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Gordischer Knoten Mali

Nach dem Abzug der Franzosen aus Mali sind die Deutschen die wichtigsten westlichen Truppensteller. Deutschland baut die Präsenz der Bundeswehr – weitgehend unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit – sogar noch aus. Und das, obwohl die malische Putschregierung den internationalen Truppen immer mehr Steine in den Weg legt und stattdessen auf russische Söldner setzt. Klingt paradox, ergibt aber Sinn.

Deutsche Soldaten auf Patrouille in Mali.

Foto: Bundeswehr/Elisabeth Rabe

Mali

Eigentlich könnten die Deutschen nun auch aus Mali abziehen. Denn der Hauptgrund, warum die damalige Bundesregierung unter Angela Merkel im Jahr 2016 überhaupt hunderte Soldaten in den Norden Malis schickte, ist weggefallen: Die Solidarität mit Frankreich. Die deutsche Zusage, sich verstärkt im Sahel zu engagieren, erfolgte nach den Anschlägen in Paris, die im November 2015 ganz Europa aufrüttelten. Damals versprachen Angela Merkel und ihre Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen der französischen Regierung vollste Solidarität im Kampf gegen den Terrorismus – und schickten Soldaten zur UN-Mission Minusma und zur europäischen Trainingsmission EUTM. Mali wurde – nach Afghanistan – der größte Einsatz der Bundeswehr.

Nun sind vor einigen Tagen die letzten französischen Soldaten aus Mali abgezogen. Frankreich ist also raus aus Mali. Vorangegangen waren antifranzösische Demonstrationen, Hetz-Kampagnen gegen die französische Präsenz und ein Blame-Game zwischen der malischen Regierung und den Franzosen, wer an der schlechten Sicherheitssituation schuld sei. Der französische Präsident Macron hatte vor dem Abzug noch versucht, den Anti-Terrorkampf auf andere Schultern, in Form einer Anti-Terrortruppe aus westafrikanischen Nachbarstaaten, zu verteilen. Erfolglos.

Statt auf die Franzosen setzt die malische Regierung – Militärs, die sich vor einem Jahr an die Macht geputscht haben – nun auf russisches Sicherheitspersonal. Laut westlichen Geheimdiensten sollen bereits um die 1.000 russische Sicherheitskräfte, hauptsächlich Söldner der berüchtigten Gruppe Wagner, ins Land gereist sein. Auch am Flughafen in Gao, dem logistischen Drehkreuz im Norden des Landes, sind bereits etwa 20 bis 30 russische Militärs gesichtet worden, dazu ein Kampfflugzeug vom Typ-L-39 Albatros und eine EMB 314 Super Tucano. Das meldete Mitte August das Einsatzführungskommando der Bundeswehr an den Verteidigungsausschuss. Der Flughafen befindet sich gleich neben dem Camp Castor, wo die deutschen Soldaten stationiert sind. Wie die „Nachbarschaft“ mit den russischen Akteuren in Gao funktionieren soll und wer den Flughafen in Gao, den bisher die Franzosen betrieben haben, übernehmen soll, ist noch nicht klar.

Massive Auswirkungen auf die Bundeswehr

Klar ist aber, dass die russische Präsenz schon massive Auswirkungen auf die Aufklärungstätigkeiten der Bundeswehr hat. Die deutschen Soldaten dürfen ihre Aufklärungsdrohnen, mit denen sie etwa vergrabene IEDs oder Hinterhalte von oben aufspüren, nur noch nach vorheriger Erlaubnis der malischen Regierung fliegen – und müssen diese Flüge erst langwierig beantragen. Zeitweise wurden auch die Patrouillen rund ums Camp ausgesetzt. „Hintergrund der Einschränkungen ist wohl, dass die Russen nicht wollen, dass ihre Aktivitäten im Norden Malis sichtbar werden“, sagt Ulf Laessing, Leiter des Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Bamako.

Ein weiteres Beispiel für die Spannungen zwischen Minusma und der malischen Regierung: Das Gehakel um die Einreise und Ausreise von deutschen Soldaten zum Kontingentwechsel, das im August die sicherheitspolitische Berichterstattung bestimmte. „Teile der malischen Regierung versuchen wohl auf Druck der Russen, die Minusma und damit auch die deutschen Soldaten als neues Feindbild aufzubauen“, sagt Laessing. Social-Media-Kampagnen, die in Bamako die Runde machten, deuteten in diese Richtung. Ein trauriger Nebeneffekt der eingeschränkten Aufklärungstätigkeiten der Bundeswehr: Die Sicherheitslage im Norden verschärft sich. Immer mehr UN-Soldaten sterben laut UN aufgrund von unentdeckten IEDs oder durch Hinterhalte.

Doch warum setzten die Malier auf die Russen? Anders als die europäischen Soldaten, die bis vor kurzem im Rahmen der EU-Trainingsmission EUTM die malischen Soldaten ausgebildet haben, begleiten die Russen die Malier auch mit ins Feld, sie kämpfen gemeinsam mit ihnen. Das hatten sich die Malier auch von den europäischen Militärausbildern gewünscht – vergeblich. Im Frühjahr jubelte die malische Regierung sodann auch über vermeintlich große Erfolge bei einer gemeinsam mit den Russen geführten Großoffensive im Zentrum des Landes. Außerdem liefert Russland Waffen und Gerät, wovor sich die westlichen „Partner“ – allen voran die Deutschen – immer gescheut haben. Auch das gefällt der malischen Putschregierung.

Russische Interessen

Und Russland? Was treibt die russische Regierung zu ihrem Engagement im weit entfernten Mali? Auch für die russische Regierung sei das Engagement in Mali extrem attraktiv, meint Ulf Laessing. Einen Stachel ins Fleisch des Westens zu setzen, Unruhe im europäischen Vorhof zu stiften oder mit einer neuen Flüchtlingswelle aus dem Sahel zu drohen, das treibe Putin an. Auch dürfte das Putin-Regime Interesse an den Gold- und Litiumvorkommen in Mali haben. „Angesichts der westlichen Sanktionen sind die Rohstoffvorkommen in Westafrika noch attraktiver“, sagt er. Auch nahe Gao gäbe es laut Laessing eine Goldmine. Gold sei besonders wichtig, um die von westlichen Sanktionen geschwächte russische Wirtschaft und Währung zu stützen, so der Afrika-Experte.

Doch auch gemeinsam mit den Russen schafft die malische Regierung nicht mehr Sicherheit in Mali. Nur wenige Wochen nach der malisch-russischen Großoffensive im Zentrum des Landes revanchierten sich dschihadistische Gruppen mit mehreren blutigen Anschlägen auf malische Militärcamps. Anfang August etwa attackierten Kämpfer des „Islamic State in the Greater Sahara“ (ISGS) ein Camp nahe der Stadt Tessit. Der Angriff war professionell orchestriert, die Islamisten setzten Drohnen, Sprengstoff, Autobomben und Artillerie ein. Es kamen 42 malische Soldaten ums Leben. Ein interessantes Detail: Per Helikopter evakuierten deutsche Soldaten 22 malische Soldaten und rettete ihnen damit das Leben. Die malische Regierung verschwieg die Aktion, sie passte nicht in ihre – von den Russen mitorchestrierte – Kampagne gegen die internationale Präsenz. „Dabei hat die Rettungsaktion sehr gut gezeigt, wie sehr die deutschen Soldaten wirklich gebraucht werden und wie sinnvoll ihre Präsenz wirklich ist“, sagt Ulf Laessing.

Personelle Obergrenze erhöht

Anders als Frankreich baut Deutschland im Moment seine Präsenz in Mali – trotz der widrigen Umstände – aus. Zwar beendete der Bundestag die Beteiligung an der EU-Trainingsmission EUTM im Frühjahr. Aber im Norden des Landes wird die Bundeswehr noch mehr Aufgaben für Minusma übernehmen – mit mehr Personal. Der Schutz von Camp Castor und medizinische Evakuierungen stehen jetzt (verstärkt) auf dem Programm der deutschen Soldaten. Dafür hat der Bundestag im Mai die personelle Obergrenze von 1.100 auf 1.400 Soldatinnen und Soldaten erhöht.

Noch mehr deutsches Engagement in der derzeitig verfahrenen Situation? Klingt paradox. Doch Ulf Laessing hält das verstärkte deutsche Engagement für richtig. „Wir dürfen den Russen nicht das Feld überlassen“, sagt er. Außerdem würden die Deutschen – anders als die Franzosen – in Mali als ehrliche Broker gesehen. „Jetzt ist unsere Chance, in Mali mehr zu bewegen“. Klar ist: Obwohl das deutsche und internationale Engagement in Mali bisher keinen Frieden oder auch nur mehr Sicherheit gebracht hat, ist die deutsche Präsenz wichtig. Sie bietet immerhin noch ein bisschen Stabilität – ohne die Minusma würde das Land im Chaos ertrinken. Außerdem ist den deutschen Interessen nicht damit gedient, der russischen Regierung in Westafrika das Heft des Handelns zu überlassen. Das würde von der russischen Regierung als Eingeständnis des westlichen Scheiterns gesehen werden. Und dass das Putin-Regime westliche Schwäche massiv ausnutzt, das erleben wir ja gerade schon in der Ukraine.

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