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„Wir sind ganz nah an einem Friedensabkommen“




Viktor Yengibaryan ist seit 2021 armenischer Botschafter in Berlin.

Foto: Stephan Pramme

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Im Herbst 2023 hat Aserbaidschan in einem kurzen Feldzug das mehrheitlich von Armeniern bewohnte Gebiet Berg-Karabach erobert. Alle 150.000 armenischen Bewohner verließen Berg-Karabach. In den Beziehungen zwischen Armenien und Aserbaidschan könnte es nun überraschend zu einer Aussöhnung kommen. Wie stehen die Chancen dazu? loyal sprach darüber mit dem armenischen Botschafter in Deutschland, Viktor Yengibaryan.

Herr Botschafter, wie groß ist der Schrecken in Ihrem Land nach der Vertreibung von insgesamt 150.000 Armeniern aus Berg-Karabach durch Aserbaidschan?
Armenien steht immer noch unter Schock. Seit Jahrhunderten lebten Armenier in Berg-Karabach, und im vergangenen Jahr mussten sie innerhalb kürzester Zeit ihre Heimat verlassen. In Berg-Karabach gibt es seit dem Herbst keine Armenier mehr. Das ist ein großer Einschnitt in unserer Geschichte. Die Menschen waren zunächst froh, dass sie nach ihrer Flucht in Sicherheit kamen. Aber inzwischen wird ihnen nach und nach bewusst, was sie alles verloren haben: ihre Häuser, ihren sozialen Zusammenhalt in den Dörfern, ihre Heimat.

Wie wurden die Vertriebenen in Armenien aufgenommen?
Die Flüchtlinge haben nach ihrer Ankunft vom armenischen Staat eine einmalige Zahlung von 250 Euro pro Kopf bekommen. Sie erhalten darüber hinaus eine monatliche Unterstützung. Es ist uns gelungen, alle Flüchtlinge in Hotels und leerstehenden Wohnungen unterzubringen. Viele Armenier haben auch ihre Häuser zur Verfügung gestellt. Einige wenige Neuankömmlinge mussten kurzfristig in Schulen oder Kindergärten einquartiert werden. Glücklicherweise konnten wir die Einrichtung von Flüchtlingscamps vermeiden.

Wie groß ist die Solidarität der Alteingesessenen mit den Flüchtlingen?
Die armenische Gesellschaft ist solidarisch. Die Flüchtlinge sind eine Bereicherung für uns. Die Gruppe von Menschen, die in Berg-Karabach in staatlichen Einrichtungen – Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern – gearbeitet hat, ist verhältnismäßig groß. Sie finden sofort einen Job. Es gibt eine starke Nachfrage bei uns nach solchen Arbeitskräften. Problematischer ist es mit Menschen, die in der Landwirtschaft tätig waren. Sie haben ihren Grund und Boden und ihre Tiere zurücklassen müssen. Aber auch für sie werden wir einen Weg zur Integration finden.

Viktor Yengibaryan spricht fließend Deutsch. Er ist mit Deutschland seit vielen Jahren vertraut. loyal traf ihn zum Gespräch in der armenischen Botschaft in Berlin. (Foto: Stephan Pramme)

Welche Informationen haben Sie über die Lage in Berg-Karabach?
In den Teilen, in denen Armenier gelebt haben, stehen die Häuser leer. Die Dörfer und Städte sind geräumt, es sind Geisterstädte.

Im Dezember vergangenen Jahres gab es einen Gefangenenaustausch zwischen Armenien und Aserbaidschan. Armenien hat seine Bewerbung um die Ausrichtung der Weltklimakonferenz zurückgezogen und unterstützt stattdessen die Weltklimakonferenz 2024 in Baku. Das klingt nach Aussöhnung mit Aserbaidschan.
Ja, das ist richtig. Aserbaidschan hat die meisten armenischen Gefangenen gehen lassen. Es sind jetzt noch mehr als 20 Armenier dort in Gefangenschaft. Wir hatten zwei aserbaidschanische Gefangene, die wir freigelassen haben. Das sind erste Lichtblicke.

Was ist der Grund dafür, dass sich beide Länder so schnell wieder annähern?
Armenien war immer zu einer friedlichen Lösung des Konflikts bereit, und Aserbaidschan wollte jetzt offenbar auch eine Geste des guten Willens zeigen. Wir Armenier wollen ein Friedensabkommen und werden dabei von den USA und der Europäischen Union unterstützt. Es gibt immerhin auch schon einen Austausch von Vertragsentwürfen, der Prozess ist bereits in der siebten Runde. Technisch gesehen sind wir schon ganz nah an einem Friedensabkommen. Was noch fehlt, ist der politische Wille in Aserbaidschan. Ich bin aber vorsichtig optimistisch, dass es vorangeht.

Frieden in unserer Region ist die Voraussetzung für Kooperation und Wohlstand. Wir könnten dann endlich die Grenzen öffnen und den Personen- und Warenverkehr zulassen. Aserbaidschan hätte den Vorteil, dass es seine Exklave Nachitschewan auf kürzestem Wege erreichen könnte und nicht wie bislang den großen Umweg über Iran nehmen muss. Wir sind bereit, Straßen und Eisenbahnlinien auf unserem Territorium für Aserbaidschan zu öffnen. Auch die bislang geschlossenen Grenzen mit der Türkei könnten geöffnet werden. Davon würden alle profitieren.

Die Regierung der Republik Armenien hat das Projekt „Crossroads of Peace“ entwickelt und stellt es als einen wichtigen Teil der Friedensagenda dar. Das Kernstück dieses Projekts ist der Ausbau der Verkehrsverbindungen zwischen Armenien, der Türkei, Aserbaidschan, Georgien und der Islamischen Republik Iran durch Straßen, Eisenbahnen, Pipelines, Kabel und Stromleitungen. Die Reaktivierung dieser Straßen würde eine kurze und effiziente Verbindung zwischen dem Kaspischen Meer und dem Mittelmeer sowie dem Persischen Golf und dem Schwarzen Meer schaffen. Alle Infrastrukturen, einschließlich Straßen, Eisenbahnen, Fluglinien, Pipelines, Kabel und Stromleitungen, unterliegen der Souveränität und Gerichtsbarkeit der Länder, durch die sie verlaufen.

Armenien hat 2020 den Krieg gegen Aserbaidschan verloren, weil es militärisch unterlegen war. Welche Schlüsse haben Sie aus dieser Niederlage für Ihre Streitkräfte gezogen?
Unsere Schlussfolgerungen betreffen zwei Bereiche: Zum einen müssen wir die Beschaffung von Rüstungsgütern diversifizieren. Unser Hauptlieferant von Waffen war bislang Russland. Wir führen inzwischen Gespräche insbesondere mit Frankreich und Indien. Zum anderen nehmen wir eine Armeereform in Angriff. Die taktische und strategische Aufstellung wird einer Überprüfung unterzogen. Es geht unter anderem auch um die Frage, inwieweit unsere Soldaten professioneller werden müssen. Bislang haben wir eine Wehrpflichtarmee in Armenien.

Stichwort Russland: Ihre bisherige Schutzmacht scheint offensichtlich die Seiten gewechselt zu haben. Wie gut ist das Verhältnis zwischen Armenien und Russland noch?
Russland und Armenien verbindet seit 25 Jahren eine strategische Partnerschaft. Russland ist aber auch ein strategischer Partner von Aserbaidschan geworden. Seit 2011 hat Aserbaidschan in Größenordnungen von mehreren Milliarden Euro Waffen von Russland gekauft. In einem solchen Ausmaß hat Armenien nie Waffen von Moskau erhalten. Insofern kann man nicht davon sprechen, dass Russland eine Schutzmacht Armeniens wäre. Das zeigt sich unter anderem daran, dass das Militärbündnis mit Russland, dem wir angehören, die OVKS, sich angesichts des Angriffs von Aserbaidschan auf Berg-Karabach und auch auf Armenien selbst, hilflos gezeigt hat. Wir haben nicht nur keine militärische Unterstützung von der OVKS bekommen, sondern auch keine politische. Daher stellen wir ernste Fragen an die Sinnhaftigkeit dieses Bündnisses.

Der armenische Botschafter zeigt loyal-Chefredakteur André Uzulis auf einer Karte Armeniens den aktuellen Grenzverlauf. (Foto: Stephan Pramme)

Seit mehr als einem Jahr ist die europäische Polizei-Beobachtungsmission EUMA in Armenien tätig. Welche Bedeutung hat diese Mission für Ihr Land?
Es hat seitdem keine Angriffe Aserbaidschans an den Grenzen mehr gegeben. Der letzte Angriff datiert vom September 2022, bevor die Polizeimission ihre Arbeit aufnahm. Von daher sind wir sehr froh, dass sich die Europäische Union bei uns auf diese Weise engagiert.

Welche Erwartungen haben Sie an die Bundesrepublik?
Deutschland spielt eine sehr große Rolle für uns. Wir brauchen bilaterale Unterstützung bei unseren Bemühungen um einen dauerhaften Frieden. Dabei setzen wir stark auf Deutschland als wichtigstes Land der EU. Im vergangenen November war Außenministerin Baerbock bei uns und in Aserbaidschan. Am Rande der Münchener Sicherheitskonferenz fand ein Gespräch zwischen Bundeskanzler Scholz, unserem Premierminister Paschinyan und dem aserbaidschanischen Präsidenten Aliyev statt. Das zeigt uns, dass Deutschland ein Interesse an einer friedlichen Lösung in der Region hat. Für uns ist es sehr wichtig, dass Deutschland sich für die Souveräntität und territoriale Integrität Armeniens einsetzt. Im Übrigen hat Deutschland ja einen guten Draht zur Türkei, die Schutzmacht von Aserbaidschan ist und in unserer Region ein wichtiger Faktor. Deutschlands Einfluss auf die Türkei kann hier nur hilfreich sein. Abgesehen davon ist Deutschland bei den Direktinvestitionen von größter Bedeutung. Armenien ist mit einem Wirtschaftswachstum von 12,6 Prozent im Jahr 2022 und erwarteten mehr als 8 Prozent im vergangenen Jahr interessant für die deutsche Wirtschaft. Wir verfügen über starke demokratische Strukturen und haben erfolgreich die Korruption bekämpft. Übrigens freuen wir uns auch über die militärische Zusammenarbeit. Unsere armenischen KFOR-Soldaten im Kosovo werden zum Teil in Deutschland ausgebildet.

Die Anerkennung des Völkermords an den Armeniern durch den Bundestag erfolgte recht spät erst 2016. Wie enttäuscht waren Sie, dass Deutschland so spät diesen Genozid als solchen bezeichnete?
Wir hätten uns ein früheres Votum gewünscht, aber warum es so spät kam, müssen Sie unsere deutschen Freunde fragen. Auf jeden Fall ist der Beschluss des Bundestags sehr positiv in Armenien aufgenommen worden.


Viktor Yengibaryan

wurde 1981 in der armenischen Kleinstadt Talin geboren. Er studierte an der Staatlichen Universität der Hauptstadt Jerewan, an der Fletcher School of Law Diplomacy und an der Universität Bochum. Unter anderem arbeitete er für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in seiner Heimat und war Abgeordneter der Nationalversammlung. Seit 2021 ist Yengibaryan armenischer Botschafter in Berlin.


Der Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan

Berg-Karabach ist mit 4.400 Quadratkilometer Fläche etwas kleiner als das Sauerland und liegt im Kaukasus. Bis zum Herbst vergangenen Jahres war die Region mehrheitlich von Armeniern bewohnt. Die Ursprünge des Konflikts zwischen Armenien und Aserbaidschan um Berg-Karabach reichen bis ins 18. Jahrhundert zurück. Nach dem Zerfall der Sowjet-union eskalierte er zwischen den beiden ehemaligen Sowjetrepubliken zu mehreren Kriegen. Die 1991 erklärte Unabhängigkeit Berg-Karabachs von Aserbaidschan wurde international nicht anerkannt, militärisch jedoch durch Armenien abgesichert.

Nach einem Krieg im Jahr 2020 zwischen beiden Ländern wurden die Grenzen neu gezogen, die Waffenruhe blieb brüchig. Im September vergangenen Jahres startete Aserbaidschan eine erneute Offensive. Kurz darauf erklärte es den Sieg über Armenien im Berg-Karabach-Konflikt. Es begann eine Massenflucht der armenischen Bevölkerung aus dem Gebiet nach Armenien.

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