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Im Kriechgang

Die Bundeswehr erhält eine neue Struktur, um sie kampffähiger zu machen. Pate steht ein Modell, das vor mehr als fünf Jahren entworfen wurde, aber als zu radikal galt. Auch jetzt wird es nur teilweise umgesetzt.

Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) und Generalinspekteur Carsten Breuer wollen eine Bundeswehr als leistungsfähige Rahmenarmee.

Foto: picture alliance / photothek

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Die Bundeswehr muss für den Fall eines russischen Angriffs auf die NATO kriegstüchtig werden, so Verteidigungsminister Boris Pistorius. Ziel ist die Schaffung einer leistungsfähigen Rahmenarmee, an die kleinere Partner andocken können, um gemeinsam kampfstarke europäische Großverbände aufzustellen. Für deren Operationen muss Deutschland zum belastbaren logistischen Drehkreuz werden. Nur fünf bis acht Jahre Zeit gibt es dafür, schätzt Generalinspekteur Carsten Breuer. So lange bräuchte Russland wohl, um seine Streitkräfte zu erneuern. Deutschlands Reaktion erfolgt im Kriechgang. Seit der Krimannexion 2014 wurde immer klarer, dass sich die Bundeswehr auf einen intensiven Landkrieg gegen ein aggressives Russland vorbereiten muss. Doch erst jetzt bewegt sich die Bundeswehr in Richtung einer passenden Struktur dafür.

So werden das Einsatzführungskommando für Auslandseinsätze und das Territoriale Führungskommando für Deutschland zu einem einzigen operativen Führungskommando verschmolzen. Ein solches Joint Command ist Standard bei anderen Streitkräften und hierzulande überfällig. Der Organisationsbereich Cyber- und Informationsraum wird zur Teilstreitkraft aufgewertet. Die Streitkräftebasis mit ihrer Logistik und die Sanität gehen in einem Organisationsbereich Unterstützung zusammen.

Diese Anpassungen entsprechen dem „Dimensionsmodell“, das die militärischen Nachwuchskräfte an der Führungsakademie 2019 entworfen haben. Bei ihrem Konzept hatten die jungen Offiziere klar die militärische Optimierung der Bundeswehr im Blick. Nach ihrem Entwurf sollten auch der Bereich Weltraum und die Spezialkräfte unter eigenen Dimensionskommandos zu Teilstreitkräften werden, was weiterhin aussteht. Beauftragt hatte die Studie der damalige Generalinspekteur Eberhard Zorn (siehe loyal 2/2021).

Was nun in Teilen kommt, galt damals als zu radikal. Die sogenannten „Eckpunkte“-Reformansätze der letzten CDU-Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer 2021 beschränkten sich auf konservative Anpassungen, wie die Aufwertung des Kommandos Territoriale Aufgaben zum nationalen Führungskommando. Umgesetzt wurde das Ende 2022 unter Kurzzeitministerin Christine Lambrecht (SPD). Die umständliche Führung eines Bundeswehr-Truppenaufmarsches über zwei Kommandos konnte sich nur ein Jahr lang behaupten; es wird nun abgewickelt.

Pistorius-Reform

Weiterhin schwache Strukturen prägen allerdings auch die Pistorius-Reform. Die neue Grundstruktur, die jetzt kommt, fällt in einem wichtigen Punkt sogar hinter den „Eckpunkte“-Ansatz zurück: Nach diesem sollte das Heer Feldjäger, ABC-Abwehr und die Kräfte für die zivil-militärische Zusammenarbeit erhalten. Die Arbeitsgruppe von Pistorius ging ursprünglich noch weiter und gab sogar die Heimatschutzkräfte an das Heer. Die stimmige Logik dahinter: Die wichtigste Teilstreitkraft der Bundeswehr im Kriegsfall sollte die meisten Ressourcen bei sich haben, die es für eine rasche Mobilisierung braucht. Kurz vor Verkündung der Reform spitzten sich jedoch die üblichen Verteilungskämpfe zwischen Teilstreitkräften und Organisationsbereichen zu.

Am Ende fällte der Verteidigungsminister ein salomonisches Urteil nach Proporz, nicht nach militärischem Mehrwert. Nun erhält das Heer nur die Heimatschutzkräfte, die anderen Teile gehen allesamt an den Unterstützungsbereich. Im Ergebnis wird aus der geplanten Stärkung des Heeres sogar eine Belastung. Denn die dürren Heimatschutzkräfte mit ihrer Zielstruktur von 3.000 Reservisten bieten den Landstreitkräften kaum einen Mehrwert. Das Heer bräuchte vor allem eine Reserve zum Feldersatz. Ausbildung und Koordinierung der Personalgewinnung des Heimatschutzes muss das Heer nun mit seinen angespannten Ressourcen stemmen. Die Landeskommandos, denen die Heimatschutzkräfte zurzeit noch zugeordnet sind, gehen an das neue Operative Führungskommando und verkümmern wieder zu reinen Vorposten zur Amtshilfe. Sinnvoller wäre es gewesen, die gesamten territorialen Ressourcen wenigstens im Unterstützungsbereich zu bündeln.

Sanitätssoldaten trainieren gemeinsam mit Spähkräften die Übernahme von Verwundeten für den weiteren Transport. (Foto: Bundeswehr / Anna Derr)

General a. D. Rainer Glatz, bis 2013 Befehlshaber des Einsatzführungskommandos, im Gespräch mit loyal: „Das große Fehl dieser Reform ist für mich eine neue Reservekonzeption, die mit der Freiwilligkeit Schluss macht. Nur so lassen sich größere Truppenstärken für einen ernsthaften Heimatschutz aufbauen. Auch die Erweiterung der Rekrutierungsbasis der Bundeswehr über eine Dienstpflicht ist unerlässlich.“ Verteidigungsminister Pistorius lässt sein Ressort diverse Dienst- und Wehrpflichtmodelle auf ihre Vor- und Nachteile prüfen. Eine Art Bestenauslese soll dann der Politik zur Bewertung und Diskussion präsentiert werden. Ein zügiges Ergebnis, wenn überhaupt, ist hier nicht zu erwarten. Damit dürfte der Elan der zivilen Wehrverwaltung begrenzt sein, den Ministerauftrag zur Reform anzugehen und Strukturen aufzubauen, die eine Wiederaufnahme der Wehrpflicht erlauben.

Schwache Strukturen bleiben

Es gibt noch weitere Schwachpunkte der kommenden Struktur. In den Reformkämpfen versuchte das Sanitätswesen, seine Eigenständigkeit zu bewahren; es hatte die Befürchtung, ohne eigenen Organisationsbereich könnte es fachlich verkümmern. Um das zu verhindern, soll nun ein „Gesamtverantwortlicher für die Gesundheitsversorgung der Bundeswehr“ im Ministerium angesiedelt werden, der die Weiterentwicklung der Sanität sicherstellt. Damit er dort durchsetzungsfähig ist, bräuchte er wohl mindestens Abteilungsleiterstatus samt den entsprechenden Ressourcen.

Der Bereich, den er gestalten soll, findet sich künftig beim Unterstützungskommando. Dessen Leiter dürfte ein Drei-Sterne-General werden, um sich gegen die Einzelinteressen der Inspekteure der Teilstreitkräfte behaupten zu können. Schließlich muss er diverse und knappe Ressourcen in seinem Bereich so bewirtschaften, dass sie der Bundeswehr als Ganzes gerecht werden. Laut dem Inspekteur der Streitkräftebasis, Generalleutnant Martin Schelleis, reicht die gesamte SKB-Logistik momentan nur aus, um eine von drei Heeresdivisionen ins Feld zu stellen.

Für eine tiefgreifende Strukturreform der Bundeswehr bis in die taktische Ebene bräuchte man mehr Personal und Material. Eine Unterfütterung der Großverbände mit eigener Logistik und Sanität für eine hohe Durchhaltefähigkeit im Kriegsfall ist nicht machbar. Woran es mangelt, wird im neuen Unterstützungsbereich gebündelt. Die Bundeswehr rechnet laut Bericht der Projektgruppe „mit Priorisierungskonflikten zum Einsatz der Mangelressourcen“ zwischen den Teilstreitkräften. In diesem Fall soll der stellvertretende Generalinspekteur als Schiedsrichter entscheiden. Klar ist: Die NATO will absehbar mehr Fähigkeiten und Truppen von Deutschland. Die Allianz strebt mehr als die bestehenden zehn Korps an. Alle sollen zudem mit drei Divisionen hinterlegt werden (siehe loyal 4/2024).

Geht es um die Mangelressource Personal, verzerrt ein Trugbild die Vorstellung von einer gelungenen Bundeswehrreform, nämlich das Narrativ „weniger Generäle, mehr Truppe“. Die Militärplaner nutzen es gerne, um ihre Reformbemühungen zu verkaufen. In den Medien ist die gefällige Erzählung beliebtes Eichmaß für die vermeintliche Wirksamkeit einer Streitkräftereform. Dass es zu einer engen Verzahnung der Sanitäts- und Logistikkommandos im neuen Unterstützungsbereich kommt, bei der umfassend Stabsposten eingespart werden, ist kaum zu erwarten. Es handelt sich um zwei völlig unterschiedliche Fachbereiche. Wahrscheinlich ist eher ein Nebeneinander der zwei Säulen, deren Vernetzung bestenfalls mit wenig Personal gelingt.

Detailplanung zur neuen Struktur

Generell wäre der Abbau von Stabsstellen nur ein Tropfen auf den heißen Stein, wenn es um das Wesentliche für mehr Kriegstüchtigkeit geht: den Aufbau weiterer Verbände, vor allem für Artillerie und Flugabwehr. Hierfür bräuchte es schon eine massiv gesteigerte Rekrutierung. Zudem gilt: Speziell operative Stäbe zur Truppenführung, die jetzt überall in den NATO-Strukturen ausgebaut werden sollen, brauchen viel Personal. Daneben bauen die NATO und die EU-Europäer ihre Streitkräftekooperationen stetig aus. Für all das braucht es im Rang tendenziell hohe Offiziere, um auf Augenhöhe mitreden zu können. Eine bedeutende Verringerung hoher Offiziersposten wird nicht kommen. Wer das als Gradmesser einer sinnvollen Streitkräftereform hernimmt, lügt sich in die eigene Tasche.

Soldaten des Aufklärungsbataillons 3 „Lüneburg“ starten eine Drohne vom Typ Aladin. Die Einsatzgrundsätze zur Drohnenkriegsführung bei der Bundeswehr sind unterentwickelt. (Foto: picture alliance / dpa)

Für die Kriegstüchtigkeit relevanter wird die Detailplanung zur neuen Struktur sein, die laut Minister Pistorius in einem halben Jahr abgeschlossen sein soll. Hier geht es beispielsweise darum, die Unter­stüt­zungs­kräfte für sogenannte „Couleurverhältnisse“ zu den Teilstreitkräften umzugliedern. Gemeint ist damit die feste Zuordnung eines Truppenteils zu einem anderen. Das soll ein eingespieltes Zusammenwirken bei Operationen ermöglichen. Laut einem Sprecher des Sanitätskommandos werden die Einsatz-Sanitätsstaffeln dazu umgegliedert. Als Beispiel werden ein Zug der Sanitätsunterstützung in Gera und das Panzerpionierbataillon 701 genannt. Um die Heeresbrigaden mit einem Minimum an Sanität zu versorgen, müsste jede Brigade ein San-Bataillon beigestellt bekommen, so Sanitätsoffiziere gegenüber loyal. Dafür wären dann die bestehenden San-Regimenter umzugliedern.

Auch diese Feinplanung für mehr Kriegstüchtigkeit dürfte begrenzt ausfallen. Aus dem „Dimensionsmodell“ der Führungsakademie übernahm das Eckpunkte-Papier das Ziel von mehr Nutzerverantwortung der Teilstreitkräfte für Fähigkeiten in ihren Dimensionen Land, Luft und See. Der Bericht der Pistorius-Projektgruppe wurde hier kleinlauter. Fakt ist: Die neue Teilstreitkraft Cyber- und Informationsraum bezeichnet sich als „größter Nutzer der Weltraumfähigkeiten“ der Bundeswehr. Das Weltraumkommando wurde aber den Luftstreitkräften zugeordnet. Den taktischen Lufttransport von Bodentruppen auf dem Gefechtsfeld mit dem kommenden Transporthubschrauber Chinook verantwortet nicht das Heer, sondern die Luftwaffe. Die mobile Flugabwehr für die Dimension Land bleibt wegen Dienstpostenmangels zwischen Heer und Luftwaffe zerschnitten.

Defizite beim Training

Zudem muss die Bundeswehr an militärischen Defiziten arbeiten. Ihre Einsatzgrundsätze für die Drohnenkriegsführung sind unterentwickelt, äußerte vor Kurzem Generalleutnant Bernd Schütt, Befehlshaber des Einsatzführungskommandos. Vor allem kriegstaugliche Ausbildung und Training sind ein Schwachpunkt. Die Bundeswehr schreibt auf ihrer Webseite: „Alle Panzer­truppenbataillone sind ange­halten, alle zwei Jahre eine Ausbildung im Schießübungszentrum Panzertruppen zu absolvieren.“ Üppig ist das nicht. Zumal auch die Panzergrenadiere dort beübt werden müssen. Pro Jahr sind maximal zwölf Duell-Gefechtsübungen für 24 Kompanien im Zentrum machbar. Die Panzer- und Panzergrenadiertruppe hat aber 44 Einsatzkompanien.

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