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„Beistandsverpflichtung gilt auch für Svalbard“




Der norwegische Verteidigungsminister Bjørn Arild Gram zu Besuch bei der NATO enhanced Forward Presence in Litauen.

Foto: Forsvaret

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Der norwegische Verteidigungsminister Bjørn Arild Gram spricht im Interview über die Bedeutung der Hohen Arktis für sein Land, die Diplomatie mit Russland in Kriegszeiten und die Zusammenarbeit mit Deutschland bei Streitkräften und in Rüstungsfragen.

Herr Minister, zwischen Norwegen und Russland besteht eine 198 Kilometer lange Landgrenze, eine 23 Kilometer lange Seegrenze sowie eine 1.750 Kilometer lange Grenze zwischen den ausschließlichen Wirtschaftszonen beider Länder in der Barentssee und im Arktischen Ozean. Welche sicherheitspolitische Rolle spielen der Hohe Norden und insbesondere Spitzbergen (Svalbard) für die norwegische Regierung? Was hat sich seit dem 24. Februar 2022 verändert?
Norwegens Regierung betrachtet die „Nordgebiete“, wie wir den Hohen Norden nennen, als strategisch wichtigstes Gebiet unseres Landes. Svalbard als dessen nördlichste Region ist ein natürlicher Bestandteil dieser Schwerpunktsetzung. Wenngleich unsere Nordgebiete-Politik in ihren langfristigen Grundzügen fortbesteht, wirkt sich der Krieg in der Ukraine doch negativ auf die internationale Zusammenarbeit im Norden aus, da unsere direkte Zusammenarbeit mit Russland infolge des russischen Angriffskrieges auf ein Minimum reduziert ist. Als Nachbarland ist es jedoch in unserem Interesse, eine ungewollte Eskalation zu vermeiden. Wir halten daher diplomatische Kontakte aufrecht, um Such- und Rettungsmaßnahmen sowie Fischerei-fragen abstimmen zu können.
Auf die norwegische Svalbard-Politik hat der Krieg in der Ukraine bislang keine Auswirkungen. Mit Ausnahme der im Mai 2022 in Kraft getretenen Hafensperre für russische Schiffe gelten die von Norwegen verhängten Sanktionen gegen Russland auch für Svalbard. Den russischen Aktivitäten in Barentsburg stellt Norwegen dagegen keine Hindernisse in den Weg, solange diese im Einklang mit norwegischen Gesetzen und Vorschriften stehen. Die Regierung ist bestrebt, die Grundbedürfnisse der lokalen Bevölkerung auf Svalbard zu sichern, unabhängig davon, welcher Nationalität sie angehört.

Svalbard gilt als eine Achillesferse der NATO. Sind Norwegen und das Nordatlantische Bündnis in der Lage, andere Nationen daran zu hindern, gegen das Verbot der Nutzung von Svalbard zu Kriegszwecken zu verstoßen? Haben Norwegen und die NATO inzwischen eine Antwort auf Russlands neue Marinedoktrin vom Juli 2022 gefunden? Demnach will Moskau seine Position in der Arktis stärken und die russische Nordflotte sowie die Nördliche Seeroute ausbauen.

(Foto: privat/facebook)

Das Verbot, Svalbard für Kriegszwecke zu nutzen, gilt für alle Parteien. Im Spitzbergen-Vertrag von 1920 hat sich Norwegen verpflichtet, auf Svalbard keine Marinestützpunkte und Befestigungen zu errichten oder deren Errichtung zu genehmigen. Defensive militärische Maßnahmen sind dagegen zulässig. Im Kriegsfall oder bei Kriegsgefahr kann Norwegen also durchaus individuelle oder kollektive Verteidigungsmaßnahmen ergreifen. Auch für Svalbard gelten daher die Bestimmungen des Nordatlantikvertrages von 1949 einschließlich der Beistandsverpflichtung gemäß Artikel 5. Im Übrigen sind die norwegischen Behörden gut gerüstet, um Aktivitäten auf der Inselgruppe zu kontrollieren. So üben sie eine sehr restriktive Praxis aus, wenn es um die diplomatische Freigabe von Landungen ausländischer Militärflugzeuge und Marinefahrzeuge geht.
Russland hat sich jedoch als unberechenbarer und gefährlicher Nachbar erwiesen, der militärische Gewalt einsetzt, um seine Ziele zu erreichen. Der 24. Februar 2022 markiert einen Wendepunkt in der europäischen Geschichte, und wir sehen keine Anzeichen dafür, dass Russland seine Strategie ändern wird. Russland setzt seinen brutalen Krieg gegen die Ukraine fort, und wir müssen damit rechnen, dass die Konfrontation mit dem Westen langwierig sein wird. Dabei ist ein wirtschaftlich, militärisch und politisch geschwächtes Russland nicht unbedingt weniger gefährlich. Die norwegischen Streitkräfte haben ihre Präsenz im Norden daher verstärkt und beobachten die Entwicklung genau.

Im Januar 2018 verkündete die Volksrepublik China ihre erste offizielle Arktis-Strategie und definierte sich als „arktisnahen“ Staat. Seit 2016 hat China Beobachterstatus im Arktischen Rat, chinesische Firmen investieren in den Abbau Seltener Erden auf Grönland und in die Nickelförderung in Kanada. China kofinanziert ein Observatorium auf Island und plant, das auftauende Nordpolarmeer als „Polare Seidenstraße“ zwischen Shanghai und Rotterdam zu nutzen. Erwartet Norwegen ein wachsendes Engagement Chinas auf Svalbard?
Seit 2004 mietet das Chinesische Polarforschungszentrum von den norwegischen Behörden Forschungseinrichtungen in Ny-Ålesund, hundert Kilometer nördlich von Longyearbyen, an. Abgesehen von der Polarforschung in der Arctic-Yellow-River-Station gibt es bislang jedoch kaum chinesische Aktivitäten auf Svalbard. Norwegen erwartet in erster Linie ein intensiveres Engagement Chinas als Beobachter im 1996 gegründeten Arktischen Rat.

Auf dem Meeresboden von Nord- und Barentssee liegen 9.000 Kilometer Pipelines. Wie kann Norwegen seine Infrastruktur und damit die künftige Versorgung Europas mit Energie vor russischer Spionage und Einmischung schützen?
Unsere Nachrichtendienste weisen seit Jahren auf komplexe russische Maßnahmen gegen norwegische und westliche Sicherheitsinteressen hin. Seit der Sprengung von Nord Stream 1 und 2 am 26. September 2022 haben die norwegischen Streitkräfte gemeinsam mit den Verbündeten ihre Präsenz rund um die energiebezogene Infrastruktur in der Nordsee weiter erhöht. Norwegen und Deutschland haben in der NATO die Initiative ergriffen, um die Fähigkeit des Bündnisses zum Schutz der unterseeischen Infrastruktur zu stärken, und am 15. Februar dieses Jahres kündigte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg die Einrichtung einer „Critical Undersea Infrastructure Coordination Cell“ innerhalb des internationalen NATO-Stabes an. Dieses Zentrum wird den komplexen Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen öffentlichem und privatem Sektor sowie zwischen militärischen und zivilen Akteuren gewährleisten. Norwegen nimmt seine Verantwortung für die europäische Energiesicherheit sehr ernst.

Das größte Kriegsschiff der Welt, der amerikanische Flugzeugträger USS Gerald R. Ford, im Mai bei einem Besuch in Norwegen im Oslo-Fjord. Es war der erste Besuch eines US-Flugzeugträgers in Norwegen. Er sollte die Verbundenheit zwischen den USA und Norwegen dokumentieren und an Russland ein Zeichen der Stärke senden. (Foto: Onar Digernes Aase/Forsvaret)

Im April dieses Jahres wuchs die NATO mit dem Beitritt Finnlands auf 31 Mitglieder an. Schweden sollte beim NATO-Gipfel in Vilnius im Juli aufgenommen werden. Was bedeutet die Norderweiterung der NATO für Norwegen?
Die NATO-Mitgliedschaft Finnlands und Schwedens wird zu einer stabileren und klareren Lage in unserer Region beitragen. Unsere Nachbarn treten dem Bündnis in erster Linie bei, um in den Schutz nach Artikel 5 des Nordatlantikvertrages einbezogen zu werden. In der 2009 ins Leben gerufenen „Nordic Defence Cooperation“ arbeiten Dänemark, Finnland, Island, Schweden und Norwegen bereits an einer Vertiefung der nordischen Zusammenarbeit innerhalb der NATO. So haben die Luftwaffenchefs Dänemarks, Finnlands, Norwegens und Schwedens in dem im März in Ramstein unterzeichneten „Nordic Air Commanders’ Intent“ das Ziel formuliert, die vier Luftstreitkräfte so auszurichten, dass sie nahtlos als eine Streitkraft in der nordischen Region zusammenarbeiten können. Wir freuen uns auf die Zusammenarbeit mit unseren nordischen Nachbarn. Sie stärkt unsere kollektive Sicherheit in einer Zeit, in der Europa und die Welt von ernsten Sicherheitsbedenken geprägt sind.

Die bilaterale deutsch-norwegische Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich ist so langjährig wie vielfältig und sei noch nie so gut und eng gewesen wie heute, heißt es. Gibt es aus Ihrer Sicht Bereiche, in denen diese bilaterale Kooperation ausgeweitet und vertieft werden kann?
Von zentraler Bedeutung ist unsere Zusammenarbeit in der Very High Readiness Joint Task Force (VJTF) der NATO. Gemeinsam mit den Niederlanden sind Deutschland und Norwegen für den Landbeitrag in Form einer kombinierten Brigade verantwortlich. Auch bei der „verstärkten Vornepräsenz“ (eFP) in Litauen haben diese drei Nationen zusammengearbeitet. Norwegen beschafft deutsche Panzer für seine Armee und geht mit der gemeinsamen Beschaffung identischer U-Boote und neuer Schiffsabwehrraketen eine im internationalen Kontext einzigartige Kooperation mit Deutschland ein. Auch die Entscheidung der Bundesregierung, 35 F-35-Kampfflugzeuge und P-8-Poseidon-Seefernaufklärungsflugzeuge zu beschaffen, eröffnet neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit. Die norwegische Langfristplanung für den Verteidigungssektor „Befähigung zur Verteidigung, Wille zur Bereitschaft“ weist Deutschland als einen der wichtigsten strategischen Partner Norwegens aus. Insgesamt entwickelt sich die rüstungspolitische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Norwegen also positiv.

Bjørn Arild Gram

Zentrumspartei, ist Verteidigungsminister in der seit Oktober 2021 von Arbeiterpartei und Zentrum gebildeten norwegischen Regierung. Er wurde 1972 in Steinkjer geboren. Von 2005 bis 2007 war der Wirtschaftswissenschaftler Staatssekretär im Finanzministerium, von 2007 bis 2020 Bürgermeister in seiner Heimatstadt. Anschließend wurde er Kommunalminister, seit April 2022 ist er Verteidigungsminister.

Der Autor

Kai-Axel Aanderud ist Historiker und Publizist mit norwegischen und deutschen Wurzeln, war Journalist beim ZDF und im Axel-Springer-Verlag. Er arbeitet in seinem Redaktionsbüro in Hamburg u. a. für deutsche und skandinavische Medien.

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