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„Wir waren die Augen der Soldaten“

André Hassan Khan war einer der ersten Sensorbediener, die 2009 an der Drohne „HERON 1“ der Bundeswehr ausgebildet wurden. Bei einem Einsatz in Afghanistan erlebte er ein Massaker mit - die Erlebnisse haben ihn traumatisiert.

Eine HERON-1-Drohne der Bundeswehr bei einem Einsatz in Afghanistan.

Foto: Bundeswehr / Johannes Heyn

Afghanistanbundeswehrdrohnen

Sie waren Teil eines sehr kleinen Teams, das im Jahr 2009 als Sensorbediener und Drohnenpiloten der „HERON 1“ ausgewählt wurde. Wie kam es dazu?
Ich war zu dieser Zeit Flugberater bei der Luftwaffe, kannte mich also mit Luftraumstruktur aus. In der Ausschreibung für die neugeschaffenen Verwendungen als Drohnenpiloten und Sensorbediener der „HERON 1“ war das eine Voraussetzung. Zusätzlich sollte man noch gut Englisch sprechen und ein Verständnis für die Bewegung von Bodentruppen mitbringen. Die Ausschreibung hörte sich interessant an, und die Voraussetzungen brachte ich auch mit, also bewarb ich mich für die Position und wurde genommen.

Warum war die Einführung der HERON 1 etwas Besonderes für die Bundeswehr?
Mit der „HERON 1“ bekam die Bundeswehr erstmals eine Drohne, die lange über große Gebiete fliegen konnte. Im Vergleich mit den kleinen Drohnen der Bundeswehr war das eine Revolution in der (Aufklärungs-)Leistung. Deshalb herrschte bei unserem kleinen Team, wir waren nur zu zehnt, ein richtiger Pioniergeist.

Gleich nach Ihrer Ausbildung, die in Israel stattfand, gingen Sie 2010 in Ihren ersten Auslandseinsatz als Sensorbediener nach Afghanistan. Was war da Ihre Aufgabe?
Wir agierten mit unserer „HERON 1“ praktisch als Augen der deutschen Truppen. Wir konnten aus großer Höhe überwachen, was sich rund um das Feldlager und in der Tiefe des Raums tat. Etwa, ob Aufständische Sprengstoff an einer Straße versteckten, um das IED (Improvised Explosive Device) später hochgehen zu lassen. Das war damals die häufigste Anschlagsform. Wir haben mit der Drohne auch Konvois begleitet und überwacht, dass sich keine feindlichen Kräfte nähern oder einen Hinterhalt planen. Wir konnten lange und lückenlos einen bestimmten Ort von oben überwachen und damit haben wir eine Fähigkeitslücke der Bundeswehr geschlossen.

André Hassan Khan. (Foto: privat)

Was ist an jenem 21. April 2017 passiert?
Es hieß, im nahegelegenen Camp Shaheen, wo die afghanische Armee einen Stützpunkt hatte, habe es ein Ereignis gegeben. Der Drohnenpilot und ich sollten mit der „HERON 1“ aufklären, was sich ereignet hatte. Als die „HERON 1“ dort ankam, sahen wir Menschen, die aufeinander schossen. Eine Gruppe von vermeintlichen Taliban-Terroristen hatte das Camp der afghanischen Armee angegriffen – am Freitag, während die afghanischen Soldaten unbewaffnet waren und sich beim Gebet in der Moschee oder beim Essen in der Küche befanden. Es gab ein schreckliches Gemetzel. Durch die Aufnahmen der Wärmebildkameras, die ich bediente, konnten wir sehen, wie die Wärme aus den Körpern der Erschossenen entwich. Es wirkte wie sinnlose Gewalt – auch die Verteidiger schossen wild auf alles, was sich bewegte – stundenlang und ohne Gnade. Ich fühlte mich hilflos angesichts dieses Grauens. Am Ende der Attacke auf die Kaserne waren die Angreifer der Taliban und mindestens 140 afghanische Soldaten tot.

Was passierte mit Ihnen nach diesem Ereignis?
Zunächst realisierte ich gar nicht, dass die Bilder, die ich gesehen hatte, dabei waren, mich tief zu verändern. Ich machte meinen Job einfach weiter. Nach meiner Heimkunft merkte meine Frau aber recht bald, dass ich mich verändert hatte. Ich verhielt mich launisch, wollte nicht mehr unter Menschen gehen und war emotional abweisend. Ich entwickelte eine PTBS und nach einigen Monaten konnte ich nicht mehr nach draußen gehen, schon die alltäglichsten Szenen lösten in mir Flashbacks und Panikattacken aus. Ich kapselte mich ab. Trotzdem brauchte ich selbst lange, nämlich drei Jahre, um mir einzugestehen, dass mit mir etwas nicht stimmte.

Sie gingen dann zu Ihrem Vorgesetzten und sagten Ihm, wie es Ihnen ging. Was passierte dann?
Die Bundeswehr hat mittlerweile viele Hilfsangebote für PTBS-Erkrankte. Auch mir wurde schnell geholfen. Ich hatte regelmäßig Termine bei meiner Psychologin, und mir geht es langsam besser. Eine Therapie findet derzeit nach Bedarf statt. Aber klar: Meinen bisherigen Job kann ich nicht weiter machen. Heute bin ich in der Wiedereingliederung und arbeite in der Verwaltung der Luftwaffe.

Wie finden Sie, dass die Drohnen der Bundeswehr – nach einer langen, zähen Debatte – nun auch bewaffnet sein dürfen und der Nachfolger der „HERON 1“, die „HERON TP“ auch Bewaffnung tragen darf?
Das finde ich gut! Für angegriffene Bodentruppen kann das echt ein „Gamechanger“ sein. Und ich als Sensorbediener hätte mich weniger hilflos gefühlt, hätten wir im April 2017 in das Geschehen eingreifen können.


Zur Person

André Hassan Khan wurde 1976 in Neumünster geboren. Nach seinem Grundwehrdienst entschied er sich dafür, Berufssoldat zu werden. Er flog als Sensorbediener mit der „HERON 1“ hunderte Einsätze in Afghanistan und Mali. Am 21. April 2017 überwachte seine „HERON 1“ die Geschehnisse im Camp Shaheen, wo bei einem hinterhältigen Überfall der Taliban über 140 afghanische Soldaten starben.

Buchtipp
André Hassan Khan
Heute fühlt sich alles an wie Krieg.
Ein Drohneneinsatz, ein Trauma und seine Folgen,
Rowohlt Polaris 2024,
18 Euro

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