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Außenposten des Iran

Die Hizbollah im Libanon ist eine der mächtigsten Terrororganisationen der Welt. Sie verfügt über ein Arsenal von 150.000 Raketen. Ihre Elite wird im Iran ausgebildet. Einer der Hebel für Krieg und Frieden im Nahen Osten liegt somit in Teheran. Woher kommt die Hizbollah und wie agiert sie?

Ein Anhänger der Hizbollah mit einer Fahne der "Partei Gottes" auf einer Propagandaveranstaltung in Teheran Ende vergangenen Jahres.

Foto: picture alliance / Anadolu

Ihre Flagge zeigt das Programm:  Auf gelbem Untergrund prangt giftgrün ihr Slogan. Eine Faust reckt die Kalaschnikow in die Höhe. Die obere Zeile über dem Gewehr ist ein Zitat aus der Koran-Sure 5:56: „Die Partei Gottes sind die Obsiegenden.“ Die untere Zeile bedeutet: „Der islamische Widerstand im Libanon.“ Slogans und Emblem auf der Flagge spiegeln nach  gut vier Jahrzehnten Kampf dieser Organisation gegen Israel die harte politische Realität in der Region. In unregelmäßigen Abständen führt die Hizbollah Kämpfe gegen Israel an dessen Nordgrenze zum Libanon. Nach dem Terrorangriff auf Israel der Hamas aus dem Gaza-Streifen und dem Massaker an Israelis vom 7. Oktober vergangenen Jahres rechnete die Welt mit groß angelegten Attacken auch der Hizbollah auf den jüdischen Staat. Doch die Lage eskalierte unerwarteterweise nicht. Es blieb bei fast täglichen Scharmützeln mit Mörsergranaten und Artillerie. Der Zwei-Fronten-Krieg – im Süden gegen die Hamas, im Norden gegen die Hizbollah – blieb Israel erspart, vorerst jedenfalls. Alles hängt davon ab, wie das Mullah-Regime im Iran sich verhält.

Denn die Hizbollah ist ohne den Iran nicht denkbar. Das dortige Regime ist die Anlehnungsmacht der Organisation, ohne Teheran geht kaum etwas bei der Hizbollah. Seit ihrer Gründung 1982 hat sich die Schiiten-Miliz zum wichtigsten operativen Arm  der Mullahs außerhalb des Iran entwickelt. Der Zugriff der Hizbollah auf den Libanon vollzog sich von Beginn an mit massiver Unterstützung der diplomatischen Vertretungen Irans in Damaskus und Beirut. Schlüsselfigur in den ersten Jahren war der ehemalige Botschafter Teherans in der syrischen Hauptstadt, Ali Akbar Mohtashemi. Er organisierte von Damaskus aus den Aufbau der Hizbollah, steuerte  Waffenlieferungen, Ausbildung und Finanzen – mit anfangs jährlich bis zu  100 Millionen Dollar. Neben der engen Partnerschaft zum Iran gilt bis in die Gegenwart das Assad-Regime in Syrien als weiterer gefährlicher Bündnisgenosse der Hizbollah. Als im syrischen Bürgerkrieg das Regime Bashar Assads wankte, unterstützte die inzwischen hochgerüstete Hizbollah mit nicht weniger als 4.000 Kämpfern das syrische Militär.

Die Hizbollah wird installiert

Gründung und Aufstieg der Hizbollah sind mit dem Sturz des Schahs und der Machtübernahme durch Ayatollah Khomeini 1979 im Iran eng verknüpft. Denn die Machtergreifung Khomeinis und der Ausbruch des ersten Golfkriegs 1980 markierten eine epochale Wende in der Geschichte des schiitischen Islams, jener Minderheit im Vergleich zu der Mehrheit der sunnitischen Anhänger dieser Glaubensrichtung. Die Errichtung eines „Gottesstaates“ unter Führung der Mullahs wurde in den theologischen Hochschulen der Schiiten in Nadschaf (Irak) und Ghom (Iran) vorbereitet.

Für die Gründung der Hizbollah boten sich damals im Libanon ideale Voraussetzungen. Die neuen Herrscher Irans erkannten die Chance für die Umsetzung revolutionärer Ideen nach dem Muster der schiitisch-islamischen Revolution von 1979. Es war die Zeit des libanesischen Bürgerkrieges, der von 1975 bis 1989 tobte und Gewalt und Anarchie über die früher sogenannte „Schweiz des Orients“ brachte. Eine funktionierende Regierung gab es nicht. Bereits 1982 wurden 1.500 Ausbilder und Militärberater der iranischen Revo­lutionsgarden, der sogenannten Pasdaran, ins östliche Bekaa-Tal des Libanon eingeschleust. Sie mobilisierten, trainierten und rüsteten eine neue Miliz aus, aus der die Hizbollah entstand. Die frühen Zellen wurden mit Schiiten aus dem Südlibanon gebildet, ebenso mit Männern aus den ärmeren Vororten von Beirut. Damals begann der politische und militärische Aufstieg der schiitischen Minderheit in dem ursprünglich von Christen und sunnitischen Moslems dominierten Libanon.

Hizbollah-Kämpfer bei einer Übung im Frühjahr 2023. (Foto: picture alliance / NurPhoto)

Von Beginn an wurde die Hizbollah wie eine Guerilla-Miliz aufgebaut. Es gab Untergruppen, die sich in Märtyrer- und streng organisierte Mili­täreinheiten unterteilten. Auf lokaler Ebene befehligten Hizbollah-Kommandeure aus der jeweiligen Region die Untergruppen. Deren Offiziere sind nur der Dachorganisation der radikalen Schiiten gegenüber verantwortlich, also am Ende den Mullahs in Teheran. Eine Art Zentralkomitee bündelt alle Aktionen. Die wichtigsten Zentren liegen im Süden Beiruts, im östlichen libanesischen Bekaa-Tal und im Südlibanon.

Kleinste operative Einheit der Hizbollah ist die Zelle. Sie besteht nur aus drei bis sechs Kämpfern. Oft können diese Zellen unabhängig voneinander arbeiten. Verbindungen sind lediglich lose geknüpft, hierarchische Strukturen fehlen. Die letzte Entscheidung trifft der amtierende Generalsekretär. Aktuell ist das Hassan Nasrallah, Sohn eines Lebensmittelhändlers aus dem Südlibanon, der von seinen Anhängern nahezu kultisch verehrt wird.

Die Guerillataktik der Hizbollah spulte in den 1980er- und 1990er-Jahren das gesamte Lehrmaterial der iranischen Berater ab: Entführungen von  Diplomaten, Journalisten und Vertretern karitativer Einrichtungen prägten damals das Bild. Terroristischer Modus Operandi waren schwerste Bombenattentate durch Selbstmörder in mit Sprengstoff beladenen Kraftfahrzeugen. Auf diese Weise starben beispielsweise 1983 bei einem typischen Hizbollah-Angriff auf die US-Botschaft in Beirut 63 Menschen. Im selben Jahre schlugen Hizbollahkommandos gegen Kasernen amerikanischer und französischer Truppen in Beirut zu. 241 US-Soldaten und 58 Franzosen wurden dabei getötet. Beide Nationen stellten damals im Zuge des Bürgerkriegs große Teile der internationalen Friedenstruppen. Angesichts des eskalierenden Terrors der Schiitenmiliz zogen diese alliierten Truppen allerdings bald ab.

Libanesen beobachten israelische Luftschläge gegen Ziele in einem Industriegebiet der Küstenstadt Ghazieh im Süden des Landes im Februar dieses Jahres. (Foto: picture alliance / AP)

1982 starben beim Anschlag auf die Basis der israelischen Truppen in Tyros 80 israelische Soldaten. Israels zeitweilige Besetzung des Libanon hatte ihren Anfang im Kampf gegen Terrorkommandos der palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) unter Yassir Arafat begründet. Im Juni 1982 hatte es einen Terroranschlag auf den israelischen Botschafter Schlomo Argov in London gegeben, woraufhin die israelische Armee in den Libanon einmarschierte, zeitweise sogar bis Beirut. Die PLO und ihre Strukturen wurden zerschlagen, Arafats Kommandos verließen den Libanon und ließen sich in Tunis nieder. Die Hizbollah hingegen füllte das durch den Abzug der PLO entstandene Vakuum und wurde fortan zum noch viel erbitterteren Gegner Israels. Im Jahr 2000 zog sich auch Israel ganz aus dem Libanon zurück. Im Süden des Landes wurde die UN-Truppe UNIFIL installiert. Sie soll als Puffer zwischen Israels Nordgrenze und der Hizbollah dienen. Doch die Ruhe blieb stets trügerisch, denn der Kampf gegen Israel zählt seit ihrem Aufstieg zur DNA der „Partei Gottes“.

Die Schlüsselfiguren

Nach der Entführung von zwei israelischen Soldaten im Sommer 2006 kam es schließlich zum offenen Krieg zwischen der Hizbollah und Israel. Allein 3.000 Raketen feuerte die Miliz in 34 Tagen auf Israel ab. Ihre Widerstandskraft und neue Taktiken überraschten die überlegene israelische Armee immer wieder. Israels Experten stellten eine höhere Verteidigungsbereitschaft und eine im Vergleich zu den Vorjahren deutlich verbesserte und trainierte Kampfdisziplin fest. Inzwischen stützt sich die Hizbollah auf eine Milizarmee von geschätzten circa 20.000 Mann – hochgerüstet und professionell ausgebildet. Zudem kommt noch der politische Einfluss. Denn Hizbollahabgeordnete sitzen im Parlament. Der Libanon ist zur Beute der Hizbollah geworden. Die Partei Gottes fungiert wie ein Staat im Staat, denn sie agiert nicht nur militärisch, sondern hat auch einen zivilen Arm als Wohltätigkeitsorganisation, die sowohl Muslimen als auch Christen zur Verfügung steht. Die Macht der Hizbollah im Libanon scheint zementiert – und ihre Schlüsselfigur, Hassan Nasrallah, ist die alles entscheidende Figur, an der im Libanon niemand mehr vorbeikommt.

Er kam an die Macht, nachdem sein Vorgänger Abbas Musawi bei einem Hubschrauberangriff der Israelis im Frühjahr 1992 getötet wurde. Von Beginn an pflegte Nasrallah engste Kontakte zu den Hintermännern der Hizbollah in Teheran. In der Person Nasrallahs zeigt sich, wie bei allen Spitzenfunktionären der Partei Gottes, die enge Verquickung von Religion und Politik. Es ist eine unheilige symbiotische Allianz. Eine Zeitlang fungierte er auch als ideologischer Lehrer und indoktrinierte die jungen Kämpfer der Partei. 1985 avancierte er zum geistlichen Mentor in den Militärcamps der Hizbollah im Bekaa-Tal. Seine religiöse Ausblldung erhielt Nasrallah in den 1970er-Jahren in der südirakischen Stadt Nadschaf, einem religiösen Zentrum der schiitischen Glaubensrichtung im Islam.

Der Führer der „Partei Gottes“ – Hizbollah-Generalsekretär Hassan Nasrallah – bei einer Rede in Irans Hauptstadt Teheran Anfang November 2023, anlässlich der Hamas-Attacke auf Israel im Monat davor. (Foto: picture alliance / NurPhoto)

Militärische Schlagkraft und Profil verdankt die Hizbollah jedoch zu einem großen Teil Generalmajor Quassem Soleimani, dem früheren Kommandeur der Eliteeinheit Quds der iranischen Revolutionsgardisten. Er galt als genialer Strippenzieher, Architekt des iranischen Terrors, gewiefter Stratege und wichtigster Berater des Religionsführers Ali Chamenei. Suleimani potenzierte den iranisch-schiitischen Einfluss im Libanon, aber auch in Syrien, Irak, Jemen und im Gazastreifen. Zudem knüpfte er ein dichtes Netz diplomatischer und militärischer Verbindungen. Er zielte auf eine schiitisch geprägte Front gegen Israel, die USA, und gegen das sunnitische Saudi-Arabien sowie die ebenfalls sunnitischen Golfstaaten.

Wie perfekt er die Fäden gesponnen hat, zeigte sich darin, dass Quds-Akteure zum Teil als diplomatisches Personal in die iranischen Botschaften integriert wurden. So dienen Quds-Vertreter im Ausland häufig als Verbindungsmänner für terroristische Hizbollah-Kommandos. Manche Stränge dieser Einheit reichen sogar bis zu ihren schiitischen Glaubensbrüdern in Afghanistan. Zudem operiert die Hizbollah schon seit fast 30 Jahren im Dreiländereck Paraguay, Argentinien und Brasilien. Bevorzugtes Aktionsfeld hier: Drogenhandel und Aktionen gegen Israel im Auftrag des Iran. US-amerikanische Experten erkannten sehr früh die Gefahr, die über die Region hinaus von Soleimani ausging. Die USA handelten: Er kam am 3. Januar 2020 bei einem amerikanischen Drohnenangriff ums Leben.

Befeuert vom Iran

Vom Iran üppig mit Ausbildung, Waffen, Material und Geld ausgestattet, füllen nach Schätzungen internationaler Experten aktuell rund 150.000 Raketen die Depots der islamistischen Hizbollah-Miliz. Manche von ihnen sollen bis Tel Aviv und darüber hinaus reichen. Es ist nach Einschätzung der US-Denkfabrik Center for Strategic and International Studies (CSIS) das weltweit größte Waffenarsenal eines nicht staatlichen Akteurs. Israels Luftwaffe bombardiert in regelmäßigen Abständen die Waffentransporte für die Hizbollah, die von Teheran über Damaskus in den Libanon führen. US-Finanzbehörden gingen 2018 von fast 700 Millionen Dollar jährlich aus, die Teheran für die schiitischen Glaubensbrüder im Libanon aufwendet.

Eine Panzerhaubitze der israelischen Armee feuert auf Ziele im Libanon. Mit der Hamas-Attacke haben sich auch die Kämpfe gegen die Hizbollah intensiviert. (Foto: picture alliance / AP)

Aber nicht nur bei der Logistik und den Waffenlieferungen für die Hizbollah sind die iranischen Quds-Einheiten involviert. In Trainingslagern bei Teheran, etwa dem „Imam Ali Camp“, drillen Experten dieser Elitetruppe die Kader und Spezialverbände der Hizbollah – und auch der Hamas. Zum Ausbildungsprogramm gehören neben dem eigentlichen Waffenhandwerk auch extensives Cyberwar-Training, Kommunikationstechniken und Propaganda.

Über die Jahre hat sich die Hizbollah als ein wirkmächtiges Drohpotenzial an Israels Nordgrenze formiert. Jederzeit bereit, auf einen Wink aus Teheran an der Eskalationsschraube zu drehen, sind die Gotteskrieger eine enorme Gefahr für Israel.

Die Aktivitäten der Hizbollah sind für Israels Geheimdienstexperten auch immer ein Seismograph dafür, was die Mullahs in Teheran vorhaben. Denn der iranische Außenposten im Libanon unternimmt nichts ohne Auftrag.


Der Autor

Rolf Tophoven ist Direktor des Instituts für Krisenprävention (IFTUS) in Essen. Schwerpunkte seiner Arbeit sind der Nahostkonflikt und der nationale und internationale Terrorismus.

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