Die russische Regierung versucht mit allen Mitteln, in der ehemaligen Sowjetrepublik mit ihren 2,6 Millionen Einwohnern Unruhe zu stiften und ihren Einfluss auszubauen. loyal sprach mit dem moldawischen Botschafter in Berlin, Aureliu Ciocoi, über die Rolle des Ukrainekriegs für sein Land und die Perspektiven seines Landes in Sachen NATO- und EU-Beitritt.
Herr Botschafter, laut Süddeutscher Zeitung und NDR verfasste der Kreml im Sommer 2021 ein Strategiepapier. Darin stand, wie man prorussische Strömungen in der Republik Moldau fördern und gleichzeitig eine West-Orientierung des Landes verhindern wolle. Wie ist die sicherheitspolitische Situation in Moldawien jetzt, anderthalb Jahre nach Beginn des Krieges in der Ukraine?
Die Republik Moldau war nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine in großer Gefahr. Für uns war klar, dass nach dem Fall der Ukraine das nächste Ziel der russischen Aggression die Republik Moldau gewesen wäre. Alle Experten waren sich damals einig, dass Kyjiv in maximal zwei Wochen fällt, und dann wäre der Weg nach Chișinău, unserer Hauptstadt, frei gewesen. Die ukrainische Armee hat einen fantastischen Widerstand geleistet. Dass heute in der Republik immer noch Frieden herrscht, haben wir auch den ukrainischen Soldaten zu verdanken, die ihr Land – aber auch unseres und ganz Europa – tapfer verteidigen. Unser Frieden und unsere Freiheit ist das Ergebnis der großartigen Leistungen der Ukrainer.
Die akute Gefahr ist vorüber, aber die hybride Kriegführung geht weiter.
Der Krieg ist da, in seiner hybriden Form. Wir sind der gesamten Palette der hybriden Kriegführung von Seiten der Russen ausgesetzt. Die Wissenschaft kann am Beispiel der Republik Moldau geradezu exemplarisch studieren, wie so etwas funktioniert. Die Angriffe sind wirklich massiv.
Wie verteidigen Sie sich dagegen?
Wir schaffen das nicht allein, aber wir haben internationale Partner wie die Europäische Union und die USA, die uns bei der Abwehr der Cyberangriffe unterstützen. Ich kann Ihnen sagen, dass ist eine Elefantenaufgabe.
Ist der hybride Krieg Russlands der Grund, warum Ihre Regierung den Ausnahmezustand immer wieder verlängert?
Wir müssen rasch auf russische Propaganda und auf Cyberangriffe beispielsweise auf die Infrastruktur reagieren können. Deshalb gilt nach wie vor der Ausnahmezustand. Die Regierung kann dadurch Maßnahmen ergreifen, ohne dass das Parlament befragt werden muss. In der momentanen Situation ist das leider noch unumgänglich.
Begründet wurde der Ausnahmezustand zunächst damit, dass die Energieversorgung sichergestellt werden musste. Moldawien war zu Beginn des Krieges zu hundert Prozent von russischen Gaslieferungen und zu 90 Prozent von russischem Strom abhängig.
Noch im Oktober 2021 hatten wir einen Liefervertrag mit Gazprom unterzeichnet. Doch hat sich Gazprom nach dem Beginn des Krieges als nicht verlässlicher Partner gezeigt. Die letzten beiden Winter waren deshalb sehr schwer für uns. Wir mussten schnellstens eine andere Lösung finden. Dank der finanziellen Unterstützung der EU und auch der USA konnten wir Gas auf den europäischen Märkten einkaufen, wir sind inzwischen auch an das europäische Stromnetz angeschlossen, sodass die Republik Moldau diese schwierige Phase gemeistert hat.
Welche Rolle spielt bei der russsichen Aggression das abtrünnige Transnistrien, das sich im Zuge des Zerfalls der Sowjetunion 1990 bis 1992 von Moldawien abgespalten hat und seitdem als Vorposten Moskaus gilt?
Die transnistrische Region Moldaus, wie wir sagen, ist völkerrechtlich integraler Bestandteil Moldaus, auch wenn es zur Zeit nicht unter Kontrolle der moldawischen Behörden ist. Nicht einmal Russland erkennt dieses Gebilde als eigenständigen Staat an. Die Region befindet sich aber de facto unter Kontrolle der Russischen Föderation. Sie ist Beute eines Wirtschaftsunternehmens namens Sheriff, das 1993 von zwei KGB-Agenten gegründet wurde und das die transnistrische Region Moldaus beherrscht. Die sogenannte Regierung, das sogenannte Parlament und die gesamte Verwaltung sind abhängig von Sheriff. Wir in der Republik Moldau sprechen deshalb manchmal von „Sheriff-Land“.
Für Sheriff hat sich die Situation nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine nicht gerade verbessert.
Die Ukraine hat im Februar vergangenen Jahres die Grenze sofort geschlossen. Bislang hat Sheriff den Hafen Odessa für den Export genutzt, das ist seitdem vorbei. Die sitzen jetzt in der Falle, wenn Sie so wollen. Das eröffnet Chancen, den seit 30 Jahren eingefrorenen Transnistrien-Konflikt endlich politisch lösen zu können.
Welche Rolle spielt das gigantische russische Munitionsdepot in Transnistrien?
Dort sollen noch etwa 25.000 Tonnen Munition lagern. Ursprünglich waren es mal 50.000 Tonnen. Zum Teil stammt die Munition auch aus Beständen der DDR, die nach der deutschen Wiedervereinigung irgendwo in Russland vernichtet werden sollte, am Ende aber bei uns gelandet ist und dort noch immer liegt – seit mehr als 30 Jahren. Wir gehen davon aus, dass der Wert dieser Munition gering ist, weil sie das Verfallsdatum längst überschritten hat. Auch kann Russland das Zeug nicht außer Landes schaffen, weil die Ukraine dazwischen liegt und die Republik Moldau die Ausfuhr natürlich auch nicht genehmigt. Das Depot ist auch ein Grund, warum Russland in der transnistrischen Region Moldaus ungefähr 1.500 Soldaten illegal stationiert hat.
1999 hatte der russische Präsident Boris Jelzin zugesagt, die Truppen und die Munition abzuziehen.
Die Republik Moldau war für die Russen schon damals eine Geisel in einem großen geopolitischen Spiel. Deshalb wurde die Munition nie weggeschafft, deshalb stehen bis heute völkerrechtswidrig russische Truppen in unserem Land.
In Transnistrien, das knapp anderthalb mal so groß ist wie Luxemburg, leben rund 375.000 Menschen. Verstehen sie sich eigentlich als Moldawier oder als Russen?
Die Mehrheit sind Moldawier. Historisch gesehen leben bei uns aber viele Russen, oft mit ukrainischen Wurzeln. Hinzu kam, dass sich zu Sowjetzeiten viele ehemalige Offiziere der Roten Armee in der Region niedergelassen haben. Es war für sie angenehm, im Osten der Republik Moldau zu leben, wo viele Menschen Russisch sprechen, ein mildes Klima herrscht, die Landschaft schön ist und wo es eine hervorragende Küche gibt. Es war für die Russen so etwas wie Mallorca für die Deutschen. Es ist Aufgabe der moldawischen Regierung, diese Menschen zu überzeugen, dass sie Teil der Republik Moldau sind, in der sie ihre eigene Kultur pflegen können, von denen wir aber auch Loyalität erwarten.
Welche Rolle spielt Ihr Nachbar Rumänien für Moldawien?
Eine sehr große. Ohne Rumänien wären die Kosten des Widerstands unserer Bürger ungleich höher. Mit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine waren unsere Märkte im Osten plötzlich nicht mehr zugänglich. 20 Prozent unserer Exporte waren davon betroffen. Rumänien ist eingesprungen und hat diese Exporte übernommen. Rumänien hat auch eine Schlüsselrolle bei der Neuausrichtung der moldawischen Energieversorgung und unterstützt uns bei unserem Wunsch, EU-Mitglied zu werden.
Kulturell gibt es ja ohnehin wenige Unterschiede zwischen Rumänien und der Republik Moldau.
Richtig. Wir sprechen dieselbe Sprache. Meine Muttersprache als Moldawier ist Rumänisch. Eine eigene moldawische Sprache gibt es nicht, das war eine Erfindung Stalins, um uns damals als Sowjetmenschen zu unterscheiden von den Rumänen. Dabei gibt es nicht mal einen moldawischen Dialekt. Wir sind im Grunde ein Volk, das in zwei Ländern lebt.
Ihr Ministerpräsident Dorin Recean hat Ende Mai auf dem Black Sea und Balkans Security Forum in Bukarest einmal mehr den Wunsch der Republik Moldau bekräftigt, EU-Mitglied zu werden. Wenige Tage später sind 75.000 Moldawier in Chișinău für einen EU-Beitritt auf die Straße gegangen. Wie realistisch ist dieser Wunsch?
Im Juni vergangenen Jahres erhielten wir zusammen mit der Ukraine den Kandidatenstatus. Es ist kein Geheimnis, dass das zunächst mehr eine symbolische Entscheidung war, um uns und der Ukraine Mut zu machen. Für uns ist das nichtsdestotrotz eine Verpflichtung, die notwendigen Reformen durchzuführen, um die EU-Reife zu bekommen. Denn die EU wird kein Land aufnehmen, das nicht reif für die Union ist. Wir stehen vor der riesigen Herausforderung, der EU zu zeigen, dass wir in der Lage sind, die Reformen schnellstmöglich umzusetzen. Es gilt, einen Katalog von 33 Politikfeldern zu bearbeiten. In der Republik Moldau ist der weit überwiegende Teil des politischen Spektrums bereit, diesen Weg zu gehen. Sogar die prorussischen Parteien bei uns sehen die Zukunft Moldaus in der EU.
Wann sehen Sie den EU-Beitritt?
Hoffentlich bis 2030. Wir haben 2,6 Millionen fleißige Einwohner. Ein solch kleines Land kann schnell modernisiert und europäisiert werden.
Strebt die Republik Moldau auch in die NATO?
Mit der Verfassungsänderung im Jahr 1994 ist die Republik Moldau militärisch neutral. Neutralität bedeutet jedoch nicht, dass es an internationaler Zusammenarbeit zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit mangelt. Daher ist die Republik Moldau dabei, die Partnerschaft mit der NATO im Rahmen des Programms „Partnerschaft für den Frieden“ sowie mit anderen Partnern intensiv zu stärken. Unter den gegenwärtigen Bedingungen in der Region muss mein Land seine Nationalarmee so schnell wie möglich auf die bestehenden internationalen Standards modernisieren und zu einer Streitmacht werden, die in der Lage ist, die Sicherheit und territoriale Integrität zu verteidigen. Zu den Aussichten eines NATO-Beitritts kann ich nur sagen, dass diese von den direkten militärischen Bedrohungen abhängen, denen die Republik Moldau ausgesetzt sein wird. Sollte sich herausstellen, dass die Risiken unmittelbar bestehen, schließe ich nicht aus, dass wir auf eine Überprüfung des militärischen Neutralitätsstatus des Landes zurückgreifen könnten. Dies mit Zustimmung der absoluten Mehrheit der Bevölkerung.
Aureliu Ciocoi
1968 in Chișinău geboren, erwarb einen Abschluss als Journalist in seiner Heimatstadt und studierte anschließend Internationale Beziehungen in Bukarest. Seine wichtigsten Stationen als Diplomat waren Bonn, Washington, Peking und Berlin. In Deutschland ist er seit April 2022 zum zweiten Mal nach 2010 bis 2015 Botschafter der Republik Moldau. 2019/2020 war er Außenminister Moldawiens, 2020/2021 kommissarischer Ministerpräsident.