DAS MAGAZIN

Monatlich informieren wir unsere Mitglieder mit der loyal über sicherheitspolitische Themen. Ab sofort können Mitglieder auch im Bereich Magazin die darin aufgeführten Artikel lesen!

Mehr dazu
DER VERBAND

Der Verband der Reservisten der Deutschen Bundeswehr (VdRBw) hat mehr als 115.000 Mitglieder. Wir vertreten die Reservisten in allen militärischen Angelegenheiten.

Mehr dazu
MITGLIEDSCHAFT

Werden Sie Teil einer starken Gemeinschaft

Mehr dazu

loyal

„Wir sitzen lediglich in der Businessclass“




Ein Mitarbeiter verlässt die Zentrale des Bundesnachrichtendienstes (BND) in Berlin-Mitte.

Foto: picture alliance / dpa

bndspionage

Der Bundesnachrichtendienst (BND) wird oft als „Vegetarier“ unter den Auslandsgeheimdiensten bezeichnet. Der Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022, der Putsch in Niger – oft sah er in der Vergangenheit wichtige Ereignisse nicht voraus. Gespräch mit Dr. Gerhard Conrad darüber, was der BND kann und was nicht.

Herr Conrad, der britische Militärgeheimdienst veröffentlicht jeden Tag ein Briefing über die Lage an der Front in der Ukraine und seine Einschätzungen über den weiteren Verlauf des Kriegs. Medien zitieren dieses Briefing, Wissenschaftler nutzen es für ihre Arbeit, weil die Infos darin so detailreich und gut sind…
Ja, die Briten machen das schon klug. Es macht durchaus Sinn, der eigenen Bevölkerung zu zeigen: „Wir sind gut informiert und wissen, was an der Front los ist“ und den Russen zeigt man dadurch: „Seht her: Ihr könnt nichts machen, ohne dass wir es sehen“. Ein solches Vorgehen fehlt in Deutschland.

Warum? Damit könnte man doch der deutschen Bevölkerung zeigen, was der BND kann und wofür man ihn braucht.
Ja, theoretisch ist das eine gute Idee, entscheiden muss dies jedoch die Bundesregierung, hier an erster Stelle der Bundeskanzler. Dessen Kanzleramtsminister ist der BND ja direkt unterstellt. Und da fängt es dann an. Denn selbst wenn Kanzler Olaf Scholz davon überzeugt sein sollte, dass das eine gute Idee ist, dann müsste er erst einmal seine eigene Partei, jedenfalls die SPD-Fraktion im Bundestag, auf seiner Seite haben. Und da sind nicht alle dafür, einen deutschen Auslandsnachrichtendienst stark in den Fokus zu rücken – um es gelinde zu sagen.

Klingt in der Tat nicht ganz einfach.
Sehen Sie sich in diesem Zusammenhang nur einmal die Diskussion um die Bundeswehr auch nach der Zeitenwende an. Und wir haben ja nicht nur Skeptiker innerhalb der SPD. Die Bundesregierung ist eine Koalitionsregierung. Kanzler Scholz müsste sich also zum Beispiel auch mit Außenministerin Annalena Baerbock, aber auch Verteidigungsminister Pistorius ins Benehmen setzen. Unterschiedliche Parteizugehörigkeiten sind hier das eine, die häufig gegenläufigen Eigeninteressen der Ministerien das andere Problem.

Und das ist in anderen Ländern, etwa in Großbritannien, anders?
Ja, im britischen System sind Zuständigkeiten im Bereich der inneren und äußeren Sicherheit klarer verteilt. Der Premierminister hat mehr Macht gegenüber seinen Ministern, auch wenn es um die Arbeit der Nachrichtendienste geht. Auch mischen weniger Akteure mit. Und dann kommt natürlich auch noch eine grundsätzlich andere Einstellung der Briten oder auch der US-Amerikaner zu ihren Nachrichtendiensten dazu: In beiden Ländern sieht die Bevölkerung diese mehrheitlich auch bei kritischer Distanz und Kontrolle als selbstverständliche und notwendige Instrumente der Politik, um die Bevölkerung zu schützen und die Interessen des eigenen Landes im Ausland durchzusetzen. Das ist hier ganz anders – auch aus historischen Gründen.

Aber ist es nicht wichtig, die Kompetenzen von Nachrichtendiensten einzuhegen, Stichwort Datenschutz und Bürgerrechte?
Ja, sicherlich. Und dazu haben wir in Deutschland ja viele Kontrollmechanismen. Beim BND sind das zum Beispiel, das Bundeskanzleramt als Dienstaufsichtsbehörde, das Parlamentarische Kontrollgremium, die G10-Kommission, das Vertrauensgremium, der Unabhängige Kontrollrat, der Datenschutzbeauftragte und der Bundesrechnungshof.

Das sind tatsächlich ziemlich viele Kontrollinstanzen. Kann man so noch arbeiten?
Ich sage nicht, dass Kontrolle per se schlecht wäre. Kontrolle muss es zwingend geben, und sie gibt es ja auch bei allen Diensten in demokratisch verfassten Ländern. Aber bei uns ist es eher so, dass jeder Schritt schon im Vorhinein daraufhin umfänglich überprüft wird, ob er kritisch werden könnte. In anderen Ländern ist es, grob vereinfacht dargestellt, eher so, dass die Dienste im Rahmen ihrer Kompetenzen und ihres Auftrags erst einmal zu arbeiten anfangen und dann im Prozess kontrolliert wird, ob alles seinen rechten Lauf nimmt. So kann effektiver und effizienter, insbesondere auch reaktionsstärker, gearbeitet werden.

Viele Ereignisse, wie die Machtübernahme der Taliban, sah der BND nicht vorher. „Man habe nicht erwartet, dass die Taliban so schnell und fast kampflos weitere Distrikte Afghanistans übernehmen würden – bis hin zum Einmarsch in Kabul am 15. August 2021“, sagte dazu ein BND-Mitarbeiter vor dem Afghanistan-Untersuchungsausschuss im Bundestag aus. (Foto: picture alliance / AP)

Das klingt nicht so, als wäre der BND besonders schnell und schlagkräftig. Eher so, als wären wir wegen Kontrolle und Bürokratie im Blindflug unterwegs. Wie kann es sein, dass noch nicht mehr passiert ist – zum Beispiel in Sachen Anschläge in Deutschland?
Ganz so schlimm ist es natürlich nicht. Insbesondere aber auch, weil wir eben nicht auf uns allein für unsere Sicherheit angewiesen sind, sondern starke Freunde und Verbündete haben. Wir sitzen ja nicht im Cockpit des Flugzeugs namens „Sicherheit der westlichen Welt“, um im Bild zu bleiben. Im Cockpit des Flugzeugs sitzen die US-Amerikaner. Sie sind die Piloten. Die Briten könnte man als Co-Piloten bezeichnen. Den Aufklärungsverbund der „Five Eyes“, also zusätzlich noch Kanada, Australien und Neuseeland, als Flugingenieure und Co-Navigatoren.

Und wo sind wir Deutschen?
Wir Deutschen sitzen, zusammen mit vielen anderen, eher in der Businessclass mit sehr gutem Serviceangebot in Sachen Sicherheit. Warum das so ist, sieht man auch gut an den unterschiedlichen Kapazitäten der Nachrichtendienste. Der BND hat als ziviler und militärischer Auslandsnachrichtendienst alles in allem 6.500 Stellen. Allein die US-amerikanische NSA, die für die weltweite Überwachung elektronischer Kommunikation zuständig ist, hat geschätzt 40.000 Mitarbeiter, nicht zu reden vom Auslandsnachrichtendienst CIA (ca. 21.000), vom militärischen Dienst DIA (ca. 16.000) und der für Satellitenaufklärung zuständigen NGA (ca. 16.000).

Gibt es denn gar keinen Bereich, in dem die Deutschen gut sind?
Hier sollte ich allein schon aus Geheimschutzgründen zurückhaltend sein. Die Fernmeldeaufklärung, vor allem Richtung Russland, hat ja im aktuellen Ukraine-Konflikt öffentliche Erwähnung gefunden. Auch in Afghanistan konnte die Bundeswehr mit ihrer Technik bekanntlich oft operative Kommunikation der Taliban abhören und zum Schutz der entsandten deutschen Kräfte beitragen.

Was ist mit Spionen? Haben wir Tausende Spione in allen Ländern weltweit?
Nein, das kann der BND natürlich schon allein aus Kapazitätsgründen nicht leisten. Darüber hinaus dürfen Sie die Möglichkeiten nicht übersehen, die heutzutage über eine systematische, IT-gestützte Erfassung und Auswertung von offenen Informationen (OSINT) bestehen. Vieles, wofür man früher Informanten im Ausland benötigte, wird heute quasi frei Haus geliefert. Im angloamerikanischen Raum wird dies leicht scherzhaft „Lehnstuhl-Nachrichtendienst“ (Armchair Intelligence) genannt, da es so gar nichts mehr mit „Mantel- und Degen-Nachrichtendienst“ (Cloak and Dagger Intelligence) zu tun hat, sondern mit konzentrierter intellektueller Arbeit.

Gerhard Conrad hat 30 Jahre lang als BND-Agent gearbeitet. (Foto: picture alliance / dpa)

Aber andere Länder setzen doch mit ihren Geheimdiensten schon noch auf die klassische „human intelligence“.
Ja, aber da gibt es Folgendes zu beachten: Besonders hilfreich für die Arbeit mit menschlichen Quellen, also für klassische Spionage, ist es, wenn Sie in den betreffenden Ländern über breit gefächerte etablierte gesellschaftliche und wirtschaftliche Kontakte verfügen. Überall dort, wo ein Staat bereits aus geschichtlichen Gründen eine Community hat, sind die sprachlichen, soziokulturellen und wirtschaftlichen Bedingungen für das Arbeiten mit menschlichen Quellen, die sogenannte „human intelligence“, gut.

Also haben die Briten und die Franzosen in ihren ehemaligen Kolonialgebieten einen Vorteil?
Ja, die Milieus der „Anglosphere“ und „Francophonie“ mit ihren vielfältigen Beziehungen und Abhängigkeiten sind da ein Startvorteil. Auch eine regional oder gar weltweit präsente Diaspora mit ihren familiären und wirtschaftlichen Verflechtungen zum jeweiligen Mutterland kann hier relevant sein. Das gilt für den israelischen Geheimdienst Mossad ebenso wie für andere Dienste aus der Region Nah- oder Mittelost, aber auch Asien.

Dann haben aber die Deutschen recht schlechte Karten in Sachen „human intelligence“. Wir haben ja kaum gewachsene Beziehungen in anderen Ländern infolge unserer Kolonialgeschichte.
Es gibt im Rahmen der gewachsenen Globalisierung auch andere Wege. Man kann es im Übrigen auch anders sehen: Diese fehlende Kolonialgeschichte im Nahen Osten, in Afrika oder Asien hat uns Deutschen dort besondere Glaubwürdigkeit als „Honest Broker“ verliehen. Wir sind dort häufig beliebter als zum Beispiel die US-Amerikaner, die Franzosen oder Briten. Das kann viel wert sein, etwa bei diplomatischen Bemühungen.

Dem BND wird oft vorgeworfen, dass er wichtige Ereignisse nicht vorhergesehen hat: etwa den Einmarsch der russischen Armee in die Ukraine am 24. Februar 2022 oder den Militärputsch im Niger im Sommer 2023.
Ich war zu diesen Zeitpunkten nicht mehr im Dienst, aber ich kann Folgendes grundsätzlich sagen: Der BND hat schon seit Langem, und noch einmal verstärkt im Gefolge des ersten russischen Überfalls auf die Ukraine im Jahr 2014, vor einem immer aggressiver agierenden Russland gewarnt. Die Warnungen wollte aber in den verschiedenen Bundesregierungen über die Jahre hinweg niemand hören. Da setzte man lange noch auf „Wandel durch Handel“. Auch auf das billige, quasi unbegrenzt verfügbare russische Gas wollte man keinesfalls verzichten. Dieses Phänomen, dass Geheimdienste mit ihren Informationen nicht durchdringen, wenn ihre Erkenntnisse politisch unerwünscht sind, gibt es nicht nur in Deutschland, sondern bei näherer Betrachtung überall. Der US-Politikwissenschaftler Robert Jervis hat im Jahr 2010 ein Buch mit dem Titel „Why intelligence fails“ veröffentlicht. Darin beschreibt er an den Beispielen der Iranischen Revolution Ende der Siebzigerjahre und des Irakkriegs Anfang der 2000er-Jahre, wie die US-Regierungen die Erkenntnisse ihrer Nachrichtendienste ignorierten, weil diese nicht politisch opportun waren.

Trotzdem hat der BND einige wichtige Ereignisse der letzten Jahre verschlafen!
Auch die besonders hochgelobten Dienste wie zum Beispiel der Mossad sind keineswegs vor dem Risiko einer Fehleinschätzung, sei es aufgrund mangelnder Informationen, sei es aufgrund unzureichender Analyse, sicher. Das haben ja unlängst wieder einmal die schrecklichen Ereignisse in Israel und Gaza im Oktober 2023 gezeigt. Bei Nachrichtendiensten geht es ja immer um die Ermittlung des Unbekannten, des Verborgenen. Da ist – wie in der Wissenschaft – das Fehlerrisiko noch einmal höher als bei der Erfassung und Analyse offen zugänglicher Sachverhalte.

Der BND gilt im Vergleich zu ausländischen Diensten als sehr risikoavers. Ihr neues Buch heißt „Keine Lizenz zum Töten“. Kann man überhaupt ohne Risiko Geheimdienstarbeit machen?
Kaum. Die Frage des einzugehenden Risikos ist eine Frage der Güterabwägung. Stellen Sie sich vor, Sie wären Politikerin in der Bundesregierung: Würden Sie eine Operation genehmigen wollen, in der jemand im heutigen Russland, im Iran oder in Nordkorea dazu bewegt werden soll, geheime Informationen zum Beispiel aus dem jeweiligen Verteidigungsministerium an uns Deutsche zu verraten? Wenn diese Person auffliegt, was glauben Sie, was passiert? Sehr lange leben wird sie wohl nicht mehr. Hier stellt sich für diejenigen, die am Ende nachrichtendienstliches Handeln politisch verantworten müssen, immer die Frage: Ist die zu erhoffende Information das Risiko für Leib und Leben des „Zuträgers“, der „Quelle“, wert?

Hmm, ich würde wahrscheinlich gut abwägen.
Sehen Sie. Jedes Land beantwortet diese Frage anders. Wie viel Risiko ein Land eingeht, basiert meistens auf der Grundlage seiner Werteordnung, aber auch seiner Gefährdungslage.


Zur Person

Gerhard Conrad (69) hat 30 Jahre lang als Agent für den Bundesnachrichtendienst (BND) gearbeitet. In dieser Funktion vermittelte der promovierte Islamwissenschaftler einen Geiselaustausch zwischen der Hamas und Israel, bei dem der israelische Soldat Gilad Schalit freikam.


Buchtipp

Gerhard Conrad: Keine Lizenz zum Töten – 30 Jahre als BND-Mann und Geheimdiplomat; Econ Verlag 2023, 320 Seiten, 24,99 Euro

Verwandte Artikel
loyal

Jetzt aber flott! Letzter Aufruf zur loyal-Leserbefragung

Liebe Mitglieder des Reservistenverbandes, .loyal liefert Ihnen elfmal im Jahr hochwertige und exklusive Informationen, Reportagen, Interviews, Porträts und Hintergrundberichte zur...

11.07.2024 Von Redaktion
loyal

"Ohne Reserve keine Kriegstüchtigkeit"

Verteidigungsminister Boris Pistorius baut die Bundeswehr um, wie seit Jahrzehnten kein Poli­tiker vor ihm. Er bringt Vokabeln wie „Kriegstüchtigkeit“ in...

09.07.2024 Von Boris Pistorius, Bundesminister der Verteidigung
loyal

Transnistrien: der Phantomstaat

Transnistrien ist ein Land, das es eigentlich nicht gibt. Moldau sieht den abtrünnigen Landstrich als eigenes Staatsgebiet an. Die Regierung...

05.07.2024 Von André Uzulis