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Flotte gegen Flotte

Mit der globalen Konfrontation zwischen den USA, China und Russland wächst die Bedeutung der Marinen der Großmächte. Ein Relikt des vergangenen Jahrhunderts könnte wiederkehren: die große Seeschlacht. Die amerikanischen Flugzeugträgerverbände könnten in einem Krieg mit der Volksrepublik China die entscheidende Rolle spielen. China hat inzwischen die größte Marine der Welt und baut seine Fähigkeiten zur Machtprojektion aus. Russland stellt demnächst wieder Schlachtkreuzer in Dienst – ausgerüstet mit Waffentechnik auf dem neuesten Stand.

Geballte Seemacht im Indopazifik: Die US Navy und die japanische Marine bei einem gemeinsamen Manöver – geführt vom Flugzeugträger USS Ronald Reagan.

Foto: Kaila V. Peters/U.S. Navy

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Einige Tage vor dem Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar konnten die Bewohner Istanbuls die Durchfahrt eines halben Dutzends russischer Landungsschiffe und mehrerer U-Boote durch den Bosporus, der Meerenge zwischen dem europäischen und dem asiatischen Teil der Türkei, beobachten. Die Schiffe waren nicht die einzigen, die bereits seit geraumer Zeit die russische Schwarzmeerflotte verstärkten. Sie kamen aus der Arktis und dem Pazifik, es handelte sich neben den U-Booten und den Landungsschiffen vor allem um mit Raketen bewaffnete Korvetten. Auffällig waren die vielen Hilfsschiffe, die üblicherweise nicht für Manöver – wie vom Kreml lange Zeit behauptet – verwendet werden, sondern für die Reparatur von Kampfschäden.

Experten wie dem Sicherheitsanalysten H.I. Sutton wurde deshalb schon vor Kriegsausbruch klar, dass Zusammensetzung und Positionierung der russischen Einheiten vor der Küste der Ukraine für einen großflächigen Angriff sprechen. Sutton unterhält den Marine-Blog „Covert Shores“ (Versteckte Ufer), der als einer der besten seiner Art gilt. Ihm fiel auch die ungewöhnlich dichte Konzentration von russischen Kriegsschiffen im östlichen Mittelmeer auf – offensichtlich, um eine mögliche Einmischung der NATO in den Krieg gegen die Ukraine zu verhindern.

Der Flottenaufmarsch dieser spezialisierten Schiffe diente offenkundig der strategischen Verstärkung der russischen Invasion ins Nachbarland von der Seeseite aus und der Versorgung von im Kriegsverlauf entstehenden Brückenköpfen an der ukrainischen Küste. Damit erfüllen diese Einheiten der russischen Marine eine inzwischen klassisch gewordene Funktion moderner Seestreitkräfte: Unterstützung von Operationen an Land, den so genannten Joint Operations, auch Strike Operations genannt. An den Landkriegen der vergangenen Jahrzehnte war so gut wie immer auch die Marine beteiligt – sei es, indem sie Landziele beschoss, den küstennahen Luftraum überwachte, Landungsoperationen durchführte oder den Nachschub über See sicherstellte. Umso empfindlicher traf es die Russen, als es der Ukraine gelang, am 14. April ausgerechnet das Flaggschiff der russischen Schwarzmeerflotte, den Lenkwaffenkreuzer „Moskwa“, mit zwei Treffern von „Neptun“-Anti-Schiffs-Raketen zu versenken.

Von Anbeginn der historischen Aufzeichnung spielten Seestreitkräfte eine herausragende Rolle. In der Seeschlacht von Salamis 480 v. Chr., der größten in der Antike, fochten die alten Griechen und die Perser einen Kampf um die Vormacht im Mittelmeerraum aus. Diese Schlacht war so bedeutend, dass Historiker in ihr geradezu das Zentralereignis der abendländischen Geschichte sehen, das dazu führte, dass Europas Zivilisation sich gegen die des Ostens behauptete. Auch der Konflikt zwischen dem Römischen Reich und Karthago wurde auf See entschieden. 1588 begann der Aufstieg Englands zum weltweiten Imperium mit der Vernichtung der spanischen Armada durch die englische Flotte. 1805 schlugen die Briten in der Seeschlacht bei Trafalgar die Franzosen und sicherten sich für hundert Jahre die Vorherrschaft auf den Weltmeeren.

Breites Spektrum

Noch im 20. Jahrhundert traten kriegführende Mächte in gigantischen Seeschlachten gegeneinander an: die Skagerrakschlacht 1916, die Schlachten um Midway und Guadalcanal 1942, die See- und Luftschlacht um die Falkland-Inseln 1982, um nur einige zu nennen. Allen diesen Ereignissen gemein ist, dass mehr oder weniger große Marineverbände auf hoher See aufeinandertrafen und tagelang miteinander rangen, ehe einer der Kontrahenten geschlagen war. „Das klassische Seegefecht Flotte gegen Flotte wie bei Midway oder im Skagerrak ist unwahrscheinlich geworden“, sagt der Marineexperte Sebastian Bruns, soeben als McCain-Fulbright-Gastprofessor an der US-Naval Academy in Annapolis nach Deutschland zurückgekehrt, im Gespräch mit loyal. Stattdessen ist einer der Trends der vergangenen Jahrzehnte die gemeinsame Operation mit Land- und Luftstreitkräften, wie der russische Feldzug gegen die Ukraine zeigt. „Seestreitkräfte müssen heute teilstreitkräftegemeinsam denken. Sie müssen ein sehr breites Spektrum der Nutzung der See beherrschen“, betont Bruns.

Das amerikanische Kampfflugzeug F-35 und Lenkwaffenzerstörer wie die USS „Zumwalt“ unterstreichen die amerikanischen Seemacht-Ambitionen. (Foto: Andy Wolfe/U.S. Navy)

Eine zweite Tendenz der vergangenen Dekaden ist neben den Joint Operations zusammen mit Heer und Luftwaffe der Einsatz bei Stabilisierungsoperationen aller Art. Marinen sind heute bei der Embargoüberwachung ebenso gefordert wie bei Anti-Piraterie-Einsätzen. Sie unterstützen bei Flüchtlingskrisen – etwa im Rahmen der Operation „Sophia“ von 2015 bis 2019 vor der libyschen Küste – oder wirken als Truppentransporter wie im Irak-Krieg. In der Regel agieren sie dabei am unteren Ende des Intensitätsspektrums in einer tendenziell nicht-feindlichen Umgebung. „Die Fähigkeiten, in feindlicher Umgebung zu operieren oder gegen gegnerische Verbände zu kämpfen, ist in Teilen verkümmert“, konstatiert Patrick Rothehüser, Experte für Marinestrategie am Bundeswehr-Thinktank GIDS in Hamburg. Gleiches gilt für den High-End-Kampf wie die U-Boot-Jagd oder den Kampf gegen feindliche Flugzeuge.

Nach dem Ende der Ära der großen, alles entscheidenden Seeschlacht und vor allem nach dem Fall des Eisernen Vorhangs Anfang der 1990er-Jahre ging der Trend zu niedrigeren Budgets und kleineren Flotten. Deutschland reduzierte beispielsweise die Zahl seiner U-Boote von 24 auf 6. Die US-Navy hatte 1990 rund 500 Kampfschiffe im Einsatz, jetzt sind es noch knapp 300. Dänemark schaffte seine U-Boot-Flotte ganz ab. Doch ist Stückzahl nicht die ganze Wahrheit. Die Volksrepublik China besitzt mittlerweile zahlenmäßig die größte Kriegsmarine der Welt, dennoch gehen Experten davon aus, dass die US-Navy der chinesischen Flotte an Kampfkraft deutlich überlegen ist – noch, denn die Chinesen holen rasant auf. Und das birgt die Gefahr, dass das Zeitalter der großen Seeschlachten vielleicht doch nicht vorüber ist.

Auch für die Deutsche Marine haben Raketensysteme große Bedeutung, wie die Fregatte „Sachsen“ in einem Übungsgebiet vor Südafrika bewiesen hat. (Foto: Bundeswehr)

Die hohe Kampfkraft der Amerikaner liegt am vierten Trend bei den Seestreitkräften: deutlich verbesserte Waffentechnologie. Eine geringere Anzahl von Schiffen wird durch höhere Reichweiten, gesteigerte Präzision der Sensoren und größere Wirksamkeit der Waffen wettgemacht. „Eine Fregatte der deutschen Klasse F124 kann heute mit ihrem Radar die gesamte Nordsee überwachen“, sagt Marinestratege Rothehüser. Dass die geringere Stückzahl und die größere technische Performance allerdings auch verletzlicher macht, beunruhigt Sebastian Bruns von der US-Naval Academy in Annapolis: „Die Verwundbarkeit von Seestreitkräften führt dazu, dass ein potenzieller Gegner durch eine einzige Attacke auf ein Kriegsschiff einen großen, auch öffentlichkeitswirksamen Schaden anrichten kann. Man denke nur an den Anschlag auf die USS „Cole“ im Hafen von Aden im Jemen am 12. Oktober 2000 oder die Havarie der norwegischen Fregatte HnoMS „Helge Ingstad“ am 8. November 2018, die die norwegische Marine auf einen Schlag 20 Prozent ihrer Marinekapazität kostete.“ Oder eben auch an die Versenkung der „Moskwa“ in diesem Frühjahr.

Verbündete Marinen versuchen, die Verwundbarkeit ihrer technisch hochgezüchteten seegehenden Einheiten durch bessere Zusammenarbeit zu kompensieren. Nicht nur die Marinen innerhalb der NATO kooperieren aufs Engste, je nach Einsatz kommen auch Einheiten anderer Länder hinzu. Das ist der fünfte Trend, der sich seit Jahrzehnten abzeichnet: multinationales Miteinander. Am Anti-Piraterie-Einsatz Atalanta am Horn von Afrika war eine Vielzahl von Nationen beteiligt, auch Nicht-NATO-Mitglieder wie Neuseeland oder Finnland.

Wendepunkt

Ob sich diese genannten Trends allesamt fortsetzen, wird in der Marineszene aktuell diskutiert. Vieles steht in Frage. Manche Experten sehen die Seemächte an einem Wendepunkt. Dies ist daran zu erkennen, dass große Einheiten wieder an Bedeutung gewinnen. Flugzeugträgerverbände blieben bei Aufgaben wie der Embargoüberwachung oder der Pirateriebekämpfung außen vor. Sie waren zu groß dafür. Im globalen Konflikt zwischen der Volksrepublik China und den USA könnte ihnen hingegen wieder eine bedeutende Rolle zufallen. „Machtprojektion kommt wieder in Mode“, sagt Patrick Rothehüser vom GIDS, denn: „Die Bedrohungswahrnehmungen ändern sich, und die Notwendigkeit der Aufrechterhaltung der Freiheit der Seewege nimmt zu.“ Rothehüser denkt dabei nicht nur an das Südchinesische Meer, für das China die alleinige Kontrolle beansprucht, sondern auch an die Straße von Hormuz oder andere Engstellen, die von aggressiven Anrainern blockiert werden könnten.

Dazu passt, dass die russische Marine einen stillgelegten Schlachtkreuzer wieder flottmacht. Die 1986 vom Stapel gelaufene und schon 1999 in den Ruhestand geschickte „Admiral Nachimow“ wird bis 2023 umfassend modernisiert und bekommt 174 Startanlagen für insgesamt 300 Flugkörper – eine gewaltige rüstungstechnische Ausstattung, wenn man bedenkt, dass die gesamte Deutsche Marine nur über 160 vergleichbare Anlagen verfügt, und zwar auf den Fregatten der Klassen F123 und F124. Außerdem  wird die „Admiral Nachimow“ mit dem Hyperschallgleiter „Tsirkon“ ausgestattet. Damit kann das Schlachtschiff ganze US-Flugzeugträgergruppen bedrohen. Und die „General Nachimow“ ist nicht das einzige Schiff, das Russland derart aufpeppt: Das ebenfalls ausgemusterte Schwesterschiff „Pjotr Welikii“ durchläuft aktuell denselben Modernisierungsprozess und soll 2024 wieder in Dienst gestellt werden. Kosten pro Schiff: rund 1,5 Milliarden Euro.

Kurz vor Beginn des Überfalls auf die Ukraine verstärkte Moskau seine Schwarzmeerflotte. Unter anderem passierte am 13. Februar das U-Boot „Rostow“ den Bosporus. (Foto: picture alliance/EPA)

Gigantismus herrscht bei den Russen auch unter Wasser: Im April 2019 lief in Sewerodwinsk ein sage und schreibe 14.700 Tonnen schweres Riesen-U-Boot vom Stapel, die „Belgorod“, 40 Meter größer als amerikanische U-Boote der Virginia-Klasse und doppelt so groß wie die Einheiten der britischen Astute-Klasse. Die „Belgorod“ wird als Mutterschiff für bemannte und unbemannte Unterwasserfahrzeuge und Drohnenschwärme dienen und bekommt ein ganzes Arsenal von Waffen, unter anderem das Status-6-Oceanic-System, ein autonomes Nuklear-Angriffssystem, das das Zeug hat, die US-Abwehr zu umgehen. Wirklich neu sind diese Waffen nicht, aber sie werden immer effizienter.

„In der Waffentechnologie auf See gibt es aktuell keine Revolution wie seinerzeit die Erfindung des U-Boots oder der Marineflieger, die die Seekriegführung grundlegend verändert haben“, sagt GIDS-Experte Rothehüser. Auch Sebastian Bruns rät zur Vorsicht bei angeblichen „Wunderwaffen der Zukunft“, wie er sagt. „Hyperschallwaffen oder elektromagnetische Railguns sind Möglichkeiten am oberen Ende der Forschung, die mitgedacht werden müssen. Am unteren Ende des Spektrums geschehen aber weitaus interessantere Dinge.“ Bruns hat dabei Smart Mines im Sinn, die am Meeresboden ausharren, um zu einem gewissen Zeitpunkt aktiviert zu werden. Oder Schwarmintelligenzen, die zu Hunderten oder Tausenden disloziert die klassische Seekriegführung beeinflussen können. Rothehüser sieht vor allem unbemannte Plattformen – auf und unter dem Wasser – als wichtige Zukunftsentwicklungen an, und zwar aus zwei entscheidenden Gründen: Sie sind ausdauernder als bemannte Systeme und sie ermöglichen auch Einsätze unter Inkaufnahme höherer Risiken. Die kürzliche Sprengung der Nord-Stream-Pipelines auf dem Grund der Ostsee vermutlich durch Russland hat gezeigt, das auch dieser sogenannte Seabed-Warfare an Bedeutung gewinnt: der Krieg auf dem Meeresboden. Gerade der Westen ist durch Leitungen quer durch Meere und Ozeane extrem verwundbar.

Das Programm zum Bau von küstennah operierenden sogenannten Littoral Combat Ships – hier die USS „Gabrielle Giffords“ – geriet zu einem rüstungspolitischen Debakel. (Foto: Allen Michael Amani/US Navy)

Interessanterweise tut sich in einem Bereich, der seit dem Kalten Krieg und bis heute für die Abschreckung von immenser Bedeutung war und ist, technisch nicht viel: bei den strategischen U-Booten. Generation um Generation dieser Einheiten werden von den Atommächten gebaut, Jahr um Jahr durchpflügen sie stoisch und lautlos die Weltmeere, die meiste Zeit getaucht und unerkannt für den Gegner – stets bereit, ihre einzige Waffe, nukleare Interkontinentalraketen, abzufeuern, die einem Angreifer den finalen Zweitschlag versetzen und womöglich alles Leben auslöschen. Ihre Rolle hat sich seit 60 Jahren nicht verändert – es sind Startplattformen für Atomraketen ohne taktische Bedeutung. Es gibt keine Hinweise, dass sich diese Rolle demnächst verändern wird.

Globale Machtprojektion

Die schlagkräftigste Marine der Welt, die US Navy, ist aktuell noch die einzige, die eine globale Machtprojektion darstellen kann, auch wenn die Chinesen mit Siebenmeilenstiefeln aufholen. Stehende Flotten der Amerikaner in Europa, im Persischen Golf oder in Asien sorgen dafür, dass die USA überall dort, wo es wichtig ist, präsent sind. Amerikas Marine ist eine Hochseemarine, die Flach- und Küstengewässer meidet. Deshalb sind die Minenabwehr und Seezielflugkörperabwehr ihre Achillesferse. Rüstungsdebakel wie das Littoral Combat Ship mit exorbitanten Preissteigerungen, ausufernden Lieferzeiten und der schlussendlichen Außerdienststellung nach nur kurzer Zeit stellen die Marine der Vereinigten Staaten mittlerweile vor systemische Probleme.

Die russische Marine ist hingegen aktuell nicht zu einer globalen Machtprojektion fähig, aber der autokratisch regierende Präsident Wladimir Putin hat ihr mit seiner kürzlich erlassenen neuen Marinedoktrin große Aufgaben gestellt, und er hat dabei die ganze Welt im Blick (siehe Interview). „Das heutige Russland kann ohne eine starke Flotte nicht existieren“, heißt es in der Doktrin. Russland werde seine Interessen auf den Weltmeeren „stark und entschlossen verteidigen“.

Chinas erster Flugzeugträger „Liaoning“ stammte ursprünglich aus der Sowjetunion. Peking kaufte ihn 1998 von einer ukrainischen Werft. Das Bild zeigt die „Liaoning“ bei einem Besuch in Hongkong im jahr 2017. (Foto: picture alliance/EPA)

Momentan fehlen Putin noch die Flugzeugträger für globale Ambitionen. Russland besitzt nur einen einzigen, die 30 Jahre alte „Admiral Kusnetzow“, und der ist eher bekannt für seine Pannen. Zuletzt befand er sich in einer Generalüberholung. Allerdings gibt es Studien des Sankt Petersburger Konstruktionsbüros PKB, die zwei neue Einheiten projektieren, darunter einen Träger unter dem Namen „Varan“ mit 45.000 Tonnen Wasserverdrängung für jeweils bis zu 24 bemannte Mehrzweckkampfflugzeuge, sechs Helikopter und 20 unbemannte Fluggeräte. In der Vergangenheit wurden ähnliche Pläne verworfen. Da Putin aber gezielt die Auseinandersetzung mit dem Westen sucht, könnte es sein, dass die Projektstudien diesmal verwirklicht werden, koste es die russische Wirtschaft, was es wolle. Das Problem Russlands ist, dass es – anders als China – eine Militärmacht auf tönernen Füßen ist; seine Wirtschaftsleistung beträgt nur gut sieben Prozent der USA. Der Krieg in der Ukraine und die Sanktionen der Europäischen Union, der USA und anderer Länder dürften die Wirtschaft des Landes nach und nach deutlich schwächen – mit nachhaltigen Folgen für die Rüstung.

Rückgrat der russischen Marine ist seine U-Boot-Flotte. Diese wurde zuletzt aufgestockt. Geplant ist die Stationierung allein von vier neuen Atom-U-Booten der Borei-Klasse, die als Abschussrampen für Atomraketen dienen; drei von ihnen befinden sich aktuell im Bau. Dazu kommen neue Jagd-U-Boote der Yasen-Klasse. Sorgen macht westlichen Militärplanern die Fähigkeit der russischen U-Boote, ein breites Spektrum von Munition abzufeuern: von Drohnen über atomar bestückte Torpedos bis zu Marschflugkörpern. Die Bedeutung der U-Boot-Waffe hat Putin unterstrichen, indem er Murmansk aus dem Militärbezirk West abtrennte und einen eigenen, fünften Militärbezirk für die riesige Marinebasis schuf.

Mehr zum Thema: Duetsche Marine – Zeitenwende ade?

Woran es den russischen Seestreitkräften aber mangelt, ist die strategische Mobilität und die dafür erforderliche Transportkapazität. Hier hinkt Moskau weit hinter den USA her, deren Marine traditionell eine enorme Reichweite und Durchschlagskraft sowie ein beeindruckendes Durchhaltevermögen hat. 2016 stoppte die französische Regierung den Verkauf von zwei in Frankreich gebauten amphibischen Schiffen der Mistral-Klasse an Moskau, was den russischen Marineplanungen einen schweren Schlag versetzte. Die Russen wollen seit Jahren eine große Marineinfanterie aufbauen, für die die beiden Schiffe essenziell gewesen wären. Nun ist Russland dabei, die ausgebliebene französische Lieferung durch Eigenbauten zu ersetzen.

Indienststellungszeremonie des chinesischen Flugzeugträgers „Shandong“, einer Eigenproduktion. Mit insgesamt drei Flugzeugträgern untermauert die Kommunistische Partei ihren weltweiten Machtanspruch auf hoher See. (Foto: picture alliance/Xinhua News Agency)

Neben den Randmeeren des Nordatlantiks und der zukunftsträchtigen Nordost-Passage vor der sibirischen Küste richtet Putin nicht erst seit dem Krieg gegen die Ukraine sein Augenmerk auf das Schwarze Meer, das in seiner Strategie zu einem russischen Meer werden soll. Der Marinestützpunkt Tartus in Syrien und die Dominanz im Schwarzen Meer hängen eng zusammen, um Macht zumindest ins gesamte östliche Mittelmeer zu projizieren. Die Besetzung der Krim 2014 und die zeitweise intensiven Kämpfe im aktuellen Krieg gegen die Ukraine entlang der Küste unterstreichen das Bestreben, das Schwarze Meer zu einem Mare Nostrum zu machen. Moskau strebt zu diesem Zweck eine strategische Partnerschaft mit der Türkei an, die der Wächter des Bosporus ist. Im Juni 2019 lieferte Russland das moderne S-400-Flugabwehrraketensystem an Ankara, was dazu führte, dass die USA die Türkei vom Kauf von F-35-Kampfflugzeugen ausschloss. Überhaupt nutzt Putin das schwierige Verhältnis der Türkei zur EU und Ankaras eigenwillige Aktionen innerhalb der NATO nach Kräften aus, um Präsident Erdogan als Partner zu gewinnen. Zuletzt hatte die Türkei allerdings ihre leistungsfähigen Bayraktar-Kampfdrohnen an die Ukraine geliefert und russischen Kriegsschiffen die Durchfahrt durch den Bosporus verweigert.

China ist durch den Kauf eines ausgedienten sowjetischen Flugzeugträgers und durch den Bau eines eigenen Trägers, „Liaoning“ und „Shandong“, in die Lage versetzt worden, seine militärische Macht mehr und mehr zu projizieren. Die Volksrepublik baut gezielt ihre Fähigkeiten aus, über die eigenen Gewässer hinaus zu wirken und begibt sich damit immer mehr in direkte Konkurrenz zu den USA. Sogar ein dritter Flugzeugträger-Eigenbau ist auf Kiel gelegt. Durch die Konfrontation der Marine der Volksrepublik und der der USA könnte der Pazifik eines Tages erneut zum Kriegsschauplatz werden. Schon einmal gerieten die Vereinigten Staaten dort mit einer aufstrebenden autoritären asiatischen Macht aneinander: mit Japan. Der Pazifikkrieg beider Staaten dauerte vier Jahre, von 1941 bis 1945. Er endete mit zwei Atombombenabwürfen.

Ergänzend zu diesem Beitrag: Interview mit dem Marine-Experten Prof. Dr. Joachim Krause


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Das Wesen von Seemacht. Die internationalen Beziehungen im maritimen Umfeld des 20. und 21. Jahrhunderts
Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr, Potsdam 2021, 454 Seiten, 15 Euro

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