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General „Raushauen“

Bundeswehr-General Jared Sembritzki hat einen einmaligen Posten. Als Stabschef der US-Army Europe & Africa organisiert er Truppen von Albanien bis Zimbabwe.

„Ein Kampfeinsatz ist kein überwachtes Schachspielen. Manchmal muss man auch raushauen.“ Jared Sembritzki in seinem Dienstzimmer in der Clay-Kaserne in Wiesbaden.

Foto: Jonas Ratermann

natous army

Das Umland von Berlin in den 1970er Jahren, mitten im Ost-West-Konflikt. Mit vorgehaltener Maschinenpistole kontrollieren DDR-Soldaten einen Reisebus voller West-Berliner Kinder. Diese müssen nummerierte Transitausweise dabeihaben. Wer seine Nummer nicht weiß, wird zusammengestaucht. Eingeschüchtert in den Sitzreihen kauert ein Junge namens Jared Sembritzki. Jahrzehnte später hat Sembritzki weiterhin mit Soldaten zu tun. Als Stabschef der US-Army Europe & Africa trainiert und organisiert er sie für die Konflikte unserer Zeit. „Als West-Berliner war für mich eindrücklich: Waffen braucht’s, Militär braucht’s zum Schutz gegen Bedrohungen“, erklärt Sembritzki im Gespräch mit loyal.

Der Brigadegeneral ist seit 2020 der vierte Bundeswehr-Offizier in Reihe auf diesem US-Posten. Zum Auftakt 2014 war es ein Arrangement des Mangels. Für die US-Landstreitkräfte Europa galt ein Sparkurs. Der Posten Stabschef ließ sich nicht mehr mit einem Brigadier besetzen; ein Oberst musste reichen, meinten die Militärplaner im Pentagon. Die US-Army in Europa hatte dann die Idee, bei der Bundeswehr anzufragen, folgt man deren Ex-Befehlshaber Ben Hodges. Seitdem organisiert ein deutscher General die US-amerikanische Heeresplanung für Europa von der Clay-Kaserne in Wiesbaden aus. In einem Büro so klein wie eine Studentenbude, das die abgehängte Decke zusammendrückt, laufen die Fäden zusammen. Jared Sembritzki hat es mit Devotionalien seiner Gebirgsjägertruppe gefüllt.

„Weniger reicht hier nicht“

Bevor er den US-Posten antrat, war der heute 51-jährige Kommandeur der Gebirgsjägerbrigade 23 in Bad Reichenhall. Dort fiel Sembritzki innerhalb der Bundeswehr positiv auf, als er die aufwendige Brigade-Gefechtsübung „Berglöwe“ organisierte. Einen Großverband auf das intensive Gefecht zur Bündnisverteidigung zu trainieren, ist noch nicht wieder jedermanns Sache in der Bundeswehr. „Da haben wir ein Problem. Ich sehe das in den Übungen, bei denen ich sagen muss: Jungs, ihr seid motiviert, aber nach diesem Vorgehen wären jetzt alle tot.“ In der Bundeswehr sind nur noch die älteren Semester taktisch für das intensive Gefecht geschult, das jetzt wieder Vorrang haben soll. „Ich bin ein großer Verfechter des Drills; weniger reicht hier nicht“, stellt Sembritzki fest.

Sembritzki. (Foto: Ratermann)

Das Training von Großverbänden ist sein Leib-und-Magen-Thema. „Die 173. Luftlandebrigade der Amerikaner – 3500 Mann – steigen in Italien in Transportmaschinen, springen geschlossen in eine Übung und lösen dort eine Aufgabe. Dahin müssen wir kommen.“  Der Stabschef der Amerikaner aus der Bundeswehr pflegt eine Übersicht, welche Manöver die Deutschen planen und hält ständig Ausschau nach Möglichkeiten, das mit dem Training der US-Army zusammenzuführen. Beispielsweise zur Übung „Green Griffin“ der Division Schnelle Kräfte 2021.

In seinem jetzigen Job dirigiert Sembritzki einen Stab mit mehr als 2.000 Angehörigen, begleitet von einem Mini-Team aus der Bundeswehr, bestehend aus einem Major als Adjutant nebst Stabsfeldwebel und Kraftfahrer. Die drei Hauptprojekte des neuen Jahres, die der Stab beackert: Der Aufbau des 5. Korpsstabs in Polen sowie „Defender 2021“, die große Verlegeübung des US-Heeres von Amerika an die NATO-Ostflanke, deren Auflage letztes Jahr wegen der Corona-Pandemie kollabierte. Außerdem gilt es, die US-Army Africa zu integrieren. Die wurde erst Ende 2020 mit der US-Army Europe zusammengelegt. Damit betreut Sembritzki die US-Landstreitkräfte mit 35.000 Soldaten in 104 Ländern – von Albanien bis Zimbabwe. Trotz dieser monströs anmutenden Aufgabe fehlt dem Chef der Zugang zu allen Informationen, denn er ist kein US-Staatsbürger. „Die Amerikaner tendieren teilweise zu einer ‚Overclassification‘, aber das haben wir vor Ort ganz gut im Griff“, so Sembritzki.

Formale Hürden wurden zunehmend gesenkt

Militärbürokratien tendieren bei der Geheimhaltung dazu, Informationen eher als zu hoch als zu niedrig einzustufen. Ob das den Arbeitsfluss stört, spielt erstmal keine Rolle. Themen, deren Inhalt US-only ist – oft in Bezug auf die Operationsführung – werden ohne die Anwesenheit des Chefs des Stabes abgehandelt. Die formalen Hürden wurden in den letzten Jahren zunehmend gesenkt. Was der Einstufung „geheim“ entspricht, wird inzwischen explizit für den Chief of Staff freigegeben. Bei US-Meetings, bei denen General Sembritzki außen vor bleiben muss, nimmt sein Stellvertreter aus dem US-Militär teil und brieft ihn danach.

„Das ist die einzig wirkliche Metropole Deutschlands“, sagt Sembritzki
über seine Heimatstadt Berlin. Das größte Bild in seinem Stabsbüro
zeigt das Brandenburger Tor. (Foto: Ratermann)

In Sachen Arbeitskultur gibt es laut Sembritzki vor allem zwei Unterschiede zur Bundeswehr: Höflichkeit und militärisches Auftreten werden beim US-Militär formaler gepflegt als in Deutschlands Streitkräften. „Ich selbst bin nicht so der Grußtyp, aber wenn ich hier ein Gebäude betrete, heißt es noch: Attention – Chief of Staff! Das finden Sie in der Bundeswehr nicht mehr.“ In der Bundeswehr halten aber Methoden der US-Stabsarbeit durch die gemeinsamen Einsätze Einzug, selbst wenn sie der Deutschen liebstes Kind betreffen – die Auftragstaktik. Ein Beispiel seien so genannte „ROC Drills“ (Rehearsal of Concept/Probe des Konzepts), erläutert Sembritzki: Ein Stab bereitet einen Auftrag vor. Dann muss der betreffende Kommandeur zunächst vortragen, wie er das umzusetzen gedenkt. Bei der Bundeswehr gilt dagegen üblicherweise: Hier ist der Auftrag, mach mal, ohne Probe mit Feinschliff davor.

Was den Militärplaner Sembritzki umtreibt, sind die De-facto-Schwächen der NATO-Führungsstrukturen im Hinblick auf Landes- und Bündnisverteidigung, auch wenn der General das selbst nie sagen würde. Er muss schauen, wie er Operationsplan samt Kräfteansatz des US-Heeres mit den Beiträgen der kleinen Partnerarmeen Europas zusammenführt. Ein verschachteltes Unterfangen. So werden die multinationalen NATO-Korpsstäbe im Wechsel von unterschiedlichen Nationen geführt. Stellt die Bundeswehr die VJTF, steht diese unter NATO-Kommando, die Divisionen dahinter verbleiben  jedoch unter deutscher Führung.

„Es geht nicht wie früher nur um 15 Grad“

„Heute haben wir einen 360-Grad- Ansatz. Wir müssen nicht nur ins Baltikum blicken, nach Weißrussland oder ans Schwarze Meer. Sondern es kommen der internationale Terrorismus  und die Global Power Competition in Afrika hinzu. Es geht nicht wie früher nur um 15 Grad an der innerdeutschen Grenze.“

Dieser Fokus galt noch, als Jared Sembritzki 1990 in die Bundeswehr eintrat. Im zweiten Anlauf. Der Sohn eines Gerichtsvollziehers und einer Krankenschwester aus Berlin-Tempelhof hatte sich drei Jahre zuvor beworben, als der rasche Zusammenbruch des Sowjetblocks noch undenkbar schien. Die Bundeswehr nahm ihn auf, doch der junge Berliner schwenkte nochmal um. „Ich hing an Berlin. Für mich war das damals schon die einzig wirkliche Metropole in Deutschland. Der Zoll hatte dort die Aufgaben des Bundesgrenzschutzes inne.“ Doch die erhofften militärischen Aspekte fand Sembritzki beim Zoll nicht. „Das war viel Wirtschaft. Hat mich nie interessiert. Zudem noch aus dicken Büchern Finanzrecht lernen. Ich bin gleich wieder abgesprungen.“ In der Bundeswehr machte er dann eine Bilderbuchkarriere.

Sembritzki ist Stabschef der US-Army Europe & Africa. (Foto: Ratermann)

Sembritzkis höchste Auszeichnung und sein Frust fallen hier zusammen. Als Oberstleutnant führte er 2010 die Quick Reaction Force der Bundeswehr für den NATO-Einsatz in Nord-Afghanistan. Bei der Operation Taohid III gelang es der Eingreiftruppe unter Sembritzkis Führung, einen von den Taliban überrannten Außenposten umgehend im Gegenschlag zurückzuerobern. Wer heute mit Bundeswehr-Soldaten über das Unternehmen spricht, hört Positives: Hier hat jemand den klaren militärischen Erfolg gesucht und erzielt. In einer Armee, für die Kampfoperationen selten sind, verschafft das besonderes Ansehen. Sembritzki erhielt dafür später das Ehrenkreuz für Tapferkeit, die höchste Auszeichnung der Bundeswehr.

„Manchmal muss man auch raushauen“

Es kamen allerdings auch Anwürfe aus den Streitkräften und den Medien wegen Verstößen gegen Einsatzregeln. „Es sind auch Fehler passiert“, räumt Sembritzki ein. Ihn habe jedoch gefrustet, mit welcher Einseitigkeit die Kritik vorgetragen wurde. „Das war ein Kampfeinsatz. Wer glaubt, das sei überwachtes Schachspielen, wo man immer alles perfekt nachvollziehen kann, der hat es nicht richtig verstanden. Manchmal muss man auch raushauen.“

Den damals neuen Ansatz, Kampfleistungen mit Gefechtsmedaille und Ehrenkreuz auszuzeichnen, hält der General für richtig, aber nur halbherzig umgesetzt. „Die sehen fast aus wie Sportabzeichen und werden nur am Dienstanzug getragen. Es wäre schon präsenter, wenn die Truppe sie am Feldanzug tragen kann, den Soldaten meistens anhaben.“ Denn die Truppe definiere sich über soldatische Werte. Best Practice ist für ihn das Combat Infantryman Badge der US-Army. Das zeigt eine Muskete im Eichenlaubkranz.

Detailaufnahme aus Sembritzkis Dienstzimmer. (Foto: Ratermann)

Wer Sembritzki so sprechen hört, kann sich vorstellen, dass dieser Offizier ein Händchen dafür hat, um gerade junge Soldaten zu führen. Auch wenn er sagt: „Vorbilder gibt es für mich auf jeder Ebene. Jeder Kamerad, dessen Aussagen und Handlungen für mich Sinn ergeben und soldatischen Charakter zeigen.“

Mit seinem Instagram-Kanal gehört der General zudem zu den wenigen Spitzenmilitärs der Bundeswehr, die souverän Social Media nutzen, um in die Truppe hinein zu kommunizieren. Sein Soldatsein fühlt sich für Jared Sembritzki so rund an, dass ihm Abstand überflüssig erscheint. Bei der US-Army lebt er vor Ort in der Kaserne. Lediglich einen Ausbruch aus dem Militärgehege pflegt er seit Jahren. Wo immer die Bundeswehr ihn auch hinschickt, sucht er sich einen Verein, um Wasserball zu spielen – Sembritzkis Sport seit Kindestagen in Berlin.

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