Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) im loyal-Gespräch zur Bedeutung der Sicherheitspolitik im Bundestag in der Ära der Zeitenwende.
Frau Strack-Zimmermann, Sie leiten den Verteidigungsausschuss in Kriegszeiten. Wie prägt das die Ausschussarbeit?
Bisher haben sich die Mitglieder des Ausschusses neben den regulären Sitzungen zu vielen Sondersitzungen, auch außerhalb der Berliner Sitzungswochen, getroffen. In jeder Runde haben wir seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine einen entsprechenden Bericht etabliert, bei dem wir über die Lage im Kriegsgebiet informiert werden. Entsprechend berichten uns viele Fachleute aus unterschiedlichen Bereichen. Beispielsweise wird in der nächsten Sitzung ein niederländischer General zu Gast sein, der die Ausbildung der ukrainischen Soldaten an der Panzerhaubitze 2000 fachlich begleitet.
Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine wird vielen Bürgern vermutlich erst jetzt wirklich bewusst, welch zentrale Rolle der Verteidigungsausschuss im parlamentarischen Betrieb spielt. Dieser Ausschuss ist übrigens ein nach dem Grundgesetz vorgeschriebener, da es sich bei der Bundeswehr ja um eine Parlamentsarmee handelt.
1956 hat der Verteidigungsausschuss einen Rüstungs-Unterausschuss eingerichtet, als es darum ging, die junge Bundeswehr zügig auszustatten. Jetzt verlangt die Zeitenwende ebenfalls Tempo für die Streitkräfte, aber ein entsprechender Unterausschuss fehlt – warum?
Weil sogenannte Unterausschüsse nicht immer Sinn machen. Jedes Mitglied sollte aufgrund der ständigen Dynamik im Kriegsverlauf alle relevanten Informationen aus erster Hand bekommen. Dazu gehören selbstverständlich auch die aktuellen Berichte aus dem Verteidigungsministerium über die Ausrüstung unserer Bundeswehr.
Vielen gilt der Haushaltsausschuss als der wahre Verteidigungsausschuss, weil hier über die Rüstungsprojekte entschieden wird. Sollte der Verteidigungsausschuss als eigentlicher Fachausschuss für die Streitkräfte nicht mehr Einfluss erhalten?
Die Mitglieder des Verteidigungsausschusses und die entsprechenden Mitglieder des Haushaltsausschusses arbeiten an der Sache orientiert zusammen. Hier wird keiner gering geschätzt oder übergangen. Wir alle wollen die Haushaltsmittel so effizient wie möglich einsetzen. Nach Abschluss der Beratungen, entscheidet sowieso das Parlament und beschließt den entsprechenden Einzelplan.
Die 25-Millionen-Euro-Vorlagen im Haushaltsausschuss gelten jedoch als Bremsklotz, der abgeschafft gehört oder zumindest angehoben…
Die meisten Mitglieder im Verteidigungsausschuss, unabhängig von der Fraktionszugehörigkeit, würden in der Tat die sogenannten 25-Millionen-Vorlagen gerne auf 50 Millionen erhöhen, um die Abläufe bei der Beschaffung des Materials zu beschleunigen. An dieser Stelle sind die Kolleginnen und Kollegen im Haushaltsausschuss aber leider anderer Meinung. Sie befürchten, dann weniger Kontrolle über die Ausgaben zu haben.
Das Wirken des Parlaments, gerade des Haushaltsausschusses, erscheint teils zweifelhaft, wenn es um die Ausrüstung der Bundeswehr geht. Siehe die plötzliche Korvetten-Beschaffung des berüchtigten Ex-Haushälters der SPD, Johannes Kahrs…
Die Mittel, die für die Ausstattung der Bundeswehr in die Hand genommen werden, müssen nicht nur aufgrund der Zeitenwende besonders effizient ausgegeben werden. Es gab und gibt vermutlich den einen oder anderen Vertreter im Haushaltsausschuss, der primär die Interessen des eigenen Wahlkreises berücksichtigt. Im Grundsatz unterstelle ich allerdings allen Haushältern, dass sie an der Sache orientiert ihrer Arbeit nachgehen und sich diese enge Sicht verkneifen. Wir haben für solche Spielchen nämlich keinen Raum. Zwischen Haushältern und Verteidigern sollte daher an der Notwendigkeit orientiert jede Investition und jeder Einkauf diskutiert werden, bis aus der Sicht der Truppe heraus eine sinnvolle Lösung gefunden ist.
Um die Rüstung, insbesondere von Parlamentsseite, besser planen zu können, wird immer wieder ein Planungsgesetz ins Spiel gebracht. Das heißt, die Beschaffungsmittel werden jährlich freigegeben, aber für längere Zeiträume von bis zu zehn Jahren veranschlagt, um die Rüstung der Bundeswehr zu verstetigen. Wäre es mit Russlands Ukraineinvasion nicht endlich Zeit für so ein Gesetz?
In die Zukunft auf längere Sicht zu planen klingt erst einmal sinnvoll. Wer wünscht sich keine Planungssicherheit. Das Problem ist allerdings, dass es in der Sicherheitspolitik erfahrungsgemäß zu viel Bewegung gibt. Der russische Angriff auf die Ukraine zeigt uns das doch gerade in aller Deutlichkeit. Ist Deutschland jahrzehntelang davon ausgegangen, dass die Bundeswehr primär Teil internationaler Einsätze ist, wissen wir seit dem ersten völkerrechtswidrigen russischen Angriff auf den Donbas und die Annexion der Krim im Jahre 2014, dass es wieder verstärkt auf die Landes- und Bündnisverteidigung ankommt. Entsprechend verändert sich der Bedarf des Materials, das die Bundeswehr benötigt. Darüber hinaus gibt die Truppe momentan massiv militärisches Gerät aus eigenem Bestand an die Ukraine ab, damit diese sich erfolgreich gegen den russischen Angriff zur Wehr setzen kann. Keine mittel- oder langfristige Planung konnte das vorhersehen und keiner dies entsprechend bei der Mittelvergabe berücksichtigen. Es bedarf daher in der Zukunft vor allem einer schnelleren und flexibleren Beschaffung. Das gelingt nur, wenn wir vermehrt Material einkaufen, das bereits auf dem Markt ist. Dass die Höhe des Wehretats kein Schattendasein mehr führt, sondern vernehmbar darüber diskutiert wird, ist überfällig. Schließlich ist ohne Sicherheit alles nichts. Das lehrt uns dieser Krieg mitten in Europa.
In Medien, Öffentlichkeit und Truppe wird das Sachwissen der Abgeordneten zu Militär und Rüstung und damit ihre Kontrollkompetenz oft sehr abfällig bewertet.
Als gewählte Abgeordnete sind wir gefordert, uns in das Themenfeld Sicherheitspolitik einzuarbeiten. Das Glück ist doch, dass wir im Gegensatz zu der Generation, die vor uns Verantwortung für die Bundeswehr übernommen hat, keine Kriegserfahrungen haben, wie zum Beispiel die ehemaligen Verteidigungsminister Franz Josef Strauß oder Helmut Schmidt. Jeder und jede erarbeitet sich im Ausschuss selbst eine Fachexpertise. Dazu zählt auch der konsequente Austausch mit den Soldatinnen und Soldaten, sei es beim Besuch an den Standorten in Deutschland, sei es in den Einsatzgebieten. Im Ausschuss hat jede Fraktion ihre Berichterstatter, die sich mit den unterschiedlichen Teilstreitkräften beschäftigen. Ihr Blick richtet sich natürlich besonders auf deren Bedarf. Als Verteidiger braucht man allerdings den gesamten Überblick über die Fähigkeiten der Bundeswehr. Die Kontrolle des Parlamentes hat allerdings eine Schwäche …
Die da wäre?
Es gibt Parlamentarier mit großem Überblick und großer Expertise, die aber bedauerlicherweise einer anderen Aufgabe nachgehen oder von der eigenen Partei nicht mehr aufgestellt werden. Das ist natürlich ein großer Verlust gerade in so herausfordernden Zeiten. Nehmen sie den ehemaligen SPD-Kollegen im Bundestag, Fritz Felgentreu. Dessen Expertise fehlt noch heute. An diese Stelle treten dann entsprechend neue Kolleginnen und Kollegen, die natürlich wiederum ihre Zeit brauchen, sich in die komplexe Materie einzuarbeiten. Aber so ist eben der natürliche Lauf der Dinge im parlamentarischen Betrieb.
Damit die Legislative überjährig Kompetenz erhalten kann, gibt es immer wieder Vorschläge, ein Beratungsbüro für Rüstungsfragen einzurichten, ähnlich dem für Technikfolgenabschätzung des Bundestags. Was halten Sie davon?
Wer soll in solch einem Gremium bitte sitzen? Und wer ist legitimiert, seine Vorschläge einzubringen? Machen wir uns nichts vor, auch wenn „Beratungsbüro“ ganz vielversprechend klingt. Es geht bei der Beschaffung von Rüstungsgütern um sehr viel Geld. Die komplette Wehrindustrie würde mit den Hufen scharren und ihre „Berater“ in Stellung bringen. Es gibt keine Superinstanz der Wahrheit, die den Abgeordneten der Weisheit letzten Schluss bietet. Jeder von uns, der von den Bürgerinnen und Bürgern in den Bundestag gewählt worden ist, hat seiner Verantwortung nachzukommen. Dazu gehört selbstverständlich auch, sich in den Bereich einzuarbeiten.
Wie könnte der Verteidigungsausschuss dann seine Arbeit besser erfüllen?
Was hilfreich wäre, gerade in den kleineren Fraktionen, wenn mehr Referenten zur Verfügung stünden. Alle Fraktionen müssen sich mit jedem anfallenden Thema gleich intensiv beschäftigen. In der FDP zum Beispiel arbeitet nur ein Fraktionsreferent für Verteidigung, während die SPD deutlich mehr Personal zur Verfügung hat. Hinzu kommt, dass in den Sozialen Foren immer mehr Desinformation auch im Bereich Sicherheitspolitik auftaucht. Um alleine diese Trolle und ihre Fake News im Auge zu behalten, könnte man Scharen von Mitarbeitern beschäftigen.
Müsste der Verteidigungsausschuss seine Kontrollarbeit nicht auch deutlicher in der Öffentlichkeit kommunizieren – als Beitrag für eine qualifiziertere Wehrdebatte in der Zeitenwende? Der Verteidigungsausschuss des französischen Parlaments befragt regelmäßig öffentlich die Militärführung, vor Kurzem sogar unseren frisch gekürten Generalinspekteur Carsten Breuer.
In der vergangenen Legislatur hatten wir unter anderem den französischen Generalstabschef François Lecointre zu Gast. Das war ein tiefgehendes Fachgespräch, auch weil es unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfand. Mit Blick auf das französische Format: Öffentlichkeit bedeutet auch immer eine andere Art der Präsentation, nämlich wenn die Kameras laufen. Ich glaube, dass die Gespräche besonders intensiv und sachbezogen sind, wenn wir nicht öffentlich tagen. Abgesehen davon geht es bei uns im Ausschuss um nicht weniger als um die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und um den Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten. Da sind „Showveranstaltungen“ fehl am Platz. Auch wenn ich für größtmögliche Transparenz im politischen Betrieb bin – wenn es um unsere Sicherheit geht, müssen wir besonders sensibel mit unserem Wissen umgehen.
Zum Abschluss: Sie führen die FDP in den Europawahlkampf im kommenden Frühjahr. Was ist Ihre Agenda für die EU-Sicherheitspolitik?
Wir erarbeiten derzeit unser detailliertes Wahlprogramm. Wichtig für uns Liberale ist allerdings, dass wir uns in der Zukunft vorstellen können, dass neben den nationalen Armeen, eine zusätzliche europäische Armee etabliert werden sollte, basierend auf einer Koalition derjenigen Nationen, die bereit sind, sich dabei einzubringen. Es ist bedauerlich, dass es bisher keinen expliziten Vertreter für Sicherheitspolitik in der EU-Kommission gibt und keinen entsprechenden Verteidigungsausschuss. Bis jetzt ist dieser lediglich ein Unterausschuss des Auswärtigen. Wir sehen doch, wie relevant es ist, in Zukunft auch Sicherheit gesamteuropäisch zu denken.
Frau Strack-Zimmermann, wir danken Ihnen für das Gespräch.
Marie-Agnes Strack-Zimmermann kommt aus dem Verlagsgeschäft und begann ihre politische Karriere in der Kommunalpolitik in Düsseldorf. Seit 2017 ist sie Bundestagsabgeordnete der FDP, seit 2021 Vorsitzende des Verteidigungsausschusses. Für 2024 ist sie als Spitzenkandidatin der Liberalen für die Wahl zum Europäischen Parlament nominiert.