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Europas Wehrschwäche

Europa, allen voran Deutschland, will nun gewaltige Summen für die eigene Rüstung mobilisieren. Entscheidend ist jedoch nicht die schiere Masse an Geld, sondern dessen sinnvoller Einsatz. Genau dafür haben die Europäer keinerlei Plan, im Gegenteil.

Das Bild zeigt Soldaten bei der Übung Steadfast Dart 2025 auf einem Übungsgelände im Osten Rumäniens. Rund 10.000 Soldaten aus neun Nationen beteiligten sich an der größten NATO-Übung in diesem Jahr.

Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

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Erst waren es 100, dann 500, inzwischen sind es 800 Milliarden Euro, welche die EU-Kommission für Gemeinschaftsrüstung mobilisieren will. In Deutschland wird geplant, sich eine Blankovollmacht für unbegrenzte Verteidigungsausgaben auszustellen. Dänemark nutzt seinen Haushaltsüberschuss, um den Wehretat dieses Jahr abrupt von zwei auf drei Prozent des BIP zu hebeln. Großbritannien beschleunigt den Anstieg seiner Verteidigungsausgaben auf 2,5 Prozent des BIP. Europas Rüstungssause kommt nicht durch die russische Bedrohung, sondern durch den Zerfall der US-amerikanischen Rückversicherung. Die Trump-Administration droht Dänemark mit einer Vereinnahmung Grönlands, stellt den Ukraine-Beistand ein, nähert sich Russland an und stellt den Wertekonsens der transatlantischen Allianz in Frage.

Europas Abhängigkeit von den USA

Das zentrale Problem der Europäer: Die USA stellen nicht nur die Masse von 70 Prozent der militärischen Fähigkeiten der NATO; sie dominieren auch die „Enabler“ wie Transport, Aufklärung und Navigation, zum Beispiel über das Satellitennetzwerk GPS. Über Jahrzehnte haben sich Europas Armeen, insbesondere die Bundeswehr, die als reine Koalitionsarmee ausgelegt ist, in dieses US-amerikanische Stützkorsett eingerüstet. So wurde in Europa kein Kampfjet der 5. Genration entwickelt, wie die US-amerikanische F35. Deutschlands einzige strategische Waffe, der Marschflugkörper Taurus, hat ein Triebwerk des US-Herstellers Williams International. Die NATO war als Allianz gerade deshalb beliebt und stabil, weil Europas Klein- und Mittelmächte ihren nationalen Egoismen frönen konnten, was das Design ihrer Armeen anging. Sie verhandelten daraus Beiträge nach ökonomischer Leistungsfähigkeit zur Militärallianz. Für die Kohärenz des Streitkräfteverbunds war der Sicherheitsdonator USA zuständig.

Die europäischen Staats- und Regierungschefs mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, NATO-Generalsekretär Mark Rutte und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj Anfang März in London. (Foto: picture alliance / Newscom)

Seit den Balkankriegen der frühen 1990er-Jahre war klar, dass es zur Beherrschung eines Großkonflikts auf dem Kontinent einen starken europäischen Armeeverbund braucht. Doch die Jahrzehnte danach wurden nicht genutzt. Im Gegenteil, die Europäer rüsteten ihren Armeen zu Hilfstruppen für die Anti-Terror-Kriege der USA ab. Jetzt löst sich das US-Korsett auf, und die Europäer sind blank. Sie bräuchten jetzt ein Verständnis und einen Plan zu einem abgestimmten Fähigkeitsprofil für einen Streitkräfteverbund ohne die Vereinigten Staaten. Die gigantischen Geldsummen müssten in eine gut konzeptionierte Strategie fließen; doch die gibt es nicht. Aus dem Hut zaubern lässt sich diese Strategie nicht; entscheidend wäre das stetige Erarbeiten gewesen, doch die Chance dazu ist nun vorbei.

Fehlende europäische Wehrkonzeption

Nun droht den Europäer die Überforderung mit ihrer Rüstungsmilliarden-Mobilisierung. So fordert der Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie in einer Erklärung: „Gut wäre es, wenn die Kunden in Europa ihre Bedarfe bestmöglich harmonisieren und poolen könnten.“ Doch genau das wird schwierig. Durch die verschleppte Angleichung ihrer Militär- und Rüstungskonzepte sind die Europäer nur darauf ausgelegt „Koalitionen der Willigen“ für kleinste gemeinsame Nenner zu bilden. Dazu ein Blick auf Europas gewachsene Rüstungslandschaft:

Dänemark schloss Rüstung bei der EU lange sogar via Gesetz aus; es trat erst 2023 der ständigen strukturierten Zusammenarbeit bei Verteidigung und Sicherheit (PESCO) bei. Polen fuhr bis vor Kurzem einen ambitionierten Kurs „eigner Stärke“ in Europa und setzt dafür auf eine außereuropäische Rüstungsallianz mit Südkorea. Frankreichs Rüstungsstrategie ist auf den Indopazifik und Exportausweitung ausgerichtet. Großbritanniens setzte bis jetzt gezielt auf eine enge Einbindung von US-Technologie. Der Technologievorsprung sollte als Kraftverstärker Londons bei Projekten mit europäischen Partnern dienen. Italiens Wehrkonzern Leonardo hat jüngst eine Rüstungsallianz zur Erneuerung der italienischen Landstreitkräfte mit Rheinmetall geschlossen. Dabei machte sich Italien den Konkurrenzkampf der deutsch-europäischen Panzerhersteller KNDS und Rheinmetall zu Nutze. Als Hauptproduzent von Rheinmetalls Panzerkonzept Panther will es von Technologietransfer und Exportpotenzial profitieren. Der Panther ist Rheinmetalls Konkurrenzprodukt zum Leopard-2 A8 von KNDS. Den A8 wiederum versucht Deutschland über seine Rahmennationenrüstung als europäischen Standard zu etablieren.

Verteidigungsminister Boris Pistorius kommt zum „Group of Five“-Treffen Anfang des Jahres in Warschau. Neben Deutschland gehören der Fünfergruppe Frankreich, Italien, Polen und Großbritannien an. (Foto: picture alliance / NurPhoto)

Das bisherige Rüstungskonzept der Deutschen: In Bereichen, in denen die deutsche Rüstung stark ist, wie vor allem bei Landsystemen, werden kleinere Partner für Rahmenverträge eingesammelt. Die Vorteile aus deutscher Sicht: Man schafft die Grundlage für gemeinsame Ausrüstung europäischer Großverbände, wie ein NATO-Korps unter Bundeswehr-Führung. Deutschlands Rüstungscluster wird gestärkt und Berlin einflussreicher Koordinator eines Beschaffungsnetzwerks.  Zudem erlaubt dieses Vorgehen, die eigene Rüstungskosten überschaubar zu halten, weil die Partner dafür sorgen, dass genug zusammenkommt, um die Manufakturproduktion aufrecht zu erhalten.

Koalitionen der Willigen reichen nicht

Generell gilt bisher: Europas Staaten haben bei Kooperation nicht die gemeinsame Wehrkraft im Blick, sondern die Stärkung des heimischen Rüstungscluster im europäischen Verteilungskampf. Werkzeuge über die EU wie PESCO und der Europäische Verteidigungsfonds sollen die nationale Agenda bedienen. Für substanzielle Wehrkraft braucht Europa jedoch Massenproduktion nach Standards und den Aufbau gemeinsamer Reserven samt deren Bewirtschaftung. Vor einem Jahr legte die EU-Kommission dazu einen Plan vor. Ein EU-Rüstungsgremium soll entstehen – das Defence Industrial Readiness Board. Dort sitzen die EU-Staaten, die Kommission und die EU-Chefdiplomatin als Leiter der EU-Rüstungsagentur EDA. Gemeinsam legen sie wichtige militärische Fähigkeiten fest. Für diese sollen sich Ländergruppen finden, die sie entwickeln oder einkaufen. Die Projekte würde die Kommission mit einem Industrieprogramm fördern.

Gegen eine gemeinsame, strategische Rüstungsbewirtschaftung sträuben sich die EU-Staaten trotz des absehbaren Abgangs der USA weiterhin. Koalitionen der Willigen wie das E5-Format, zudem sich nun Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Polen zusammengefunden haben, werden jedoch nicht ausreichen, um einen schlagkräftigen europäischen Armeeverbund aufzubauen. Hier können sich die Staaten nur auf ein paar Sektoren und Projekte verständigen. Zudem werden aus Willigen erfahrungsgemäß gerne wieder Unwillige, sobald der Handlungsdruck etwas nachlässt.

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