Helikopter, Gefechtsstände und Unterhosen
Die Ausrüstung entscheidet mit, ob Armeen Kriege gewinnen und Soldaten überleben. Doch in der Bundeswehr schießt, fliegt und schwimmt angeblich nichts. Schuld sei vor allem das Beschaffungsamt. Ist an dem Vorwurf etwas dran? Nachforschungen in Koblenz
Es sind hoch geheime Bilder. Sie zeigen Terroristen, die Bomben vergraben, Stellungen ausheben oder sich in der Wüste verstecken. Sie stammen von „Tornados“, die mit ihren Kameras nach den Verbrechern des „Islamischen Staats“ suchen. Doch die Daten, die die deutschen Kampfflugzeuge aus Syrien und dem Irak an den Gefechtsstand im türkischen Incirlik senden, sind nicht sicher. Sie können abgefangen werden. Der Gefechtsstand ist alt und besteht aus Zelten und Containern. Die Gefahr ist groß, dass die Bilder der Tornados von den Terroristen in die falschen Hände geraten. Die Luftwaffe reagiert. Sie brauche einen „abstrahlsicheren Gefechtsstand“, meldet sie vom türkischen Incirlik nach Deutschland. Und zwar nicht irgendwann, sondern so schnell wie möglich. Am besten sofort.
Das war im Mai 2016. Knapp drei Jahre später, im April 2019, bezieht die Luftwaffe ein Gebäude aus 72 Einzelcontainern, ausgestattet mit Rechnern, Bildschirmen und Telefonen. In den Wänden und Türen der Container sind Kupferspiralen verbaut. Sie verhindern, dass Telefonate, Funksprüche und Daten nach außen dringen. Alles ist so, wie die Luftwaffe es wollte. Nur einen Wunsch haben ihr die Beschaffungsbehörden nicht erfüllen können. Der Gefechtsstand konnte nicht sofort, sondern erst nach drei Jahren geliefert werden. „Das mag sich lang anhören, ist in Wirklichkeit aber eine rekordverdächtige Zeit“, sagt Christian Teichmann. „So ein Gefechtsstand ist ja kein Projekt von der Stange.“
Christian Teichmann, 40 Jahre alt, trägt ein kariertes Hemd mit kurzen Ärmeln und eine Brille. Er hat Maschinenbau studiert und arbeitet als „Tech-
nischer Regierungsamtsrat“. Teichmann sitzt an einem Besprechungstisch in der „Burg“, dem Hauptsitz des Bundesamts für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr in Koblenz, kurz BAAINBw, und sieht zufrieden aus. „Die Beschaffung des Gefechtsstands ist eine Erfolgsgeschichte, das kann man ruhig auch mal sagen“, erklärt er, während draußen das Signalhorn eines Ausflugsschiffs ertönt. Die „Burg“ befindet sich am Rheinufer, erbaut Anfang des vorigen Jahrhunderts in romanischem Stil als preußisches Regierungspräsidium. Kaiser Wilhelm II. persönlich hatte in die Gestaltung des Gebäudes eingegriffen. Er ließ die Fassaden am Vorbild der Stauffer-Burgen ausrichten. Auf diese Weise wollte er die Macht und Bedeutung des Staats und des Kaisers besonders betonen.
Auch heute steht die „Burg“ noch für Macht und Bedeutung. 1961 übernahm das damalige Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung (BWB) das Gebäude und richtete darin den Sitz der Amtsleitung ein. Seitdem haben Generationen von Beamten von dem Gebäude am Rhein aus gekauft, was die Bundeswehr brauchte: von Wintersocken bis zum Panzer, von der Unterhose bis zum Kampfjet, vom Koppeltragegestell bis zur Luft-Luft-Rakete. Im Lauf der Jahrzehnte wurden Verträge geschlossen, deren Zahl in die Millionen gehen und deren Volumen mehrere Hundert Milliarden Euro betragen dürfte. Kein Rüstungsprojekt läuft ohne das Beschaffungsamt und ohne Beschaffungsamt läuft nichts in den Streitkräften. Wenn in der Bundeswehr jemand Macht und Bedeutung hat, dann ist es die Behörde in der „Burg“.
Der Vorwurf: langsam, ineffizient und überbürokratisiert
Doch selten seit der Gründung der Bundeswehr hat es ein Jahr gegeben, in dem keine Kritik an dem Amt geübt wurde. Es sei zu langsam, ineffizient und überbürokratisiert, lautet der eine Vorwurf. Der andere: Waffen und Ausrüstung seien oft teurer als geplant, kämen später als vereinbart und könnten weniger als vorgesehen. Das sei auch die Schuld des Amts. Von Anfang an war die Behörde umstritten. In den Streitkräften, weil sie so gut wie keinen Einfluss auf die Arbeit des Amts haben, aber die Waffen nutzen müssen, die die Beamten kaufen. Und in der Öffentlichkeit, weil sie den Einkauf von Militärgerät oft genug mit Rüstungsskandalen in Verbindung bringt.
Die Bundeswehr-Geschichte ist reich an Rüstungsskandalen. Das erste Skandalprojekt hieß Schützenpanzer HS-30. Er wurde in den 1950er Jahren auf Basis eines Holzmodells beschafft und war aufgrund vieler Konstruktionsmängel für die Truppe völlig ungeeignet. Die vorläufig letzte große Rüstungspleite ist sechs Jahre her. Damals musste das Ministerium die Beschaffung des „Euro Hawk“ stoppen, weil die Drohne für den europäischen Luftraum nicht zugelassen werden konnte. Ihr fehlte ein Kollisionswarngerät. Zu diesem Zeitpunkt hatte das Beschaffungsamt aber schon mehr als eine halbe Milliarde Euro in das Projekt investiert. Der damalige Verteidigungsminister Thomas de Maizière und einige Spitzenbeamte mussten sich anschließend vor einem Untersuchungsausschuss des Bundestags rechtfertigen. De Maizière hat sich später beklagt, nicht frühzeitig über die Probleme bei der Drohne informiert worden zu sein. Das ging auch an die Adresse des Beschaffungsamts. Dessen Leitung tauchte ab. Aus der „Burg“ in Koblenz wurde eine Trutzburg.
Das Hauptportal der „Burg“ ist mit Reliefbüsten der deutschen Kaiser Karl der Große und Friedrich Barbarossa geschmückt. Unter den Erkern des Südturms sind die Köpfe des Generals Blücher und des Freiherrn vom Stein, beide Helden der deutschen Befreiungskriege gegen Napoleon, zu sehen. Das Innere des Gebäudes schmücken Rundbögen, Pfeiler und Säulen sowie eine verzierte Holzdecke. Hier mischt sich Romanik mit dem Geruch von Kaffee und Bodenreiniger. Viele Türen in der „Burg“ stehen offen und geben den Blick in die Büros frei. Frauen und Männer aller Altersgruppen sitzen zu zweit oder zu dritt vor ihren Computern. In einem der Büros steht ein runder Besprechungstisch mit Wasser und Kaffee darauf. An diesem Tisch hat das BAAINBw eine Transparenzoffensive begonnen. Präsidentin Gabriele Korb, seit einem Jahr im Amt, will aus der Trutzburg heraustreten und wieder offener kommunizieren. Sie hat zugestimmt, dass sich Mitarbeiter im Beisein eines Presseoffiziers den Fragen eines Journalisten stellen. Das hat es unter ihrem Vorgänger selten gegeben.
Christian Teichmann, der Technische Regierungsamtsrat, sitzt nun also an dem runden Besprechungstisch und erzählt den Fall von dem „verlegbaren abstrahlsicheren Gefechtsstand“. Im Herbst 2014 hatte die Bundesregierung entschieden, die „Tornados“ in die Mission „Counter Daesh“ nach Incirlik in die Türkei zu schicken. Zu diesem Zeitpunkt verfügte die Luftwaffe nur über einen „verlegbaren abstrahlsicheren Gefechtsstand“. Er wurde für den Einsatz im Baltikum gebraucht. Es musste schnellstens ein zweiter Gefechtsstand gekauft werden. Doch „schnell“ ist beim Kauf von Waffen und Militärausrüstung ein relativer Begriff. Öffentliche Aufträge müssen europaweit ausgeschrieben werden. Das kostet Zeit. Mindestens ein Jahr. Eigentlich.
„Diese Zeit hatten wir nicht“, sagt Christian Teichmann. „Die Luftwaffe brauchte den Gefechtsstand ja so schnell wie möglich,“ und zwar für einen laufenden Einsatz, dem der Bundestag zugestimmt hatte. Das gab dem Projektleiter die Möglichkeit, eine Sonderform des Materialeinkaufs anzuwenden. Sie nennt sich „einsatzbedingter Sofortbedarf“ und wurde während des Kosovo-Einsatzes eingeführt. Damals brauchte die Truppe schnellstens mehr geschützte Fahrzeuge. Sie wurden abseits der üblichen Beschaffungswege gekauft, quasi auf der Überholspur, wie Christian Teichmann sagt. So war es auch bei dem Gefechtsstand. Im Normalfall muss ein Projekt, das mehr als 25 Millionen Euro kostet, in den Haushalt eingestellt und vom Bundestag genehmigt werden. Das dauert oft zwei Jahre. Bei Ausrüstung, die dringend für den Einsatz benötigt wird, macht das Parlament eine Ausnahme.
Teichmann benötigte 35 Millionen Euro und bekam sie, ohne dass sich der Bundestag damit zuvor eingehend befasst hatte. Schon Ende April 2017, ein Jahr nachdem die Luftwaffe den Bedarf angemeldet hatte, sei der Beschaffungsvertrag unterschriftsreif gewesen. Dabei kam Teichmann noch eine zweite Sonderregel entgegen. Wenn es nur einen Hersteller auf dem Markt gibt, der alle Kriterien erfüllt, dann kann die Bundeswehr den Auftrag auch direkt und ohne Ausschreibung vergeben. Das war in diesem Fall möglich. Es gab nur eine Firma, deren Container so miteinander gekoppelt werden können, dass sie abhörsicher sind. Es war das Unternehmen, das auch schon den vorhandenen Gefechtsstand gebaut hat.
Abstrahlsicherer Gefechtsstand eher Ausnahme als Regel
Im Januar dieses Jahres ist Christian Teichmann ins Einsatzgebiet gereist. „Ich wollte sehen, ob nach drei Jahren Arbeit nun auch vor Ort alles glatt geht“, sagt er. Ende März war der Gefechtsstand einsatzbereit, nun aber nicht mehr in Incirlik, sondern in Al-Asrak. Nach den politischen Verwerfungen mit der Türkei hatte die Bundesregierung 2017, mitten in der Planungsphase für das Projekt, entschieden, die Tornados nach Jordanien zu verlegen. „Ich musste nun nicht mehr mit den türkischen, sondern mit den jordanischen Behörden über die Einfuhr des Gefechtsstands verhandeln“, sagt Teichmann. Tagelang habe er telefoniert, um die Zollformalitäten zu klären. Am Ende sei der Gefechtsstand einen Monat früher als geplant einsatzbereit gewesen.
Doch Beispiele wie der „abstrahlsichere Gefechtsstand“ sind die Ausnahme im Beschaffungsprozess der Bundeswehr. In der Regel ist er so: Die Truppe fordert ein neues Waffensystem. Das Planungsamt der Bundeswehr prüft, ob die Forderung berechtigt ist. Dann beschreibt es, was das System können soll. Das nennt sich „funktionale Fähigkeitsforderung“. Anschließend übernimmt das Beschaffungsamt und arbeitet zunächst drei Fragen ab. Erstens: Gibt es dieses Waffensystem schon in der Bundeswehr und reicht ein Upgrade? Zweitens: Welche Systeme dieser Art existieren auf dem Markt? Drittens: Wie ließe sich eine Neuentwicklung realisieren? Dann erarbeitet das BAAINBw Lösungsvorschläge und legt sie dem Generalinspekteur vor. Er trifft die „Auswahlentscheidung“. Schließlich schreibt das Rüstungsamt den Auftrag aus. Am Ende steht ein Beschaffungsvertrag. Dauer des Prozesses: mindestens ein Jahr, mitunter auch fünf. Und manchmal noch länger.
Einer, der sich im BAAINBw mit diesem Prozess sehr gut auskennt, ist der Leitende Regierungsdirektor Matthias Mantey. Der 44-jährige Jurist leitet das Grundsatzreferat Vergaberecht und damit einen der wichtigsten Bereiche des Rüstungsamts. Pro Jahr werden dort ungefähr 10.000 Beschaffungsverträge erstellt. Als Ursula von der Leyen Ende 2013 ins Verteidigungsministerium einzog, lautete eine ihrer ersten Forderungen an das Beschaffungsamt in Koblenz, es müsse für die Bundeswehr vorteilhaftere Abkommen mit der Industrie schließen. Es sei inakzeptabel, dass die Hersteller später, schlechter und teurer als geplant lieferten und dafür nicht einmal belangt werden könnten. Das ist in der Vergangenheit immer wieder der Fall gewesen, etwa beim Eurofighter, Kampfhubschrauber „Tiger“, Schützenpanzer „Puma“ oder der Fregatte F124.
Seitdem achten Mantey und seine Kollegen gemeinsam mit den einzelnen Projektleitern darauf, dass noch klarer als früher beschrieben wird, was die Industrie abzuliefern hat. Es gibt einfache Fälle wie zum Beispiel Unterhosen. Sie sollen wärmen, gleichzeitig aber atmungsaktiv sein und dürfen auch nach 60 Wäschen nicht einlaufen. Die Anforderungen an eine Soldatenunterhose lassen sich in ein paar Hundert Punkten formulieren. Das ist für die Verhältnisse des BAAINBw wenig, die Ausschreibung dauerte aber trotzdem neun Monate. Und dann gibt es die Großsysteme, Leuchtturmprojekte, wie sie im Amt genannt werden. Zum Beispiel das Mehrzweckkampfschiff 180 (MKS180). Es soll in der Lage sein, Ziele in der Luft, über und unter Wasser sowie an Land zu bekämpfen. Das Rüstungsamt muss exakt beschreiben, wie es sich das Schiff, seine Einrüstung und die Waffenanlagen vorstellt. Nur dann weiß die Industrie, was sie herstellen soll. Und nur dann hat das Beschaffungsamt eine Handhabe, wenn der Produzent nicht liefert, was vereinbart war. Die technischen Forderungen für das MKS180 summieren sich inzwischen auf mehr als 7.000 Punkte. Die Ausschreibung begann vor drei Jahren – und dauert bis heute an.
Beschaffungsprojekte sind in Koblenz nach Priorität geordnet. An oberster Stelle der Skala steht alles, was mit der „VJTF2023“ zu tun hat. Die VJTF ist die Schnelle Eingreiftruppe der Nato. Die Bundeswehr stellt diesen Kampfverband gerade auf, damit er im Jahr 2023 voll einsatzfähig ist. Der Bedarf der VJTF reicht von der persönlichen Ausstattung der Soldaten bis zum Panzerabwehrsystem „Mells“ für den Schützenpanzer „Puma“. Direkt dahinter folgen die „Leuchtturmprojekte“. Das sind das MKS180 und die Euro-Drohne, aber auch das Future Combat Air System (FCAS). Diese Projekte binden viel Personal, das dann an anderer Stelle fehlt. Es gibt einen aktuellen Fall, der beispielhaft aufzeigt, wozu das führen kann. Es handelt sich um das Einsatzausbildungszen-trum für die Besatzungen der neuen Fregatte F125 (Kosten: mehr als 3 Milliarden Euro) in Wilhelmshaven. Die Schiffe werden gerade ausgeliefert, doch die Ausbildungseinrichtung wird erst in gut zehn Jahren fertig sein. Der Grund dafür ist, dass das BAAINBw nicht genug Personal hatte, um das Einsatzausbildungszentrum rechtzeitig zu planen. Die Folge: Die Marine hat zwar neue Schiffe, aber nur eingeschränkt ausgebildete Besatzungen.
Personalmangel ist eines der Kernprobleme
Der Personalmangel ist eines der Kernprobleme des BAAINBw. Von 11.400 Dienstposten sind derzeit 2.200 nicht besetzt. Dafür gibt es zwei Gründe. Da wäre der massive Personalabbau. Seit 1990 wurde die Bundeswehr stetig verkleinert. Die Folgen zeigen sich auch im Beschaffungsamt. Hoch qualifizierte Mitarbeiter sind in die Wirtschaft gewechselt oder haben sich vorzeitig pensionieren lassen. Der Altersdurchschnitt der Behörde liegt bei 45 Jahren. Erst langsam kommen junge Leute nach: Ingenieure, Wissenschaftler, Techniker und Juristen. Doch das sind Fachkräfte, die auch die Wirtschaft braucht. Damit nicht genug: Bis 2021 werden weitere eintausend Mitarbeiter altersbedingt das Amt verlassen. Das sorgt dafür, dass innerhalb der nächsten zwei Jahre mehr als 3.000 Stellen besetzt werden müssten.
Ein Blick auf den Arbeitsmarkt zeigt, dass dies illusorisch ist. Schon heute versucht das Amt in Koblenz, seinen Personalmangel durch den Einkauf „externer Unterstützungsleistungen“ zu kompensieren. „Externe Unterstützer“ sind etwa Juristen, die an Verträgen mitarbeiten, oder Ingenieure, die helfen, die Fähigkeiten neuer Waffen zu beschreiben. Politiker und Medien verwenden für diese Fachkräfte das Wort „Berater“. Doch das ist falsch. Berater analysieren Prozesse und machen Vorschläge, wie sie effektiver gestaltet werden können. Es war vor allem das Verteidigungsministerium, das in den vergangenen Jahren die Dienste von Beratern beansprucht hat, nicht das Amt in Koblenz. Dennoch forderte die SPD erst vor Kurzem wieder, das BAAINBw solle sich nur im „absoluten Ausnahmefall und als Kurzfristlösung“ von „Beratern“ unterstützen lassen und stattdessen schneller neues Personal einstellen.
Doch das ist leichter gesagt als getan. Denn wie bei den Soldaten gibt es auch bei den Beamten der Bundeswehr Laufbahnen. Eine fachliche Qualifikation allein reicht nicht, um etwa in den Höheren Dienst eingestellt zu werden. Dafür braucht ein Bewerber auch eine Ausbildung für eine Beamtenlaufbahn. Das sorgt dafür, dass das Beschaffungsamt mögliche Seiteneinsteiger aus der Indus-trie nicht direkt einstellen kann. Sie müssten zunächst für zwei Jahre die Schulbank drücken, obwohl ihre Expertise akut benötigt wird. Hinzu kommt, dass die Industrie Fachkräfte weitaus besser bezahlt als der Staat. Und schließlich entscheidet nicht das BAAINBw über die Besetzung von Dienstposten in seinem Haus, sondern das Bundesamt für das Personalwesen der Bundeswehr. In der Wirtschaft kann ein dringend benötigter Mitarbeiter von einem Tag auf den anderen eingestellt werden und sofort loslegen. Im Beschaffungsamt hingegen können Jahre vergehen.
Ein neuer Tag, ein neues Gespräch: Olaf Schröder, 43 Jahre alt, Technischer Regierungsdirektor und Informatiker, leitet ein Beschaffungsprojekt der höchsten Priorität. Es geht um das „Battle Management System“ für 2.700 Fahrzeuge und Panzer der „VJTF2023“. Jedes dieser Fahrzeuge ist mit einem Computer ausgerüstet, auf dem die Soldaten ihren Operationsplan finden. Schröder ist dafür verantwortlich, dass die Computer rechtzeitig die neueste Software bekommen, „quasi Karte, Bleistift, Kompass, nur in digital“, wie er sagt. Bevor Schröder beim BAAINBw anfing, war er zwölf Jahre lang Zeitsoldat. Damals haben seine Vorgänger im Amt noch andere Wege genutzt, um ein Projekt zu realisieren. Wenn sie eine neue Software für die Truppe brauchten, haben sie eine Firma gesucht und mit ihr gemeinsam die Software entwickelt. Das kostete zwar mehr als ein alternatives Produkt von der Stange, war aber meist genau das, was die Truppe brauchte.
Heute ist dieses Vorgehen nicht mehr ohne Weiteres möglich. Die Truppe soll schneller kriegen, was sie braucht. Da muss es im Zweifel nicht die „Goldrandlösung“ sein. „Also haben wir entschieden, eine Software zu kaufen, die schon auf dem Markt existiert“, sagt Olaf Schröder. Derzeit verhandelt er mit den Unternehmen, die es in die engere Wahl geschafft haben. Im Dezember soll der Vertrag geschlossen und schon zehn Tage später die Software geliefert werden. Schröder wird sie dann mehrere Monate lang erproben. „Wenn alles klappt, findet Mitte nächsten Jahres das ,Rollout‘ statt“, sagt er. Damit meint er, dass die Software auf die Computer in den Fahrzeugen überspielt wird. Zwischen Projektstart und Realisierung lägen dann nur zwei Jahre. Das sei rekordverdächtig und nur deshalb möglich, weil die VJTF höchste Priorität im Ministerium und damit im Beschaffungsamt habe.
Das ist gut für die VJTF. Und schlecht für viele andere Rüstungsprojekte. Sie müssen warten, bis die VJTF-Projekte abgearbeitet sind. Das wird noch ein paar Jahre dauern und liegt nicht daran, dass das Geld fehlt. Geld sei gerade nicht das Problem, heißt es im Amt. Das Problem sei das Personal. Das sehen viele Politiker und Soldaten genauso, allerdings meinen sie es anders. Sie sehen nicht die Personalengpässe im Amt, sondern sie
unterstellen dem Personal, „träge, unflexibel und reformunfähig“ zu sein. Keiner der Gesprächspartner wollte sich zu dieser Kritik offen äußern. Doch im Amt heißt es, dass viele Mitarbeiter jährlich mehrere hundert Überstunden anhäuften und aufgrund der hohen Arbeitslast nicht abbauen könnten.
Amt soll entlastet werden
In den vergangenen Jahren hat es eine Reihe von Studien gegeben, wie das Rüstungsamt effizienter werden könnte. Die Rede war von Privatisierung, von einer Umwandlung in eine Agentur oder Gesellschaft öffentlichen Rechts. Doch diese Pläne sind vom Tisch. Statt einer Radikalreform soll das Amt von kleinen Beschaffungsprojekten entlastet werden und leichter Personal einstellen können. „Wir wollen und müssen bei der Beschaffung besser werden und die Ausrüstung muss schneller, einfacher und zielgenauer an die Frau und den Mann kommen“, sagte Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer Mitte September vor den Mitarbeitern des Amtes in Koblenz.
Dazu sollten etwa „Kompetenzpools“ aus Beamten und Soldaten gebildet werden, um schneller als bisher die benötigten Experten für ein Beschaffungsprojekt finden zu können. Auch Direkteinstellungen sollen künftig unter Umgehung typischer Beamtenlaufbahnmuster möglich sein. Damit könnte sich die Personallage mittelfristig vielleicht entspannen. Doch an den komplizierten Strukturen der Rüstungsbeschaffung werden die Maßnahmen nichts ändern. Denn sie werden nicht zuletzt durch hunderte Gesetze und tausende Vorschriften gemacht.
Da wäre zum Beispiel das Tierschutzgesetz. Wenn die Bundeswehr etwa Unterhosen aus Merinowolle bestellen will, müssen die Beamten in Koblenz auch die Lebensbedingungen der Merinoschafe überprüfen. Sie haben regelmäßig zu kontrollieren, ob die Tiere artgerecht gehalten werden. Und da wäre die EU-Vergabeverordnung. Sie schreibt seit 2012 vor, dass das Beschaffungsamt so gut wie jeden Auftrag europaweit ausschreiben muss. Abgelehnte Unternehmen können leichter als früher gegen eine Vergabe gerichtlich vorgehen. Wozu das führen kann, zeigt das Beispiel „Heron TP“. Seit zwei Jahren klagt das US-Unternehmen General Atomics gegen die Entscheidung der Bundeswehr, den Auftrag für eine bewaffnungsfähige Drohne an ein israelisches Unternehmen zu vergeben. Bis zu einer endgültigen Entscheidung können die Drohnen nicht bestellt werden.
Was bleibt nach gut einer Woche beim BAAINBw? Die Mitarbeiter wollen das beste Material für die Soldaten. Das kann man ihnen guten Gewissens unterstellen, nicht zuletzt, weil viele von ihnen früher auch bei der Truppe waren odes es heute noch sind. Doch dabei bewegen sie sich in einem schwierigen Spannungsfeld. Dieses Spannungsfeld besteht aus Politik, Streitkräften und Indus-trie, die bei der Rüstungsbeschaffung allesamt eigene Interessen verfolgen. Die Politiker wollen wiedergewählt werden und keine Rüstungsrisiken eingehen. Die Streitkräfte wollen von allem nur das Beste und zwar schnell. Denn die beste Ausrüstung kann entscheiden über Sieg oder Niederlage, über Leben oder Tod. Und die Unternehmen wollen vor allem Geld verdienen und Arbeitsplätze erhalten. Eine Flut an Gesetzen und Vorschriften hegt den Handlungsspielraum des Amts weiter ein. Zugleich ist die Behörde Gefangene ihrer selbst. Knapp 9.000 Mitarbeiter verteilt auf mehr als ein Dutzend Standorte in Deutschland, das allein sorgt schon für gewaltige Reibungsverluste. Hinzu kommen starre Laufbahnen, fehlende Personalhoheit und, wie es in einem Expertenbericht heißt, eine „Kultur, die dazu neigt, alles zu verkomplizieren“.
Der Expertenbericht wurde in diesem Frühjahr im Auftrag des Verteidigungsministeriums erstellt. Seine wichtigste Forderung steht auf der ersten Seite ganz unten. Sie lautet, dass eine effizientere Beschaffung nur möglich sei, wenn die Bundeswehr in den kommenden Jahren stetig mehr Geld bekommt. In der Vergangenheit mussten Beschaffungsprojekte immer wieder unterbrochen werden, weil die Politik die Mittel strich. Wie es aussieht, wird sich an dieser Praxis nichts ändern. Die Bundesregierung plant, den Etat der Bundeswehr vom übernächsten Jahr an wieder zu kürzen.
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