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Flot­te gegen Flot­te

Mit der glo­ba­len Kon­fron­ta­ti­on zwi­schen den USA, China und Russ­land wächst die Be­deu­tung der Ma­ri­nen der Gro­ß­mäch­te. Ein Re­likt des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts könn­te wie­der­keh­ren: die große See­schlacht. Die ame­ri­ka­ni­schen Flug­zeug­trä­ger­ver­bän­de könn­ten in einem Krieg mit der Volks­re­pu­blik China die ent­schei­den­de Rolle spie­len. China hat in­zwi­schen die grö­ß­te Ma­ri­ne der Welt und baut seine Fä­hig­kei­ten zur Macht­pro­jek­ti­on aus. Russ­land stellt dem­nächst wie­der Schlacht­kreu­zer in Dienst – aus­ge­rüs­tet mit Waf­fen­tech­nik auf dem neu­es­ten Stand.

Ge­ball­te See­macht im In­do­pa­zi­fik: Die US Navy und die ja­pa­ni­sche Ma­ri­ne bei einem ge­mein­sa­men Ma­nö­ver – ge­führt vom Flug­zeug­trä­ger USS Ro­nald Rea­gan.

Foto: Kaila V. Pe­ters/U.S. Navy

chinaMa­ri­neruss­landUSA

Ei­ni­ge Tage vor dem Über­fall Russ­lands auf die Ukrai­ne am 24. Fe­bru­ar konn­ten die Be­woh­ner Is­tan­buls die Durch­fahrt eines hal­ben Dut­zends rus­si­scher Lan­dungs­schif­fe und meh­re­rer U-Boote durch den Bos­po­rus, der Meer­enge zwi­schen dem eu­ro­päi­schen und dem asia­ti­schen Teil der Tür­kei, be­ob­ach­ten. Die Schif­fe waren nicht die ein­zi­gen, die be­reits seit ge­rau­mer Zeit die rus­si­sche Schwarz­meer­flot­te ver­stärk­ten. Sie kamen aus der Ark­tis und dem Pa­zi­fik, es han­del­te sich neben den U-Boo­ten und den Lan­dungs­schif­fen vor allem um mit Ra­ke­ten be­waff­ne­te Kor­vet­ten. Auf­fäl­lig waren die vie­len Hilfs­schif­fe, die üb­li­cher­wei­se nicht für Ma­nö­ver – wie vom Kreml lange Zeit be­haup­tet – ver­wen­det wer­den, son­dern für die Re­pa­ra­tur von Kampf­schä­den.

Ex­per­ten wie dem Si­cher­heits­ana­lys­ten H.I. Sut­ton wurde des­halb schon vor Kriegs­aus­bruch klar, dass Zu­sam­men­set­zung und Po­si­tio­nie­rung der rus­si­schen Ein­hei­ten vor der Küste der Ukrai­ne für einen groß­flä­chi­gen An­griff spre­chen. Sut­ton un­ter­hält den Ma­ri­ne-Blog „Co­vert Shores“ (Ver­steck­te Ufer), der als einer der bes­ten sei­ner Art gilt. Ihm fiel auch die un­ge­wöhn­lich dich­te Kon­zen­tra­ti­on von rus­si­schen Kriegs­schif­fen im öst­li­chen Mit­tel­meer auf – of­fen­sicht­lich, um eine mög­li­che Ein­mi­schung der NATO in den Krieg gegen die Ukrai­ne zu ver­hin­dern.

Der Flot­ten­auf­marsch die­ser spe­zia­li­sier­ten Schif­fe dien­te of­fen­kun­dig der stra­te­gi­schen Ver­stär­kung der rus­si­schen In­va­si­on ins Nach­bar­land von der See­sei­te aus und der Ver­sor­gung von im Kriegs­ver­lauf ent­ste­hen­den Brü­cken­köp­fen an der ukrai­ni­schen Küste. Damit er­fül­len diese Ein­hei­ten der rus­si­schen Ma­ri­ne eine in­zwi­schen klas­sisch ge­wor­de­ne Funk­ti­on mo­der­ner See­streit­kräf­te: Un­ter­stüt­zung von Ope­ra­tio­nen an Land, den so ge­nann­ten Joint Ope­ra­ti­ons, auch Strike Ope­ra­ti­ons ge­nannt. An den Land­krie­gen der ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­te war so gut wie immer auch die Ma­ri­ne be­tei­ligt – sei es, indem sie Land­zie­le be­schoss, den küs­ten­na­hen Luft­raum über­wach­te, Lan­dungs­ope­ra­tio­nen durch­führ­te oder den Nach­schub über See si­cher­stell­te. Umso emp­find­li­cher traf es die Rus­sen, als es der Ukrai­ne ge­lang, am 14. April aus­ge­rech­net das Flagg­schiff der rus­si­schen Schwarz­meer­flot­te, den Lenk­waf­fen­kreu­zer „Mosk­wa“, mit zwei Tref­fern von „Nep­tun“-Anti-Schiffs-Ra­ke­ten zu ver­sen­ken.

Von An­be­ginn der his­to­ri­schen Auf­zeich­nung spiel­ten See­streit­kräf­te eine her­aus­ra­gen­de Rolle. In der See­schlacht von Sa­la­mis 480 v. Chr., der grö­ß­ten in der An­ti­ke, foch­ten die alten Grie­chen und die Per­ser einen Kampf um die Vor­macht im Mit­tel­meer­raum aus. Diese Schlacht war so be­deu­tend, dass His­to­ri­ker in ihr ge­ra­de­zu das Zen­tral­er­eig­nis der abend­län­di­schen Ge­schich­te sehen, das dazu führ­te, dass Eu­ro­pas Zi­vi­li­sa­ti­on sich gegen die des Os­tens be­haup­te­te. Auch der Kon­flikt zwi­schen dem Rö­mi­schen Reich und Kar­tha­go wurde auf See ent­schie­den. 1588 be­gann der Auf­stieg Eng­lands zum welt­wei­ten Im­pe­ri­um mit der Ver­nich­tung der spa­ni­schen Ar­ma­da durch die eng­li­sche Flot­te. 1805 schlu­gen die Bri­ten in der See­schlacht bei Tra­fal­gar die Fran­zo­sen und si­cher­ten sich für hun­dert Jahre die Vor­herr­schaft auf den Welt­mee­ren.

Brei­tes Spek­trum

Noch im 20. Jahr­hun­dert tra­ten krieg­füh­ren­de Mäch­te in gi­gan­ti­schen See­schlach­ten ge­gen­ein­an­der an: die Ska­ger­rak­schlacht 1916, die Schlach­ten um Mid­way und Gua­dal­ca­nal 1942, die See- und Luft­schlacht um die Falk­land-In­seln 1982, um nur ei­ni­ge zu nen­nen. Allen die­sen Er­eig­nis­sen ge­mein ist, dass mehr oder we­ni­ger große Ma­ri­ne­ver­bän­de auf hoher See auf­ein­an­der­tra­fen und ta­ge­lang mit­ein­an­der ran­gen, ehe einer der Kon­tra­hen­ten ge­schla­gen war. „Das klas­si­sche See­ge­fecht Flot­te gegen Flot­te wie bei Mid­way oder im Ska­ger­rak ist un­wahr­schein­lich ge­wor­den“, sagt der Ma­ri­ne­ex­per­te Se­bas­ti­an Bruns, so­eben als Mc­Cain-Ful­b­right-Gast­pro­fes­sor an der US-Naval Aca­de­my in An­na­po­lis nach Deutsch­land zu­rück­ge­kehrt, im Ge­spräch mit loyal. Statt­des­sen ist einer der Trends der ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­te die ge­mein­sa­me Ope­ra­ti­on mit Land- und Luft­streit­kräf­ten, wie der rus­si­sche Feld­zug gegen die Ukrai­ne zeigt. „See­streit­kräf­te müs­sen heute teil­streit­kräf­te­ge­mein­sam den­ken. Sie müs­sen ein sehr brei­tes Spek­trum der Nut­zung der See be­herr­schen“, be­tont Bruns.

Das ame­ri­ka­ni­sche Kampf­flug­zeug F-35 und Lenk­waf­fen­zer­stö­rer wie die USS „Zum­walt“ un­ter­strei­chen die ame­ri­ka­ni­schen See­macht-Am­bi­tio­nen. (Foto: Andy Wolfe/U.S. Navy)

Eine zwei­te Ten­denz der ver­gan­ge­nen De­ka­den ist neben den Joint Ope­ra­ti­ons zu­sam­men mit Heer und Luft­waf­fe der Ein­satz bei Sta­bi­li­sie­rungs­ope­ra­tio­nen aller Art. Ma­ri­nen sind heute bei der Em­bar­go­über­wa­chung eben­so ge­for­dert wie bei Anti-Pi­ra­te­rie-Ein­sät­zen. Sie un­ter­stüt­zen bei Flücht­lings­kri­sen – etwa im Rah­men der Ope­ra­ti­on „So­phia“ von 2015 bis 2019 vor der li­by­schen Küste – oder wir­ken als Trup­pen­trans­por­ter wie im Irak-Krieg. In der Regel agie­ren sie dabei am un­te­ren Ende des In­ten­si­täts­spek­trums in einer ten­den­zi­ell nicht-feind­li­chen Um­ge­bung. „Die Fä­hig­kei­ten, in feind­li­cher Um­ge­bung zu ope­rie­ren oder gegen geg­ne­ri­sche Ver­bän­de zu kämp­fen, ist in Tei­len ver­küm­mert“, kon­sta­tiert Pa­trick Ro­the­hü­ser, Ex­per­te für Ma­rine­stra­te­gie am Bun­des­wehr-Thinktank GIDS in Ham­burg. Glei­ches gilt für den High-End-Kampf wie die U-Boot-Jagd oder den Kampf gegen feind­li­che Flug­zeu­ge.

Nach dem Ende der Ära der gro­ßen, alles ent­schei­den­den See­schlacht und vor allem nach dem Fall des Ei­ser­nen Vor­hangs An­fang der 1990er-Jahre ging der Trend zu nied­ri­ge­ren Bud­gets und klei­ne­ren Flot­ten. Deutsch­land re­du­zier­te bei­spiels­wei­se die Zahl sei­ner U-Boote von 24 auf 6. Die US-Navy hatte 1990 rund 500 Kampf­schif­fe im Ein­satz, jetzt sind es noch knapp 300. Dä­ne­mark schaff­te seine U-Boot-Flot­te ganz ab. Doch ist Stück­zahl nicht die ganze Wahr­heit. Die Volks­re­pu­blik China be­sitzt mitt­ler­wei­le zah­len­mä­ßig die grö­ß­te Kriegs­ma­ri­ne der Welt, den­noch gehen Ex­per­ten davon aus, dass die US-Navy der chi­ne­si­schen Flot­te an Kampf­kraft deut­lich über­le­gen ist – noch, denn die Chi­ne­sen holen ra­sant auf. Und das birgt die Ge­fahr, dass das Zeit­al­ter der gro­ßen See­schlach­ten viel­leicht doch nicht vor­über ist.

Auch für die Deut­sche Ma­ri­ne haben Ra­ke­ten­sys­te­me große Be­deu­tung, wie die Fre­gat­te „Sach­sen“ in einem Übungs­ge­biet vor Süd­afri­ka be­wie­sen hat. (Foto: Bun­des­wehr)

Die hohe Kampf­kraft der Ame­ri­ka­ner liegt am vier­ten Trend bei den See­streit­kräf­ten: deut­lich ver­bes­ser­te Waf­fen­tech­no­lo­gie. Eine ge­rin­ge­re An­zahl von Schif­fen wird durch hö­he­re Reich­wei­ten, ge­stei­ger­te Prä­zi­si­on der Sen­so­ren und grö­ße­re Wirk­sam­keit der Waf­fen wett­ge­macht. „Eine Fre­gat­te der deut­schen Klas­se F124 kann heute mit ihrem Radar die ge­sam­te Nord­see über­wa­chen“, sagt Ma­rine­stra­te­ge Ro­the­hü­ser. Dass die ge­rin­ge­re Stück­zahl und die grö­ße­re tech­ni­sche Per­for­mance al­ler­dings auch ver­letz­li­cher macht, be­un­ru­higt Se­bas­ti­an Bruns von der US-Naval Aca­de­my in An­na­po­lis: „Die Ver­wund­bar­keit von See­streit­kräf­ten führt dazu, dass ein po­ten­zi­el­ler Geg­ner durch eine ein­zi­ge At­ta­cke auf ein Kriegs­schiff einen gro­ßen, auch öf­fent­lich­keits­wirk­sa­men Scha­den an­rich­ten kann. Man denke nur an den An­schlag auf die USS „Cole“ im Hafen von Aden im Jemen am 12. Ok­to­ber 2000 oder die Ha­va­rie der nor­we­gi­schen Fre­gat­te HnoMS „Helge Ing­s­tad“ am 8. No­vem­ber 2018, die die nor­we­gi­sche Ma­ri­ne auf einen Schlag 20 Pro­zent ihrer Ma­ri­ne­ka­pa­zi­tät kos­te­te.“ Oder eben auch an die Ver­sen­kung der „Mosk­wa“ in die­sem Früh­jahr.

Ver­bün­de­te Ma­ri­nen ver­su­chen, die Ver­wund­bar­keit ihrer tech­nisch hoch­ge­züch­te­ten see­ge­hen­den Ein­hei­ten durch bes­se­re Zu­sam­men­ar­beit zu kom­pen­sie­ren. Nicht nur die Ma­ri­nen in­ner­halb der NATO ko­ope­rie­ren aufs Engs­te, je nach Ein­satz kom­men auch Ein­hei­ten an­de­rer Län­der hinzu. Das ist der fünf­te Trend, der sich seit Jahr­zehn­ten ab­zeich­net: mul­ti­na­tio­na­les Mit­ein­an­der. Am Anti-Pi­ra­te­rie-Ein­satz Ata­lan­ta am Horn von Afri­ka war eine Viel­zahl von Na­tio­nen be­tei­ligt, auch Nicht-NATO-Mit­glie­der wie Neu­see­land oder Finn­land.

Wen­de­punkt

Ob sich diese ge­nann­ten Trends al­le­samt fort­set­zen, wird in der Ma­ri­ne­sze­ne ak­tu­ell dis­ku­tiert. Vie­les steht in Frage. Man­che Ex­per­ten sehen die See­mäch­te an einem Wen­de­punkt. Dies ist daran zu er­ken­nen, dass große Ein­hei­ten wie­der an Be­deu­tung ge­win­nen. Flug­zeug­trä­ger­ver­bän­de blie­ben bei Auf­ga­ben wie der Em­bar­go­über­wa­chung oder der Pi­ra­te­rie­be­kämp­fung außen vor. Sie waren zu groß dafür. Im glo­ba­len Kon­flikt zwi­schen der Volks­re­pu­blik China und den USA könn­te ihnen hin­ge­gen wie­der eine be­deu­ten­de Rolle zu­fal­len. „Macht­pro­jek­ti­on kommt wie­der in Mode“, sagt Pa­trick Ro­the­hü­ser vom GIDS, denn: „Die Be­dro­hungs­wahr­neh­mun­gen än­dern sich, und die Not­wen­dig­keit der Auf­recht­erhal­tung der Frei­heit der See­we­ge nimmt zu.“ Ro­the­hü­ser denkt dabei nicht nur an das Süd­chi­ne­si­sche Meer, für das China die al­lei­ni­ge Kon­trol­le be­an­sprucht, son­dern auch an die Stra­ße von Hor­muz oder an­de­re Eng­stel­len, die von ag­gres­si­ven An­rai­nern blo­ckiert wer­den könn­ten.

Dazu passt, dass die rus­si­sche Ma­ri­ne einen still­ge­leg­ten Schlacht­kreu­zer wie­der flott­macht. Die 1986 vom Sta­pel ge­lau­fe­ne und schon 1999 in den Ru­he­stand ge­schick­te „Ad­mi­ral Nachi­mow“ wird bis 2023 um­fas­send mo­der­ni­siert und be­kommt 174 Start­an­la­gen für ins­ge­samt 300 Flug­kör­per – eine ge­wal­ti­ge rüs­tungs­tech­ni­sche Aus­stat­tung, wenn man be­denkt, dass die ge­sam­te Deut­sche Ma­ri­ne nur über 160 ver­gleich­ba­re An­la­gen ver­fügt, und zwar auf den Fre­gat­ten der Klas­sen F123 und F124. Au­ßer­dem  wird die „Ad­mi­ral Nachi­mow“ mit dem Hy­per­schall­glei­ter „Tsir­kon“ aus­ge­stat­tet. Damit kann das Schlacht­schiff ganze US-Flug­zeug­trä­ger­grup­pen be­dro­hen. Und die „Ge­ne­ral Nachi­mow“ ist nicht das ein­zi­ge Schiff, das Russ­land der­art auf­peppt: Das eben­falls aus­ge­mus­ter­te Schwes­ter­schiff „Pjotr We­li­kii“ durch­läuft ak­tu­ell den­sel­ben Mo­der­ni­sie­rungs­pro­zess und soll 2024 wie­der in Dienst ge­stellt wer­den. Kos­ten pro Schiff: rund 1,5 Mil­li­ar­den Euro.

Kurz vor Be­ginn des Über­falls auf die Ukrai­ne ver­stärk­te Mos­kau seine Schwarz­meer­flot­te. Unter an­de­rem pas­sier­te am 13. Fe­bru­ar das U-Boot „Ros­tow“ den Bos­po­rus. (Foto: pic­tu­re al­li­an­ce/EPA)

Gi­gan­tis­mus herrscht bei den Rus­sen auch unter Was­ser: Im April 2019 lief in Se­werod­winsk ein sage und schrei­be 14.700 Ton­nen schwe­res Rie­sen-U-Boot vom Sta­pel, die „Bel­go­rod“, 40 Meter grö­ßer als ame­ri­ka­ni­sche U-Boote der Vir­gi­nia-Klas­se und dop­pelt so groß wie die Ein­hei­ten der bri­ti­schen As­tu­te-Klas­se. Die „Bel­go­rod“ wird als Mut­ter­schiff für be­mann­te und un­be­mann­te Un­ter­was­ser­fahr­zeu­ge und Droh­nen­schwär­me die­nen und be­kommt ein gan­zes Ar­se­nal von Waf­fen, unter an­de­rem das Sta­tus-6-Ocea­nic-Sys­tem, ein au­to­no­mes Nu­kle­ar-An­griffs­sys­tem, das das Zeug hat, die US-Ab­wehr zu um­ge­hen. Wirk­lich neu sind diese Waf­fen nicht, aber sie wer­den immer ef­fi­zi­en­ter.

„In der Waf­fen­tech­no­lo­gie auf See gibt es ak­tu­ell keine Re­vo­lu­ti­on wie sei­ner­zeit die Er­fin­dung des U-Boots oder der Ma­ri­ne­flie­ger, die die See­krieg­füh­rung grund­le­gend ver­än­dert haben“, sagt GIDS-Ex­per­te Ro­the­hü­ser. Auch Se­bas­ti­an Bruns rät zur Vor­sicht bei an­geb­li­chen „Wun­der­waf­fen der Zu­kunft“, wie er sagt. „Hy­per­schall­waf­fen oder elek­tro­ma­gne­ti­sche Rail­guns sind Mög­lich­kei­ten am obe­ren Ende der For­schung, die mit­ge­dacht wer­den müs­sen. Am un­te­ren Ende des Spek­trums ge­sche­hen aber weit­aus in­ter­es­san­te­re Dinge.“ Bruns hat dabei Smart Mines im Sinn, die am Mee­res­bo­den aus­har­ren, um zu einem ge­wis­sen Zeit­punkt ak­ti­viert zu wer­den. Oder Schwar­m­in­tel­li­gen­zen, die zu Hun­der­ten oder Tau­sen­den dis­lo­ziert die klas­si­sche See­krieg­füh­rung be­ein­flus­sen kön­nen. Ro­the­hü­ser sieht vor allem un­be­mann­te Platt­for­men – auf und unter dem Was­ser – als wich­ti­ge Zu­kunfts­ent­wick­lun­gen an, und zwar aus zwei ent­schei­den­den Grün­den: Sie sind aus­dau­ern­der als be­mann­te Sys­te­me und sie er­mög­li­chen auch Ein­sät­ze unter In­kauf­nah­me hö­he­rer Ri­si­ken. Die kürz­li­che Spren­gung der Nord-Stream-Pipe­lines auf dem Grund der Ost­see ver­mut­lich durch Russ­land hat ge­zeigt, das auch die­ser so­ge­nann­te Se­abed-War­fa­re an Be­deu­tung ge­winnt: der Krieg auf dem Mee­res­bo­den. Ge­ra­de der Wes­ten ist durch Lei­tun­gen quer durch Meere und Ozea­ne ex­trem ver­wund­bar.

Das Pro­gramm zum Bau von küs­ten­nah ope­rie­ren­den so­ge­nann­ten Lit­to­ral Com­bat Ships – hier die USS „Ga­bri­el­le Gif­fords“ – ge­riet zu einem rüs­tungs­po­li­ti­schen De­ba­kel. (Foto: Allen Mi­cha­el Amani/US Navy)

In­ter­es­san­ter­wei­se tut sich in einem Be­reich, der seit dem Kal­ten Krieg und bis heute für die Ab­schre­ckung von im­menser Be­deu­tung war und ist, tech­nisch nicht viel: bei den stra­te­gi­schen U-Boo­ten. Ge­ne­ra­ti­on um Ge­ne­ra­ti­on die­ser Ein­hei­ten wer­den von den Atom­mäch­ten ge­baut, Jahr um Jahr durch­pflü­gen sie sto­isch und laut­los die Welt­mee­re, die meis­te Zeit ge­taucht und un­er­kannt für den Geg­ner – stets be­reit, ihre ein­zi­ge Waffe, nu­klea­re In­ter­kon­ti­nen­tal­ra­ke­ten, ab­zu­feu­ern, die einem An­grei­fer den fi­na­len Zweit­schlag ver­set­zen und wo­mög­lich alles Leben aus­lö­schen. Ihre Rolle hat sich seit 60 Jah­ren nicht ver­än­dert – es sind Start­platt­for­men für Atom­ra­ke­ten ohne tak­ti­sche Be­deu­tung. Es gibt keine Hin­wei­se, dass sich diese Rolle dem­nächst ver­än­dern wird.

Glo­ba­le Macht­pro­jek­ti­on

Die schlag­kräf­tigs­te Ma­ri­ne der Welt, die US Navy, ist ak­tu­ell noch die ein­zi­ge, die eine glo­ba­le Macht­pro­jek­ti­on dar­stel­len kann, auch wenn die Chi­ne­sen mit Sie­ben­mei­len­stie­feln auf­ho­len. Ste­hen­de Flot­ten der Ame­ri­ka­ner in Eu­ro­pa, im Per­si­schen Golf oder in Asien sor­gen dafür, dass die USA über­all dort, wo es wich­tig ist, prä­sent sind. Ame­ri­kas Ma­ri­ne ist eine Hoch­see­ma­ri­ne, die Flach- und Küs­ten­ge­wäs­ser mei­det. Des­halb sind die Mi­nen­ab­wehr und See­ziel­flug­kör­per­ab­wehr ihre Achil­les­fer­se. Rüs­tungs­de­ba­kel wie das Lit­to­ral Com­bat Ship mit ex­or­bi­tan­ten Preis­stei­ge­run­gen, aus­ufern­den Lie­fer­zei­ten und der schluss­end­li­chen Au­ßer­dienst­stel­lung nach nur kur­zer Zeit stel­len die Ma­ri­ne der Ver­ei­nig­ten Staa­ten mitt­ler­wei­le vor sys­te­mi­sche Pro­ble­me.

Die rus­si­sche Ma­ri­ne ist hin­ge­gen ak­tu­ell nicht zu einer glo­ba­len Macht­pro­jek­ti­on fähig, aber der au­to­kra­tisch re­gie­ren­de Prä­si­dent Wla­di­mir Putin hat ihr mit sei­ner kürz­lich er­las­se­nen neuen Ma­ri­ne­dok­trin große Auf­ga­ben ge­stellt, und er hat dabei die ganze Welt im Blick (siehe In­ter­view). „Das heu­ti­ge Russ­land kann ohne eine star­ke Flot­te nicht exis­tie­ren“, heißt es in der Dok­trin. Russ­land werde seine In­ter­es­sen auf den Welt­mee­ren „stark und ent­schlos­sen ver­tei­di­gen“.

Chi­nas ers­ter Flug­zeug­trä­ger „Liao­ning“ stamm­te ur­sprüng­lich aus der So­wjet­uni­on. Pe­king kauf­te ihn 1998 von einer ukrai­ni­schen Werft. Das Bild zeigt die „Liao­ning“ bei einem Be­such in Hong­kong im jahr 2017. (Foto: pic­tu­re al­li­an­ce/EPA)

Mo­men­tan feh­len Putin noch die Flug­zeug­trä­ger für glo­ba­le Am­bi­tio­nen. Russ­land be­sitzt nur einen ein­zi­gen, die 30 Jahre alte „Ad­mi­ral Kus­netzow“, und der ist eher be­kannt für seine Pan­nen. Zu­letzt be­fand er sich in einer Ge­ne­ral­über­ho­lung. Al­ler­dings gibt es Stu­di­en des Sankt Pe­ters­bur­ger Kon­struk­ti­ons­bü­ros PKB, die zwei neue Ein­hei­ten pro­jek­tie­ren, dar­un­ter einen Trä­ger unter dem Namen „Varan“ mit 45.000 Ton­nen Was­ser­ver­drän­gung für je­weils bis zu 24 be­mann­te Mehr­zweck­kampf­flug­zeu­ge, sechs He­li­ko­pter und 20 un­be­mann­te Flug­ge­rä­te. In der Ver­gan­gen­heit wur­den ähn­li­che Pläne ver­wor­fen. Da Putin aber ge­zielt die Aus­ein­an­der­set­zung mit dem Wes­ten sucht, könn­te es sein, dass die Pro­jekt­stu­di­en dies­mal ver­wirk­licht wer­den, koste es die rus­si­sche Wirt­schaft, was es wolle. Das Pro­blem Russ­lands ist, dass es – an­ders als China – eine Mi­li­tär­macht auf tö­ner­nen Füßen ist; seine Wirt­schafts­leis­tung be­trägt nur gut sie­ben Pro­zent der USA. Der Krieg in der Ukrai­ne und die Sank­tio­nen der Eu­ro­päi­schen Union, der USA und an­de­rer Län­der dürf­ten die Wirt­schaft des Lan­des nach und nach deut­lich schwä­chen – mit nach­hal­ti­gen Fol­gen für die Rüs­tung.

Rück­grat der rus­si­schen Ma­ri­ne ist seine U-Boot-Flot­te. Diese wurde zu­letzt auf­ge­stockt. Ge­plant ist die Sta­tio­nie­rung al­lein von vier neuen Atom-U-Boo­ten der Borei-Klas­se, die als Ab­schuss­ram­pen für Atom­ra­ke­ten die­nen; drei von ihnen be­fin­den sich ak­tu­ell im Bau. Dazu kom­men neue Jagd-U-Boote der Yasen-Klas­se. Sor­gen macht west­li­chen Mi­li­tär­pla­nern die Fä­hig­keit der rus­si­schen U-Boote, ein brei­tes Spek­trum von Mu­ni­ti­on ab­zu­feu­ern: von Droh­nen über ato­mar be­stück­te Tor­pe­dos bis zu Marsch­flug­kör­pern. Die Be­deu­tung der U-Boot-Waffe hat Putin un­ter­stri­chen, indem er Mur­mansk aus dem Mi­li­tär­be­zirk West ab­trenn­te und einen ei­ge­nen, fünf­ten Mi­li­tär­be­zirk für die rie­si­ge Ma­ri­ne­ba­sis schuf.

Mehr zum Thema: Du­et­sche Ma­ri­ne – Zei­ten­wen­de ade?

Woran es den rus­si­schen See­streit­kräf­ten aber man­gelt, ist die stra­te­gi­sche Mo­bi­li­tät und die dafür er­for­der­li­che Trans­port­ka­pa­zi­tät. Hier hinkt Mos­kau weit hin­ter den USA her, deren Ma­ri­ne tra­di­tio­nell eine enor­me Reich­wei­te und Durch­schlags­kraft sowie ein be­ein­dru­cken­des Durch­hal­te­ver­mö­gen hat. 2016 stopp­te die fran­zö­si­sche Re­gie­rung den Ver­kauf von zwei in Frank­reich ge­bau­ten am­phi­bi­schen Schif­fen der Mis­tral-Klas­se an Mos­kau, was den rus­si­schen Ma­ri­ne­pla­nun­gen einen schwe­ren Schlag ver­setz­te. Die Rus­sen wol­len seit Jah­ren eine große Ma­ri­ne­in­fan­te­rie auf­bau­en, für die die bei­den Schif­fe es­sen­zi­ell ge­we­sen wären. Nun ist Russ­land dabei, die aus­ge­blie­be­ne fran­zö­si­sche Lie­fe­rung durch Ei­gen­bau­ten zu er­set­zen.

In­dienst­stel­lungs­ze­re­mo­nie des chi­ne­si­schen Flug­zeug­trä­gers „Shan­dong“, einer Ei­gen­pro­duk­ti­on. Mit ins­ge­samt drei Flug­zeug­trä­gern un­ter­mau­ert die Kom­mu­nis­ti­sche Par­tei ihren welt­wei­ten Macht­an­spruch auf hoher See. (Foto: pic­tu­re al­li­an­ce/Xin­hua News Agen­cy)

Neben den Rand­mee­ren des Nord­at­lan­tiks und der zu­kunfts­träch­ti­gen Nord­ost-Pas­sa­ge vor der si­bi­ri­schen Küste rich­tet Putin nicht erst seit dem Krieg gegen die Ukrai­ne sein Au­gen­merk auf das Schwar­ze Meer, das in sei­ner Stra­te­gie zu einem rus­si­schen Meer wer­den soll. Der Ma­ri­ne­stütz­punkt Tar­tus in Sy­ri­en und die Do­mi­nanz im Schwar­zen Meer hän­gen eng zu­sam­men, um Macht zu­min­dest ins ge­sam­te öst­li­che Mit­tel­meer zu pro­ji­zie­ren. Die Be­set­zung der Krim 2014 und die zeit­wei­se in­ten­si­ven Kämp­fe im ak­tu­el­len Krieg gegen die Ukrai­ne ent­lang der Küste un­ter­strei­chen das Be­stre­ben, das Schwar­ze Meer zu einem Mare Nostrum zu ma­chen. Mos­kau strebt zu die­sem Zweck eine stra­te­gi­sche Part­ner­schaft mit der Tür­kei an, die der Wäch­ter des Bos­po­rus ist. Im Juni 2019 lie­fer­te Russ­land das mo­der­ne S-400-Flug­ab­wehr­ra­ke­ten­sys­tem an An­ka­ra, was dazu führ­te, dass die USA die Tür­kei vom Kauf von F-35-Kampf­flug­zeu­gen aus­schloss. Über­haupt nutzt Putin das schwie­ri­ge Ver­hält­nis der Tür­kei zur EU und An­ka­ras ei­gen­wil­li­ge Ak­tio­nen in­ner­halb der NATO nach Kräf­ten aus, um Prä­si­dent Er­do­gan als Part­ner zu ge­win­nen. Zu­letzt hatte die Tür­kei al­ler­dings ihre leis­tungs­fä­hi­gen Bay­rak­tar-Kampf­droh­nen an die Ukrai­ne ge­lie­fert und rus­si­schen Kriegs­schif­fen die Durch­fahrt durch den Bos­po­rus ver­wei­gert.

China ist durch den Kauf eines aus­ge­dien­ten so­wje­ti­schen Flug­zeug­trä­gers und durch den Bau eines ei­ge­nen Trä­gers, „Liao­ning“ und „Shan­dong“, in die Lage ver­setzt wor­den, seine mi­li­tä­ri­sche Macht mehr und mehr zu pro­ji­zie­ren. Die Volks­re­pu­blik baut ge­zielt ihre Fä­hig­kei­ten aus, über die ei­ge­nen Ge­wäs­ser hin­aus zu wir­ken und be­gibt sich damit immer mehr in di­rek­te Kon­kur­renz zu den USA. Sogar ein drit­ter Flug­zeug­trä­ger-Ei­gen­bau ist auf Kiel ge­legt. Durch die Kon­fron­ta­ti­on der Ma­ri­ne der Volks­re­pu­blik und der der USA könn­te der Pa­zi­fik eines Tages er­neut zum Kriegs­schau­platz wer­den. Schon ein­mal ge­rie­ten die Ver­ei­nig­ten Staa­ten dort mit einer auf­stre­ben­den au­to­ri­tä­ren asia­ti­schen Macht an­ein­an­der: mit Japan. Der Pa­zi­fik­krieg bei­der Staa­ten dau­er­te vier Jahre, von 1941 bis 1945. Er en­de­te mit zwei Atom­bom­ben­ab­wür­fen.

Er­gän­zend zu die­sem Bei­trag: In­ter­view mit dem Ma­ri­ne-Ex­per­ten Prof. Dr. Joa­chim Krau­se


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Das Wesen von See­macht. Die in­ter­na­tio­na­len Be­zie­hun­gen im ma­ri­ti­men Um­feld des 20. und 21. Jahr­hun­derts
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