In der Tiefe des Raums
Die militärische Erschließung des Weltraums ist ein Trend unserer Zeit. Auch die Bundeswehr baut ein Weltraumkommando auf. loyal hat es besucht.
Das Weltraumkommando der Bundeswehr entsteht dort, wo die alte Bundesrepublik strategische Tiefe suchte: am ländlichen Niederrhein, nahe der holländischen Grenze, auf einer Hügelkuppe beim Dörfchen Uedem. Schon im Kalten Krieg legte die Bundeswehr hier einen Stützpunkt an. Basen weit im Westen waren beliebt, um wenigstens ein wenig Raum für das schmale Westdeutschland zu schaffen, sollte es zum Krieg gegen die Sowjets kommen. Unter dem Uedemer Hügel liegt der NATO-Luftverteidigungsgefechtsstand für den Nordteil des Allianzgebietes. Von hier aus wird das NATO Air Policing im Baltikum gesteuert. Nach den Terrorattacken von 09/11 kam noch das Nationale Luftsicherheitszentrum hinzu.
Nun geht es darum, die Tiefen des Weltraums militärisch zu erschließen. „Die letzte Dimension, die noch offen ist“, so Oberst i.G. Marco Manderfeld im Gespräch mit loyal. Er ist der militärische Leiter des Weltraumlagezentrums und Chef des Stabes Weltraumkommando der Bundeswehr. Die sperrige Funktionsbezeichnung rührt aus einer Besonderheit: Die deutsche Variante eines Weltraumlagezentrums wird kooperativ von einem zivilen Leiter des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) und einem militärischen der Luftwaffe geführt. Den Streitkräfteanteil wertet die Bundeswehr zurzeit zum Kommando auf. Doch die Militärs sind noch in der Juniorrolle. Ressourcen wie Fachwissen, Programme und Technik kommen vor allem vom DLR.
Dem 42-jährigen Luftwaffenoffizier Manderfeld bereitet seine Pionierarbeit sichtlich Freude, auch wenn das Kommando, vor dem er steht, eher einem Potemkinschen Dorf ähnelt. Das Klinker-Stabsgebäude samt schmuckem Wappen und Flaggenwald davor ist ein Rohbau. Manderfeld und seine Männer arbeiten noch in Baucontainern. Das hinderte die Amtsvorgängerin der jetzigen Verteidigungsministerin nicht, vor der Fassade das Weltraumkommando vergangenen Herbst in Dienst zu stellen. Weltraumsicherheit gilt als Großthema unserer Zeit – ideal für Politiker, um sich damit zu schmücken, weil man sich so als strategischer Kopf präsentieren kann. Auch weil die jüngsten Krisen der Öffentlichkeit anschaulich zeigen, wie wichtig die Weltrauminfrastruktur ist. So ist die „Starlink“-Konstellation mit Mikrosatelliten des US-Unternehmers Elon Musk dauerhaft medial präsent. Bei der Hochwasserkatastrophe im Ahrtal kollabierte dort das Internet. Starlink sorgte für raschen Ersatz. Im Ukrainekrieg basiert die effiziente Feuerleitung der ukrainischen Streitkräfte auf Musks Mikrosatelliten.
Weltweit streben die Staaten danach, Strukturen aufzubauen, um ihre Satelliten-Infrastruktur im Weltall zu schützen und die anderer angreifen zu können. China hat seit 2015 ein Joint-Command für Operationen im All, Cyber- und elektronische Kriegsführung. Die USA bauen inzwischen eine Teilstreitkraft für das All auf. Vermeintlich stellt der UN-Weltraumvertrag von 1967 noch das gültige Weltraumrecht dar: keine Massenvernichtungswaffen im All und keine Aneignung desselbigen. Doch diesen Anspruch hat die Entwicklung längst überrannt. Die USA werben um Beitritt zu ihrem Artemis-Abkommen, einem Regelwerk zur Erschließung von Weltraumressourcen wie Rohstoffen auf Meteoriten. Frankreich ist vor kurzem beigetreten, Deutschland zögert noch. Wie üblich sind die Deutschen keine Vorreiter bei strategischen Themen der Sicherheitspolitik, sondern tasten sich langsam heran.
„Anstoß war für uns insbesondere der Iridium-Zwischenfall 2009“, erläutert Weltraumlagezentrumsleiter Manderfeld. Damals flogen eine russische Sonde und der US-Satellit Iridium 33 ineinander, zersplitterten und erzeugten eine massive Teilchenwolke im All. Solcher Weltraumschrott nimmt stetig zu, nicht zuletzt durch gezielte Abschüsse eigener ausgedienter Satelliten durch die Großmächte, um zu zeigen, dass man in der Lage wäre, jene der Konkurrenten zu erwischen. Die über die Umlaufbahnen jagenden Schrottteile gefährden immer häufiger die aktiven Satelliten, deren Anzahl zudem zunimmt.
Dichtes Bild von Objekten im All aufbauen
Ziel des Weltraumlagezentrums von Luftwaffe und DLR ist ein möglichst dichtes Bild von Objekten im All aufzubauen, um zu erkennen, wann Deutschlands Satelliten Gefahr drohen könnte. Dazu nutzt das Kommando eigene Teleskope vor Ort sowie das TIRA-Radar des Fraunhofer-Instituts in Wachtberg. Künftig sollen noch die mobilen GESTRA-Radare hinzukommen.
Die Entscheidung, ihren militärischen Anteil auszubauen, fällte die Bundeswehr schon vor langer Zeit. Bereits 2013 fiel der Beschluss zum Bau einer Lagezentrale für Weltraumoperationen. Allerdings gab es stetige Verzögerungen. Das Baucontainerprovisorium wurde zur Lösung für eine ganze Dekade. Nun soll das Stabsgebäude des Kommandos im April 2023 bezugsfertig sein. Entstehen soll bis 2027 ein Zwei-Sterne-Kommando mit 220 Dienstposten. Davon sind bis jetzt 90 besetzt, so der Chef des Stabes Manderfeld. Dazu kommen noch 26 Fachleute vom DLR.
Das militärische Handwerk im Kommando besteht aus Beobachten und Warnen. Auf Großbildschirmen in den Containern verfolgen Soldaten die Bahnen der eigenen Satelliten sowie potenziell gefährliche Annäherungen und Weltraumschrott. Aber die Deutschen haben auch das „Satellitenballett“ von China und den USA im Blick, wie sie es nennen. Beide Staaten steuerten häufig an Satelliten des anderen heran und wieder weg, um die Gegenseite auszukundschaften, sagt Manderfeld. Ein Vorgehen, dass wohlüberlegt sein müsse, so der Oberst. „Die kritische Ressource im Weltraum ist der Sprit. Manöver sind energieaufwendig und damit kostenintensiv.“
Annahmen mit Ungenauigkeiten
Ein Echtzeitlagebild wie auf der Erde ist in den Weiten des Alls aktuell unmöglich. Mit dem Weltraumlageportal – programmiert von DLR und Bundeswehr – werden Bewegungen von Körpern auf Basis von Variablen berechnet und dargestellt. „Es geht also häufig um Annahmen mit Ungenauigkeiten. Wie beim Navi mit dem blauen Kreis, der nur den ungefähren Standort eines Objekts anzeigt, wenn die Verbindung zum Satelliten schlecht ist“, erläutert Manderfeld. Die All-Operateure der Bundeswehr können die Kreuzpunkte von Objekten im Weltraum vorausberechnen. Form und Lage der Objekte lassen sich jedoch nicht präzise erfassen. Doch selbst wenn zwei Satelliten nicht mit ihren Körpern ineinanderrasen, könnten sie sich Ausleger wie Antennen abreißen.
Weitblick ist somit entscheidend im Weltraumlagezentrum. Es geht darum, die deutschen Satelliten auf möglichst ruhigen Bahnen zu halten. Je nach Situation erstellt die Lagezentrale Warnhinweise oder Manöverempfehlungen. Diese gehen dann vor allem an das Kommando Strategische Aufklärung beim CIR, das die Aufklärungssatelliten der SAR-Lupe-Konstellation betreibt. Geflogen werden die Satelliten im Auftrag der Bundeswehr wiederum von zivilen Stellen, wie die Firma OHB in Bremen oder vom DLR in Oberpfaffenhofen. Manderfeld: „Auf internationaler Ebene sieht das Weltraumrecht Konsultationen vor, wenn Gefahren drohen. Gehandhabt wird das nicht immer so. Kontaktaufnahme mit chinesischen Betreibern gestalten sich derart schwierig, dass man besser darauf verzichtet und selber reagiert.“ Kommerzielle Anbieter wie Starlink lassen schon über eine Künstliche Intelligenz Ausweichmanöver ihrer Satelliten durchführen.
Das Weltraumkommando hat nicht nur den Schutz von Deutschlands Infrastruktur im All im Blick, sondern warnt auch vor Überflügen gegnerischer Aufklärungssatelliten. „Die offensichtliche Anwendung sind Truppenbewegungen, die man im kritischen Zeitfenster besser unterlässt – oder vielleicht gerade dann durchführt.“ Beistandsleistungen für die Ukraine erbringe das Weltraumkommando nicht, stellt Manderfeld auf Nachfrage fest.
Ein erster Auftrag für das Lagezentrum war die Patriot-Entsendung in die Türkei. Dort sollte das Flugabwehrsystem mögliche Raketenangriffe vom syrischen Kriegsschauplatz auf die NATO-Alliierten abwehren. Wie ballistische Raketen, erzeugen aus dem All kommende Körper einen Feuerschweif beim Eintritt in die Atmosphäre. Die Weltraumoperateure in Uedem sorgten mit Wiedereintrittsmeldungen dafür, dass absinkender Weltraumschrott nicht für eine Attacke gehalten wurde.
Die Erstellung dieser Meldungen ist eine Standardaufgabe von Weltraumlagefeldwebel Pascal Rink während seiner Zwölf-Stunden-Schicht im Kommando. Auch hier kommt wieder der Schutz der eigenen Kräfte ins Spiel. Jüngst stürzte eine chinesische Rakete unkontrolliert zurück auf die Erde. Aus Kostengründen hatten deren Stufen keine Steuerung. „Wir beobachten das Flugverhalten der Trümmer, und ob beim Wiedereintritt in die Atmosphäre potenzielle Gefahren für das Bundesgebiet oder die Einsatzgebiete der Bundeswehr bestehen“, so Oberfeldwebel Rink im Gespräch mit loyal.
„Werdegang Weltraum“
Rink wurde in rund sechs Monaten für seine Aufgaben in einem Kursprogramm im eigenen Kommando, beim DLR und bei Partnern wie der US-Space Force ausgebildet. Die Grundlage ist die Orbitalmechanik, in der gelehrt wird, wie sich Objekte im All verhalten. Allerdings ist „Weltraumlagefeldwebel“ bis jetzt nur eine Postenbeschreibung. Formal ist der 42-jährige Rink, der vor Kurzem als Wiedereinsteiger zur Luftwaffe kam, Flugbetriebsfeldwebel. „Nur so ist für mich der Pfad zum Berufssoldaten bis jetzt möglich.“
Sein Vorgesetzter Oberst Manderfeld würde das gerne ändern. Er hofft auf einen „Werdegang Weltraum“. Der fehlende Karrierepfad mindert die Attraktivität des Weltraumkommandos für Soldaten. Ein anderer Ansatz für die Zukunft wären Fachkarrieren, in denen man seine Aufgabe mehr in der inhaltlichen Entwicklung findet und weniger im vertikalen Aufstieg, was aber im Bundeswehrsystem bis heute nicht angelegt ist. Dabei sei das Interesse am Thema Weltraum immens, so Manderfeld. „Mein Postfach ist voll von Initiativbewerbungen.“ Auch von Reservisten gebe es zahlreiche Anfragen. Doch momentan sehe das Bundesamt für Personalmanagement bei der Luftwaffe nur Reservedienstposten für Presse- und Personaloffiziere vor, so Oberst Manderfeld.
Was ihn besonders umtreibt: Dass allein die Luftwaffe bis jetzt das gesamte Personal für das All-Kommando stelle, sei ein Ballast für das Weltraumthema bei der Bundeswehr. „Weltraum ist eine streitkräftegemeinsame Angelegenheit. Die Luftwaffe organisiert das nur für alle.“ Am sinnvollsten wäre es, wenn Teilstreitkräfte und Organisationsbereiche alle einen bestimmen Anteil ihrer Dienstposten in das Weltraumkommando einbringen würden, findet der Oberst. Das wäre der Weg, um das Kommando vom Luftwaffenanhängsel zum Joint Command zu entwickeln.
Mit Star Wars nichts gemein
Gerade kinetische Operationen in der Dimension Weltraum brauchen das Zusammenspiel aller militärischer Fähigkeiten – mit Star-Wars-Vorstellungen haben sie indes nichts gemein. Um einen Satelliten auszuschalten, könne es zweckmäßig sein, dessen Bodenstation mit Spezialkräften des Heeres zu zerstören. Der Einsatz von „Killersatelliten“ sei unwahrscheinlich, da viel zu aufwendig, so die Bewertung Manderfelds. „Um so einen unserer SAR-Lupe-Satelliten sicher zu vernichten, müsste man einen anderen Satelliten auf einen präzisen Kollisionskurs bringen, was schwierig zu berechnen ist. Der Aufwand stünde in keinem Verhältnis zum Ergebnis. Ein zerstörter Satellit bedeutet nicht zwingend den Ausfall einer Konstellation.“
Deutschlands Weltrauminfrastruktur ist einfacher am Boden verwundbar. Beispiel: Anfang des Jahres gab es einen Brandanschlag auf den Satellitenhersteller OHB in Bremen – mutmaßlich durch Linksautonome. Betroffen waren nur Büroräume – doch zeigt dies die Verwundbarkeit deutscher Weltraumfähigkeiten außerhalb des Militärs.
Zurzeit erarbeiten sie im Kommando Einsatzgrundsätze für Weltraumoperationen. Denn das reine Beobachten und Warnen wie bisher sind operative Kinderschuhe. Das Weltraumkommando hat bei kritischen Momenten keinerlei Zugriffsrechte auf Satelliten von Bundeswehr und zivilen Akteuren. Auch Sanktionsmechanismen gibt es nicht. Manderfeld: „Jüngst hatten wir den Testsatelliten einer deutschen Universität auf Kollisionskurs. Wir brauchten vier Tage, um dort jemanden zu erreichen, der für die Steuerung zuständig war.“
Hoheitliches Niemandsland
Generell sind Weltraumoperationen in Deutschland hoheitliches Niemandsland. Was im Fall der Landes- und Bündnisverteidigung mit der Masse zivil geflogener Satelliten geschieht, ist nicht geregelt. Für deren Sicherheit ist das Wirtschaftsministerium zuständig – eine Aufgabe, für das dieses Ressort aber gar nicht ausgelegt ist. Das Thema Weltraum dümpelt in einem Ressortkreis und einem Koordinierungsstab, sollte es zu Krisen kommen.
Manderfeld: „Frankreich macht es anders. Dort gibt es eine ganzheitliche, strategische Sicht und Handhabung der Weltraumpolitik.“ Mit Paris ist Berlin Mitglied im exklusiven „Weltraumclub“ unter US-Ägide: der Combined Space Operations Initiative, einem Bündnis zur Entwicklung gemeinsamer Weltraumoperationen. Doch die Franzosen haben den Lead bei den PESCO-Rüstvorhaben für den Weltraum. Auch das NATO Space Centre of Excellence sicherten sie sich – gegen die deutsche Bewerbung.
Dabei wird das Thema Weltraumsicherheit immer akuter. Grund dafür ist laut Manderfeld weniger der militärische, sondern zuvorderst der weltweite ökonomische Wettstreit. Konstellationen aus Tausenden von Kleinsatelliten für Internet und Co gelten als das Weltrauminvestment unserer Zeit. In Deutschland versucht der BDI massiv Start-ups für Mikrosatelliten und Launcher zu pushen. „Hier gilt bis jetzt Wild West mit dem Recht des Stärkeren. Wer zuerst seine Mikrosatelliten in den relevanten Orbits erdnaher Umlaufbahnen platziert, hat seine Claims abgesteckt.“ Russland wiederum setzte seinen letzten Satellitenabschuss genau so, dass eine Splitterwolke in jenes Areal gesandt wurde, das für eine weitere Ausbreitung der US-Starlink-Konstellation vorgesehen war. Aus Sicht des Weltraumkommandos wohl kein Zufall.