Katastrophen voraus
Deutschland verfügt beim Bevölkerungsschutz über beste Ressourcen. Doch für die anstehenden Gefahren ist das Land schlecht aufgestellt. Eine Weiterentwicklung fällt schwer.
Deutschlands Bevölkerungsschutz muss weiterentwickelt werden. Denn vermehrte Notlagen wie bei der Flutkatastrophe im Ahrtal 2021 bei angespannten Ressourcen sind die Zukunft. Bis jetzt scheitert die Menschheit kläglich an der Eindämmung des Klimawandels. Dessen katastrophenträchtige Phänomene wie Hitzewellen und Starkregen, nehmen zu. Sie treffen auf eine Bundesrepublik mit zunehmend gestressten Schutzressourcen. Verwaltungen, Krankenhäuser und Verkehrswege leiden zum Beispiel unter Cyberangriffen. Diese sind Teil einer entgrenzten Konfliktaustragung im Zeitalter globaler Vernetzung und Digitalisierung. Kritische Infrastruktur wie Gaspipelines erweisen sich als leicht verwundbar. Der brutale Invasionskrieg Russlands gegen die Ukraine zeigt zudem die Bedeutung von Zivilschutz und auch, dass die Bundeswehr mit Soldaten, Reservisten und Material keine allzeit verfügbare Fluthelferarmee ist.
Dabei ist Deutschland im internationalen Vergleich ein Bevölkerungsschutz-Traumland. Dessen Hauptwerkzeug, die Feuerwehren, hat die relativ kleine Bundesrepublik als üppiges Territorialheer zur Gefahrenabwehr mit einer Million Männer und Frauen zur Verfügung. Das sind nur geringfügig weniger als in den riesigen USA, wo es 1,1 Millionen Brandbekämpfer gibt, so die jüngste Erhebung des Internationalen Verbands der Feuerwehren. Dazu gesellen sich sieben weitere Schutzorganisationen wie der Malteser Hilfsdienst und das Technische Hilfswerk plus Spitzenforschung an diversen Universitäten. Allerdings wird dieses Füllhorn an Möglichkeiten erschreckend dürftig genutzt.
„System schwer steuerbar“
In der Bundesrepublik gilt laut Verfassung folgender Bevölkerungsschutz: Der Bund ist für den Zivilschutz zuständig, also für den Schutz der Bevölkerung vor Kriegseinwirkungen. Mit dem Ende des Kalten Krieges schien diese Aufgabe obsolet. Der Bund ergänzt seit 1997 nur noch den Katastrophenschutz, über den wiederum die Länder bestimmen. Nach deren Maßgaben führen die Kommunen ihn aus.
„Das deutsche System ist schwer steuerbar, heterogen und unübersichtlich“, so Jens von den Berken, der seit Jahrzehnten als Fachmann im Bevölkerungsschutz aktiv ist, unter anderem bei den Johannitern, im Gespräch mit loyal. „Es gibt Landkreise, in denen existiert eine einsame hauptamtliche Stelle für den Katastrophenschutz, bei anderen besteht eine Abteilung innerhalb der Feuerwehr. Wieder andere verfügen über ein gut aufgestelltes Amt. Im besten Fall stellen Kreistage zudem Ausschüsse zum Bevölkerungsschutz auf, was dem Thema politisches Gewicht verleiht.“ Die Kleinstaaterei funktioniert leidlich, wenn es zu vereinzelten regionalen Notständen kommt, auf welche die föderale Gemeinschaft ihre Hilfen verteilen kann.
„Verharren in einem problematischen Status quo“
Dafür gibt es das gemeinsame Lagezentrum von Bund und Ländern in Bonn, wo wie bei einer Börse Hilfsgesuche und -angebote untereinander gehandelt werden. Doch inzwischen gab es mit der Corona-Pandemie eine nationale Krise. Und die Zukunft wird mehr Notstände mit sich bringen, die sich zudem überlappen können. Wenn viele Länder und Kommunen unter Druck geraten, fehlt Deutschland eine einheitliche Organisation, die alle Ressourcen kennt und zuteilen kann. Bevölkerungsschutzexperte Jens von den Berken: „Wir verharren in einem problematischen Status quo beim Bevölkerungsschutz: Die Länder gestalten den Katastrophenschutz nach ihrem Gusto, der Bund ergänzt für den Zivilschutz, Kommunen sind oft klamm und auf kleinere Einsatzlagen fokussiert. Dieses Gesamtsystem erweist sich nicht immer als abgestimmt und tragfähig. Dabei wissen wir, dass uns nationale Notlagen erwarten können, eine Gasmangellage war beispielsweise schon 2018 das Szenario der länderübergreifenden Katastrophenschutzübungsreihe LÜKEX.“
Gerade die Feuerwehren haben Organisationsdefizite. Per Kleist, Leiter des Stabes der Berliner Feuerwehr, gegenüber loyal: „In spätestens zehn Jahren rechne ich mit hochdynamischen Waldbränden, auch über Ländergrenzen hinweg. Aber in Deutschland existieren keine länder-übergreifenden Führungsstrukturen für solche Lagen.“ Die Länder postulieren zwar Handlungsbedarf, wollen aber keine Souveränitätsabgabe an den Bund. Dementsprechend schlägt die Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Berufsfeuerwehren, in der Per Kleist den Fachausschuss Zivil- und Katastrophenschutz leitet, seit Längerem vor, dass die Länder via Staatsvertrag einen gemeinsamen Führungsstab gründen. Doch dieser konsequente Ansatz findet bis heute keinen Widerhall. Der stattdessen gewählte Pfad führte ins Nichts: Bereits 2003 beschloss die Innenministerkonferenz die Länder-Führungssysteme zu harmonisieren, indem sich alle die Feuerwehrdienstvorschrift 100 als Vorlage nehmen, die deren Führungssystem regelt. Bis heute hat das nicht funktioniert, weil diese von Bayern bis Bremen unterschiedlich interpretiert wird.
THW-Fachzüge als Vorbild?
Best Practice wäre für Per Kleist, wenn sich die Länder auf standardisierte taktische Module einigten, die bundesweit einheitliche Fähigkeiten abbilden – ein Konzept, wie es das Technische Hilfswerk mit seinen Fachzügen bereits umsetzt. „Brandenburg forderte bei eskalierenden Waldbränden im vergangenen Sommer kurzfristig Hilfe aus Berlin an. Doch die angeforderten Einheiten entsprechen in ihren Fähigkeiten nicht den in Berlin vorgeplanten Bereitschaften. Die sehen zum Beispiel keine geländegängigen Tanklöschfahrzeuge vor. Die mussten wir dann aus dem Stegreif aktivieren und Einheiten daraus zusammenstellen“, erinnert sich Kleist.
Das riesige Bevölkerungsschutzreservoir der Berufs- und Freiwilligenfeuerwehren hängt auf der kommunalen Ebene fest. Ebenso das der sogenannten Regieeinheiten aus Ehrenamtlichen. Das sind im Schwerpunkt Führungstrupps mit Fernmeldetechnik für das Kerngeschäft bei Notständen – die Einsatzleitung. Einst unterhielt sie der Bund für den Zivilschutz. Seit dessen De-facto-Aufgabe schreiben die Ländergesetze den Kommunen vor, Regieeinheiten aufzubauen, sollte es Bedarf geben. Augenscheinlich gibt es den. Ende der 1990er-Jahre sank die Zahl der Regieeinheiten-Helfer zunächst von 25.000 auf 15.000. Doch inzwischen ist die Helferzahl sogar auf 30.000 angewachsen, so deren Dachverband ARKAT. Weil aber eine bundesweite Organisation fehlt, können die kommunalen Regietrupps nicht entsprechend eingesetzt werden.
Bund beschränkt sich auf Ergänzung
Das Bundesinnenministerium, das den Bevölkerungsschutz für den Bund führt, zeigt keinerlei Ambition, solche Potenziale zu gestalten. Gegenüber loyal äußert ein Sprecher: „Die Initiativen des Bundes, mit Verwaltungsvorschriften auf bundeseinheitliche Stärke bei Strukturen und Führungsorganisation im Katastrophenschutz hinzuwirken, haben bis Ende der 1990er-Jahre nicht zum Erfolg geführt. Der Bund akzeptiert seitdem die von den Ländern geschaffenen Strukturen und beschränkt sich auf Ergänzung.“
Das traurige Kind dieser Status-quo-Politik zwischen Bund und Ländern ist das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) in Bonn. Es soll von beiden Seiten ausgehandelte Vorgaben für besseren Katastrophenschutz umsetzen. Dazu forscht, analysiert und entwickelt es laufend Ideen und Konzepte. Aber das BBK ist nur ein Dienstleister ohne jegliche Weisungsbefugnis, weshalb seine Arbeit eine überschaubare Wirkung hat.
Verwaltungen fehlt es an Wissen und Erfahrungen
Klar ist aber, dass einheitliche und zweckmäßige Strukturen in Deutschland nur entstehen, wenn auch die Verwaltungen ein Verständnis für Standards im Katastrophenschutz entwickeln. Naturgemäß sind diese auf das rechtssichere Steuern von Prozessen ausgelegt, nicht auf agiles Handeln. In Rheinland-Pfalz konnte die „Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion“ als Krisenstab für die von der Ahr-Flut zerstörten Kommunen nicht überzeugen. Kein Wunder, schon der Name zeigt, dass diese Behörde für die Betreuung bürokratischer Verfahren ausgelegt wurde und nicht für das Katastrophenmanagement. Obwohl Landräte und Bürgermeister die zentralen Krisenmanager sind, fehlt ihnen oft ausreichendes Wissen im Umgang mit Notsituationen samt Einsicht in die Notwendigkeit stetiger Übungen. Das zu vermitteln, müht sich die Akademie des BBK seit zwei Jahrzehnten mit Schulungen für Krisenstäbe aus Stadt und Land. Allerdings ist sie auch das Nadelöhr dafür. Die Länder haben ihre Katastrophenschutzschulen abgeschafft, sodass sich ein Mindset für Bevölkerungsschutz in deutschen Amtsstuben kaum nachhaltig verankern lässt. Beispiel Berlin: Die mit 3,6 Millionen Einwohnern größte Stadt Deutschlands hat bis heute keinen Notfallplan für einen Energieausfall. Erst 2021 wurden die Arbeiten dazu angestoßen und dauern noch an, wie eine loyal-Anfrage beim Senat für Inneres ergab.
Ergänzungsföderalismus ist Ballast
Der Ergänzungsföderalismus ist nicht nur ein Ballast für eine bessere Organisation im Katastrophenschutz, sondern auch für bessere Ressourcen. Sein Handlungsmuster: Die Länder stellen exorbitante Finanzierungswünsche an den Bund, ohne selbst Zusagen zu machen. Der Bund wiederum versucht, seine Ergänzung gering zu halten und auf Sicht zu fahren. Auch die jüngsten Bemühungen seit der Flutkatastrophe im Ahrtal folgen diesem Drehbuch. So fordern die Länder über den Bundesrat zehn Milliarden vom Bund zur Erneuerung des Bevölkerungsschutzes, unter anderem für Warnsirenen. Ein konsolidiertes Ergänzungsangebot ihrerseits gibt es nicht, nur die diffuse Aussage, selbst investieren zu wollen – natürlich jedes Land nach eigenem Gutdünken. Auf Seiten des Bundes wurde der sinkende Etat des Innenministeriums für 2023 so umgeschichtet, dass für den Bevölkerungsschutz eine kleine Finanzspritze von 80 Millionen Euro möglich wurde, mehr aber auch nicht.
Eine stringente Umsetzung von Bevölkerungsschutzprojekten, die Bund und Länder vereinbaren, gelingt unter diesen Bedingungen nicht. Ein Paradebeispiel dafür sind die sogenannten Medical Taskforces – ein BBK-Konzept, das noch als Antwort auf die Terrorgefahr nach 9/11 aufgegleist wurde und weiterhin Sinn ergibt. Dafür sollen im Bundesgebiet 61 mobile Sanitätseinsatzstaffeln aufgebaut werden, um bei massenhaft Verletzten rasch helfen zu können. Mehr als eine Dekade später ist keine einzige dieser Taskforces einsatzbereit. Das Vorhaben startete 2007. Zwei Jahre später gab es erste Fahrzeuge, doch erst 2018 konnten sich Bund, Länder und die Hilfsorganisationen auf ein Ausbildungskonzept verständigen. Der Zulauf der fehlenden Fahrzeuge lässt sich laut BBK nicht absehen, da er abhängig von „der Bereitstellung entsprechender Haushaltsmittel“ ist. Klar ist: Die damals gelieferten Erstfahrzeuge fahren schon in Richtung Ausmusterung.
Amtshilfe wird als gegeben einkalkuliert
Eine weitere Facette des Ressourcenproblems im Bevölkerungsschutz Deutschlands ist die Bundeswehr. Formal sollen die Fähigkeiten der Streitkräfte kein fester Teil der Ressourcen zur Katastrophenbewältigung sein. Denn die Armee unterhält und beübt diese schließlich für den ultimativen Worst Case, die Landes- und Bündnisverteidigung. De facto wird Entlastung durch die Truppe jedoch seit jeher als gegeben von Bund und Ländern miteinkalkuliert. So sieht das Bund-Länder-Konzept zur Brandbekämpfung aus der Luft vier Stufen vor: die ersten beiden mit Länder-Polizeihubschraubern samt Löschtanks, dann mit solchen der Bundespolizei, zuletzt mit Bundeswehrhelikoptern. Ein weiteres Beispiel: Die bundesweit fünf Bundeswehrkrankenhäuser sind bereits im Alltag fester Bestandteil der zivilen Versorgung; gerade bei großen Notsituationen wären sie umso mehr gefordert. Im Fall der Bündnisverteidigung würde das Personal jedoch zu Sammelpunkten in Frontnähe beordert. Für deren Ersatz gibt es bis jetzt keinen Plan, wie loyal vom Kommando Sanitätsdienst in Koblenz erfuhr. Hier hofft der San-Dienst, dass die via Grundbeorderung verbreiterte Reservistenbasis perspektivisch Ersatz bietet, so eine Sprecherin.
Belastbare Territoriale Strukturen, die über eine starke Reserve Nebenaufgaben wie den Bevölkerungsschutz leisten, besitzt die Bundeswehr nicht. Das Feldheer muss ran, was in heutigen Kriegszeiten anachronistisch anmutet. Während Russland seine Invasionstruppen zusammenzog, um über die Ukraine herzufallen, bildete die Bundeswehr aus Divisionsstäben regionale Führungskommandos, um ihr Corona-Kontingent mit mehr als 20.000 Soldaten koordinieren zu können. Die Landeskommandos mit dem Kommando Territoriale Aufgaben in Berlin an der Spitze waren zu schwachbrüstig dafür. Vor Kurzem wurde das Kommando zum „Territorialen Führungskommando“ aufgewertet, um künftig Amtshilfe bundesweit besser leisten zu können, insbesondere bei großen Notlagen wie einer Pandemie. Doch das neue Kommando erhält erst langfristig Truppen, und die sind überschaubar. Kümmerliche zehn Züge Heimatschutzkräfte in drei Jahren soll es als Anfangsbefähigung für das Territoriale Kommando geben, so die Planung des Wehrressorts. Langfristig sind fünf Heimatschutzregimenter vorgesehen. Dazu soll bis 2030 eine Territoriale Reserve von 26.000 Männern und Frauen aufgebaut werden, so ein Sprecher des Verteidigungsministeriums gegenüber loyal. Ob das gelingt, ist offen.
Personalprobleme drohen in Zukunft allen Akteuren im Bevölkerungsschutz wegen der Überalterung der Gesellschaft. Eine Umfrage von loyal unter den acht Trägerorganisationen zeigt, dass die meisten ihr Heil darin suchen, freiwilliges Engagement attraktiver zu machen, anstatt einen Pflichtgesellschaftsdienst für junge Menschen einzuführen, wie er zunehmend diskutiert wird. Zudem gilt bis jetzt: Das ehrenamtliche Engagement in Deutschland nimmt seit Jahren zu, gerade bei Älteren, so der Freiwilligensurvey des Familienministeriums. Der Ehrenamtsmonitor der Malteser zeigt zudem: Anders als in der öffentlichen Debatte behauptet, sind gerade junge Menschen bereit und motiviert für Hilfsdienste an der Gesellschaft – allerdings projektbezogen und nicht regelmäßig und organisiert in festen Strukturen.
Engagement außerhalb fester Strukturen
„Mit dem Potenzial an Helfern, die projekt- und ereignisbezogen helfen wollen, tun sich öffentliche Hand und Trägerorganisationen schwer, da die Menschen eben nicht bei ihnen organisiert sind“, sagt der Sicherheitsingenieur Ramian Fathi, der an der Bergischen Universität Wuppertal zum Bevölkerungsschutz forscht, im Gespräch mit loyal. „Dank Digitalisierung lässt sich spontanes Engagement aber immer besser zügig erfassen und koordinieren.“ Fathi hat mit anderen Ehrenamtlichen im Katastrophenschutz das Virtual Operations Support Team VOST aufgebaut. Bei der Flutkatastrophe 2021 erstellten sie über die Analyse der Sozialen Medien ein Lagebild spontaner Hilfsbereitschaft und kartierten dieses für den Krisenstab in Wuppertal.
So konnte frühzeitig festgestellt werden, dass die spontane Hilfsbereitschaft auch bei dieser Einsatzlage ausgeprägt war, sodass sich zum Beispiel unter dem Hashtag #TalSuchtPumpe zahlreiche Hilfsinitiativen organisierten. Über den Twitter-Kanal der Feuerwehr Wuppertal wurde eine effiziente Integration von Spontanhelfern angestoßen, durch die die Helferinnen und Helfer mit der Zeit ihre Registrierung und Einweisung selbst organisierten. Nach vier Stunden waren über 2.000 Sandsäcke verfügbar. Fathi: „Soziale Medien werden oft im Kontext Katastrophentourismus und Desinformation gesehen. Sie können aber auch ein mächtiger Katalysator sein, der Hilfsbereitschaft schafft.“ Inzwischen ist das VOST die erste formale Cyberhilfseinheit des THW mit Stärke- und Ausstattungsnachweisung sowie 46 ehrenamtlich tätigen Männern und Frauen.
Konservatives Verständnis hemmt Weiterentwicklung
Eine Weiterentwicklung des Bevölkerungsschutzes behindert auch das konservative Verständnis, mit der die staatlichen Bürokratien das Thema handhaben. Das kritisiert Manuel Atug, Sprecher der AG Kritis gegenüber loyal. Die Arbeitsgruppe ist eine Vereinigung unabhängiger IT-Fachleute, die sich damit befasst, wie Deutschland seine kritische Infrastruktur sinnvoll schützen kann. Atug: „Die maßgeblich verantwortlichen Innenministerien folgen meist einer Gewaltmonopol-Fixierung samt offensiver Befugniserweiterungen, die keine Wirkung bringen und ins Populistische abgleiten.“
Atug nennt als Beispiel die Reaktion des Bundesinnenministeriums auf die Attacken gegen die Bahninfrastruktur im Herbst 2022. Unbekannte durchtrennten damals an zwei neuralgischen Stellen Kabel und legten so für drei Stunden den Zugverkehr lahm. „Als Maßnahme verkündete Bundesinnenministerin Nancy Faeser mehr Überwachung und Stellen für eintausend neue Bundespolizisten zur Überwachung der Schienen- und Kabeltrassen – was bei deren Umfang völlig wirkungslos sein wird.“ Wirksam wäre dagegen ein strategischer Ausbau von technischen Entstörtrupps der Bahn im Rahmen des Notfallmanagements, um die Widerstandskraft der Infrastruktur gegen Störangriffe zu erhöhen, so Atugs Einschätzung. Effizient sei es, die stetigen Übergriffe durch technische Leistungsfähigkeit in ihrer Wirkung auf ein unbedeutendes Level zu drücken. Eine Abschreckung oder Abwehr solcher Attacken mit den üblichen Machtmitteln des Staates sei bei kritischer Infrastruktur ein stumpfes Schwert.
Schwerin und Potsdam gehen voran
Verbesserungen in Richtung Bevölkerungsschutz der Zukunft gibt es in Deutschland nur als Stückwerk. Ein Quäntchen Fortschritt ist die Beschaffungskooperation zwischen Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern zur Ausrüstung ihrer Feuerwehren. Beide kauften in einer europaweiten Ausschreibung jüngst 46 Tanklöschfahrzeuge, elf für Brandenburg, 35 für Mecklenburg-Vorpommern. Das gemeinsame und damit günstigere Beschaffen dank größerer Stückzahlen ist ein Novum in Deutschland, wo jede Dorffeuerwehr gehalten ist, ihr Gerät selbst zu besorgen und wo die Länder entscheidende Finanziers sind. Schwerin und Potsdam schätzen die Kooperation als so erfolgreich ein, dass sie inzwischen auch das Basisgefährt der Feuerwehren, die Drehleiterwagen, über einen gemeinsamen Rahmenvertrag besorgen, ergab eine Anfrage von loyal beim Innenministerium Brandenburgs. Hoffnung macht auch, dass einige Länder wie Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Berlin begonnen haben, Landeseinrichtungen für Katastrophenschutz aufzubauen.
Beim zentralen Aspekt einer leistungsfähigen nationalen Aufstellung sieht es aber weiterhin düster aus. Das von der Politik als „Meilenstein“ gepriesene neue Gemeinsame Kompetenzzentrum Bevölkerungsschutz schafft keine effizientere Organisation und Führung. Es ist ein Bund-Länder-Gesandtenkongress beim „Gastgeber“ BBK; orchestriert von einer Verwaltungsjuristin. Ein Konstrukt, das darauf ausgelegt ist, umständliche Kleine-Gemeinsame-Föderalismusnenner auszuhandeln. So soll nun ein Plan entwickelt werden, wie der Bund seine Rettungshubschrauber, die er als Ergänzung für die Länder beschafft hat, auch selbst einsetzen kann. Des Weiteren hat das Zentrum den Auftrag, erstmals eine Gesamtübersicht zu erstellen, was alles an Katastrophenschutzeinheiten und -material in Deutschland vorhanden ist. Für einen kooperativen Föderalismus im Geiste des Grundgesetzes ist das eine längst überfällige Selbstverständlichkeit.