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„Einsatz gegen Sexismus ist eine Führungsaufgabe“




Die Wehrbeauftragte im Interview in ihrem Berliner Büro mit loyal-Autorin Julia Weigelt.

Foto: Stephan Pramme

bundeswehrloyalsexismus

Soldatinnen werden betatscht, sie hören abwertende Sprüche und erleiden Karrierenachteile, berichtet die Wehrbeauftragte Eva Högl. Mit dramatischen Folgen: Wer Sexismus in der Bundeswehr nicht ernst nehme, gefährde die Verteidigungsfähigkeit der Streitkräfte, sagt sie.

Sie sagen, Sexismus wirke sich auf die Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr aus. Wie meinen Sie das? Probleme bei der Verteidigungsfähigkeit sind nicht das Erste, an das man beim Thema Sexismus denkt.

Zunächst vorweg: Vergewaltigungen und andere körperliche Übergriffe verletzen die Grundrechte unmittelbar. Bei einer Verletzung der körperlichen Unversehrtheit gibt es keine Toleranz. Deswegen schaltet sich die Wehrbeauftragte ein. Zu Ihrer Frage zwei Antworten. Erstens: Verteidigungsfähigkeit braucht gute Führung und Kameradschaft. Und gute Führung und Kameradschaft brauchen Vertrauen. Nicht zuletzt im Einsatz müssen sich alle Männer und Frauen aufeinander verlassen können. Das ist nicht gegeben, wenn man ständig aufpassen muss, nicht angefasst zu werden oder abwertende Sprüche zu hören. Zweitens: Sexismus schadet der Attraktivität der Bundeswehr. Frauen suchen sich dann lieber einen anderen Arbeitgeber. Das kann sich die Bundeswehr bei der aktuellen Personallage nicht leisten, und auch das mindert die Verteidigungsfähigkeit.

Wir sprechen über sexualisierte Gewalt, die vor allen Dingen von Männern ausgeht und die vor allem von Frauen, homosexuellen Menschen und Menschen mit Transidentität erfahren wird. Wenn ich dieses Thema mit Soldaten bespreche, erlebe ich regelmäßig heftige Abwehr: Das würde im eigenen Bereich nicht vorkommen, außerdem seien nicht alle Männer Täter. Kennen Sie das?

80 Prozent der Betroffenen sind Frauen. Ein Drittel der Taten geschieht unter Alkoholeinfluss. Das sind Fakten, die man ganz klar benennen muss. Das muss man auch wissen, wenn es um Prävention geht. Bundeswehrangehörige aller Ebenen müssen das Thema ernst nehmen. Der Einsatz gegen Sexismus ist vor allem eine Führungsaufgabe. Wenn Kommandeure und Kompaniechefs das Thema ernst nehmen und klare Grenzen setzen, gehen sie mit gutem Beispiel voran und schaffen Sensibilität in ihren Einheiten und Verbänden. Deswegen sind die von Ihnen beschriebenen Abwehrhaltungen nicht zweckdienlich.

Blicken wir doch einmal auf das Handeln verschiedener Führungsebenen. Die Bundeswehr hat mit einer eigenen Studie – „Bunt in der Bundeswehr“ – Sexismus erfassen wollen. Erst 2022 wurde, auch auf Ihren Druck hin, zumindest eine Kurzversion davon veröffentlicht. Demnach gaben 21 Prozent der befragten Soldatinnen an, in den letzten zwei Jahren Diskriminierungserfahrungen gemacht zu haben. Die Studie besagt, dieser Anteil sei im Vergleich zum zivilen Wert „leicht erhöht“. Ein SWR-Reporter konnte jüngst einen Blick in die eingestufte Gesamtstudie werfen. Demnach ist der Bundeswehrwert im Vergleich in Wahrheit dreimal höher. Was halten Sie davon, wenn politische und militärische Führung die Lage schönreden?

Seit September ist die neue Vorschrift zum Umgang mit Sexualität und sexualisiertem Fehlverhalten in Kraft. Und die ist ganz klar formuliert: Es gibt Handlungsbedarf, und es bedarf roter Linien. Es ist der richtige Weg, offen zu sagen: Es gibt in der Bundeswehr Fälle von Sexismus, Diskriminierung und Übergriffen. Das heißt nicht, dass das alle betrifft. Es gibt keinen Generalverdacht. Dennoch gibt es solche Fälle. Jeder einzelne Fall ist zu viel, jeder Fall muss gemeldet, ermittelt und konsequent geahndet werden.

Eva Högl ist seit 2020 Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags. (Foto: Pramme)

Anderes Beispiel für Führungsverhalten: Die neue „Task Force Personal“ sollte ein General leiten, dessen sexistisches Verhalten sogar in Ihrem Wehrbericht auftauchte und Eingang in seine Personalakte fand. Sie haben sogar persönlich Ihren Widerspruch vorgetragen – erfolglos. Nur öffentlicher Druck führte zur Umbesetzung dieser Schlüsselposition. Was sagt das aus über das Problembewusstsein im Ministerium? Was können Soldatinnen da anderes herauslesen als: Sexismus wird in der Bundeswehr nicht nur toleriert, sondern befördert, und die Sicherheit von Frauen zählt nicht?

Vielleicht zeigt dieser Fall auch, dass die Aufmerksamkeit auf das Thema groß ist und Veränderungen möglich sind. Deshalb wurde für die Task Force Personal mit Frau Döring und General Sieger eine neue Führung gefunden.

Letztes Beispiel in Sachen Verhalten von Vorgesetzten: In der angesprochenen SWR-Reportage berichtete eine betroffene Soldatin, dass sie den Täter zunächst auf sein Verhalten angesprochen hatte, am nächsten Tag aber vom Chef dafür gerügt worden sei: Sie hätte da sicherlich etwas falsch verstanden und so eine Meldung solle nicht nochmal vorkommen. Erst eine Eingabe bei Ihnen hätte etwas in Gang gesetzt. Sie haben in Ihrem Jahresbericht die Aussagen vieler Gleichstellungsbeauftragten so zusammengefasst, dass die Dunkelziffer zu sexueller Belästigung viel höher sei als die Zahl gemeldeter Fälle. Was hält Betroffene davon ab, solche Taten zu melden?

Oft haben die Betroffenen die Befürchtung ‒ und das ist eine durchaus begründete Befürchtung ‒ dass sie dadurch Nachteile erleiden, dass die Tat entweder kleingeredet wird, dass daraus nichts folgt und dass die Betroffenen selbst als Nestbeschmutzer angesehen werden. Nicht selten ist es auch der Fall, dass die Betroffenen von solchen Übergriffen den Verband verlassen müssen. Und deswegen ist es so wichtig, dass sie gestärkt und unterstützt werden. Darum und um effektive Verfolgung solcher Taten geht es auch in der neuen Vorschrift. Sie stärkt die Handlungssicherheit von Vorgesetzten und erhöht die Sensibilität für sexualisiertes Fehlverhalten. Sie muss jetzt gelebt werden in der Truppe und darf nicht in der Schublade verschwinden.

Eine andere Art von Sexismus drückt sich in Form von Karrierenachteilen aus. Soldatinnen bekommen teils schlechtere Beurteilungen, wenn sie in Teilzeit arbeiten, erleben Mobbing, weil sie sich angeblich zu Hause einen faulen Lenz machten.

Das ist ein sehr ernstes Thema. Und es muss konsequent darauf geachtet werden, dass das nicht passiert. Auch hier sind Vorgesetzte in der Verantwortung, dass Beurteilungen und Beförderungen wirklich auf der Basis von Eignung, Leistung und Befähigung erfolgen. Wir haben jetzt seit mehr als 20 Jahren Frauen in allen Bereichen der Bundeswehr und immer noch ist der Frauenanteil zu niedrig; er liegt bei rund 13 Prozent. Außerdem haben wir zu wenig Frauen in höheren Dienstgraden und Führungspositionen. Da gibt es enormen Nachholbedarf. Zumal jetzt unter dem Deckmantel der Kaltstartfähigkeit einige sogar fordern, bisherige Errungenschaften wie Teilzeit und Telearbeit, von denen Frauen wie Männer profitieren, wieder zurückzudrehen.

Ich habe kürzlich mit einer Offizierin gesprochen, die deswegen komplett am Boden war. Sie hatte so sehr daran glauben wollen, dass gerade in der Bundeswehr für alle dieselben Regeln gelten, alle dieselbe Uniform tragen, und hat dann gemerkt: Das stimmt überhaupt nicht, ich muss viel mehr leisten als männliche Kameraden für dieselbe Anerkennung. Kennen Sie solche Berichte?

Als ich als Jugendliche angefangen habe, mich politisch zu engagieren, habe ich auch gedacht: Wenn ich mal Mitte 50 bin, dann hat sich das Thema sicher nahezu erledigt. Dann gibt es Gleichberechtigung in allen Bereichen. Aber das ist nicht so. Es bleibt eine Daueraufgabe und die geschlechtsspezifische Diskriminierung muss beseitigt werden. Deswegen ist es auch gut, dass es Gleichstellungsbeauftragte gibt. Und es ist gut, dass sich Frauen vernetzen, sich solidarisieren und sich gegenseitig den Rücken stärken.

Eva Högl im Gespräch mit einer Soldatin während eines Besuchs beim ABC-Abwehrbataillon 7 in Höxter. (Foto: Bundeswehr)

Was sind Ihre Top-3-Vorschläge, was jetzt passieren muss, damit Sexismus in den Streitkräften für die jungen Soldatinnen von heute wirklich kein Thema mehr sein wird, wenn die Mitte 50 sein werden?

Erstens: Jeden Vorfall melden! Nichts weglächeln, keine Angst davor haben, dass das zu Nachteilen führt. Es ändert sich nichts, wenn es nicht gemeldet wird …

… das lässt sich leicht fordern. Was sagen Sie denn der jungen Hauptgefreiten, die eh schon starken Respekt vor der Führung hat, und dann mitkriegt, wie Betroffene die Einheit verlassen müssen oder sogar Morddrohungen erhalten dafür, dass sie Sexismus melden?

Ich rate dieser Hauptgefreiten: Suchen Sie sich Unterstützung. Sprechen Sie mit Kameradinnen, Vertrauenspersonen, Gleichstellungsbeauftragten, der Militärseelsorge oder schreiben Sie mir. Sie sind nicht allein!

Welches ist Ihre zweite Forderung?

Jeder einzelne Fall muss sorgfältig ermittelt werden, und zwar unbefangen und objektiv, was nicht immer gegeben ist. Und das Dritte ist: Prävention. Das Thema ernst nehmen, Handlungssicherheit schaffen, Ansprechstellen kommunizieren, an die man sich wenden kann, Workshops zum Thema veranstalten, schon bevor etwas Schlimmes passiert ist ‒ also ein Klima schaffen, in dem Sexismus keinen Platz hat.

Sie haben fast täglich mit erschreckendem Verhalten zu tun. Was gibt Ihnen Hoffnung, dass das Thema wirklich bald keins mehr sein könnte?

Die Aufmerksamkeit für das Thema Sexismus. Dass es ein verändertes Verständnis für das Thema in der Bundeswehr gibt. Ich stelle einen zunehmend sensibleren Umgang mit Fällen von Sexismus fest. Viele Vorgesetzte nehmen das Thema ernst. Die neue Vorschrift ist ein Ausdruck dessen und wird dazu weiter beitragen. Und ein verändertes Verständnis für das Thema in der Bundeswehr. Nach mehr als 20 Jahren mit Frauen in allen Bereichen bewegt sich was. Frauen haben die Bundeswehr verändert und geprägt. Sie haben zu dieser Entwicklung beigetragen. Es gibt sichtbare Veränderungen und das gibt mir Hoffnung.


Eva Högl wurde 1969 in Osnabrück geboren. Sie ist seit 2020 Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestags – als zweite Frau nach Claire Marienfeld. Zuvor war sie von 2009 bis 2020 Bundestagsabgeordnete und dort seit 2013 stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion. Högl hat Jura studiert und wurde 1997 mit einer Arbeit zum europäischen Arbeits- und Sozialrecht zum Dr. jur. promoviert.

Julia Weigelt ist Fachjournalistin für Sicherheitspolitik aus Hamburg.

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