„…über Feldpost, 64298 Darmstadt“
Für Soldaten im Einsatz ist sie die wichtigste Verbindung nach Hause: die Feldpost. Auch im Zeitalter von WhatsApp, Mails und Telefonaten hat ein handgeschriebener Brief oder ein Geschenkpäckchen eine besondere Bedeutung. Der Betrieb einer Postfiliale unter Feldbedingungen bedeutet: Es muss notfalls immer noch alles analog und ohne Strom gehen. Darauf werden die Feldpostler vorbereitet. Reservisten spielen hier eine große Rolle. Die Spinne im Feldpostnetz ist Darmstadt.
Feldpost – das klingt nach Vergangenheit. Es klingt nach der Kiste auf Omas Speicher, in der Opas Briefe aus Russland liegen. Ein Brief anrührender als der andere, denn es schwingt in jedem die Befürchtung mit, dass es der letzte von der Ostfront sein könnte. In der Bundeswehr gab es zunächst gar keine Feldpost, denn die Truppe war in den Anfangsjahren nirgendwo im Ausland unterwegs. Der Gegner stand in Thüringen oder Sachsen, im Ernstfall wäre auf deutschem Boden gekämpft worden. Wer aus der Kaserne einen Brief an die Freundin oder die Eltern schrieb, warf ihn in den Briefkasten vorm Kasernentor ein. Den Rest erledigte die damalige Bundespost.
Die Wende kam erst ein Vierteljahrhundert nach Gründung der Bundeswehr. 1980 erschütterte ein verheerendes Erdbeben Süditalien. Die Bundeswehr schickte eine Pionierkompanie zur Unterstützung ins Katastrophengebiet – und stellte fest, dass keine Postversorgung für die Soldaten vorgesehen war. Nicht für den Katastrophenfall, schon gar nicht für den Ernstfall – und das, obwohl schon 1974 eine erste Feldpostvorschrift erlassen worden war.
Rund 1.000 Frauen und Männer im Einsatz
Bei der Heeresübung „Leuchtendes Morgenrot“ wurde 1982 erstmals auch die Feldpostversorgung geübt. In der Ära der Auslandseinsätze – von Kambodscha 1991 bis zum Ende des Afghanistan-Engagements im Sommer 2021 – begann die Feldpost der Bundeswehr so richtig zu laufen. Zuverlässig und pünktlich funktionierte ihr Räderwerk bis in entfernteste Weltgegenden; die Feldpostler waren überall im Einsatz geschätzte Kameraden. Auch wenn nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine inzwischen wieder die Landes- und Bündnisverteidigung oben auf der sicherheitspolitischen Agenda steht, so bleibt die Bundeswehr doch weiterhin auch im Ausland engagiert. Der KFOR-Einsatz im Kosovo ist der aktuell größte. Bundeswehrsoldaten sind auch in Jordanien, im Irak, in Bosnien, im Südsudan, in Litauen und auf seegehenden Einheiten im Einsatz. Aktuell umfassen die diversen Kontingente insgesamt gut 1.000 Männer und Frauen. Sie alle wollen mit ihren Liebsten in der Heimat in Kontakt bleiben. Der Feldpost geht die Arbeit nicht aus.
In der Nähe von Darmstadt laufen alle Fäden zusammen. Dort befindet sich auf dem Gelände des Bundeswehrdepots Süd, eines der wichtigsten Logistik-Hubs der Truppe, die Feldpostleitstelle. Sie ist die Spinne im Feldpostnetz, denn hier findet der Kontakt zwischen der Feldpost und der Deutschen Post statt. Die Leitstelle besteht im Wesentlichen aus einer großen Halle und ein paar Büros. Jeder Brief, der an einen Soldaten im Kosovo, in Jordanien, im Irak oder einen anderen Einsatzort gehen soll, landet zunächst dort und wird von der gelben (Deutschen) Post zur grünen (Feld-) Post – und umgekehrt für die Sendungen aus dem Ausland in die Heimat.
Egal wie weit ein Brief, ein Päckchen oder ein Paket geht – es muss nur der jeweilige Inlandstarif gezahlt werden. Aufgegeben werden kann eine Feldpostsendung in jeder Filiale der Deutschen Post. Wichtig ist, dass in der Anschrift neben dem Dienstgrad, Namen, Truppenteil des Soldaten sowie dem Bestimmungsort und Länderkürzel der Zusatz „über Feldpost, 64298 Darmstadt“ steht. Dann sollte nichts schiefgehen bei der Zustellung.
„Feldpost ist Konzernauftrag“
Bis vor Kurzem war Oberstleutnant Denis S. der Chef des Ganzen. Der studierte Volkswirt leitete das Dezernat „Logistische Sonderaufgaben“ im Logistikkommando der Bundeswehr in Erfurt und war somit der Feldpostbeauftragte der Bundeswehr. Weil grüne und gelbe Post eng zusammenarbeiten, hat S. in Jan-Ulrich W. von der Deutschen Post DHL Group einen zivilen Counterpart. Doch mit zivil und militärisch ist das bei der Feldpost so eine Sache; beides durchdringt sich hier. Und so ist Oberstleutnant d. R. W. bis zu sechs Monate im Jahr auf Übung – und damit in Uniform. „Feldpost ist Konzernauftrag“, sagt er nicht ohne Stolz. Seit 2013 gibt es eine Feldpostvereinbarung zwischen dem Logistikkonzern und den Streitkräften.
Alle 471 Dienstposten der Feldpost werden von Reservisten besetzt – und das sind ausnahmslos Mitarbeiter der Deutschen Post. Rund hundert von ihnen wehrüben übers Jahr. Es sind ehemalige Wehrpflichtige, ausgeschiedene Soldaten auf Zeit, aber auch ehemals Ungediente. Letztere gehen zunächst auf Lehrgänge, um eine militärische Grundbefähigung zu erlangen. Dann folgen die postfachlichen Lehrgänge gemeinsam mit den militärisch erfahrenen Reservisten. Ziel ist es, alle Teilnehmer mit den Aufgaben des Feldpostdienstes vertraut zu machen. Besetzungssorgen hat W. nicht, im Gegenteil. „Wir haben gegenwärtig mehr Interessenten für eine Reservedienstleistung als Plätze“, sagt er. Und fügt hinzu: „Alle unsere Reservistinnen und Reservisten sind aus fachlicher Sicht spitze.“
Während die Wirtschaft ohne Rechner und Internet nicht mehr denkbar ist, stellt sich den Feldpostangehörigen eine ganz andere Herausforderung: Sie müssen in der Lage sein, ohne Strom ein Feldpostamt zu betreiben. „Das sind die Anforderungen im Ausland, wo wir uns nicht immer darauf verlassen können, dass wir Strom für Rechner oder Kassen haben“, sagt W. Mit anderen Worten: „Wir arbeiten ausschließlich analog.“ Und analog sind dann auch alle Leistungen wie in einer Postfiliale im Inland zu erbringen – vom Briefmarkenverkauf über die Annahme eines Päckchens bis zur Geldüberweisung.
Wohlfühlfaktor im Einsatzland
Für den Feldpostbeauftragten Oberstleutnant S. kann die Bedeutung der Feldpost gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. „Unsere Arbeit läuft unter der Überschrift ‚Betreuung im Einsatz‘. Es geht um einen gewissen Wohlfühlfaktor im Einsatzland, den wir sicherstellen.“ S. weiß, wovon er spricht. Er war selbst zweimal in Afghanistan im Einsatz, einmal im Kosovo. Er kennt die Umstände, wie sie am Hindukusch herrschten: die ständige Gefahr, das Konfrontiertsein mit einer fremden Kultur, mit Verwundungen und dem Tod von Kameraden. „Da tat es gut, regelmäßig Nachrichten von der Familie zu bekommen oder auch Päckchen, die dem Einzelnen wichtig waren.“
Die Feldpost transportiert in die Einsatzgebiete alles, was auch die gelbe Post befördert. Die Postler erzählen von einem Hometrainer, den die Feldpost einem Soldaten im Einsatz zugestellt hat. Oder von Kästen mit Mineralwasser aus der Rhön, die einmal in der Woche für einen Kameraden in Afghanistan bestimmt waren – und als Leergut natürlich auch wieder nach Deutschland zurückgebracht wurden.
2021, dem letzten Jahr des Afghanistan-Einsatzes, beförderte die Feldpost insgesamt 154.000 Pakete, 132.000 Briefe und 9.000 Päckchen. Das Aufkommen ist nach dem Ende des Einsatzes deutlich zurückgegangen. Im vergangenen Jahr waren es aber immerhin noch 112.000 Pakete, 75.500 Briefe und 7.000 Päckchen. Über die Jahre ist ein Trend zu beobachten: Traditionell gehen mehr Briefe vom Einsatzgebiet in die Heimat als umgekehrt. Bei Paketen und Päckchen ist es andersherum: Angehörige geben mehr Pakete und Päckchen an die Soldaten im Einsatzland auf, als diese von dort nach Hause schicken.
Briefe als Gegenstand der Forschung
Feldpostbriefe aus Afghanistan sind inzwischen Gegenstand der Forschung, sagt ihr Inhalt doch einiges über das Denken und Fühlen einer ganzen Soldatengeneration aus. Das aber war im Fall Afghanistan nicht unbedingt im Sinne der politischen Führung, die jahrelang den Kriegscharakter dieses Einsatzes vor der deutschen Öffentlichkeit verschleierte. So stieß vor 15 Jahren ein fünfköpfiges Journalistenteam auf massiven Widerstand, als es für ein Buchprojekt Feldpostbriefe aus Afghanistan sammeln und veröffentlichen wollte. Das BMVg lehnte eine Zusammenarbeit mit den Journalisten ab. Soldaten, die den Journalisten dennoch ihre Briefe zur Verfügung stellten, mussten mit Konsequenzen des Dienstherren rechnen. Am Ende erschien das Buch 2011 unter dem schlichten Titel „Afghanistan. Briefe deutscher Soldaten aus Afghanistan“ zunächst im Rowohlt-Verlag, kurz darauf auch bei der Bundeszentrale für politische Bildung. Es stellte die Situation am Hindukusch aus der Sicht der einzelnen Soldaten ungeschminkt dar. Noch heute geht die Lektüre zuweilen unter die Haut.
Seit 1. Oktober ist Oberstleutnant Ulrike Z. die neue Feldpostbeauftragte und Nachfolgerin von Denis S., der auf einen anderen Dienstposten gewechselt ist. Sie spricht gegenüber loyal von einer „fordernden und vielschichtigen Aufgabe“ als Dezernatsleiterin „Logistische Sonderaufgaben“. Dazu gehört neben der Feldpost auch das Pipelinepionierwesen, der Feldlagerbau und das Gefangenen- und Gefallenenwesen. Für Z. ist in diesem Portfolio die Feldpost ein „nicht zu unterschätzender Beitrag im Rahmen der Fürsorge“.
Sonderfall Marine
Außen vor bei der beschriebenen Feldpostorganisation ist übrigens die Marine. Der Postverkehr mit Schiffen der Deutschen Marine auf Übung oder im Einsatz ist in die regulären Materialtransporte integriert, wie eine Nachfrage von loyal bei der Marine ergab. Angehörige von Marinesoldaten müssen als Adresse die Heimatanschrift der jeweiligen Einheit angeben, um alles Weitere kümmert sich dann die Marine am jeweiligen Stützpunkt. Ein ziviler Transporteur übernimmt mit anderem Material die Post und befördert sie zu einem Hafen, den das Schiff planmäßig anlaufen soll. Grundsätzlich versucht die Marine, die Post am Tag des Einlaufens ans Schiff zu übergeben. Der Transporteur nimmt anschließend die Briefe und Päckchen der Schiffsbesatzung zurück in die Heimat, wo sie der Deutschen Post zur weiteren Beförderung und Zustellung übergeben wird. Als Herausforderungen bei diesem Verfahren nennt ein Sprecher der Marine unter anderem: enges Zeitfenster beim Hafenaufenthalt, Hafenplanänderungen und – in diesem Monat von großer Bedeutung – die rechtzeitige Zustellung der Weihnachtspost.
siehe auch: So transportiert die Feldpost Emotionen in den Einsatz
Redaktioneller Hinweis
Die Namen der Gesprächspartner in diesem Artikel haben wir auf Wunsch der Bundeswehr abgekürzt. loyal hat im Verteidigungsministerium nachgefragt, warum Namen von Soldaten in den Medien abgekürzt werden müssen. Das Ministerium verwies auf einen entsprechenden Erlass des Stabs Informationsarbeit.
Ausgenommen von der Regelung zur Abkürzung des Namens sind laut BMVg-Sprecher die Generalität/Admiralität, Personal ab der Ebene Bataillonskommandeur und vergleichbar sowie Personal der Informationsarbeit. Der Sprecher betonte, dass die Weisung einzig auf bundeswehreigene Medien zielt. Es bleibe Betroffenen zudem unbenommen, sich zu entscheiden mit vollständigem Namen genannt zu werden.
Inzwischen legen Bundeswehr-Pressestellen diese Regelung im Hinblick auf Medien auch außerhalb der Bundeswehr sehr weit aus. Dies ist eine im Journalismus völlig unübliche Praxis. Der Journalist nennt Namen – es sei denn, es stehen Sicherheitsbedenken oder juristische Argumente (etwa bei Angeklagten vor Gericht) dagegen. loyal folgt zwar entsprechenden Wünschen der Bundeswehr, sieht deren Sinnhaftigkeit im inzwischen eingetretenen Ausmaß aber kritisch. In Fall des Feldpost-Artikels widerspricht der Wunsch der Pressestelle des Logistikkommandos sogar der eigenen BMVg-Weisung. Denn diese bezieht sich – wie erwähnt – nur auf bundeswehreigene Medien. Überdies sind alle erwähnten Gesprächspartner im Artikel Oberstleutnante – und stehen damit auf der Ebene Bataillonskommandeur, die laut BMVg-Sprecher von der Regelung ohnehin ausgenommen sind.