„Es gibt noch andere Dinge neben der Politik“
loyal-Gespräch mit dem früheren Verteidigungs-Staatssekretär Peter Tauber über eine nicht perfekte Bundeswehr, Kameradschaft, Gesundheit und Jagdglück – und über die Frage, ob er gerne Minister geworden wäre.
Herr Dr. Tauber, als wir uns für dieses Interview verabredet hatten, habe ich Sie im Militärarchiv in Freiburg erreicht. Darf ich fragen, was Sie dort gemacht haben? Arbeiten Sie nach Ihrem Ausscheiden aus der Politik an einem Buch?
Ich habe eine zweiwöchige Reservedienstleistung am Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr in Potsdam absolviert, einen Wissenschaftler nach Freiburg begleitet und ihm zugearbeitet – aber auch an einem eigenen Thema recherchiert. Es war eine schöne Gelegenheit, mich wieder meiner eigentlichen Profession als Historiker zu widmen. Ich beschäftige mich gerade mit der Rolle der Reichswehr während des Hitler-Putsches.
Mit dem Ziel, ein Buch darüber zu schreiben?
Das weiß ich noch nicht, aber das könnte sein.
Sie sind in diesem Frühjahr aus gesundheitlichen Gründen nach vielen Jahren aus der Politik ausgeschieden. Mit welchem Gefühl verlässt jemand wie Sie, dem die Politik wesentlicher Lebensinhalt ist, den Berliner Betrieb?
Ich hatte schon im vergangenen Jahr entschieden, dass ich aufhören werde. Was mich wirklich schmerzt, ist, dass ich auf der politischen Ebene nun den Kontakt mit der Bundeswehr abbrechen muss. Ich habe als Staatssekretär ganz prägende Begegnungen mit Soldatinnen und Soldaten gehabt, die von einer solchen Qualität waren, wie man sie in der Zivilgesellschaft kaum findet. Von daher gehe ich mit Wehmut. Ich blicke aber nach vorn und freue mich auf Begegnungen mit Kameraden zum Beispiel als Reservist.
Was werden Sie künftig beruflich tun?
Meine gesundheitliche Einschränkung ist ja zum Glück nicht von Dauer gewesen. Mein Körper hat nach den beiden Operationen am Jahresbeginn jetzt eine Pause gebraucht und nicht erst im Herbst. Aber natürlich hat mir das geholfen, mir bewusst zu machen, dass es auch noch andere Dinge neben oder besser nach der Politik gibt. Ich bin jetzt Mitte 40 – das ist ein gutes Lebensalter, um etwas Neues zu beginnen.
Wollen Sie uns verraten, in welche Richtung es bei Ihnen geht?
Konkret kann ich das noch nicht. Nur so viel: Ich wollte wieder in meiner Heimat arbeiten – und mich auch der Geschichte widmen. Auf die neue berufliche Aufgabe in Hessen freue ich mich schon sehr.
Als Sie 2013 CDU-Generalsekretär geworden sind, wurden Sie aufgefordert, sich in einem kurzen Satz selbst zu beschreiben. Da haben Sie geantwortet: Ich bin Historiker, Reserveoffizier und evangelischer Christ.
So ist es, das trifft es genau. Das sind die drei Konstanten, mit denen ich mich gut beschrieben fühle. Mein Beruf ist der des Historikers, auch wenn ich ihn durch mein politisches Engagement nun länger nicht ausgeübt habe.
Lassen Sie uns über Ihre politische Tätigkeit sprechen, insbesondere über Ihre letzte Station als Staatssekretär im BMVg. Worin unterscheiden sich die Kontakte eines Politikers mit Bundeswehrangehörigen von Kontakten mit Menschen aus anderen Tätigkeitsfeldern?
Was wir in der Zivilgesellschaft Solidarität, Miteinander oder auch Zusammenhalt nennen, das ist in der Bundeswehr Kameradschaft. Und die gibt es glücklicherweise immer noch, ja sie ist sogar sinnstiftend für den Soldatenberuf. Das ist etwas ganz Besonderes, das man auch spürt, wenn man als Staatssekretär im Verteidigungsministerium mit Soldatinnen und Soldaten zu tun hat.
Sie haben der Bundeswehr eine andere Sichtbarkeit in der Öffentlichkeit gegeben. Das haben die Soldaten immer an Ihnen geschätzt. War das Teil der Jobbeschreibung oder innere Überzeugung?
Wer, wenn nicht der Staatssekretär, soll positiv über die Bundeswehr sprechen? Ich habe mir vorgenommen, egal, was ich künftig machen werde, diesen Tenor beizubehalten, weil ich unsere Streitkräfte als zutiefst positiv erlebt habe. An meinem Bekenntnis zur Bundeswehr und an meiner Unterstützung für die Truppe wird sich auch in Zukunft nichts ändern, auch wenn es dann vielleicht in einer neuen Rolle nicht mehr diese Reichweite hat wie bislang.
Sie haben als Staatssekretär zwei Ministerinnen erlebt, Ursula von der Leyen und Annegret Kramp-Karrenbauer. Wie muss man sich die Zusammenarbeit auf der Leitungsebene des BMVg vorstellen?
Ich hatte sowohl mit Ursula wie mit Annegret ein sehr kameradschaftliches Miteinander. Wir haben offen diskutiert, und ich hatte Räume für meine eigenen Ideen. Dass man derart vertrauensvoll miteinander arbeitet, habe ich in anderen politischen Ämtern so nicht erlebt. Das gilt auch für die anderen Staatssekretäre im Ministerium und für die dort tätigen Soldatinnen und Soldaten. Ich hatte immer das Glück, dass ich tolle Leute um mich herum hatte. Die Arbeit hat mir Spaß gemacht.
Worin unterscheiden sich die Ministerinnen, unter denen Sie gearbeitet haben?
Ich mag beide sehr gerne, aber sie sind ganz unterschiedliche Persönlichkeiten. Ursula ist sehr straight in den Projekten, die sie vorantreibt. Ich nenne nur das Beispiel Digitalisierung. Dass die Bundeswehr im Vergleich zu anderen staatlichen Institutionen bei der Digitalisierung heute durchaus gut dasteht, hat sie Ursula von der Leyen zu verdanken. Annegret erlebe ich stark im Umgang mit Menschen. Sie hat ein Herz für die Soldatinnen und Soldaten sowie für unsere zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und kann sich in beeindruckender Weise auf sie einlassen.
Was war Ihr größter Erfolg als Staatssekretär?
Ich würde sagen zum einen der Freiwillige Wehrdienst im Heimatschutz, den ich für elementar wichtig halte, auch um die Aufwuchsfähigkeit der Reserve zu stärken. Zum anderen – emotional vielleicht sogar noch wichtiger – sind es die Invictus-Games. Dass diese 2023 erstmals in Deutschland stattfinden werden, dass wir den Zuschlag in einem ambitionierten Bewerberfeld erhalten haben, war nicht selbstverständlich und bewegt mich sehr. Unser Ziel muss es sein, an Seele und Körper verwundeten, verletzten und erkrankten Soldatinnen und Soldaten eine größere Wahrnehmung und Anerkennung in der Gesellschaft zuteil werden zu lassen. Und es gibt noch einen weiteren – kleineren – Erfolg, auf den ich stolz bin.
Welcher wäre das?
Die Rückbenennung der Infanterieschule in Infanterieschule. Die Bundeswehr hat die Fähigkeit, Dinge, die emotional Bindung schaffen, bei Umstrukturierungen auszuradieren. Und dann wundert sie sich, dass sich die eigenen positiven Traditionen nicht so entwickeln, wie es sein könnte.
Woran haben Sie sich die Zähne ausgebissen?
Ich war enttäuscht, dass es uns nicht gelungen ist, die SPD zu überzeugen, bewaffnete Drohnen für die Bundeswehr zu beschaffen. Auf der Arbeitsebene waren die Fachpolitiker der SPD von der Sinnhaftigkeit bewaffneter Drohnen überzeugt, aber ihre Fraktionsführung wollte das nicht. Aus meiner Sicht gibt es keinen Grund, unseren Soldaten diesen Schutz zu verweigern.
Ihnen wird eine besondere Nähe zu den Soldaten nachgesagt. Einige vergleichen Sie mit Georg Leber von der SPD, der in den 1970er Jahren als „Soldatenminister“ in die Geschichte eingegangen ist. Wären Sie gerne Minister geworden?
Solche Zuschreibungen ehren mich, ich freue mich auch über entsprechende Briefe. Aber ich mache mir nichts vor. Ich habe viel Sympathie als Staatssekretär erfahren. Das liegt vielleicht auch daran, dass man in dieser Funktion ein bisschen freier ist und nicht den Zwängen einer Ministerin unterliegt. Ein Freund hat mir mal gesagt: Kurz vor dem Gipfel des Berges ist die Aussicht genauso gut wie ganz oben, nur der Wind ist nicht so rau. Dieses Bild trifft es. Von daher muss ich sagen: Ich war mit meinem Amt als Staatssekretär sehr zufrieden.
Vor welchen Herausforderungen steht die Bundeswehr aus Ihrer Sicht? Mit dem im Mai vorgestellten Eckpunktepapier kommt es ja wieder einmal zu einer Umstrukturierung.
Nichts ist in einer Armee so beständig wie die Lageänderung, deshalb muss sie sich stetig verändern und anpassen. Das Wesen des Militärs ist doch, mit Lagen umzugehen, die man nicht kennt. Wenn die Bundeswehr wieder kriegstauglich sein soll, dann gehört dieser Geist der Beweglichkeit zwingend dazu. Konkret: Ich sehe, dass wir bei Material und Gerät besser geworden sind, auch wenn wir noch nicht da stehen, wo wir eigentlich hinwollen. Wenn man allerdings glaubt, man ist nur einsatzbereit, wenn alles fabrikneu, frisch lackiert und voll aufmunitioniert auf dem Hof steht, dann hat man Militär nicht verstanden. Entscheidend ist, mit den vorhandenen Mitteln den Auftrag erfüllen zu wollen. Die Herausforderung wird sein, die richtigen Männer und Frauen für den Dienst in den Streitkräften zu begeistern, auch wenn diese Streitkräfte nicht perfekt sind.
Dabei spielt sicherlich auch die Reserve eine wichtige Rolle.
Unbedingt. Reservisten bringen eine Expertise ein, die oft ihrer zivilen Berufserfahrung entspricht und die eine Bereicherung für die aktive Truppe ist. Wir haben allerdings auch, und das wird oft vergessen, Reservisten, die über umfangreiche militärische Expertise verfügen oder üben wollen, um diese zu erwerben. Diese Männer und Frauen hat die Bundeswehr in den vergangenen Jahren vernachlässigt. Sie aber brauchen wir, etwa beim Aufwuchs der Heimatschutzkräfte. Ich bin fest davon überzeugt, dass es für viele Reservisten eine Motivation ist, nicht nur ihre zivilen Kenntnisse bei einer Wehrübung einzubringen, sondern ebenso ihre militärischen Erfahrungen zu entfalten, militärisch gefordert und weitergebildet zu werden. Die Bundeswehr muss sich fragen lassen, wie sie den Reservistendienst für all diese Motivationen attraktiv gestaltet – zumal in Konkurrenz zu beruflichen Verpflichtungen des Reservisten, zu seiner Familie und zu weiteren privaten Engagements.
Waren Unternehmen früher eher bereit, Mitarbeiter als Reservisten für ein paar Wochen gehen zu lassen?
Wenn der Chef selber gedient hat oder sogar selber Reservist ist, wird er einen Mitarbeiter eher zu einer Reservedienstleistung ziehen lassen. Der Druck in der Wirtschaft hat jedoch zugenommen. Wir müssen deutlicher machen, dass der Reservist während seiner Wehrübung auch etwas lernt, das seinem Unternehmen nützt. Belastbar zu sein, Verantwortung zu übernehmen – solche Softskills aus der Truppe stellen auch für Unternehmen einen Mehrwert dar.
Die Reserve wird aber auch deshalb wichtiger, weil Reservisten nach Aussetzung der Wehrpflicht und vielen Standortschließungen oft die einzigen Mittler zwischen Streitkräften und Gesellschaft sind.
Reservisten haben eine eminent politische Rolle. Dabei kommt auch dem Reservistenverband eine entscheidende Funktion zu. Zum einen, weil er für die Ausbildung der Reservisten verantwortlich ist, aber auch wegen der Verbundenheit seiner Mitglieder mit der Bundeswehr. Richtig ist aber auch: Nicht jedes Verbandsmitglied will ständig ausgebildet werden. Viele sind wertvoll als Bindeglieder zwischen Truppe und Gesellschaft. Sie stehen zur Bundeswehr, sie wollen unterstützen, wollen Kameradschaft erleben und als Multiplikatoren da sein.
In dieser Gruppe sind viele ältere Kameraden. Denen wollte das Ministerium die Uniform verbieten, wenn sie über 65 Jahre alt sind. Das hat viel Unmut ausgelöst.
Lassen Sie es mich deutlich sagen: Eine Armee, die in Friedenszeiten auf die über 65-Jährigen angewiesen ist, hat ein Problem. Es ist sinnvoll, dass es eine Altersgrenze für Wehrübungen in der Stammeinheit gibt. Aber für die Arbeit im Verband muss die Bundeswehr kulanter werden. Es ist eine Frage der Wertschätzung gegenüber langgedienten, hoch engagierten Kameraden. Es hat sich in dieser Frage übrigens auch etwas getan und wir sind auf einem guten Weg. Das war zugegebenermaßen ein schwieriges Manöver. Da haben General Laubenthal und Präsident Sensburg gute Arbeit geleistet, finde ich. Das Thema ist leider auch ein Beispiel, wie schwerfällig der Apparat manchmal sein kann. Das haben wir auch gemerkt, als es um die Etablierung des Marsches zum Gedenken ging. Da gibt es dieses Jahr wenigstens die Kranzniederlegung, trotz Corona. Ich kann nur empfehlen, das fortzusetzen. Das ist eine wichtige Verbindung zwischen Verband und aktiver Truppe und ein unschätzbares Signal in die Öffentlichkeit. Ich hoffe, das Ministerium kapiert das.
Noch zwei persönliche Fragen zum Schluss: Sie lieben die sportliche Herausforderung und brauchen immer mal wieder Impulse von außerhalb der Politik. So haben Sie 2018 ihren Jagdschein gemacht und sind mehrfach Marathon gelaufen. Wann steht der nächste Marathon an? Und wann waren Sie zuletzt auf der Jagd?
Dieses Jahr wird das mit dem Marathon wohl coronabedingt noch nichts, aber nächstes Jahr möchte ich wieder dabei sein. Dieses Jahr laufe ich im Herbst für den guten Zweck mit Kameraden aus der Reserve und der aktiven Truppe. Tolle Aktion. Ich habe gemeinsam mit General Bodemann die Schirmherrschaft übernommen. Und was die Jagd angeht, so war ich vor wenigen Tagen unterwegs und hatte auch Jagdglück.
Glückwunsch – und weiterhin Waidmannsheil. Ich danke Ihnen für dieses Gespräch.
Kurzbiografie
Dr. Peter Tauber (46) hat Geschichte, Germanistik und Politikwissenschaft studiert. Der gebürtige Frankfurter war von 2013 bis 2018 Generalsekretär der CDU und von 2018 bis April 2021 Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Im Frühjahr dieses Jahres trat er von seinen politischen Ämtern, auch von seinem Bundestagsmandat, aus gesundheitlichen Gründen zurück. Er ist Hauptmann d.R. und als Adjutant des Kommandeurs der Division Schnelle Kräfte beordert.