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Fla­schen­post im Fluss der Zeit

2010: Kein Jahr des deut­schen Af­gha­ni­stan-Ein­sat­zes war so ver­lust­reich, kei­nes so dra­ma­tisch. Als Grup­pen­füh­rer in einer Kampf­kom­pa­nie war Haupt­feld­we­bel Mar­kus Götz in Kun­duz sta­tio­niert. Das, was er dort er­lebt und ge­se­hen hat, hat er auf­ge­schrie­ben: Tag für Tag, oft nur we­ni­ge Mi­nu­ten nach einem Ge­fecht. Aus sei­nem Kriegs­ta­ge­buch ist ein mi­nu­tiö­ses und au­then­ti­sches Pro­to­koll ge­wor­den, des­sen Sog sich der Leser kaum ent­zie­hen kann. His­to­ri­ker Dr. Chris­ti­an Hart­mann hat es mus­ter­gül­tig er­schlos­sen und auf­be­rei­tet – eine Fla­schen­post im Fluss der Zeit, deren Bot­schaft auch künf­ti­ge Ge­ne­ra­tio­nen ver­ste­hen sol­len.

Haupt­feld­we­bel Götz als Füh­rer einer Kampf­grup­pe in Af­gha­ni­stan 2010.

(Foto: pri­vat)

Af­gha­ni­stanein­satz

„Wir rol­len zu­erst Rich­tung Mel­de­punkt Donau und füh­ren mehr­mals einen Be­ob­ach­tungs­halt durch. Als wir durch die Schran­ke am Orts­aus­gang Kun­duz wie­der Rich­tung Cha­har Dara fah­ren, lässt Ober­leut­nant Mike plötz­lich hal­ten. Er springt mit Ober­st­abs­ge­frei­tem Lenny und Stabs­ge­frei­tem Sido aus sei­nem Dingo und kas­siert wie­der ein Handy ein. Wäh­rend wir war­ten, si­chern und be­ob­ach­ten, hören wir zwei dump­fe De­to­na­tio­nen aus dem Be­reich Süd­wes­ten. Ich melde, und Mike gibt die Info an Haupt­mann Bar­ba­ros­sa wei­ter, wäh­rend wir wei­ter­rol­len. Beim Mel­de­punkt Rhein ma­chen wir er­neut einen Be­ob­ach­tungs­halt. Wir hören drei wei­te­re De­to­na­tio­nen aus dem Be­reich bei Isa Khel – ir­gend­et­was ist da schon wie­der im Busch! (…) Als nächs­tes sehe ich eine Per­son in einem der Läden nach der Brü­cke und dass alle an­de­ren Läden dicht sind. Ich gebe das noch über Bord­ver­stän­di­gung an meine Män­ner mit der Be­mer­kung ‚Augen auf, hier ist was faul!‘ wei­ter, dann fah­ren wir be­reits den Lift zum Mel­de­punkt 92 hoch. Auf dem hal­ben Weg sehe ich plötz­lich einen Ex­plo­si­ons­blitz. Ver­dammt! IED! Wir wur­den an­ge­sprengt. Ich sag Wolle, er soll wei­ter­fah­ren. Durch­sto­ßen! Ich sehe den Dingo von Mike aus der Staub­wol­ke hin­ter mei­nem Trans­port­pan­zer kom­men – Gott sei Dank! Dann den Stö­rer – Schei­ße, hat es Pit er­wischt? Auch Pits Dingo taucht aus dem Staub auf. Wir sind in­zwi­schen beim Mel­de­punkt 92 und gehen in Stel­lung. Es hat Obis Trans­port­pan­zer er­wischt!“

Haupt­feld­we­bel Mar­kus Götz hört an die­sem 13. Juni 2010, einem Sonn­tag, in Af­gha­ni­stan noch wei­te­re Ex­plo­sio­nen. Es ist 9:45 Uhr. Die Sonne steht schon hoch am Him­mel, es ist un­er­träg­lich heiß. Zwei sei­ner Ka­me­ra­den, Obi und Uli, wer­den bei die­sem An­schlag auf die Bun­des­wehr-Pa­trouil­le ver­wun­det, der eine leicht, der an­de­re schwer. Haupt­mann Bar­ba­ros­sa und Ober­st­abs­ärz­tin Sandy im Be­weg­li­chen Arzt­trupp sto­ßen durch – ohne Rück­sicht auf die Kra­ter in der Stra­ße und in Er­war­tung wei­te­rer Spreng­fal­len, den ge­fürch­te­ten IEDs. Im Süden ist Mör­ser­don­ner zu hören. Black Hawks wer­den start­klar ge­macht, heißt es im Funk. Götz lässt Rauch zur Mar­kie­rung der Lan­de­zo­ne auf­stei­gen. Spä­ter, in der re­la­ti­ven Si­cher­heit eines Po­li­zei­haupt­quar­tiers, sieht er, wie Ober­leut­nant Mike Trä­nen übers Ge­sicht lau­fen. Im In­nen­raum des Trans­port­pan­zers, unter dem der Spreng­satz ex­plo­diert ist, wurde die Bo­den­pan­ze­rung gut zehn Zen­ti­me­ter nach oben ge­drückt. Es sieht aus „wie nach einem Bom­ben­an­griff“. Götz no­tiert: „Alles kreuz und quer. Über­all Teile einer zer­trüm­mer­ten Holz­kis­te. MG-Mu­ni­ti­on hat um­ge­setzt. Obis MPi 7 und die Ma­ga­zi­ne sind Schrott. Ein MG-Kas­ten aus Me­tall ist total ver­formt.“

Mar­kus Götz im Herbst 2021 im „Wald der Er­in­ne­rung“ in Pots­dam. (Foto: Ste­phan Pram­me)

Nor­ma­ler­wei­se hätte hier Stabs­ge­frei­ter Di­mit­rij ge­ses­sen, der aber wegen einer kurz­fris­tig an­ge­setz­ten Vi­deo­kon­fe­renz im Lager ge­blie­ben war. Er wäre jetzt ver­mut­lich tot.
Es sind Schil­de­run­gen wie diese, die das Ta­ge­buch des Haupt­feld­we­bels Mar­kus Götz so ein­zig­ar­tig ma­chen. Da ist ein deut­scher Sol­dat das zwei­te Mal im Af­gha­ni­stan-Ein­satz und er­lebt 2010 die schlimms­ten Ge­fech­te, in die die Bun­des­wehr seit ihrer Grün­dung je­mals ver­wi­ckelt wurde. Er schreibt alles de­tail­liert auf. Oft un­mit­tel­bar nach einem Kampf­ein­satz, nach einem IED-An­schlag, nach einer Pa­trouil­len­fahrt. Fri­sche Ein­drü­cke des Sol­da­ten einer Kampf­ein­heit, der das, was er sieht, hört, spürt, fühlt ohne Zeit­ver­zug und un­ge­fil­tert zu Pa­pier bringt – mit allen Emo­tio­nen und Kraft­aus­drü­cken, die in einem Men­schen in sol­chen Aus­nah­me­si­tua­tio­nen mit höchs­tem Ad­re­na­lin­pe­gel, Blut­druck und trom­meln­dem Her­zen hoch­kom­men, durch­setzt mit mi­li­tä­ri­schen Fach­be­grif­fen, Ab­kür­zun­gen und Land­ser-Slang. Wie Blitz­lich­ter aus einer nahen Ver­gan­gen­heit leuch­ten diese Schil­de­run­gen auf. Sie fas­sen die in­ten­si­ven Kämp­fe in we­ni­ge pa­cken­de Worte. Dann fol­gen wie­der Re­fle­xio­nen des Ta­ge­buch­schrei­bers, Ein­schät­zun­gen und Be­wer­tun­gen, zu­wei­len auch harte Ur­tei­le. Denn manch­mal ist es ein­fach nur Frust, den Götz förm­lich in seine Klad­de kotzt.

Ein Glücks­fall für fol­gen­de Ge­ne­ra­tio­nen

Das Kriegs­ta­ge­buch des Mar­kus Götz ist in mehr als einer Hin­sicht ein un­ge­wöhn­li­ches Do­ku­ment. Daher wurde es jetzt als Edi­ti­on, auf­wän­dig ein­ge­lei­tet und kom­men­tiert, in der Reihe „Bun­des­wehr im Ein­satz“ vom Zen­trum für Mi­li­tär­ge­schich­te und So­zi­al­wis­sen­schaf­ten der Bun­des­wehr (ZMSBw) her­aus­ge­ge­ben. Un­ge­wöhn­lich sind zum einen seine Un­mit­tel­bar­keit, seine Au­then­ti­zi­tät. Zum an­de­ren zeich­net sich die­ses Ta­ge­buch durch die Dich­te und den Reich­tum an Er­eig­nis­sen, Ge­füh­len und Ge­dan­ken aus, die Götz zu Pa­pier bringt. In ge­wis­ser Weise schreibt hier je­mand stell­ver­tre­tend für ein gan­zes Kon­tin­gent, das 22. deut­sche Kon­tin­gent ISAF, das wäh­rend sei­nes Ein­sat­zes von März bis Juli 2010 ins­ge­samt sie­ben Sol­da­ten ver­lor. Dass ein deut­scher Feld­we­bel, sol­chen Be­las­tun­gen zum Trotz, den­noch den Wil­len auf­bringt, den für die Bun­des­wehr dra­ma­tischs­ten Ein­satz ihrer Ge­schich­te aus sei­ner Per­spek­ti­ve mi­nu­ti­ös zu do­ku­men­tie­ren, ist nicht nur für Mi­li­tär­his­to­ri­ker ein Glücks­fall, son­dern auch für die fol­gen­den Ge­ne­ra­tio­nen.

Mar­kus Götz wurde 1974 in der Ober­pfalz ge­bo­ren. Nach der Re­al­schu­le mach­te er eine Schrei­ner­leh­re. Der an­schlie­ßen­de zwölf­mo­na­ti­ge Wehr­dienst beim Pan­zer­gre­na­dier­ba­tail­lon 122 in Ober­viecht­ach blieb zu­nächst eine Epi­so­de; er kehr­te in den vä­ter­li­chen Be­trieb zu­rück, mach­te sei­nen Meis­ter als Par­kett­le­ger. 2003 be­warb sich Götz als Wie­der­ein­stel­ler bei der Bun­des­wehr und kehr­te als Feld­we­bel­an­wär­ter in sein altes Ba­tail­lon zu­rück. Bis heute tut er, in­zwi­schen Haupt­feld­we­bel und Kom­pa­nie­trupp­füh­rer in der 5. Kom­pa­nie des Pan­zer­ba­tail­lons 104, Dienst. Götz war drei­mal im Aus­lands­ein­satz: 2008 im 16. deut­schen ISAF-Kon­tin­gent, 2010 im be­sag­ten 22. ISAF-Kon­tin­gent, in dem sein Ta­ge­buch ent­stand, und dann noch­mals 2017 im Ko­so­vo. Er lebt heute mit Frau, Stief­toch­ter und Sohn in der Ober­pfalz, hat ein Haus um­ge­baut, einen Gar­ten an­ge­legt und dient nach wie vor der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land.

loyal traf ihn in Pots­dam und be­such­te mit ihm und dem Her­aus­ge­ber sei­nes Ta­ges­buchs, Dr. Chris­ti­an Hart­mann vom ZMSBw, ge­mein­sam den „Wald der Er­in­ne­rung“ in der Hen­ning-von-Tre­sc­kow-Ka­ser­ne, Sitz des Ein­satz­füh­rungs­kom­man­dos der Bun­des­wehr.

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Warum er über­haupt ein Ein­satz­ta­ge­buch ge­schrie­ben habe, er­klärt Götz so: „Ich bin ei­gent­lich kein Ta­ge­buch­schrei­ber, aber ich lese lei­den­schaft­lich gern und viel. Aus­lö­ser für die­ses Ta­ge­buch war mein Af­gha­ni­stan-Ein­satz 2008. Ich habe dort so viel ge­se­hen und er­lebt, den Ein­satz sogar noch ver­län­gert. Ich woll­te meine Er­fah­run­gen in eine mög­lichst rea­lis­ti­sche Aus­bil­dung mei­ner Sol­da­ten zu Hause ein­brin­gen – und habe fest­ge­stellt, dass dann doch schon vie­les ver­blasst war. Da habe ich mir ge­sagt: Das machst du nächs­tes Mal bes­ser.“

So flog er am 4. März 2010 mit einer han­dels­üb­li­chen Schreib­klad­de im Hand­ge­päck und dem Vor­satz, mög­lichst viel auf­zu­schrei­ben, mit sei­nen Ka­me­ra­den von Köln nach Kun­duz; schon wäh­rend des Flu­ges mach­te er sich erste No­ti­zen. Was als Ge­dächt­nis­stüt­ze für die spä­te­re Aus­bil­dung ge­dacht war, wurde zu einer selbst auf­er­leg­ten Ver­pflich­tung, wie sie wohl nur we­ni­ge unter sol­chen Um­stän­den mit sol­cher Kon­se­quenz nach­ge­hen. Götz: „Vor­ge­nom­men hatte ich mir, täg­lich ein paar Zei­len zu schrei­ben. An­fangs schrieb ich nachts, kurz vor dem Ein­schla­fen. Auch um das Er­leb­te zu ver­ar­bei­ten.“ Schon nach we­ni­gen Tagen kamen die Ein­schlä­ge für ihn buch­stäb­lich näher, sah er sich Ge­fech­ten, Ra­ke­ten­alar­men und IED-An­schlä­gen aus­ge­setzt. Götz spür­te das Be­dürf­nis, Worte zu fin­den für das, was er sah und er­leb­te. Ob im Pan­zer, im Schüt­zen­gra­ben, in De­ckun­gen, im Zelt – stets war das Ta­ge­buch dabei, das sich von Tag zu Tag wei­ter füll­te. Er schrieb zwi­schen drei und zehn Sei­ten – jeden Tag. Ins­ge­samt wur­den dar­aus schlie­ß­lich 507 Sei­ten.

Der da­ma­li­ge Haut­feld­we­bel schil­dert ge­gen­über loyal, wie hilf­los er sich häu­fig fühl­te: „Da ist ein Geg­ner, den man nicht sieht. Wenn der Feu­er­kampf dann be­ginnt, wird man ge­lös­ter. Man gibt Be­feh­le, führt den Kampf. Der enor­me Druck und die An­span­nung des War­tens lösen sich. Man war­tet, bis es schep­pert. Es kann einen über­all und jeden Mo­ment tref­fen. Einen Ka­me­ra­den hat es di­rekt hin­ter mir im Fahr­zeug er­wischt, dem hat es fast das Bein ab­ge­ris­sen.“ Götz ver­ar­bei­tet sol­che Sze­nen, indem er sie auf­schreibt. Da­durch kann er die Bil­der in sei­nem Kopf zie­hen las­sen. Auch der Druck der Ver­ant­wor­tung als Grup­pen­füh­rer ent­lädt sich im Schrei­ben. „Man ist für die Si­cher­heit sei­ner Män­ner ver­ant­wort­lich, die den­ken ‚hof­fent­lich weiß er, was er tut‘ und ver­trau­en dir. Es ist bru­tal hart, wenn man sich vor Augen führt: Wenn ich jetzt einen Feh­ler mache, habe ich wo­mög­lich das Leben der Ka­me­ra­den auf dem Ge­wis­sen.“

Un­ver­gleich­lich au­then­tisch

All diese Er­leb­nis­se, Ge­füh­le und Ge­dan­ken fin­den sich in dem Ta­ge­buch und ver­mit­teln dem Leser einen un­ver­gleich­lich au­then­ti­schen Ein­druck vom Kampf­ge­sche­hen, aber auch vom All­tag im Feld­la­ger in Af­gha­ni­stan im Früh­jahr 2010 – bis hin zum Kar­frei­tags­ge­fecht, das Götz aus nächs­ter Nähe er­lebt hat (siehe Ta­ge­buch­aus­zug Seite 16). Her­aus­ge­ber Hart­mann ver­gleicht die Un­mit­tel­bar­keit von Götz‘ Auf­zeich­nun­gen mit den Ta­ge­bü­chern des Schrift­stel­lers Ernst Jün­ger. Des­sen Auf­zeich­nun­gen aus den Schüt­zen­grä­ben des Ers­ten Welt­kriegs wur­den zur Grund­la­ge sei­ner welt­be­kann­ten Schrift „In Stahl­ge­wit­tern“ – doch wurde diese immer wie­der vom Autor über­ar­bei­tet und ent­spre­chend sti­li­siert.

Chris­ti­an Hart­mann und Mar­kus Götz vor dem Eh­ren­hain aus Kun­duz im „Wald der Er­in­ne­rung“ in Pots­dam. (Foto: Ste­phan Pram­me)

„Das Be­son­de­re am Ta­ge­buch von Haupt­feld­we­bel Götz ist da­ge­gen die Tat­sa­che, dass er es nach der Nie­der­schrift nicht mehr ver­än­dert hat“, sagt His­to­ri­ker Hart­mann. Götz hat seine hand­schrift­li­chen No­ti­zen aus dem Ein­satz nach sei­ner Rück­kehr, so wie sie waren, in ein Word-Do­ku­ment ab­ge­tippt, das war’s. Das macht die Au­then­ti­zi­tät die­ser his­to­ri­schen Quel­le aus.
Als er in der vom ZMSBw her­aus­ge­ge­ben Zeit­schrift „Mi­li­tär­ge­schich­te“ eine An­non­ce las, in der das In­sti­tut pri­va­te Sol­da­ten­ta­ge­bü­cher aus Af­gha­ni­stan zur wis­sen­schaft­li­chen Aus­wer­tung such­te, re­agier­te er. Am Ende lan­de­te das Kon­vo­lut auf dem Schreib­tisch von Chris­ti­an Hart­mann; des­sen Er­fah­rung mit der Her­aus­ga­be, der wis­sen­schaft­li­chen Edi­ti­on his­to­ri­scher Quel­len ist groß. Seine be­kann­tes­te Ar­beit war die kri­ti­sche Edi­ti­on von Hit­lers Pam­phlet „Mein Kampf“; mehr als 3500 An­mer­kun­gen und eine um­fas­sen­de Ein­lei­tung waren hier­für nötig. Für Hart­mann sind Edi­tio­nen die Kö­nigs­dis­zi­plin der Ge­schichts­wis­sen­schaft, weil sich der His­to­ri­ker als Her­aus­ge­ber ganz der Quel­le un­ter­wer­fen und sich auch mit De­tails be­schäf­ti­gen muss, die ihn beim Ver­fas­sen einer ei­ge­nen wis­sen­schaft­li­chen Ar­beit viel­leicht gar nicht in­ter­es­siert hät­ten. „Das kann sehr an­stren­gend sein, er­wei­tert aber auch enorm den Ho­ri­zont.“ Auf die Frage, was denn der wich­tigs­te Un­ter­schied zwi­schen der Her­aus­ga­be von „Mein Kampf“ und von Götz‘ Ta­ge­buch war, sagt Hart­mann la­pi­dar und au­gen­zwin­kernd: „Mir ist Herr Götz als Autor be­deu­tend sym­pa­thi­scher.“

Die Quel­le dau­er­haft si­chern

An­sons­ten war es ein enor­mes Un­ter­fan­gen, das Ta­ge­buch des Haupt­feld­we­bels für ein brei­tes Pu­bli­kum zu er­schlie­ßen. Hart­mann ar­bei­tet gerne nachts, und so brann­te in sei­nem Büro im ZMSBw oft noch als letz­tes das Licht. Ab­kür­zun­gen muss­ten er­läu­tert, Hin­ter­grün­de er­klärt, sol­da­ti­sche Be­grif­fe über­setzt, An­gli­zis­men ein­ge­deutscht wer­den. Es galt, Per­sön­lich­keits­rech­te der Be­tei­lig­ten zu be­ach­ten oder Sperr­ver­mer­ke auf den deut­schen Akten. Vor allem aber ging es darum, das Ta­ge­buch in sei­nen mi­li­tä­ri­schen und po­li­ti­schen Kon­text ein­zu­ord­nen. Und es gab viele De­tails ganz ein­fach zu er­klä­ren – auch mit Blick auf die Zu­kunft: „Es mag viel­leicht banal klin­gen, eine An­mer­kung zu dem Be­griff ‚Dixie‘ zu schrei­ben – aber wis­sen wir denn heute, ob ein Leser in 50 Jah­ren damit noch eine mo­bi­le Toi­let­te ver­bin­det?“, fragt Hart­mann.

Sein Ziel war es, diese Quel­le dau­er­haft zu si­chern, dar­aus eine Art Fla­schen­post zu ma­chen im Fluss der Zeit, die auch in der Zu­kunft noch ver­ständ­lich bleibt. Das ist ihm nicht nur in 549 Fuß­no­ten zu Götz‘ Text ge­lun­gen, son­dern auch in einer um­fang­rei­chen Ein­lei­tung und einem über hun­dert Sei­ten star­ken An­hang. Im Grun­de ge­nom­men hat Hart­mann um Götz‘ Ta­ge­buch herum die Ge­schich­te des deut­schen Af­gha­ni­stan-Ein­sat­zes ge­schrie­ben, ein­schlie­ß­lich einer in die­ser Form ein­ma­li­gen Be­schrei­bung aller in Af­gha­ni­stan ver­wen­de­ten Waf­fen­sys­te­men vom G3 bis zum CH-53, Kurz­bio­gra­fi­en der han­deln­den Per­so­nen, der Ge­schich­te Af­gha­ni­stans, einer Dar­stel­lung der mi­li­tä­ri­schen Kräf­te im PRT Kun­duz, Auf­sät­zen zum Luft­an­griff von Kun­duz am 3./4. Sep­tem­ber 2009 und zum Kar­frei­tags­ge­fecht am 2. April 2010.

Fast könn­te man sagen, hier haben sich zwei kon­ge­nia­le Schrei­ber ge­fun­den – der Ver­fas­ser einer zen­tra­len Quel­le und ihr his­to­risch ver­sier­ter Be­ar­bei­ter, der diese dann mus­ter­gül­tig zu­gäng­lich ge­macht hat – für die Wis­sen­schaft, aber auch für jeden, der sich für die­ses Thema in­ter­es­siert. Dass Autor und Her­aus­ge­ber sich auch noch per­sön­lich ken­nen- und schät­zen ge­lernt haben, ge­mein­sam am Kü­chen­tisch des Ta­ge­buch­schrei­bers da­heim in Vo­hen­strauß Kaf­fee ge­trun­ken haben, ge­hört zu den vie­len De­tails in der Ge­schich­te die­ses un­ge­wöhn­li­chen Buchs.

Es fol­gen Aus­zü­ge aus dem Ta­ge­buch …

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Af­gha­ni­stan-Ta­ge­buch

loyal druckt im Fol­gen­den ei­ni­ge kurze Aus­zü­ge aus dem Ta­ge­buch von Haupt­feld­we­bel Mar­kus Götz ab, um einen Ein­druck von der Un­mit­tel­bar­keit der Auf­zeich­nun­gen und dem Stil des Au­tors zu ver­mit­teln. Der Text stammt aus der von Dr. Chris­ti­an Hart­mann edi­tier­ten Buch­aus­ga­be und wurde an ei­ni­gen Stel­len für loyal re­dak­tio­nell leicht be­ar­bei­tet. Der um­fang­rei­che An­mer­kungs­ap­pa­rat, der auch für diese we­ni­gen Zi­ta­te in der Buch­fas­sung zu fin­den ist, wurde weg­ge­las­sen.

4. März 2010 – Don­ners­tag
Alles tut weh – Scheiß-Flie­gen. Sind in einer pop­li­gen Boe­ing 757 – ir­gend­was von Uz­be­ki­stan Air­ways – un­ter­wegs. Ins­ge­samt nur sechs Sitze à zwei Rei­hen breit, mit engem Gang da­zwi­schen. Bein­frei­heit wie in einem Fiat 500!
1700 Uhr deut­sche Zeit. Keine Ah­nung, wo wir zur­zeit sind. Stock­mau­ern­dun­kel drau­ßen. Hab ver­sucht zu schla­fen – war nicht wirk­lich er­hol­sam. Zum Lesen hab ich auch keine Lust, also fang‘ ich mal mein Ein­satz­ta­ge­buch an.​Sind ins­ge­samt zu acht aus Ober­viecht­ach. Von den Mann­schaf­ten die Ober­st­abs­ge­frei­ten Wolle, Schorsch, Bran­dy und Lenny. Au­ßer­dem noch Haupt­feld­we­bel Chris, Ober­feld­we­bel Pit, Haupt­feld­we­bel Obi und ich von den Dienst­gra­den. Sind um 0400 Uhr in der Früh mit einem gro­ßen Bus von Ober­viecht­ach los in Rich­tung Köln. Ein Sprin­ter mit Haupt­feld­we­bel Höhli dabei hat uns be­glei­tet und ver­ab­schie­det. Haben wäh­rend der sechs­stün­di­gen Fahrt schon die meis­te Zeit ge­schla­fen.
(…)
2000 Uhr deut­sche Zeit Ter­mez – end­lich! Der üb­li­che Terz mit Zoll, Ein­tei­len in Grup­pen – wer fliegt mor­gen wohin – aus­stei­gen – Zeug rein ins Zelt usw. Noch ein klei­nes Bier­chen in der „Area 51“, dann ab in den Schlaf­sack. In­zwi­schen ist es halb drei Uhr mor­gens Orts­zeit. Mor­gen um halb acht auf­ste­hen, wa­schen, in Ruhe früh­stü­cken. Um zehn vor neun geht’s ab zur „Trall“. Kun­duz – ich komme.

5. März 2010 – Frei­tag
Der Vogel hebt ab und los geht’s. Nach etwa 30 Mi­nu­ten lan­den wir auf dem Kun­duz-Air­field. Über die Lan­de­bahn, an einer US-Her­cu­les vor­bei, geht’s in den Tower. Hier hat sich kaum was ver­än­dert, seit ich im Juli 2008 das letz­te Mal hier war. Nach kur­zer War­te­zeit fah­ren wir in der zwei­ten Welle mit vier Mun­gos ins PRT.
(…)
Nach­dem wir uns kurz ori­en­tiert haben, geht’s zum Essen, da­nach auf einen Kaf­fee ins „Lum­mer­land“. Dort komme ich mit einem Major ins Ge­spräch. War mal Zug­füh­rer in Ober­viecht­ach in der 6. Kom­pa­nie. Fliegt heute aus. War sechs Mo­na­te hier
im Stab als S3-Of­fi­zier. Ope­ra­ti­ons­pla­nung und sol­che Ge­schich­ten. Gibt mir ein paar Tipps. Re­sü­mee für mich: Hier ist Krieg – wenn es kracht! – und es kracht bei jedem, der raus­fährt! Voll­gas, Feu­er­über­le­gen­heit mit allen schwe­ren Waf­fen – Pan­zer­faust, MILAN und Gra­nat­ma­schi­nen­waf­fe!
(…)
Um 1900 Uhr Ein­rü­cken in die „Fes­tung“, die Be­treu­ungs­ein­rich­tung der 1. In­fan­te­rie­kom­pa­nie. Der Kom­pa­nie­chef, ge­nannt Haupt­mann Bar­ba­ros­sa, hat Ge­burts­tag und gibt ein Bier aus. Die ganze Füh­rung der 3. Kom­pa­nie, Fall­schirm­jä­ger­ba­tail­lon 373, plus ei­ni­ge Un­ter­stüt­zer, wie z. B. die Pio­nie­re, sind da. Au­ßer­dem der Zug­füh­rer des Fox­trott-Zuges, Ober­feld­we­bel Benno, Ober­feld­we­bel Borsti, der Spieß – lang­sam krieg ich die Ge­sich­ter rein und die Namen dazu. Wir trin­ken etwas. Dann geh ich mit Obi zum Du­schen. Noch ein biss­chen mein Zeug sor­tie­ren, diese Zei­len schrei­ben und dann schla­fen. (…) Erst heute hatte die QRF einen TIC, wobei es
den Kom­pa­nie­chef gleich er­wischt hat – Steck­schuss Ober­schen­kel. Den gan­zen Nach­mit­tag bis spät abends krei­sen Kampf­jets über Kun­duz. Wir sind da!

13. März 2010 – Sams­tag
Wir mar­schie­ren los. Mul­mi­ges Ge­fühl. Ich bin, Gott sei Dank, mit Ori­en­tie­ren und Füh­ren be­schäf­tigt, so­dass ich wenig zum Grü­beln komme. Aber ir­gend­wie rech­ne ich an jeder Ecke damit, dass es kracht. Dann mit­ten in Kun­duz ein plop­pen­des Ge­räusch und selt­sa­mer Ge­ruch aus mei­nem Trans­port­pan­zer, der den Ge­stank der Stadt kurz­zei­tig über­tüncht. Pa­ni­sches Ge­quat­sche mit Wolle über Bord­ver­stän­di­gung. Es dau­ert, bis ich ei­ni­ger­ma­ßen de­tail­lier­te In­for­ma­tio­nen von ihm krie­ge, was mit un­se­rem Trans­port­pan­zer los ist und ich an Ober­leut­nant Mike mel­den kann.
Es stellt sich her­aus, dass die Feu­er­lösch­an­la­ge mit Halon aus­ge­löst hat. Wir hal­ten mit­ten in der Stadt an und las­sen Nah­si­che­rer ab­sit­zen. Hab keine Ge­le­gen­heit zu re­gis­trie­ren, wie hei­kel diese Si­tua­ti­on ist und mit Wolle, der immer noch pa­nisch rum­springt und plap­pert, ver­su­che einen Sach­stand zu be­kom­men. Dann, nach end­lo­sen Mi­nu­ten, geht’s wei­ter.

15. März 2010 – Mon­tag
Lasse meine schwe­ren Waf­fen auf der Höhe in Stel­lung gehen. Hier oben sieht es so aus wie bei Ver­dun 1916. Lauf­grä­ben, Hes­co­bun­ker und Sand­sack­stel­lun­gen – wie im Film. (…) Gegen 1430 Uhr – ich hab mich end­lich in den Schat­ten ver­zo­gen – kracht es. Da­nach noch zwei, drei wei­te­re De­to­na­tio­nen. Ich sprin­ge in die Stel­lung. Hef­ti­ges MG- und Gra­nat­ma­schi­nen­waf­fen-Feuer. Der Golf-Zug wird mit RPG’s an­ge­grif­fen. Beide Trans­port­pan­zer ge­trof­fen. (…) Über drei Stun­den
immer wie­der hef­ti­ge Feu­er­ge­fech­te. Wir sehen die Ein­schlä­ge der Gra­nat­ma­schi­nen­waf­fe, hören und sehen MG-Feuer, kön­nen aber kei­nen Feind auf­klä­ren. Alles nur etwa 1,5 Ki­lo­me­ter weg von uns im Be­reich west­lich der Ort­schaft Isa Khel. Un­ter­halb un­se­rer Stel­lun­gen geht der All­tag un­ge­ach­tet des Ge­fechts wei­ter. Bau­ern auf den Fel­dern – Kin­der.

2. April 2010 – Kar­frei­tag
Un­ru­hig und nicht ge­ra­de fest ge­schla­fen. (…) Bin mit Toni auf dem Wach­turm. Gegen 1000 Uhr kommt ein af­gha­ni­scher Po­li­zist zu uns rauf. Mit Hän­den und Füßen hole ich mir In­for­ma­tio­nen über die Ta­li­ban im Nor­den von Cha­har Dara. (…) Gegen 1300 Uhr Hek­tik auf der Zug­fre­quenz. Ich ver­mu­te Tro­ops in Con­ta­ct und habe Recht. (…) Com­pound be­schos­sen. Plötz­lich kommt ein wich­tig aus­se­hen­der Af­gha­ne mit In­ter­pre­ter und drei af­gha­ni­schen Po­li­zis­ten im Schlepp­tau auf den Wach­turm und be­rich­tet von einem Feu­er­ge­fecht. Tac­ti­cal Ope­ra­ti­on Cen­ter-In­for­ma­ti­on über Te­tra­pol: „Blitz­schlag“ – ein Ver­wun­de­ter.

Lasse Rille we­cken und den Trans­port­pan­zer von der Mauer in die Mitte des Po­li­zei­haupt­quar­tiers vor­zie­hen und stel­le mich dar­auf ein, even­tu­ell Force Pro­tec­tion mit Obi für den Be­weg­li­chen Arzt­trupp zu stel­len. Hek­tik. Meh­re­re Ver­wun­de­te. Thom­my hat’s wohl er­wischt. Arm- und Bein­tref­fer.

1344 Uhr: IRF beim Mel­de­punkt Weser im An­marsch. Zug Golf hat Thom­my ge­bor­gen und ver­sucht ihn zum Fahr­zeug zu brin­gen. Bar­ba­ros­sa plant, die Ver­wun­de­ten bei Höhe 432 mit Black Hawk holen zu las­sen. 1350 Uhr: IRF pas­siert Po­li­zei­haupt­quar­tier in Rich­tung Höhe 431. Zug Golf hat drei Ver­wun­de­te – Thom­my am Bein, ein wei­te­rer am Kopf, ein wei­te­rer eben­falls am Bein. 1355 Uhr: Zwei Black Hawks krei­sen über der Höhe 432. Pit mel­det, Motor Schüt­zen­pan­zer springt nicht mehr an. Zug Golf kann sich nicht lösen. Obi kommt mit Be­weg­li­chem Arzt­trupp nicht ran. Zug Golf mel­det Be­ginn Re­ani­ma­ti­on und schreit nach Be­weg­li­chem Arzt­trupp. Flie­ger­leit­trupp mel­det Show-of-Force in we­ni­gen Mi­nu­ten. Funk­spruch von Bar­ba­ros­sa – Auf­ge­ses­sen! Tac­ti­cal Ope­ra­ti­ons Cen­ter mel­det 18 wei­te­re In­sur­gents von Haji Ama­nulla in Rich­tung Isa Khel. Obi ist jetzt end­lich
bei Zug Golf (1407 Uhr). Ge­schreie im Funk. Thom­my noch vorne – noch nicht sta­bil. Kom­pa­nie­chef ruhig. Bei Zug Golf im Hin­ter­grund MG-Feuer. Ich zit­te­re leicht. Ver­damm­te Schei­ße. Ich kann hier nichts ma­chen. Jungs, bringt die Ver­wun­de­ten raus!
(…)
1417 Uhr Me­di­cal Evacua­ti­on lan­det. Zug Fox­trott bei Zug Golf. (…) Ver­brin­gen zwei­ten Ver­wun­de­ten. IRF mit einem Fahr­zeug und Be­weg­li­chem Arzt­trupp zu Zug Golf – holen rest­li­che Ver­wun­de­te. (…) Zug Golf mar­kiert und weicht unter Rauch aus. De­ckungs­feu­er von den Schüt­zen­pan­zern. Die Black Hawks krei­sen wie­der. (…) 1457 Uhr Zug Golf be­nö­tigt Berg­ebe­reit­schaft für Dingo. Bar­ba­ros­sa mel­det: „IRF hat keine Berg­ebe­reit­schaft.“ Dingo wird ver­mut­lich auf­ge­ge­ben.
(…)
1510 Uhr: Feuer von Wes­ten aus dem Be­reich Mel­de­punkt 92. Wir gehen mit
dem Trans­port­pan­zer in Stel­lung nach Wes­ten. Zug Golf mel­det RPG-Tref­fer in Dingo – rollt aber noch. 1528 mel­det wei­te­ren Schwer­ver­letz­ten bei einem Com­pound.
1530 Uhr Ruhe im Be­reich Zug Golf. Ber­gung von Ma­te­ri­al aus an­ge­spreng­tem Dingo. Dann Knall und Rauch süd­lich von uns. (…) Wir kön­nen nichts auf­klä­ren. Ich lasse mit MG und Gra­nat­ma­schi­nen­waf­fe ent­lang der Erd­hü­gel ab­streu­en. Ich melde über Kom­pa­nie-Kreis, dass wir an­ge­grif­fen wer­den. (…) Toni häm­mert an der Schu­le vor­bei. Hat dort Feind auf­ge­klärt. Lasse immer wie­der Gra­nat­ma­schi­nen­waf­fe nach Nor­den schie­ßen. (…) Das Drama in Isa Khel geht wei­ter.

3. April 2010 – Sams­tag
Ab 2100 Uhr stel­len wir die To­ten­wa­che. Chris und ich sind von 0030-0130 Uhr dran. Mor­gen ist so wohl gegen halb zehn Trau­er­fei­er. Nach­mit­tags Über­füh­rung der Särge nach Deutsch­land. Bin ge­spannt, was das in den Me­di­en und der Po­li­tik noch für Wel­len schlägt und wie wir hier die nächs­ten Mo­na­te wei­ter­ma­chen. Jetzt den Kopf in den Sand zu ste­cken, wäre be­stimmt fatal. Den Er­folg und die Ge­nug­tu­ung soll­ten wir den Arsch­lö­chern nicht geben. (…) Vor allem herrscht neben der Trau­er Frus­tra­ti­on dar­über, dass wir dau­ernd ein­ste­cken müs­sen, aber nie wirk­lich mit aller Macht zu­rück­schla­gen dür­fen und er­kann­te In­sur­gents ein­fach mit den Jets weg­bom­ben kön­nen, bevor sie uns wie­der Ver­lus­te zu­fü­gen. Aber im Mo­ment ist es so schwer für mich, auch nur daran zu den­ken, wie­der raus­zu­fah­ren. Das wird die Hölle!

11. April 2010 – Sonn­tag
Gegen 0945 sitze ich wie­der drau­ßen. Marco ist auch da. Plötz­lich hören wir es rich­tig nah pfei­fen – Ra­ke­te. Wir sprin­gen auf, lau­fen in die Con­tai­ner und alar­mie­ren alle. Dann geht die Si­re­ne. Wir gehen ins Atri­um. Diese dre­cki­gen Wich­ser!
Geht mir lang­sam auf die Ner­ven! 1045 Uhr: Bun­ker­alarm auf­ge­ho­ben, aber Ra­ke­ten­war­nung bleibt be­stehen.

4. Juli 2010 – Sonn­tag
End­lich dann ver­trau­te Land­schaf­ten – A93 – Wei­den – B22 – Orts­schild Ober­viecht­ach. Ir­gend­wie ist alles an­ders als die letz­ten Mo­na­te, wie auf einem an­de­ren Stern. (…) Hab meine Mum an­ge­ru­fen, um ab­ge­holt zu wer­den. (…) Ich stei­ge ins Auto – Small­talk. Bli­cke wie­der ver­träumt aus dem Fens­ter. Ver­trau­te Land­schaf­ten und Orte. Es hat sich schein­bar nichts ver­än­dert – und doch hat sich so viel ver­än­dert – ir­gend­wo­an­ders auf die­ser Welt. Ich bin wie­der zu Hause!


 

„Hier ist Krieg“
Af­gha­ni­stan-Ta­ge­buch 2010
von Mar­kus Götz, her­aus­ge­ge­ben von Chris­ti­an Hart­mann.
Van­den­ho­ek & Ru­precht, 2021
486 Sei­ten, 45 Euro

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