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Kaserne & Kirche 2.0

Mit dem Überfall Russlands auf die Ukraine ist der Krieg auch für die Bundeswehr wieder näher gerückt. Fragen nach Verwundung und Tod haben Konjunktur. Militärpfarrer bieten zeitgemäße Formate an. Dafür gehen sie mit Soldaten zuweilen auch ins Kino.

Lebenskundlicher Unterricht mal anders: Pfarrer Jörg Baruth ist mit Soldaten ins Kino gegangen. Ein Film gibt Diskussionsanre­gungen zu einem Thema, das jeden Soldaten betrifft: Umgang mit Daten im Internet.

Foto: Matthias Meyer

Militärseelsorge; kirche

Wer im Winter an einem Dienstagmorgen um 8 Uhr ins Kino geht, ist entweder Hardcore-Filmfan – oder Soldat. Zwei Dutzend Uniformierte folgen der Einladung von Militärpfarrer Jörg Baruth zur frühen Filmvorführung ins Kino von Daun, der Kreisstadt des Vulkaneifel-Kreises, tief im Westen Deutschlands. Sie nehmen am Lebenskundlichen Unterricht teil, der heute außerhalb der Kaserne stattfindet. Das, was sie im Kino sehen, ist keine Unterhaltung, sondern schwere Kost.

Auf dem Programm im Kinosaal steht der preisgekrönte deutsche Dokumentarfilm „The Cleaners“. Darin geht es um sogenannte Content-Moderatoren auf den Philippinen, meist junge Menschen, die in Zehn-Stunden-Schichten zweifelhafte Inhalte aus den Sozialen Medien – Facebook, YouTube und X – löschen. 25.000 Fotos und Videos sichten sie pro Tag. Acht Sekunden haben sie für ihre Entscheidung, „Delete“ oder „Ignore“, Löschen oder Belassen. Sie sehen Anstößiges, Brutales, Pornografisches. Unerträgliches wie Sex mit Kindern gehört auch dazu, Enthauptungen, auch Selbstmorde und Hass aller Art. Drei Fehlentscheidungen pro Monat dürfen sie sich leisten, sonst fliegen sie raus. Pro Tag gibt es drei Dollar Lohn. 150.000 Menschen arbeiten auf den Philippinen in dieser Content-Moderations-Industrie. Der Film deutet an, was die Netzkontrolleure an digitalem Dreck tagtäglich zu sehen bekommen. Es ist kaum erträglich. Viele kündigen. Manche nehmen sich das Leben.

Suche nach Antworten auf ethische Fragen

Jörg Baruth. (Foto: Matthias Meyer)

Das Thema wirft ethische Fragen auf: Fragen nach Zensur und Profit. Fragen nach der Rolle von Internetplattformen, die sich als reine technische Dienstleister verstehen und doch das Bewusstsein von Milliarden Nutzern beeinflussen. Fragen nach Opportunität und Verantwortung. Gegenüber rigiden Regimen wie in der Türkei kuschen die Internetplattformen, auch das zeigt der Film. Regierungskritische Posts müssen für das türkische Internet gelöscht werden. Das gehört ebenfalls zu den Aufgaben der Content-Moderatoren. Es ist Zensur im Sinne von Autokraten.

Militärpfarrer Baruth hat gehofft, dass der Film eine Diskussion unter den Soldaten auslöst. Nach 88 Minuten Dokumentation sind die Angehörigen des Bataillons Elektronische Kampfführung 931 an diesem Morgen wie erschlagen. Aber sie äußern sich – nachdenklich, kritisch. Was die Zuschauer umtreibt: Wie gehen sie selbst mit Informationen um? Wie verlässlich ist das, was sie im Internet sehen? Einer der Soldaten sagt: „Ich frage mich, wie ich über Zehntausende Bilder am Tag innerhalb von jeweils acht Sekunden entscheiden würde.“ Ein anderer denkt laut darüber nach, ob er seinen Facebook-Account löschen sollte. „Für uns als Soldaten kann ein Account auch ein Sicherheitsproblem sein“, meint er. Eine halbe Stunde lang verarbeiten die Soldaten das Gesehene im Gespräch.

Später, in der Heinrich-Hertz-Kaserne in Daun in seinem Dienstzimmer, sagt Pfarrer Baruth: „Lebenskundlicher Unterricht heißt nicht, jemanden bekehren zu wollen. Mir ist es egal, ob einer evangelisch, katholisch oder muslimisch ist. Lebenskundlicher Unterricht heißt Nachdenken über ethische Probleme.“ Baruth versteht sich selbst als Zuhörer. Die Soldaten, die zu ihm kommen, haben etwas auf dem Herzen, wollen etwas loswerden. Mal ist es ein Problem in der Familie, mal Liebeskummer, mal plagen sie Geldsorgen oder ein Konflikt mit einem Kameraden.

Grundsätzliche Fragen werden wieder gestellt

Immer öfter aber sind es seit einiger Zeit auch wieder die grundsätzlichen Fragen, mit denen sich jeder Soldat auseinandersetzen sollte: Tod und Töten im Gefecht. Verwundung. Tapferkeit und Treue. Eintreten für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. Bedeutung des geleisteten Eids. In den zurückliegenden Jahrzehnten hatten diese Fragen an Bedeutung verloren. Jedenfalls für die, die nicht in Afghanistan kämpfen mussten. Der russische Überfall auf die Ukraine aber hat alles verändert. Fragen dieser Art sind wieder aktuell. Und Ansprechpartner sind häufig die Militärpfarrer.

Von Daun in der Eifel ins Camp Film City nach Pristina im Kosovo: Pfarrer Baruth in der Kirche im Feldlager des Hauptquartiers der internationalen KFOR-Truppe. (Foto: Stephan Pramme)

Baruth ist Jahrgang 1960, er stammt aus der DDR. Der gebürtige Potsdamer hat selbst Wehrdienst geleistet, in der Nationalen Volksarmee in Neubrandenburg. Als einer von drei Jahrgangsbesten im Abitur erwartete der Staat von ihm, dass er sich für drei Jahre bei der NVA verpflichtete. Baruth lehnte ab. 18 Monate mussten reichen. Auch den ursprünglichen Studienwunsch Lebensmitteltechnologie verwarf er, obwohl er als „Arbeiterkind“, wie er sagt, die Möglichkeit dazu gehabt hätte. Er hätte sich dafür ideologisch verbiegen müssen, das aber wollte er nicht. „Ich komme vom Rand und gehöre an den Rand“, stellt er nüchtern fest. Und so führte ihn sein Lebensweg nach dem Studium der Gemeindepädagogik auf eine Pfarrstelle in der brandenburgischen Provinz, nach Nauen. Das war zwei Jahre vor der Wende.

Einsatz in „Preußisch-Sibirien“ und im Kosovo

Er blieb seiner Gemeinde über die deutsche Wiedervereinigung hinaus treu, obwohl es ihn wie viele DDR-Bürger nach dem Fall der Mauer in die weite Welt zog. Erst 1996 erfüllte er sich diesen Wunsch und ging für acht Jahre nach Südkorea, wo er hauptsächlich in Seoul lebende illegale Migranten betreute. Dass er „an den Rand“ gehöre, zeigte er nach seiner Rückkehr erneut, als er sich für eine Stelle als Seelsorger im Knast in der Stadt Brandenburg entschied, wo in der NS-Zeit Erich Honecker einsaß und wo im Dritten Reich der Galgen ohne Pause in Betrieb war. Nach einer Station als Polizeipfarrer bei der Bundespolizei in Berlin landete Baruth schließlich als Militärpfarrer in der Eifel. Auch dort ist er so quasi am Rand. Im 19. Jahrhundert galt eine Versetzung in die Eifel, nach „Preußisch-Sibirien“, als Strafe. Baruth aber ist froh, als Seelsorger für die Soldaten des Bataillons Elektronische Kampfführung 931 in Daun und des Informationstechnikbataillons 231 in Gerolstein tätig sein zu dürfen.

Kirche im Feldlager Camp Film City in Pristina. (Foto: Pramme)

Anfang Januar ging er in seinen ersten Auslandseinsatz: in den Kosovo. Im Camp Film City in Pristina traf loyal Baruth wieder, inzwischen trägt er den „Schutzkleidung“ genannten Flecktarn mit dem Kreuz als Schulterklappe – Uniform soll der Anzug nicht genannt werden, weil Baruth als Geistlicher in keiner militärischen Hierarchie steht. In Pristina hat er täglich von 8 bis 18 Uhr Dienst, so wie die Soldaten im Camp auch. Abends ist er in der „Arche“, dem Soldatenheim, ansprechbar. Und er fährt mit den Soldaten hinaus ins Land, bietet Studientage und Rüstzeiten an. Das, so sagt er, sei gut gegen den „Lagerkoller“. Seelsorgerlich ist er im Einsatz auch schon tätig geworden. Ein Soldat war bei ihm, dem der Abschied aus dem Kosovo schwerfällt, weil ihn zu Hause nichts Gutes erwartet, nämlich ein größeres familiäres Problem.

Neue Aufgaben, neue Fragen

Künftig könnten Auslandseinsätze für die Bundeswehr-Militärseelsorge eine neue Herausforderung werden, wenn nämlich im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung (LV/BV) bei Großübungen im Ausland oder gar bei der dauerhaften Verlegung deutscher Truppen, wie es etwa mit eine Brigade in Litauen geplant ist, auch jenseits der deutschen Grenzen Seelsorge in der Truppe verlangt wird.

Bernhard Felmberg, evangelischer Militärbischof. (Foto: Pramme)

Für Baruths Chef, den evangelischen Militärbischof Bernhard Felmberg, stellen sich damit neue Fragen: „Wo ist der beste Platz unserer Militärpfarrer? Im Rückraum? Bei der Sanität? Oder ganz vorne?“ Der Unterschied zu den Zeiten des Kalten Krieges sei, dass im Konzept von LV/BV Militärpfarrer im Kriegsfall überwiegend gar nicht in Deutschland, sondern bei der Truppe an der NATO-Ostflanke eingesetzt würden. Felmberg: „Die Erfahrungen von vor 1989 sind nur bedingt auf die heutige Situation übertragbar. Damals wäre das Aufmarsch- und Kampfgebiet Westdeutschland gewesen. Die kirchlichen Strukturen hätten wir im eigenen Land vorgefunden. Jetzt verlaufen die Grenzen zwischen den Machtblöcken anders und wir sind international stark eingebunden. Das ist komplexer als vor 1989. Seitdem ist im Übrigen auch Erfahrungswissen verloren gegangen.“

Für Felmberg ist es keine Frage, dass es Militärseelsorge braucht – angesichts der neuen Bedrohungslage vielleicht mehr denn je. „Wir haben 52 Prozent Kirchenmitglieder in den Streitkräften. Das heißt, dass jeder zweite Soldat in der Kirche ist“. Für den Militärbischof ist das Ansporn, die „Sprachfähigkeit im christlichen Glauben wieder zu erhöhen.“ Auch dazu zwinge die Landes- und Bündnisverteidigung: „Wir brauchen Soldaten, die in Notsituationen, wenn kein Pfarrer in der Nähe ist, das Gesang- und Gebetsbuch der evangelischen Militärseelsorge ziehen und einem Kameraden, der verwundet ist oder der im Sterben liegt, Trost zusprechen können. Hier darf keine Ahnungslosigkeit herrschen.“

Suche nach Seelsorgern

Reinhold Bartmann, katholischer Militärgeneralvikar. (Foto: Pramme)

Immerhin gibt es in der Evangelischen Militärseelsorge keinen Mangel an Pfarrern. Bei Felmberg bewerben sich zuweilen mehrere Interessenten auf eine Stelle. Anders sieht das auf katholischer Seite aus. Militärgeneralvikar Monsignore Reinhold Bartmann, schon seit mehr als 31 Jahren in der katholischen Militärseelsorge tätig, sieht es für seine Kirche als eines der drängendsten Probleme an, Personal für den Dienst in der Seelsorge zu finden. Neun Stellen sind auf katholischer Seite in den 78 Militärpfarrämtern derzeit unbesetzt.

Neben der besonderen Nähe zu ihrer Gemeinde zeichnet Militärpfarrer auch eine Offenheit für Ökumene aus. Bartmann: „Soldaten suchen nicht nur das Gespräch über Glaubensinhalte, sondern auch über ganz normale, zuweilen alltägliche Lebensfragen. Das geht über die Konfessionen hinweg und schließt auch Soldaten ein, die ansonsten der Kirche vielleicht fern stehen. Dieses ganz besondere Vertrauen, das ein Militärpfarrer genießt, ist ein enorm wichtiges Momentum unserer Arbeit.“

Dass das Vertrauen von Soldaten in Militärpfarrer hoch ist, ist keine Selbstverständlichkeit mehr. Außerhalb der Kasernen sieht das nämlich anders aus. Der seit Jahren nicht enden wollende Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche hat ihr schwersten Schaden hinzugefügt. Und nicht nur ihr. Im Januar wurde eine von der Evangelischen Kirche in Auftrag gegebene Studie veröffentlicht, die darlegte, dass es auch bei den Protestanten Tausende von Opfern gibt. Der evangelischen Militärseelsorge ist allerdings kein Fall von sexualisierter Gewalt bekannt. Die katholische Militärseelsorge spricht von insgesamt fünf Fällen in der bislang zwölfjährigen Amtszeit des amtierenden katholischen Militärbischofs Franz-Josef Overbeck.

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