Jahre und Jahrzehnte. Ein Sturmgewehr muss ja nicht nur eingekauft, sondern auch gewartet werden. Oft wird es nach mehreren Jahren der Nutzung auch modernisiert und in neuen Varianten nachbestellt. Wichtig ist beim G95-Auftrag aber auch die Außenwirkung: „Viele Staaten sehen sich an, welche Handfeuerwaffen die Bundeswehr nutzt und orientieren sich gegebenenfalls an dieser Entscheidung“, sagt Koch. Der Bundeswehrauftrag könnte also noch weitere Türen öffnen.
Nicht nur auf der Chefetage ist die Stimmung in Oberndorf gut. Auch die Mitarbeiter scheinen sich in ihrem Unternehmen wohlzufühlen. In den Produktionshallen grüßt man sich in freundlich-schwäbischem Tonfall, man duzt sich untereinander. Ein Mitarbeiter, der bereits seit mehr als 20 Jahren im Unternehmen arbeitet, merkt an, familiär sei es hier schon immer zugegangen. Es gäbe schließlich viele Mitarbeiter, die bereits in dritter Generation hier „schafften“, also arbeiteten. Doch die Stimmung habe sich in den vergangenen Jahren massiv verbessert: Die stabile Auftragslage, der sichere Arbeitsplatz und der Imagewandel der Rüstungsindustrie seien Gründe dafür.
Höchste Präzision
Und tatsächlich läuft die Produktion in der Halle auf Hochtouren: Es riecht nach warmem Kunststoff und heißem Stahl. Überall dröhnen Maschinen. Sie fräsen Bauteile aus Stahl, ein Ofen härtet die bearbeiteten Stahlrohre für die Gewehrläufe. Viele Arbeitsschritte im Produktionsprozess erledigen Maschinen. Doch neben fast jeder Maschine steht ein Mitarbeiter. Es braucht immer noch Menschen, die überprüfen, ob die Maschinen präzise gearbeitet haben, und die gegebenenfalls nachjustieren.
Die kleinste Verunreinigung, eine winzige Ungenauigkeit und das Gewehr oder die Pistole schießt nicht mehr 100 Prozent zuverlässig. Absolute Präzision, das ist das Ziel, und dafür braucht es immer noch den Fachmann oder die Fachfrau. Die Produktion vollständig zu automatisieren, ist deshalb nicht möglich. Aber auch deswegen nicht, weil hier über tausend verschiedene Waffen hergestellt werden, manchmal nur in kleiner Stückzahl. Allein vom Sturmgewehr HK416 gibt es 500 verschiedene Versionen. Jede Armee hat andere Anforderungen an ihre Waffen. In Oberndorf machen sie also praktisch Maßanfertigung.
Eine der 500 Varianten des weltweit beliebten Sturmgewehrs HK416 hat nach langem und nervenaufreibendem Ausschreibungsverfahren nun den Zuschlag als neues Sturmgewehr der Bundeswehr bekommen. Nämlich Variante 8, also das HK416A8, das als G95 in die Truppe eingeführt werden wird. Obwohl das neue Sturmgewehr erst ab Anfang 2026 geliefert werden soll, hat das Unternehmen bereits begonnen, Bauteile zu fertigen. In der Mitte der Produktionshalle stehen Kisten mit Hunderten silbern glänzender Stahlrohre. Es sind die Gewehrläufe, die später in die neuen G95 eingebaut werden sollen. Durch sie werden Bundeswehrsoldaten ihre Projektile jagen: auf Schießständen, Übungsplätzen und in Einsätzen.
Doch obwohl H&K im Moment einen Lauf hat, gab es in letzter Zeit nicht nur positive Schlagzeilen. Die Kritik des Bundesrechnungshofs an der Erprobung des neuen Gewehrs hat man natürlich auch hier wahrgenommen. Im Januar dieses Jahres hatte der Bundesrechnungshof kritisiert, bei den Schusstests, die momentan bei der Bundeswehr stattfinden, seien Standards gesenkt worden, nachdem Abweichungen bei der Präzision des G95 festgestellt worden seien. Das Verteidigungsministerium dementierte: Das Gewehr erfülle alle Anforderungen, vielmehr seien Abweichungen bei Schießergebnissen auf unterschiedliche Munition und Umweltkontexte zurückzuführen. Bei Heckler & Koch gibt man sich selbstbewusst: Das HK416 sei bereits 250.000 Mal hergestellt worden und werde bei 40 verschiedenen Akteuren in 20 Staaten genutzt, sagt Jens Bodo Koch. Unter den Nutzern seien das US-amerikanische Marine Corps, das KSK und die französische Armee. Probleme und Beschwerden habe es bisher noch keine gegeben.
Vielmehr betont das Unternehmen die Vorteile des neuen Sturmgewehrs: Im Gegensatz zum G36 sei das Gewehr voll kompatibel mit denjenigen der NATO-Partnerländer, weil das G95 auch die gängigen Magazine nutzt. Außerdem könne auf einer einzigen durchgehenden Picatinny-Schiene alle Zusatzmodule wie Nachtsichtgerät oder Laser-Licht-Modul angebracht werden; das war beim G36 nicht der Fall. Der Schütze müsse zudem seinen Kopf in Zukunft weniger hoch aus der Stellung heben, weil sich das Visier und somit das Auge auf Höhe des Laufs der Waffe befinde.
Paradigmenwechsel auf ganzer Linie
Zurück zur Frage, warum sich das Blatt für Heckler & Koch in den vergangenen Jahren gewendet hat. Einerseits liegt die Antwort in den vielen neuen Aufträgen. Sie sorgten dafür, dass der Umsatz von 220 Millionen Euro im Jahr 2018 auf 305 Millionen Euro 2022 angestiegen ist, also um fast ein Drittel wuchs. Für 2023 liegen die Zahlen noch nicht vor. Gleichzeitig verringerten sich die Schulden des Unternehmens. Doch die Trendwende hängt auch mit der Führung des Unternehmens zusammen. Tatsächlich brachte Jens Bodo Koch einen völlig anderen Wind ins Haus, als er im Jahr 2018 als CEO bei Heckler & Koch begann: Er entließ 19 Führungskräfte, die nicht auf seiner Linie waren. Zudem entwarf er die „Grüne-Länder-Strategie“, laut derer nur noch in freiheitlich-demokratische Länder exportiert werden durfte. Er fing an, mit der Außenwelt zu kommunizieren. Das war ein Paradigmenwechsel auf ganzer Linie: Vor Kochs Übernahme hatten sich mehrere Vorstandsvorsitzende nach kurzer Zeit die Klinke in die Hand gegeben. Und: Durch undurchsichtige Geschäfte mit zweifelhaften Staaten hatten manche von ihnen versucht, die ausbleibenden Bestellungen aus NATO-Ländern in den 1990er- und 2000er-Jahren zu kompensieren. Bei Medienanfragen mauerte das Unternehmen damals. Interviews mit Vorstandsvorsitzenden wären in jenen Jahren undenkbar gewesen.
Koch kann sich noch gut an einen Vorfall zu Anfang seiner Zeit bei Heckler & Koch erinnern. Damals war die erste neu gekaufte Maschine nach langer Zeit angeliefert worden. Investitionen in neue Maschinen waren wegen der finanziellen Zwangslage jahrelang ausgeblieben. Die Mitarbeiter bestaunten also die neue Maschine, manche noch etwas ungläubig, ob nun wirklich eine neue Zeit anbrechen würde. Doch dann kamen immer neue Maschinen, und die Mitarbeiter gewöhnten sich daran, so Koch.
Insgesamt gab das Unternehmen in den vergangenen Jahren 50 Millionen Euro für Investitionen – hauptsächlich in Maschinen und IT-Infrastruktur – aus. In den nächsten Monaten sollen die Logistikhalle in ihrer Größe verdoppelt und für 25 Millionen Euro ein großes Montage- und Schießzentrum gebaut werden. Auch in Sachen Mitarbeiter wuchs H&K: Von etwa 900 im Jahr 2018 auf nun über 1.150 Männer und Frauen. All das lief in Oberndorf ziemlich reibungslos. Was nicht selbstverständlich ist, denn in anderen Kommunen haben es Rüstungsunternehmen manchmal schwer, ihre Produktionskapazitäten zu vergrößern.
Ein Beispiel: In Troisdorf bei Bonn wollte die Firma Diehl Defence ihre Munitionsproduktion ausbauen, doch der Stadtrat verweigerte Diehl die Expansion. Ähnliche Probleme hat man in Oberndorf nicht. Das Unternehmen sei hier sehr verwurzelt und stelle zudem den größten Arbeitgeber, sagt eine Sprecherin von Heckler & Koch. Schwierigkeiten beim Ausbau der Infrastruktur gebe es keine. Viele Mitarbeiter, auch langjährige Führungskräfte, wohnen nur einen Steinwurf vom Werk entfernt. Von den Fenstern der Produktionshallen kann man Einfamilienhäuser sehen. Es wirkt, als wären das Unternehmen und seine Umwelt tatsächlich eng verwoben – trotz hoher Zäune mit NATO-Stacheldraht obendrauf und Kameras rund um das Werksgelände.
Die Sicherheitsvorkehrungen sind nötig: Früher gab es vor den Werkstoren noch große Demonstrationen von Friedensbewegten, die aus ganz Deutschland anreisten und manchmal renitent wurden. Heute dürfte die Gefahr durch russische Spionage und Sabotage höher sein. Und weil das Unternehmen so sehr mit der Region verbunden sei, so die Sprecherin, sei auch das Finden neuer Mitarbeiter (immerhin 230 Personen seit 2018) in den meisten Fällen sehr gut gelungen.
Startklar für G95-Produktion
Es scheint, als wären das Unternehmen und sein Vorstandsvorsitzender kaum zu bremsen. Man könne bei Bedarf sehr zügig mit der Produktion starten und die ersten G95 bereits ein Jahr früher liefern, als mit der Bundeswehr anvisiert, sagt Koch. Also nicht erst Anfang 2026, sondern schon Anfang 2025. Die Rohstoffe dafür seien bereits gekauft und eingelagert. Doch so schnell wird es vermutlich nicht gehen. Erst muss das G95 noch in der Truppe getestet werden, und diese Erprobung soll noch bis September dauern. Sollte es nichts werden mit dem früheren Produktionsstart, ist es für Jens Bodo Koch auch kein Problem. Dann arbeitet er halt erst einmal eine andere Bestellung ab. Die Auftragsbücher sind ja voll.