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„Gegen meine Entscheidungen gibt es keine Berufung“




Der Hohe Repräsentant Christian Schmidt auf dem Dach seiner Behörde in Sarajevo - dem Office of the High Representative (OHR).

Foto: Stephan Pramme

Bosnienbosnien-herzegowina

Der CSU-Politiker Christian Schmidt ist seit knapp einem Jahr Hoher Repräsentant für Bosnien-Herzegowina. Das Amt wurde mit dem Vertrag von Dayton geschaffen und soll den Friedensprozess im Land begleiten. Angesichts der Spannungen ist es keine leichte Aufgabe, das letzte Wort zu haben. loyal traf Schmidt in Sarajevo zum Gespräch über den Frieden und einen möglichen neuen Krieg.

Wie wird man eigentlich Hoher Repräsentant in Bosnien-Herzegowina (OHR)?
Man wird es, wenn jemand für diese Position gesucht wird. Die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte immer den Blick auf den West-Balkan und nahm wahr, dass die Dinge hier nicht optimal laufen. Ich kannte die Region seit vielen Jahren. Als Verteidigungsstaatssekretär war ich oft genug im Lager Rajlovac bei den deutschen SFOR-Truppen. Als sich abzeichnete, dass der Posten frei werden würde, hat mich die Kanzlerin gefragt, ob sie mich vorschlagen könne und ich habe Ja gesagt.

Man hört in Bosnien, wenn man mit den Menschen spricht, immer wieder die Aussage, der OHR sei so etwas wie ein Vizekönig. Wie fühlen Sie sich denn so als Vizekönig? Immerhin hatten Sie ja wohl noch nie so viel Macht im Leben wie jetzt…
Man fühlt sich in der Verantwortung für die Menschen in diesem Land. Manchmal liegen ihre Erwartungen und Hoffnungen in einem außerordentlich starkem Maße auf dem Hohen Repräsentanten – auch in Dingen, die sie durchaus untereinander regeln könnten – und auch sollten. Es ist eine ganz besondere Aufgabe, denn man ist kein Berater, der hinterher sagen kann, wie er es besser gemacht hätte, sondern man ist Entscheider.

Wobei Ihre Machtfülle, ich komme noch einmal darauf zurück, doch enorm ist. Von derartigen Durchgriffsmöglichkeiten haben Sie als Staatssekretär oder Bundeslandwirtschaftsminister in Deutschland sicherlich nur geträumt.
Das stimmt im Guten wie im Schlechten. Die Dinge ziehen sich hier wie Kakao. Im Vergleich dazu geschieht ein Gesetzgebungsverfahren in Deutschland in Blitzgeschwindigkeit. Gegen Entscheidungen von mir als Hoher Repräsentant gibt es keine Berufung. Das heißt, sie sind im Kern nicht demokratisch, sondern durch die internationale Gemeinschaft legitimiert. Sie müssen also sehr gut überlegt sein.

Wie kommen denn Ihre Entscheidungen angesichts Ihrer Machtfülle zustande? Überlegen Sie sich abends im Bett, dieses oder jenes entscheide ich morgen mal?
Ich nenne Ihnen ein Beispiel zu einer Entscheidung, die ich gerade getroffen habe: Es geht um die Frage der Aufteilung von früherem jugoslawischem Volks- und Staatseigentum, die auch mehr als 30 Jahre nach dem Zerfall Jugoslawiens nicht geklärt ist. Eine entsprechende gesetzliche Regelung ist seit zehn Jahren überfällig. Die Republika Srpska hat nun ein Gesetz durchgedrückt, das im Widerspruch zum Abkommen von Dayton steht. Ich habe deshalb entschieden, dass jede Transaktion auf Grundlage dieses Gesetzes null und nichtig ist.

Mit so etwas machen Sie sich nicht viele Freunde in der Republika Srpska.
Man braucht einen langen Atem und man muss es gut begründen können. Die größte Abteilung in meiner Behörde ist die juristische Abteilung, die solche Entscheidungen penibel begründet. Um also Ihre Frage zu beantworten: Nein, ich treffe keine einsamen Entscheidungen, sondern ich stütze mich auf einen hochqualifizierten Stab insbesondere von Juristen, die die Dinge intensiv prüfen und gut begründen. Um bei diesem Beispiel zu bleiben: Lieber wäre es mir natürlich gewesen, wenn das Parlament von Bosnien-Herzegowina endlich ein Gesetz für den Gesamtstaat verabschiedet und vielleicht so etwas wie eine Treuhandanstalt eingesetzt hätte. Aber man lernt hier, dass Rationalität nur ein Kriterium von politischen Entscheidungen ist.

Der CSU-Politiker Christian Schmidt war in Deutschland Verteidigungsstaatssekretär und Bundeslandwirtschaftsminister. Der 64-Jährige ist nach wie vor Präsident der Deutschen Atlantischen Gesellschaft und seit dem 1. August 2021 Hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft in Bosnien-Herzegowina. (Foto: Stephan Pramme)

Wie hat Herr Dodik, der bosnische Serbenführer, darauf reagiert?
Er hat eine Beleidigungssuada über die Deutschen losgelassen. Und er hat eine Demonstration veranstalten lassen, bei der unter anderem in einem Lied meine Ermordung angekündigt wurde. Er bekommt deshalb von mir auch noch Hinweise, dass wir uns so etwas nicht bieten lassen. Man muss leider sagen, die politische Kultur in diesem Land ist oft unterirdisch. Gegenseitige Beleidigungen sind hier an der Tagesordnung, und der Weltmeister im Beleidigen ist in der Tat Herr Dodik. Das Schlimme ist, dass sich solche Figuren nicht klarmachen, dass mit jedem dieser verbalen Ausfälle das Vertrauen der internationalen Gemeinschaft in dieses Land sinkt. Wer für sein Land etwas tun will, kann nicht so auftreten, das ist hier aber leider tägliche Praxis.

Ist das der allgemeine Stil des Umgangs miteinander in Bosnien?
Es gibt sehr viele wunderbare Leute hier. Der Bildungsstand ist sehr hoch. Es gibt eine differenzierte Zivilgesellschaft, die sich vielfältig artikuliert. Aber das Land ist hin- und hergerissen und steht vor einer unaufgearbeiteten Geschichte – die übrigens nicht erst mit Srebrenica beginnt, sondern mit dem Zweiten Weltkrieg. In Jugoslawien ist vieles unter den dicken Tito-Teppich gekehrt worden, was jetzt erst hochkommt.

Wieviel Einblick in die inneren Strukturen haben Sie als deutscher Hoher Repräsentant, hatten auch ihre Vorgänger, die aus Schweden, Spanien, Deutschland, Österreich, der Slowakei und Großbritannien kamen? Wie gut verstehen Sie dieses Land?
Die internationale Gemeinschaft hatte nicht immer eine exakte Detailkenntnis. Die Geschichte hier ist hochkomplex. Das ging mir anfangs nicht anders. Ich war das erste Mal 1992 in Bosnien anlässlich des Unabhängigkeitsreferendums, kurz danach fielen die ersten Schüsse und der Krieg begann. Wir haben uns alle getäuscht, weil wir gedacht haben, nach dem Zerfall Jugo­slawiens geht das hier alles seinen Weg. Es hat über drei Jahre Krieg gebraucht, bis die internationale Gemeinschaft begriffen hat, dass es so nicht weitergehen kann. Man hatte keine Strategie, das muss man im Rückblick leider so hart sagen. Erst musste unseligerweise das blutige Massaker von Srebrenica geschehen, damit man von einer leichten Blauhelmtruppe zu einem robusten Eingreifen gekommen ist.

Fürchten Sie, dass sich ein Krieg wie in den 1990er-Jahren wiederholen könnte?
Ich halte das für außerordentlich unwahrscheinlich. Ich sehe die Gefahr eher an einer anderen Stelle: Destabilisierung durch Fake News und Zwischenfälle. Provokationen und Missverständnisse – das kann hier ganz schnell gehen. Ich brauche hier keine Divisionen, um das Land zu destabilisieren, ich muss nur ein paar handfeste Zwischenfälle inszenieren. Deshalb müssen wir als internationale Gemeinschaft deutlich machen, dass wir das nicht zulassen würden. Das geht nur über klar sichtbare Präsenz. In den 1990er-Jahren hatten wir 30.000 internationale Soldaten im Land, jetzt sind es bei der EUFOR-Truppe nach Anforderung von Reserven rund 1.100. Das reicht nach meinem Dafürhalten nicht aus. Wir brauchen mehr Sichtbarkeit.

Nach einer Woche Recherche hier im Land haben wir nicht einen einzigen EUFOR-Soldaten gesehen, weder in Tuzla, in Banja Luka, in Mostar noch in Sarajevo.
Dieser Eindruck beschreibt das Problem. Wir haben eine zu geringe Mobilität. Es sind zu wenige Hubschrauber vorhanden. Das wird der Situation im Land nicht gerecht. Bosnien ist mit einer grandiosen Natur gesegnet, aber leider nicht so sehr mit Autobahnen. Die vielen kurvenreichen Straßen im Gebirge erschweren die Verlegbarkeit der internationalen Truppen. EUFOR ist außer in den Liaison and Observation Teams -Häusern nur in Camp Butmir bei Sarajevo präsent, also zu wenig in der Fläche.

Welche Rolle spielen bei der internationalen Militärpräsenz die von Ihnen genannten LOT’s, die Liaison and Observation Teams?
Sie sind mitunter zu versteckt. Wenn die Menschen nicht wissen, dass sie da sind, nützen sie nichts. Wenn Soldaten über die Straße laufen und sich zu erkennen geben, damit man nicht vergisst, dass sie da sind, haben manche die Sorge, dies störe die friedliche Entwicklung. Im richtigen Maß angewendet, denke ich, dass es genau anders herum ist.

Nach der Ankündigung der Bundesaußenministerin, dass die Bundeswehr nach Bosnien zurückkehren soll, hat Herr Dodik sofort gesagt, er werde dafür sorgen, dass kein deutscher Soldat je wieder ins Land kommt.
Das unterstreicht, was ich eben gesagt habe: Wenn in Bosnien jemand mit dem Feuer spielen will, dann findet er immer einen Grund zum Zündeln. Aber diese Entscheidung liegt nicht in Dodiks Macht.

Und das würde also bedeuten, dass – wenn keine Einladung des Gesamtstaates erfolgen kann, weil das Staatspräsidium zerstritten ist -, die Bundeswehr doch nicht ins Land zurückkehrt?
Lesen Sie bitte den Vertrag von Dayton. Es gibt neben dem Staatspräsidium noch eine weitere Instanz, die eine solche Einladung aussprechen kann: diese Instanz sitzt gerade vor Ihnen. Solch eine Situation sollte gar nicht entstehen, denn die Resolution des UN-Sicherheitsrates gibt seit Dayton jährlich eine Bestätigung des EUFOR-Althea-Mandates. Man muss aber das Verhalten der Vetomacht Russland im Auge behalten.

Womit wir wieder beim Vizekönig wären…
…der Entscheidungen treffen kann, die notwendig sind, wenn die Entscheidungsgremien in Bosnien-Herzegowina selbst dazu nicht in der Lage sind. Er tut das aber in einem internationalen Rahmen. Ich bin kein Autokrat.

Glauben Sie, dass Bosnien-Herzegowina in seinem gegenwärtigen Zustand Chancen hat auf Mitgliedschaften in der EU und in der NATO?
Die Menschen hier sehen ihr Land als Teil von Europa, das in die EU sollte. Ein NATO-Beitritt wird allerdings aus Sicht von manchen bosnischen Serben nicht gewünscht, weil damit deren Träume von einer Vereinigung mit Serbien ausgeträumt wären, und bis heute wird die NATO-Operation Allied Force im Jahr 1999 gegen das Bündnis intrumentalisiert wird. Ich sehe die Gefahr, dass hier ein Vakuum entsteht. Wir Europäer in der EU haben jahrelang erwartet, das hier alles schon von selbst läuft. Das sind verlorene Jahre gewesen, in denen die politischen Institutionen hätten reformiert werden müssen. Das in Dayton festgelegte System der Checks-and-Balances ist für eine Dauerblockade missbraucht worden. Nicht einmal das Wahlrecht konnte geändert werden.

Müsste man aus den ernüchternden Erfahrungen der vergangenen Jahre nicht das gesamte politische System neu aufbauen – von null anfangen, mit einer neuen Verfassung?
Es gibt kein Anfang und kein Ende der Geschichte. Jeder trägt hier sein Päckchen an Erfahrungen mit sich. Dayton ist gut konstruiert, Checks-and-Balances vor und zurück. Aber im Moment herrscht trotzdem Blockade und Dysfunktionalität. Ich persönlich halte eine schlankere Verfassung für sinnvoll. Es wird von liberalen Politikern, Professoren und Intellektuellen auch an entsprechenden Entwürfen gearbeitet. Aber offenbar ist der Einigungsdruck noch nicht hoch genug, um dieses Land in eine eigenverantwortliche Zukunft zu bringen.

Überwiegt bei Ihnen eher die Hoffnung oder die Skepsis, wenn Sie in die Zukunft Bosnien Herzegowinas schauen?
In diesem Land können Sie derzeit nicht leben und arbeiten, ohne in nachdenkliche Phasen zu fallen. Dieses Land ist wunderschön. Aber manchmal muss man andere politische Luft atmen. Hier ist die politische Luftverschmutzung – um im Bild zu bleiben- außerordentlich hoch. Andererseits: Das ist Europa hier. Wenn Sie durch Sarajevo gehen, sind Sie in einer europäischen Hauptstadt. Jenseits der politischen Narrative von politischen Eliten leben hier Menschen unterschiedlicher Nationalität und Religion im Alltag unkompliziert friedlich zusammen. Das gibt mir Hoffnung.

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