Kaltstartfähigkeit an der Polarflanke
Die USA sind durch den Bundesstaat Alaska Arktisanrainer. Lange Zeit vernachlässigt, entdeckt das amerikanische Militär gerade die arktischen Grenzgebiete als Sicherheitsrisiko. Mit mehr Truppen und Waffen will es der wachsenden russischen Bedrohung an seiner Nordgrenze begegnen.
Lange Zeit galt das ewige Eis der Arktis als Schutzwall nicht nur für Russland, sondern auch für Nordamerika. Lediglich Interkontinentalraketen und Fernbomber bedrohten die USA und Kanada aus dieser Richtung. Doch diese Zeiten sind vorbei. Der klimabedingte Rückgang des Eises in den arktischen Küstengewässern eröffnet neue Anmarschrouten für konventionelle Streitkräfte. So führt die Nordostpassage entlang der sibirischen Küste direkt nach Alaska.
Russland hat die neue Lage und die strategischen Möglichkeiten, die sich aus ihr ergeben, schon vor Jahren erkannt. Moskau baut seitdem systematisch seine Militärpräsenz in der eigenen arktischen Zone aus. Hier entstehen sowohl defensive Einrichtungen wie auch Ausgangsbasen für offensive Einsätze gegen Nordeuropa und Nordamerika. Auch China entsendet zunehmend Aufklärungsschiffe und Marineeinheiten in die arktischen Gewässer zwischen Sibirien und Alaska. Die USA haben sich lange Zeit nicht als arktische Nation verstanden und daher die Lage unterschätzt. Dafür soll es nun umso schneller gehen.
Im vergangenen Oktober stellte die US-Regierung eine neue Arktis-Doktrin vor. Bereits im ersten Absatz ist die Rede davon, dass sich die strategische Großmachtrivalität seit der letzten Arktis-Doktrin von 2013 deutlich verschärft hat. Die umfassende Analyse und Handlungsanweisung berücksichtigt neben militärischen auch ökologische, wirtschaftliche, humanitäre und diplomatische Aspekte der Arktis. Als oberste sicherheitspolitische Priorität nennt das Dokument den Schutz des US-amerikanischen Territoriums und der Bevölkerung in dieser Region. Hinzu kommt die Entschlossenheit, Verbündeten und Partnern beizustehen.
Engmaschiges Aufklärungsnetz
Die notwendig gewordene Anpassung an die neue Sicherheitslage erfordert verschiedene Initiativen. Hierzu gehört die Aufstellung eines engmaschigen Aufklärungs- und Überwachungsnetzwerkes, um Bedrohungen aus der Luft, von der Seeseite und auch unter Wasser frühzeitig zu entdecken. Das Sensorennetz soll auch Ressourcen für die Überwachung des Wetters, der Meereisentwicklung, sowie des allgemeinen Schiffsverkehrs umfassen, um ein möglichst präzises Lagebild zu erhalten. Für arktische Klima- und Einsatzbedingungen taugliche Sensoren sowie Navigations- und Kommunikationsausrüstung müssen ebenfalls entwickelt oder fortentwickelt werden. Zusätzliche Satelliten müssen für die Region bereitgestellt werden.
So sind umfangreiche Infrastrukturmaßnahmen erforderlich, um dem Militär und anderen Sicherheitskräften den ständigen Zugang zur Region zu sichern. Noch fehlt derzeit eine ständige Präsenz der US-Navy oder der US-Coast Guard (USCG) in den Gewässern nördlich der Aleuten-Inselkette – nicht zuletzt, weil es an der West- und Nordküste Alaskas an Tiefwasserhäfen mangelt. Bereits mit Blick auf die zivile maritime Sicherheit entlang der Nordwestpassage ist dieser Zustand nicht mehr akzeptabel. Als erster Schritt wird vom kommenden Jahr an der Handelshafen der an der Beringstraße gelegenen Stadt Nome ausgebaut, damit gleichzeitig drei 300 Meter lange Schiffe anlegen können. Dies wird die Aufrechterhaltung einer größeren USCG-Präsenz im Norden des Landes ermöglichen. Auch Kriegsschiffe der US-Navy werden im Rahmen von Arktisfahrten Nome zwecks Versorgung anlaufen können.
Die amerikanischen Streitkräfte passen ihre Truppenpräsenz in Alaska an, um die Abwehrbereitschaft sowie die regionale Offensivfähigkeit zu steigern. Ein Großteil der in Alaska stationierten Kontingente bleibt darauf ausgerichtet, kurzfristig auch in andere Konfliktzonen verlegt zu werden. Schwerpunkte bilden hier der Pazifikraum und Nordeuropa.
Truppenstärke und Stationierung
Der gestiegene Stellenwert der Arktis ist bereits daran ersichtlich, dass die Truppenstärke der in Alaska stationierten Streitkräfte seit der russischen Invasion der Ukraine von rund 19.000 auf mehr als 22.000 erhöht wurde. Hinzu kommen Reservekräfte der Luftwaffe und des Heeres in einer zusätzlichen Stärke von rund 5.000 Mann.
Die US-Air Force unterhält zwei große taktische Stützpunkte in Alaska. Eielson Air Force Base in Zentralalaska liegt knapp südlich des Polarkreises und ist der nördlichste Fliegerhorst des US-Militärs. Zwischen 2020 und 2022 wurden zwei Staffeln F-35A nach Alaska verlegt und dem 354. Jagdgeschwader auf der Eielson Air Force Base unterstellt. Die 54 Maschinen gehören zu den modernsten und kampfstärksten Flugzeugen der US-Streitkräfte. Mithilfe der ebenfalls auf Eielson stationierten Tankerflugzeuge können die Jäger ohne Zwischenlandung jeden Ort der nördlichen Hemisphäre erreichen. Neben den F-35A befindet sich seit 1991 auch eine Staffel F-16 auf dem Stützpunkt. Auf dem im Süden Alaskas gelegenen Standort Elmendorf sind seit 2007 zwei Staffeln des F-22 mit 48 Maschinen stationiert. Mit insgesamt rund 100 F-22 und F-35 besitzt Alaska damit die stärkste Konzentration von Hochleistungsjagdflugzeugen der US-Luftwaffe.
Auch das amerikanische Heer unterhält in Alaska zwei große Garnisonen: Fort Wainwright bei Fairbanks in Zentralalaska und Fort Richardson nahe Anchorage in Süd-Alaska. Außerdem liegt das Northern Warfare Training Center für die Kaltwetterkriegsführung in der Region. Das Oberkommando der US-Army in Alaska wurde 2022 neu ausgerichtet. Die so entstandene Führungsstruktur steigert die Beweglichkeit und Reaktionsfähigkeit der in Alaska stationierten Verbände. Diese Einheiten werden stärker auf Einsätze in Alaska und in arktisähnlichen Regionen ausgerichtet. Zuvor waren sie primär als Verstärkung für das Pazifikoberkommando im Falle eines Konflikts im asiatischen Raum vorgesehen.
Das bisherige Hauptquartier der US-Army in Alaska, das primär Verwaltungs- und Unterstützungsaufgaben wahrnahm, wurde im Rahmen der Neuausrichtung aufgelöst und durch die neu aufgestellte 11. Luftlandedivision ersetzt. Die beiden in Alaska stationierten Heeresbrigaden, die zuvor der auf Hawaii ansässigen 25. Infanteriedivision unterstanden, wurden der neuen Division unterstellt. Dabei wurde eine der Brigaden von einer Stryker-Infanteriebrigade zu einer luftbeweglichen Brigade umgebildet. Die zweite Brigade war bereits als Luftlandeeinheit organisiert. Anstelle der gepanzerten Stryker-Gefechtsfahrzeuge wird die Einheit nun mit leichteren Fahrzeugen ausgestattet, einschließlich des neuen Kettenfahrzeugs vom Typ Beowulf. Die Auslieferung des von BAE entwickelten kaltwettertauglichen Geländefahrzeugs beginnt in diesem Jahr und soll 2029 abgeschlossen sein.
Ständige Präsenz nicht vorgesehen
Der Rückgang der Eisdecke auf dem arktischen Meer erlaubt verstärkte Aktivitäten von Kriegsschiffen der US-Navy sowohl in den Gewässern um Alaska als auch im Nordatlantik. Hinsichtlich der Einsatzbedingungen in Gewässern mit Treibeis erkennt die Navy-Führung derzeit noch keine Notwendigkeit, beim Bau künftiger Schiffe auf einen verstärkten Rumpf zu setzen; dieses könnte sich allerdings noch ändern. Für Einsätze im Nordatlantik und in arktischen Gewässern wurde 2018 gezielt die 2. Flotte aus Norfolk (Virginia) als Führungskommando wieder aktiviert. Standorte in Arktisnähe unterhält die Navy allerdings nicht. Die Alaska am nächsten gelegenen US-Flottenbasen liegen in der Nähe von Seattle im Bundesstaat Washington.
Eine ständige Präsenz in Alaska ist auch bei den US-Marines nicht vorgesehen, allerdings bereitet sich die Marineinfanterie verstärkt auf Einsätze in der Polarregion vor. Sie werden dazu eine schnelle Eingreiftruppe für arktische und arktisähnliche Einsatzgebiete aufstellen, wobei die norwegischen Streitkräfte Unterstützung leisten.
Die US-Küstenwache ist schon jetzt in der Region präsent. Sie unterhält mehrere Standorte an der Südküste Alaskas. Gegenwärtig werden in den Sommermonaten Eisbrecher sowie Patrouillenschiffe und -flugzeuge der Küstenwache in die nördlichen Gewässer abgestellt, um die Handelsschifffahrt zu sichern. Mittelfristig wird eine umfangreichere und dauerhaftere Präsenz erforderlich sein, denn die zivile Schifffahrt nimmt ebenso zu wie Schmuggel- und Schleusertätigkeit. Nicht zuletzt steigt auch der Bedarf an Rettungseinsätzen. Die 2021 bewilligte Beschaffung neuer Eisbrecher wird den Zugang der Küstenwache sowie der Marine zu den arktischen Gewässern erleichtern.
Neue Einsatzkonzepte
Zusätzlich zur Erweiterung beziehungsweise Neustrukturierung der eigentlichen Kräftepräsenz in Alaska entwickeln das Pentagon und die einzelnen Teilstreitkräfte neue Einsatzkonzepte und -strategien. Die Region erhält im Rahmen der Planung einen höheren Stellenwert. Ausbildung in arktischer Kriegsführung wird gezielt verstärkt. Hier stehen die norwegischen und die kanadischen Streitkräfte beratend zur Seite. Auch teilstreitkraftgemeinsame und multinationale Übungen in und um Alaska sowie in verbündeten Staaten werden intensiviert.
Dabei geht es den US-Streitkräften darum, erkannte Defizite auszugleichen. Sie sollen:
- sich mit den (sich verändernden) Einsatzbedingungen in der Region vertraut machen;
- arktisspezifische Kampf- und Überlebenstechniken entwickeln und erlernen;
- bestehende Fähigkeitslücken aufdecken und schließen;
- Interoperabilität mit verbündeten Kräften stärken;
- die Arktistauglichkeit bestehender und in der Entwicklung befindlicher Ausrüstung prüfen.
Je nachdem, wie sich die globale und regionale strategische Lage entwickelt, sind weitere Anpassungen der Truppenstärke und -zusammensetzung in Alaska möglich. Die verstärkte Militärpräsenz in und um Alaska gilt der Stärkung der Abwehrbereitschaft gegen einen russischen Überfall, beziehungsweise der Abschreckung eines solchen Angriffs. Pentagon-Mitarbeiter sprechen offen aus, dass diese US-Präsenz auch chinesische Aktivitäten in der Arktis und im Nordpazifikraum eindämmen könnte. Angesichts der gestiegenen Großmachtrivalität – langfristig vor allem im Pazifikraum – dürfte der neue Kalte Krieg zwischen den USA und seinen NATO-Partnern einerseits sowie Russland und China andererseits die künftige geostrategische Lage stärker als bislang bestimmen.
Der Autor
Sidney E. Dean ist freier Journalist mit Sitz in Suffolk, Virginia.