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„Es braucht eine strukturierte industrielle Rüstungsallianz“




Deutschland und Italien entwickelten gemeinsam die Unterseebootklasse 212A. Das italienische U-Boot Salvatore Todaro (vorne) und das deutsche U-Boot U32 beim Einlaufen in Italiens Marinebasis Tarent.

Foto: Italian Navy

europaItalienloyalrüstung

Italien zielt darauf ab, Wehrindustrie-Hubs über nationale Cluster hinweg aufzubauen. Dazu befragte loyal General Luciano Portolano, den Planer für Italiens Rüstung.

Herr General, gibt es bereits Auswirkungen auf Italiens Beschaffungsentscheidungen aufgrund des Ukraine-Kriegs? Frankreich zum Beispiel hat kurzfristig beschlossen, tausende von Kamikazedrohnen zu beschaffen.

Der Krieg in der Ukraine wirkt als Multiplikator auf die Beschaffung von Munition und Waffensystemen. Ähnlich wie seine europäischen Partner verfolgt Italien kurz- und langfristige Strategien in der Rüstung. Kurzfristig wurden die Beschaffungsprozesse für Munition beschleunigt. Ich beziehe mich dabei insbesondere auf die Beschaffung von neuer gelenkter 155mm-, 120mm- und 25mm-Munition sowie von Munitions- und Torpedosätzen für die Marine.

Langfristig ist es notwendig, eine solide und gut strukturierte industrielle Kapazität aufzubauen, die in der Lage ist, Notfallsituationen zu bewältigen. Hierfür stellen die italienischen Rüstungsbetriebe ein besonderes Potenzial in Europa dar – wenn sie stimmig ausgebaut werden, auch mithilfe von EU-Mitteln, wie mit dem ASAP-Fonds*1.

Stichwort Europa: Wo sehen Sie Möglichkeiten, Bedarfe der europäischen EU- und NATO-Armeen für gemeinsame und damit effizientere Beschaffungen zu harmonisieren?

Die nationalen Streitkräfte der Nationen unterscheiden sich noch sehr stark in Bezug auf ihre Merkmale und somit in ihren Fähigkeitsbedarfen. Darüber hinaus haben bereits die Pandemie, nun der Ukraine-Krieg und die schwierige wirtschaftliche und finanzielle Lage in Europa die Lieferketten stark beeinträchtigt. Somit ist es für die Regierungen schwierig, wenn nicht gar unmöglich geworden, die Entwicklungs- und Beschaffungsphasen komplexer Waffensysteme ohne multinationale Zusammenarbeit eigenständig zu finanzieren. Deswegen halte ich zwei Dinge für nötig, um in Europa besser zu rüsten: erstens die Umstellung von „Ein-Plattform-Programmen“ auf modulare Programme mit der Grundlage eines „System of Systems“-Konzepts. Zweitens Beschaffungsstrategien, die Größenvorteile im europäischen und nationalen Kontext deutlich unterstützen.

siehe auch: Europas pragmatische Militärmacht

Dafür braucht es langfristig strukturierte Investitionen, gerade auch mit EU-Mitteln wie EDIRPA und EDIP*2. Um gemeinsame Beschaffungen zu fördern, ist es zudem notwendig, einen Ansatz zu verfolgen, der die Unterschiede zwischen den Industrien der verschiedenen Länder ausgleicht. Das geht, indem wir uns vom Fokus auf die Entwicklung lösen und  den gesamten Lebenszyklus eines Waffensystems berücksichtigen – wie Lieferketten, Wartung und Munitionsversorgung. Die OCCAR*3)  bekommt es gut hin, solche Gleichgewichte bei Rüstungsprojekten herzustellen. So ein umfassender Ansatz vermeidet insbesondere mangelndes Vertrauen kleiner Länder in multilaterale Beschaffungen.

Generalleutnant Luciano Portolano. (Foto: SGD-DNA)

Was sind Italiens Interessen, wenn es darum geht, die europäische Verteidigungsindustrie zu konsolidieren?

Die italienische Verteidigungsindustrie ist in allen Bereichen ein hervorragender Aktivposten und arbeitet bereits mit den wichtigsten europäischen und globalen Unternehmen zusammen. Eine operative Zusammenarbeit bei der Produktion, Lieferung oder Integration von Waffensystemen ist jedoch etwas anderes als die Umsetzung einer strukturierten industriellen Allianz auf europäischer Ebene, die auf einer langfristigen Strategie beruht. Hier sieht Italien in den wichtigsten europäischen Konzernen und Unternehmen wertvolle Ausgangspunkte für die Schaffung industrieller Hubs, die in Bezug auf technologisches Know-how, Produktionskapazitäten und Managementstrukturen auf globaler Ebene konkurrieren können.

Ich meine dabei nicht nur spezifische Firmen-Joint-Ventures, sondern industrielle Cluster, die in der Lage sind, technologische Ressourcen zu bündeln, die hauptsächlich in kleinen und mittleren Unternehmen (KMUs) zu finden sind – heute oft Start-ups. Diese Rüstungshubs bräuchten jedoch eine erhebliche politische Unterstützung seitens der Mitgliedstaaten. Zum Beispiel zur Gewährleistung grenzüberschreitender Beteiligung von KMUs an solchen Rüstungshubs.

Blicken wir auf die italienisch–deutsche Rüstungskooperation. Was sind hier die wichtigsten Felder, gerade mit Blick in die Zukunft?

Deutschland ist zweifellos ein strategischer Partner für Italien im Verteidigungs- und Industriesektor. Wir haben diverse solide Kooperationen. Zum Beispiel bei der Forschung zu unbemannten Systemen, ballistischem Schutz, fortschrittlichen Materialien für die Luftwaffenrüstung, Radarsensoren, Weltraum- und Cyberverteidigung. Beispiele im Bereich der Marinerüstung sind U212 und das Folgeprogramm Near Future Submarine (NFS). Des Weiteren „Vulcano“, zur Beschaffung von 127-mm-Lenkmunition, und der U-Jagd-Torpedo MU90. Auch bei der Luft- und Raumfahrt ist die Zusammenarbeit mit einer Reihe von Programmen sehr gut etabliert. Eines der wichtigsten ist die „Hypersonic Defense Interceptor Study“ (HYDIS) für die Abfangfähigkeit von Hyperschallwaffen. Diese läuft im Rahmen des Europäischen Verteidigungsfonds (EDF) unter der Beteiligung Frankreichs.

Im Bereich der Landrüstung ist die deutsche Industrie zwar sehr wettbewerbsfähig, aber auch die italienische verfügt hier über ein fundiertes Know-how. Ich denke hier unter anderem an Leonardo, Iveco Defence Vehicles und das Konsortium Iveco-Oto Melara. Daher würde eine enge industrielle Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern viele Vorteile für die Entwicklung fortschrittlicher Kampffahrzeuge für leichte bis schwere Kräfte bringen und von Schützenpanzern bis zum deutsch-französischen Kampfpanzersystem MGCS.

Deutschland will mit Frankreich über das Future Combat Air System (FCAS) ein europäisches Luftkampfsystem der 6. Generation entwickeln. Warum beteiligt sich Italien am Konkurrenzprojekt Global Combat Air Programme (GCAP)? Und gibt es aus italienischer Sicht die Möglichkeit, beide Programme zusammenzulegen?

Italien wollte sich an einem Programm beteiligen, das in künftigen Szenarien einen operativen Vorteil bietet und gleichzeitig die Handlungs- und Änderungsfreiheit im gesamten Spektrum des Luftkampfsystems gewährleistet, ohne unter Druck von Monopolen bei neuen Technologien der Luft- und Raumfahrtrüstung zu kommen. Hier entsprach die britische initiierte Tempest – jetzt GCAP – besser unseren Ambitionen als FCAS. Diese Entscheidung beruhte im Kern auf drei Überlegungen.

Erstens: Die GCAP-Partner Vereinigtes Königreich, Italien und Japan waren bereits Programmpartner und Nutzer eines Flugzeugs der 5. Generation – der F35. Zweitens existieren solide Industriepartnerschaften und Synergien wie über Leonardo, das auch in Großbritannien vertreten ist. Drittens gab es zum Ersatz der Kampfjets der 4. Generationen denselben Zeitrahmen bei den Partnern. Grundsätzlich gilt: Ein solch ehrgeiziges Unterfangen, eine Plattform der 6. Generation zu entwickeln, zu produzieren und zu betreiben, wird eine Menge Ressourcen, Investitionen und Anstrengungen erfordern, die keine Nation allein aufbringen könnte. Mit Blick auf FCAS halten wir es für wichtig, weiterhin Möglichkeiten der Zusammenarbeit zu erkunden. Gerade auch für eine Interoperabilität von GCAP und FCAS.

Italiens Verteidigungsminister Guido Crosetto (Mitte) vor einem Modell des künftigen Kampfjets im Luftkampfsystem GCAP auf der Rüstungsmesse DSEI in Tokio im Frühjahr. (Foto: UK Ministry of Defence)

Zum Schluss noch ein zentrales Thema der Rüstung europäischer Armeen: deren Beschleunigung. Sieht Italien hier Handlungsbedarf und wenn ja, welche Maßnahmen sind im Gange?

Wie in vielen anderen Ländern besteht auch in Italien die Notwendigkeit, Prozesse der Rüstungsbeschaffung zu optimieren. Diese Notwendigkeit ist durch die internationale geopolitische Lage im Zusammenhang mit der Pandemie und dem Krieg zwischen Russland und der Ukraine noch dringlicher geworden. In den letzten Jahren wurden mehrere Initiativen ergriffen, um Beschaffungsprozesse im Verteidigungsbereich zu vereinfachen. Das neue Gesetzbuch für das öffentliche Auftragswesen, das dieses Jahr in Kraft tritt, enthält Anpassungen, legt zum Beispiel fixe Zeitrahmen für den Abschluss der verschiedenen Phasen der Beschaffungsprozesse fest. Darüber hinaus enthält das Gesetzbuch Bestimmungen, die darauf abzielen, die technisch-administrativen Aktivitäten im Verteidigungssektor zu rationalisieren und zu verbessern. Verträge im Rüstungsbereich werden zunehmend im vereinfachten Schnellverfahren verhandelt. Ebenso werden nun IT-Plattformen und Richtlinien, die bereits bei anderen Instanzen des Rüstungsprozesses verwendet werden, genutzt.


Generalleutnant Luciano Portolano

ist seit Oktober 2021 Generalsekretär für Verteidigung und Direktor der Nationalen Rüstungsabteilung im Verteidigungsministerium Italiens. Davor führte der Vier-Sterne-General das gemeinsame Streitkräftekommando in Rom. In dieser Position koordinierte Portolano nach dem raschen Kollaps der afghanischen Regierung Italiens Evakuierungsoperation „Aquila Omnia“ vom Flughafen Kabul.


*1 Anm. d. Red.: Der ASAP-Fonds ist ein Vorschlag der Kommission und wurde im Juli von den EU-Mitgliedsstaaten beschlossen. Der Fonds soll mit 500 Millionen Euro bis 2025 die Munitionsproduktion in den Unionsstaaten zum Beistand der Ukraine fördern.

*2 Anm. d. Red.: EDIRPA ist ein weiteres EU-Instrument, das mit 300 Millionen Euro die Bildung von Beschaffungsteams unter den EU-Staaten fördern soll. Es gilt seit September bis 2025. EDIP ist ein Vorhaben der Kommission, für finanzielle Anreize wie eine Mehrwertsteuerbefreiung für gemeinsam beschaffte Ausrüstung sowie weniger Vorschriften. Die Umsetzung ist ungewiss.

*3 Anm. d. Red.: Die OCCAR ist eine Beschaffungsorganisation mit Sitz in Bonn, die  gemeinsame Rüstung in Europa voranbringen soll.

 

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