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„Ohne Reserve keine Kriegstüchtigkeit“

Verteidigungsminister Boris Pistorius baut die Bundeswehr um, wie seit Jahrzehnten kein Poli­tiker vor ihm. Er bringt Vokabeln wie „Kriegstüchtigkeit“ in die öffentliche Debatte ein. Dabei setzt er auch auf die Reserve. In einem Exklusivbeitrag für loyal hat Pistorius jetzt seine Vorstellungen von der Reserve für die neue Bundeswehr formuliert.

Im Jahr 2021 wurde die Grundbeorderung für ausscheidende Soldaten eingeführt. Damit sollen Spezialisten gehalten werden und die Truppe im Notfall schnell aufwachsen.

Foto: picture alliance/dpa

  • Von Boris Pistorius, Bundesminister der Verteidigung
  • 09.07.2024
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bundeswehrloyalreserve

Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf.“ So klar, kurz und prägnant benennt unsere Verfassung die Grundlage unserer Bundeswehr. An diesem Kernauftrag hat sich seit der Aufstellung der Bundeswehr nichts verändert – sehr wohl jedoch an der Ausgestaltung und Fokussierung. Eines ist dabei klar: Die Truppe braucht eine starke Reserve.

Die weltweite Sicherheitslage hat sich in den vergangenen Jahren erheblich verschlechtert. Frieden in Deutschland und Europa ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Nach Russlands völkerrechtswidriger Annexion der Krim 2014 wurde klar, dass unser Fokus nicht hauptsächlich auf internationaler Friedenssicherung und Konfliktbewältigung liegen darf, sondern die Landes- und Bündnisverteidigung wieder an Bedeutung gewinnt. Das galt für die Bundeswehr ebenso wie für unser wichtigstes Verteidigungsbündnis, die NATO.

Das gegenwärtige sicherheitspolitische Umfeld hat dies bestätigt und den Fokus wieder ganz klar auf Landes- und Bündnisverteidigung gerichtet. Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine dauert seit nunmehr über zwei Jahren an. Putin hat mit diesem Angriff die internationale Ordnung mit Füßen getreten und gefährdet die Sicherheit unseres gesamten Kontinents. Er darf mit diesem gewaltsamen, völkerrechtswidrigen Verhalten gegenüber einem souveränen Staat in Europa nicht durchkommen.

Für Deutschland bedeutet der Krieg in der Ukraine eine Zeitenwende. Landes- und Bündnisverteidigung sind heute ohne Zweifel die wichtigsten Aufgaben der Bundeswehr. Wir müssen in der Lage sein, für unsere Freiheit und unsere demokratischen Grundwerte einzutreten und uns im Ernstfall zur Wehr zu setzen. Nur so vermeiden wir den Ernstfall: durch eine glaubwürdige Abschreckung. Nie allein, sondern gemeinsam mit unseren Alliierten und Partnern.

Unsere Allianz steht für gemeinsame Sicherheit und Verteidigung. Sie basiert auf einem gemeinsamen Werteverständnis. Zusammen setzen wir uns für Demokratie, Freiheit und die Einhaltung des Völkerrechts ein. Vor allem aber wollen wir Frieden und Sicherheit.

Für diese Sicherheit steht die Bundeswehr. Heute und in Zukunft.

Um unsere Sicherheit dauerhaft und nachhaltig gewährleisten zu können, haben wir in den zurückliegenden Monaten entscheidende Weichen gestellt. Wir haben die Zeitenwende mit Leben gefüllt.

Teilnehmer des Projekts „Ungediente für die Reserve“ bei einer Übung in Baden-Württemberg. Durch das Projekt „Ungediente für die Reserve“ will die Bundeswehr auch Menschen, die bisher noch nichts mit der Bundeswehr zu tun hatten, als Reservisten etwa für Aufgaben des Heimatschutzes ausbilden. (Foto: picture alliance / dpa)

Mit unserer neuen Struktur schaffen wir eine handlungs- und vor allem reaktionsfähige Bundeswehr, die flexibel und effizient auf vielfältige Bedrohungen reagieren kann. Für mich steht dabei außer Frage, dass eine einsatzbereite Bundeswehr auch eine einsatzbereite Reserve erfordert. Landes- und Bündnisverteidigung sind nur mit einer gut ausgebildeten, einsatzbereiten Reserve leistbar. Abschreckung wird nur so wirklich glaubwürdig.

Die eingeleiteten Veränderungen führen daher keinesfalls zu einem Weniger an Reserve. Wir brauchen eine Reserve, die strukturell voll aufgestellt, personell aufgefüllt, modern ausgerüstet und professionell ausgebildet ist. Mein Ziel ist eine professionelle Reserve, die in allen Bereichen auf Augenhöhe mit der aktiven Truppe agiert. Dazu gehört eine zeitgemäße Ausbildung ebenso wie modernes Material. Und dazu gehört auch eine Unterstellung der Heimatschutzkräfte unter das Heer, um landgebundene Operationen aus einer Hand führen und dies bereits im Grundbetrieb bestmöglich vorbereiten zu können.

Mir ist dabei wichtig, dass unsere Reserve selbstständig und auch zusammen mit der aktiven Truppe alle Aufträge erfüllen kann. Hierbei gilt: Wer den gleichen Auftrag hat und den gleichen Gefahren unterliegt, braucht die gleiche Ausstattung. Wir wollen keine Unterschiede zwischen aktiver Truppe und Reserve. Vom Großgerät über Handwaffen bis zur persönlichen Bekleidung und IT.

Bei der persönlichen Ausstattung und auch bei den Handwaffen kommen wir gut voran. Spätestens ab 2026 wollen wir unseren Reservistinnen und Reservisten auch die modernste Kampfbekleidung und persönliche Ausrüstung zur Verfügung stellen. Bis 2035 streben wir die Vollausstattung an.

Eine starke Reserve braucht aber mehr als Ausstattung und Bekleidung. Eine starke Reserve braucht ausreichend ausgebildetes und beübtes Personal. Eine Erstbefähigung zur Ausbildung werden wir dieses Jahr erreichen. Nur so können wir die Einsatzbereitschaft der Reserve garantieren.

Im Fokus steht für mich die Stärkung der personellen Einsatzbereitschaft. Wir brauchen – und das ist eine der größten Herausforderungen für die kommenden Jahre – viele kluge, motivierte Frauen und Männer, die sich in den Dienst der Bundeswehr und unseres Landes stellen wollen.

Ein Teilnehmer des Projekts „Ungediente für die Reserve“ beim Simulatorschießen auf dem Truppenübungsplatz Hammelburg. (Foto: picture alliance / dpa)

Insofern freue ich mich, dass die 2021 eingeführte Grundbeorderung Wirkung zeigt. Es gelingt uns zunehmend, ausscheidende Soldatinnen und Soldaten mit ihren Qualifikationen und Fähigkeiten für die Reserve zu halten. Auch die Initiative der Ausbildung Ungedienter leistet einen wichtigen Beitrag. Diese Maßnahmen greifen aber nicht schnell genug und sie können keine ausgewogene Altersstruktur gewährleisten.

Derzeit sind 30 Prozent der beorderten Reservistinnen und Reservisten älter als 50 Jahre, in einzelnen Organisationsbereichen liegt der Anteil bei über 50 Prozent. Diese Entwicklung können wir gerade mit Blick auf die Landes- und Bündnisverteidigung nicht ignorieren.

Im Ernstfall brauchen wir wehrhafte junge Frauen und Männer, die dieses Land verteidigen können. Wir müssen durchhaltefähig und aufwuchsfähig sein. Ich bin daher überzeugt, dass wir in Deutschland eine neue Form des Wehrdienstes brauchen. Einen Wehrdienst, der skalierbar ist und der attraktiv ausgestaltet sein muss. Der Dienst für unser Land hat einen Wert und verdient eine entsprechende Anerkennung. Und auch wenn wir auf Freiwilligkeit setzen, ohne Pflichten wird ein solcher Wehrdienst nicht zu realisieren sein. Eines ist klar: Von einem solchen Wehrdienst wird auch die Reserve profitieren.

Es ist uns gelungen, etwa 45.000 Dienstposten mit Reservistinnen und Reservisten zu besetzen. Mir ist bewusst, dass jede und jeder Einzelne von ihnen viel auf sich nimmt. Sie stellen sich engagiert und motiviert in den Dienst der Truppe und unseres Landes. Sie nehmen in Kauf, dafür von Familie und Freunden getrennt zu sein.

Sie üben Seite an Seite mit unserer aktiven Truppe oder in den Reservestrukturen, in die Frauen und Männer deutlich flexibler und nach individueller Verfügbarkeit beordert werden können. Mich überzeugt diese breit angelegte und flexible Reservestruktur. Sie fördert einen nachhaltigen fachlichen Austausch mit dem zivilen Arbeitsmarkt. Zu lang sind Wirtschaft und Bundeswehr in vielen Bereichen parallel und zu wenig gemeinsam gelaufen. Es ist an der Zeit, dass wir das ändern und ein noch besseres Verständnis füreinander schaffen. Egal ob Frau oder Mann. Gerade die Vielfalt macht uns stark.

Pistorius möchte mehr Frauen und Menschen mit Migrationshintergrund für die Bundeswehr gewinnen, um die Personallücke zu füllen. (Foto: picture alliance / ABB)

In den Streitkräften zählen neben der sicheren Handhabung der militärischen Ausrüstung vor allem fachliche Aufgaben. Auch Chemielaborantinnen, Experten für Wasseraufbereitung, Lagerfachpersonal oder Bau- und Transportprofis finden in der Truppe hervorragende Möglichkeiten, um schnell fachlich anzuknüpfen, wertvolle Erfahrungen auszutauschen und diese als Multiplikatoren in ihr berufliches und privates Umfeld zu tragen. Nur wenn alle Seiten wissen, welche Fähigkeiten die jeweils andere benötigt, führt der Austausch zu einem Gewinn für beide Seiten.

Heutzutage geht es aber um mehr als den Zugewinn an Qualifikationen. Wir müssen den aktuellen Herausforderungen als Gesellschaft gemeinsam begegnen. Es geht darum, unsere Art zu leben zu schützen. Wenn ich von Kriegstüchtigkeit spreche, denke ich nicht nur an die Bundeswehr, sondern auch an den notwendigen gesellschaftlichen Wandel. Es ist wichtig, dass wir die sicherheitspolitischen Realitäten anerkennen und ernst nehmen. Und dass wir uns gesamtgesellschaftlich mit der Bedeutung und dem Wert von Sicherheit und Verteidigung auseinandersetzen. Die Anerkennung des Reservedienstes ist für mich ein Teil der gesellschaftlichen Dimension der Zeitenwende.

Wie wichtig dieser Wandel ist, wissen gerade unsere Reservistinnen und Reservisten. Denn sie brauchen Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die ihren Dienst für unser Land unterstützen. Diese Bereitschaft zur Unterstützung des Dienstes ist zentral für eine starke Reserve. Am Ende besteht die doppelte Freiwilligkeit, die der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber und die der Reservistinnen und Reservisten.

Ich werbe deswegen für ein breites Verständnis, dass die für die Reserve investierte Zeit auch eine Investition in unsere Gesellschaft ist. Eine Investition, die unmittelbar dem Frieden, der Freiheit und der Sicherheit unseres Landes dient und damit der Grundlage unseres Wohlstandes. Vor allem ist sie eine Investition in die Zukunft unseres Landes. Wir müssen als Gesellschaft entscheiden, wer dieses Land verteidigen soll, wenn es ernst wird. Die aktive Truppe allein reicht dafür nicht. So viel steht fest und das führt uns der Blick in die Ukraine schmerzlich vor Augen. Für mich ist klar: ohne Reserve keine Kriegstüchtigkeit. Ohne Reserve keine Bundeswehr, die in der Lage ist, unser Land zu verteidigen – so wie es unser Grundgesetz fordert.


(Foto: picture alliance / dpa)

Boris Pistorius, SPD

Boris Ludwig Pistorius (* 14. März 1960 in Osnabrück) ist seit Januar 2023 Bundesverteidigungsminister. Zuvor war er von 2006 bis 2013 Oberbürgermeister von Osnabrück und danach zehn Jahre lang Minister für Inneres und Sport in Niedersachsen. Bereits seine Mutter ist niedersächsische SPD-Landtagsabgeordente gewesen. Pistorius ist gelernter Kaufmann für Groß- und Außenhandel. Nach der Ausbildung leistete er seinen Grundwehrdienst im Flugabwehrregiment 11 in Achim (Niedersachsen) ab. Nach mehreren Reserveübungen war sein letzter Dienstgrad Obergefreiter. Pistorius studierte Jura und arbeitete danach als Landesbeamter in Niedersachsen, bevor er in die Politik wechselte.

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