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Ein Rekrut beim Einkleiden an seinem ersten Tag bei der Bundeswehr.

Foto: picture alliance / photothek

Dienstpflichtloyal

Eine allgemeine Dienstpflicht für alle jungen Frauen und Männer – das hält Prof. Dr. Patrick Sensburg, Präsident des Reservistenverbands, für rechtlich machbar und wünschenswert. Im Interview mit loyal legt er die Position des Verbands dar.

Wie sieht Ihre Vorstellung eines Pflichtdienstes konkret aus? Wer müsste wie lange dienen? In welchen Organisationen?
Die zahlreichen Krisen in der jüngeren Vergangenheit haben verdeutlicht, dass der Sicherheitsbegriff nicht länger isoliert betrachtet werden darf. Sicherheit setzt sich aus vielen verschiedenen Bausteinen zusammen – sowohl zivilen als auch militärischen. Wir sprechen von einem erweiterten Sicherheitsbegriff und der Gesamtverteidigung des eigenen Landes mit allen dazu notwendigen Kräften.

Um diese gesellschaftliche Aufgabe zu erfüllen, setzen wir uns als Reservistenverband bereits seit 2015 für die Einführung eines Pflichtdienstes ein. Die Bundesdelegiertenversammlung hat damals beschlossen, dass wir für die Beendigung der Aussetzung der Wehrpflicht und die Einführung eines „Verpflichtenden Dienstjahres“ im Sinne der Gesamtverteidigung eintreten.

Deutschland braucht diese starke Gesamtverteidigung für die Durchhaltefähigkeit und damit zur ernsten Abschreckung, um Kriege zu verhindern. Konkret heißt dies zum einen, dass nicht nur der Dienst in der Bundeswehr verteidigungsrelevant ist, sondern auch beispielsweise beim THW, den Feuerwehren oder den Sanitätsdiensten. Im Falle der Landesverteidigung benötigen wir diese Kräfte nämlich genauso, um einem Angreifer lange widerstehen zu können, was man zurzeit in der Ukraine sehen kann.

Zum anderen bedeutet dies aber auch, dass alle jungen Männer und Frauen in Deutschland wieder zu einem Pflichtdienst von mindestens einem Jahr herangezogen werden sollen und dann weitgehend zwischen den Organisationen wählen können. In Betracht kommen dabei alle Organisationen von der Bundeswehr über den Zivilschutz bis zu den Hilfs- und Rettungskräften, die im Falle der Landesverteidigung die Verteidigungsbereitschaft unseres Landes aufrechterhalten. Neben der Bundeswehr ergeben sich diese nicht zuletzt schon jetzt aus der Konzeption Zivile Verteidigung (KZV) und den Rahmenrichtlinien für die Gesamtverteidigung (RRGV). Langjähriges Engagement in der Freiwilligen Feuerwehr vor Ort, dem Roten Kreuz oder beim THW würde hier natürlich, wie früher, angerechnet.

Was wären die Vorteile eines solchen Dienstes?
Der entscheidende Vorteil ist, dass wir für den Fall eines Angriffs auf Deutschland oder unsere Bündnispartner ausreichend personelle Ressourcen haben, um in der Landes- und Bündnisverteidigung durchhaltefähig über einen längeren Zeitraum bestehen zu können. Der Krieg in der Ukraine lehrt uns, dass ein Land gegebenenfalls über Monate und Jahre sowohl Soldatinnen und Soldaten zum Kampf, aber auch Feuerwehrleute braucht, die beispielsweise das brennende Haus nach einem Raketenangriff löschen. Es braucht Rettungssanitäter nicht nur an der Front, und es braucht etwas so Exzellentes wie unser THW, um Infrastruktur jeglicher Art am Laufen zu halten. Letztlich brauchen wir wieder einen funktionierenden Zivilschutz, denn nur mit alledem kann ein Land glaubhaft deutlich machen, dass ein Angriffskrieg gegen dieses Land nicht erfolgreich sein wird und potenzielle Aggressoren abschrecken.

In Friedenszeiten ergeben sich aber auch erhebliche Vorteile. So kann die Infrastruktur für den Verteidigungsfall im Frieden natürlich auch genutzt werden. Redundante Netze helfen auch bei Unglücken und Katastrophen. Ausgebildete Rettungssanitäter und Helfer unterschiedlicher Art steigern die gesamtgesellschaftliche Resilienz in allen Bereichen und stabilisieren unseren Staat. Sie integrieren die unterschiedlichsten Gesellschaftsgruppen und schaffen im besten Fall ein Wir-Gefühl.

Oberst d.R. Prof. Dr. Patrick Sensburg, Präsident des Reservistenverbandes. (Foto: Mosch)

Wie wäre dieser Pflichtdienst mit dem Grundgesetz und mit dem Völkerrecht – Stichwort: Verbot eines Arbeitszwangs – vereinbar?
Die militärische und zivile Verteidigung ist Aufgabe des Staates mit Verfassungsrang, ihre Wertigkeit kann nicht hoch genug angesehen werden. Sie sichert die staatliche Integrität und damit den Bestand und die Zukunft eines Landes. Ohne sie könnte der Staat auch die Grundrechte seiner Bürgerinnen und Bürger nicht garantieren. Die Väter und Mütter unseres Grundgesetzes haben daher zu Recht erkannt, dass ein so tiefgreifender Eingriff in die Grundrechte nur durch ein überragendes Schutzgut auf der anderen Seite gerechtfertigt sein kann. Das Modell des Pflichtdienstes des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e.V. trägt dem Rechnung.

Unser Grundgesetz erlaubt in Artikel 12a Absatz 1 die Heranziehung von Männern zu Dienstpflichten in den Streitkräften, im Bundesgrenzschutz (jetzt Bundespolizei) oder in Zivilschutzverbänden. Dies ist vom Bundesverfassungsgericht in langjähriger Rechtsprechung bestätigt. Auch europa- und völkerrechtlich ist dies unstreitig, und immer mehr Staaten dieser Welt führen eine Wehr- beziehungsweise Dienstpflicht ein oder führen sie dort wieder ein, wo sie abgeschafft war. Mit Zwangsarbeit hat dies absolut gar nichts zu tun, auch wenn dies gerne als Gegenargument ins Feld geführt wird. Gerade wir Deutschen mit unserer Geschichte sollten sauber zwischen einer gesellschaftlichen Dienstpflicht und Zwangsarbeit unterscheiden. Durch die große Wahlmöglichkeit der verschiedenen Organisationen entsteht auch ein erheblich differenzierterer Dienst, als es noch die Wehrpflicht vor 2011 war.

Aufgabe der Zivilschutzverbände ist es dabei übrigens, durch nichtmilitärische Maßnahmen die Bevölkerung, ihre Wohnungen und Arbeitsstätten, lebenswichtige zivile Betriebe, Dienststellen, Anlagen und das Kulturgut vor Kriegseinwirkungen zu schützen und deren Folgen zu beseitigen und zu mildern. Zu ihnen zählen unter anderem das THW, die DLRG, das Deutsche Rote Kreuz, der Malteser-Hilfsdienst, die Johanniter Unfall-Hilfe und der Arbeiter-Samariter-Bund. Ein verpflichtender Dienst ist grundsätzlich also durchaus mit dem Grundgesetz vereinbar. Es müsste bei unserem Vorschlag allerdings dahingehend geändert werden, dass Frauen gleichberechtigt einbezogen werden. Nichts anderes wäre aber wohl zeitgemäß.

Wie wollen Sie vorgehen, um diese Idee zu realisieren? Was müsste konkret passieren bei der Bundeswehr und den Blaulichtorganisationen, um Ihre Vorstellung eines Pflichtdienstes Realität werden zu lassen?
Alles hängt von einem Faktor ab: Der politische Wille muss da sein, einen solchen Pflichtdienst zu realisieren – dann ist dies auch möglich. Natürlich kostet auch unser Vorschlag erhebliche Investitionen und wird viel Zeit benötigen. Wir reden von einem Prozess. Durch jeden Tag, den wir aber diskutieren und nach Gründen suchen, warum es nicht gehen könnte, läuft uns die Zeit davon, eine wirksame und glaubwürdige Gesamtverteidigung aufzubauen. In diesem Sinne haben wir die Abgeordneten des Deutschen Bundestages angeschrieben und zu einer offenen Debatte aufgerufen. Grundsätzlich sind entsprechende Gesetzesänderungen möglich, denn: Das Bewusstsein für die Notwendigkeit einer starken Gesamtverteidigung war in der Bevölkerung lange nicht mehr so ausgeprägt.


Prof. Dr. Patrick Sensburg

ist seit 2019 Präsident des Reservistenverbandes. Von 2009 bis 2021 war er Bundestagsabgeordneter der CDU und leitete von 2014 bis 2017 als Vorsitzender den NSA-Untersuchungsausschuss.  Seit 2008 arbeitet der promovierte Jurist als Professor an der Hochschule der Polizei und öffentlichen Verwaltung (HSPV) in Köln.

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