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Bergretter und Gipfelstürmer

Die Ausbildung zum Heeresbergführer ist das Härteste, was die Gebirgsjäger zu bieten haben. Wer Heeresbergführer werden will, muss topfit sein und sehr gut klettern und Ski fahren können. loyal war bei der Ausbildung im Karwendelgebirge dabei.

Eine schweißtreibende Angelegenheit: Ein Teilnehmer der Ausbildung zum Heeresbergführer hievt den „Verletzten“ die steilen Felsen des Karwendels hinunter.

Foto: Philipp Guelland

bundeswehrheeresbergführerloyal

Niklas Meißner ist abgestürzt. Fast 20 Meter fiel er vergangenen Oktober bei einer Klettertour in den Dolomiten in die Tiefe. Er brach sich die Schulter und die Ferse und wurde von der italienischen Bergwacht ins Bozener Krankenhaus gebracht. Nur zwei Monate später war er wieder bei seinen Kameraden am Berg. Denn Niklas Meißner will Heeresbergführer werden. Und dafür gibt er alles.

Heeresbergführer sind die soldatischen Profis am Berg. Sie können selbst unter widrigsten Bedingungen, etwa im Schnee und im Sturm, die höchsten Berge erklimmen. Sie können Lawinen sprengen und ihre Kameraden sicher durch schwierigstes Gelände führen. Sie sind eine kleine Elite. Nur etwa 80 Heeresbergführer gibt es in der Gebirgsjägerbrigade 23. Seit dem ersten Ausbildungsjahrgang in der Bundeswehr im Jahr 1958 haben etwa 400 Soldaten die Prüfung zum Heeresbergführer bestanden. Bisher waren darunter erst zwei Frauen.

Niklas Meißner möchte zu dieser Bergelite gehören. Dafür hat er schon sehr viel getan: Bevor er in die Ausbildung aufgenommen wurde, musste er von seinen Vorgesetzten vorgeschlagen werden. Danach folgten ein Jahr lang Trainingseinheiten, etwa zur Klettertechnik, zum Skitourengehen oder zur Orientierung im Gelände. Bei einer Sichtungswoche musste er dann gemeinsam mit den anderen Interessenten beweisen, dass er wirklich gut genug für die Aufnahme in das Ausbildungsprogramm ist: Seine Fähigkeiten im Skifahren und im Klettern wurden abgeprüft, genauso wie seine Bergfitness.  Einer der Aufnahmetestes beinhaltete einen Lauf zur Dammkarhütte über Mittenwald. 600 Höhenmeter mussten mit zwölf Kilo Gepäck und Gefechtsanzug innerhalb einer Stunde bewältigt werden. Wer das nicht schafft, ist raus.

„Will jeden Berg der Welt bezwingen können“

Niklas Meißner möchte Heeresbergführer werden. (Foto: Philipp Guelland)

Niklas Meißner fiel beim Berglauf beim ersten Versuch durch. Er war zu langsam. Weil er nicht lockerließ, durfte er ein Jahr später noch einmal antreten. Beim zweiten Mal bestand er den Fitnesstest. Die anderen Prüfungsabschnitte waren für Meißner weniger ein Problem: Der 28-Jährige ist in Oberammergau und damit in den Bergen aufgewachsen. Skifahren lernte er schon als Kind. Mit 19 Jahren ging er zur Bergwacht und machte dort viele Einsätze mit. Sein Vater und sein Opa waren bereits Soldaten bei der Bundeswehr, deshalb lag es für Meißner nahe, nach seiner Ausbildung zum Elektroniker zu den Gebirgsjägern zu gehen. Jetzt will der Hauptfeldwebel Heeresbergführer werden. Weil er jeden Berg der Welt bezwingen können will, sagt er. Und weil er anderen Soldaten gerne beibringen möchte, wie man auf Skiern selbst die steilsten Berge sicher hinauf- und hinunterkommt.

Von ursprünglich 28 Soldaten, die Heeresbergführer werden wollten und bei der Sichtungswoche dabei waren, sind nur noch 14 übriggeblieben. Darunter neun Bundeswehrsoldaten, drei österreichische Kameraden und ein Niederländer. Die anderen sind entweder schon bei der Eingangsüberprüfung rausgeflogen oder in den Ausbildungsabschnitten danach. Denn Niklas Meißner und die anderen haben schon viele fordernde Ausbildungsteile hinter sich. Etwa „Fels Alpin“, ein intensives Klettertraining am Stripsenjochhaus am Wilden Kaiser. Oder „Fels-Prüfung“, wo die Kletterfähigkeiten zwei Wochen lang in den Dolomiten abgeprüft werden. „Das anstrengendste bei der Ausbildung sind die ständigen Prüfungen“, sagt Meißner. Immer müsse man geistig voll dabei sein, immer zuhören, wenn die Ausbilder etwas sagen. Wer einmal kurz wegnickt oder unaufmerksam ist, den zerbröselt’s in der nächsten Prüfung, so Meißner. Dazu kommt die körperliche Anstrengung. In manchen Ausbildungsabschnitten machen die Teilnehmer jeden Tag über 2.000 Höhenmeter auf Skiern, zu Fuß oder im Klettern. Dazu kommt noch, das schwere Gepäck mit nach oben zu schleppen und flink mit den Seilen, Karabinern und dem anderen Equipment umgehen zu können. Alles in allem brauchen die Teilnehmer neben enormer Kondition, massive Kraft und tiefes technisches Verständnis.

Rettung aus einer Klamm

An diesem Tag steht die Bergrettung auf dem Ausbildungsprogramm. Die 14 verbliebenen Teilnehmer – darunter eine Soldatin – sollen zwei Verletzte aus einer Klamm bergen. Das Szenario: Die zwei verletzten Soldaten sind abgestürzt, einer hat sich den Fuß gebrochen, der andere hat sich am Rücken verletzt. Jetzt sollen die angehenden Heeresbergführer eine Seilbahn so durch die Klamm führen, dass die Verletzten auf einer Trage möglichst schonend die knapp 300 Höhenmeter nach unten transportiert werden können. Eine echte Herausforderung. Der niederländische Soldat hat die Aufgabe, die anderen zu koordinieren und ihnen zu sagen, wo die Seile verlaufen sollen. Doch mit den über den Berg verteilten Soldaten zu kommunizieren, ist gar nicht so einfach.

Beim Abtransport des ersten Verletzten legen die Soldaten nur ein Seil, an dem sie die Trage befestigen. Die Trage mit dem Soldaten, der den Verletzten mimt, schrammt mit lautem Gepolter über die steilen Felswände. Die Soldaten merken, dass es so nicht funktioniert. Sie legen ein zweites Seil. An beiden Seilen befestigt, rutscht die Trage mit dem „Verletzten“ nun viel leichter Richtung Tal. Über Stunden bohren die Soldaten Sicherungen in den Fels, legen Seile, ziehen diese fest, schieben die Trage Meter für Meter weiter nach unten. Eine schweißtreibende Arbeit. Nach sechs Stunden sind die „Verletzten“ schließlich im Tal angekommen.

Es ist wichtig, dass die angehenden Heeresbergführer Verletzte im Berg retten können. Denn die Berge können gefährlich sein. Das zeigen schon allein die Tagesnachrichten. Etwa diejenigen vom 24. April dieses Jahres: „19-jähriger Deutscher stirbt bei Lawinenabgang“ und „Tote Deutsche am Montblanc; Rettungskräfte warnen vor Aufstiegsroute“ lauteten die Schlagzeilen allein an diesem Tag. In den bayerischen Bergen starben im Jahr 2021 nach Aufzeichnungen der Bergwacht Bayern  85 Personen – ein neuer Höchststand. Und tödliche Unfälle kommen nicht nur bei Zivilisten und deren Bergtouren vor. Im vergangenen Juni stürzte ein 30 Jahre alter KSK-Soldat in Tirol ab, weil sich ein Felsen gelöst hatte. Er wurde verschüttet und starb. Die Elitesoldaten hatten gerade das Abseilen an einer 40 Meter hohen Felswand geübt.

Nur wenige Soldaten genügen den hohen Anforderungen

Doch es gibt noch ganz andere Herausforderungen für die Ausbilder der Gebirgs- und Winterkampfschule in Mittenwald, die die Ausbildung zum Heeresbergführer leiten. Nur noch wenige Soldaten der Bundeswehr genügen den hohen Anforderungen für die Ausbildung zum Heeresbergführer. Das war früher anders. Die Wehrpflicht brachte viele junge Männer aus der Gegend, die oft schon sehr gut klettern und Ski fahren konnten, in die Bundeswehr. Viele dieser Bergfexe entschieden sich, länger zu bleiben. Und heute? Bei der Gebirgsjägerbrigade 23, aus der die allermeisten Anwärter für die Heeresbergführerausbildung kommen, dienen Freiwillige aus ganz Deutschland. Viele sind noch keine professionellen Kletterer oder Skifahrer. Für diese ist es sehr schwierig, auf das Niveau eines Anwärters zum Heeresbergführerlehrgang zu kommen. Viele private Skistunden sind dazu nötig. Das kostet viel Zeit, Geld und Aufwand. Die meisten, die im aktuellen Heeresbergführerlehrgang dabei sind, kommen dann auch aus alpennahen Regionen, so wie Niklas Meißner.

Auch ein anderer Aspekt hat die Gebirgsjäger von heute geprägt: die Auslandseinsätze. Viele der Soldaten, die schon länger bei der Bundeswehr sind, waren bereits in Afghanistan oder Mali. Weil die Auslandseinsätze und die Vorbereitung darauf viel Zeit und Ressourcen verschlang, blieb den Gebirgsjägern weniger Zeit für die Fertigkeiten am Berg. Auch das war früher ganz anders, erzählt ein langjähriger Ausbilder. In Zeiten des Kalten Kriegs lebten die meisten Soldaten der Gebirgsjäger für die Berge. Vor allem in den Hochzügen und bei den Heeresbergführern. Früher gab es bei der Ausbildung zum Heeresbergführer für jeden Soldaten einen Mentor, der selbst im Urlaub, an Wochenenden und an Feiertagen mit seinem „Schützling“ in die Berge ging, um die Fähigkeiten am Berg zu vervollkommnen.

Das ist heute nicht mehr so. Nach den jeweils zweiwöchigen Ausbildungsabschnitten, in denen die Anwärter praktisch jede Sekunde mit den Kameraden verbringen, freuen sich die meisten, wieder nach Hause zu kommen, und die Kameraden und die Ausbilder einige Tage nicht sehen zu müssen. Denn es ist so: Weil sich für die Teilnehmer praktisch zwei Jahre lang alles darum dreht, Heeresbergführer zu werden und die Soldaten oft von zu Hause weg sind, zerbrechen viele Beziehungen. Bei den neun deutschen Teilnehmern sind es bereits zwei Partnerschaften, die während der Ausbildung in die Brüche gingen.

Ständiger Prüfungsdruck

Dominik Demmelmair ist einer von nur 14 verbliebenen Soldaten im aktuellen Ausbildungsjahrgang. (Foto: Philipp Guelland)

Auch Dominik Demmelmair freut sich, wenn er nach den Ausbildungsabschnitten wieder andere Gesichter sieht. Der 28 Jahre alte Hauptfeldwebel stammt aus Murnau und stieß über den Biathlon zur Gebirgstruppe. Er ist Feldnachrichtenfeldwebel im Gebirgsaufklärungsbataillon in Füssen. Auch er findet die Ausbildung herausfordernd. „Vor allem der ständige Prüfungsdruck ist echt krass“, sagt er. Manchmal stehen an einem Tag mehrere Prüfungen an. Besonders bei der Kletterausbildung in den Dolomiten war es für ihn schwer, unter dem Druck die Nerven zu behalten. Aber am Ende hat er alle Prüfungen bestanden.

Auch heute wird wieder ein Prüfungsparcours aufgebaut. Die Soldaten sollen Fehler erkennen, die die Ausbilder an einer Seilbahn eingebaut haben. Die Ausbilder haben an einer Stelle das Seil mit einem falschen Knoten befestigt, an einer anderen Stelle fehlt eine Sicherung. Für die meisten Prüflinge ist es kein Problem, die Fehler zu finden. Sie wissen, welche Knoten man an welchen Stellen braucht, und welche Karabiner wo eingehängt werden müssen. Auch Demmelmair geht ruhig an die Prüfung heran und findet alle fünf versteckten Fehler in der vorgeschriebenen Zeit von sieben Minuten. Diese Prüfung: zur Abwechslung einmal nur mäßig schwer.

Das wird sich bald ändern. Im Frühsommer erwartet die Teilnehmer eine letzte große Herausforderung, bevor sie schließlich zum Heeresbergführer ernannt werden: Sie müssen in Chamonix am Mont Blanc, also am höchsten Berg der Alpen, noch einmal ihr ganzes Können zeigen. Dort müssen sie zwei Wochen lang Touren planen und die anderen auf den Berg führen. Natürlich sind das nicht irgendwelche Touren: Es wird über Schneefelder und Gletscher gehen. Sie werden über Eis und überhängende Felsen klettern müssen. Und das auf Höhen, in denen Schneestürme auch im Sommer Hände einfrieren lassen und die Orientierung erschweren. Dort wird sich noch einmal zeigen, ob die 14 verbliebenen Kandidaten das Zeug haben, sich Heeresbergführer nennen zu dürfen.

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