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Keine große Bedeutung

Soldaten dienen unserem Staat treu und tapfer. Sie sind da, wenn man sie braucht – ob im Ahrtal oder in Kabul. Dennoch ist die Sicherheitspolitik ein Stiefkind der Politik. Bei der Bundestagswahl wird sie eine untergeordnete Rolle spielen. Und das, obwohl Deutschlands Sicherheit seit dem Kalten Krieg nie so bedroht war wie heute.

Symbolbild: Soldaten salutieren in der Nähe des Bundestags in Berlin.

Diesmal treten 53 Parteien zur Bundestagswahl an – vor vier Jahren waren es 42. Von diesen 42 schafften es sieben in den Bundestag: CDU, SPD, AfD, FDP, Linke, Grüne und CSU. Sie sind es auch, die nach den Umfragen Chancen haben, erneut ins Parlament einzuziehen. Wer sich in diesem Bundestagswahlkampf über Inhalte informieren möchte, muss sich schon die Mühe machen, die Wahlprogramme der Parteien zu studieren. Denn inhaltlich ist der Wahlkampf bislang ausgefallen. Ende April, Anfang Mai sah das noch anders aus. Da standen die drei Kanzlerkandidaten fest: Armin Laschet (CDU), Annalena Baerbock (Grüne) und Olaf Scholz (SPD), und so etwas wie Aufbruchstimmung machte sich breit: Deutschland würde nach 16 Merkel-Jahren einen neuen Kanzler bekommen, ein neues Gesicht an der Spitze – vielleicht mit einem neuen Dreh, frischen Ideen und innovativen Antworten auf die drängenden Fragen: Klimawandel, Digitalisierung, Staatsträgheit, Bürokratisierung, Bedrohungen von außen, Deutschlands Rolle in Europa und der Welt.

Nichts davon ist im öffentlichen Diskurs den Sommer über groß erörtert worden. Stattdessen drehten sich Politik, Medien und die Blasen der sozialen Medien um Randthemen: der aufgemotzte Lebenslauf von Annalena Baerbock und ihre Verwendung des N-Worts in einem Interview. Das Lachen von Armin Laschet im Flutgebiet und seine vermeintliche Anrede „junge Frau“ gegenüber einer Journalistin. Die Plagiate in den Büchern beider Kandidaten. Der Hashtag #bratwurst bei Olaf Scholz‘ Vorschlag, wie man die Deutschen zum Impfen motivieren könnte. Als gäbe es keine wichtigen Themen, ergossen sich Tweet-Lawinen und Kommentare in öffentlich-rechtlichen Sendern über diese Nebensächlichkeiten. Den Deutschen muss es gut gehen, wenn sie keine anderen Probleme haben, könnte man meinen.

Allerdings gibt es handfeste Probleme in Deutschland, auch wenn sie bislang keine Rolle im Wahlkampf spielten. Nicht nur der Klimawandel ist ein Problem. Wichtig sind auch diese Fragen: Wie kann Deutschland eine führende Industrienation bleiben, wenn es Unternehmen immer schwerer gemacht wird, hierzulande zu produzieren? Wie bleibt die Rente finanzierbar? Welche Lehren ziehen wir aus der Corona-Pandemie? Wie sichern wir in der Zukunft die Bildung? Welche Strategien zur Digitalisierung braucht unser Land? Wird das Heizen bezahlbar bleiben? Wie integrieren wir Millionen Menschen aus außereuropäischen Ländern, ohne die eigene Identität zu verlieren? Und nicht zuletzt: Wie schützen wir uns vor äußeren Gefahren?

Sicherheitspolitik fällt aus

Wenn schon die anderen Themen keine oder nur eine geringe Rolle im Wahlkampf spielen, so fällt die Sicherheitspolitik offensichtlich komplett aus. Das Ende des Afghanistan-Einsatzes wurde nicht unter sicherheitspolitischen Aspekten diskutiert, sondern unter humanitären. „Die deutsche Bevölkerung wird nicht ausreichend systematisch auf bedrohliche Fragestellungen vorbereitet“, kritisierte kürzlich die neue Direktorin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Cathryn Clüver Ashbrook, in einem Interview mit der Zeitschrift „Internationale Politik“. In der Tat: Die Welt ist nicht friedlicher geworden. Seit dem Ende des Kalten Kriegs vor gut 30 Jahren haben sich gewaltige Veränderungen im unmittelbaren geostrategischen Umfeld vollzogen, die massive Auswirkungen auf unser Zusammenleben, auf unsere Sicherheit und auf den Frieden in Europa haben. Russland hat 2014 mit der Annexion der Krim erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg gewaltsam Grenzen in Europa verändert. In der Ostukraine gibt es einen eingefrorenen Krieg. In diesem Frühjahr ließ Russlands Präsident entlang der Grenze zur Ukraine seine Truppen erneut aufmarschieren und spielte mit den Muskeln. Die Ukraine wurde zum Opfer des russischen Expansionsdrangs. Sie muss nicht das letzte sein.

Am Süd- und Südostrand der Europäischen Union ist ein Krisenbogen entstanden, der eine dauerhafte Bedrohung darstellt: Migrationsströme, zerfallende Staaten wie Libyen, schwelende Konflikte wie in Syrien, palästinensische Raketenangriffe auf Israel, die angeblich von niemandem vorhergesehene Eroberung Afghanistans durch die Taliban nach allem, was der Westen dort 20 Jahre lang aufgebaut hat. In Europa, in Deutschland gibt es auf alle diese Themen nur eine Reaktion: Ratlosigkeit.

Zuletzt China. Der Machtanspruch der Kommunistischen Partei ist 100 Jahre nach ihrer Gründung inzwischen global. Peking greift weit aus, schafft einen Gürtel finanziell abhängiger Staaten um sich herum, verfolgt knallhart eigene Interessen, erweitert völkerrechtswidrig im großen Maßstab seine maritimen Hoheitsgebiete, beutet rücksichtslos Bodenschätze in Afrika aus, agiert insgesamt mit bemerkenswerter Chuzpe gegenüber dem Rest der Welt. Dabei baut es seine Streitkräfte in einer Geschwindigkeit aus, dass der Westen kaum noch mit dem Zählen nachkommt. Die militärische Konfrontation Chinas mit den USA ist nach Ansicht der meisten Beobachter keine Frage mehr des Ob, sondern nur noch des Wann.

Außenpolitik spielt Nebenrolle

All das hat massive Auswirkungen auf Deutschland. Allein, es scheint niemanden zu interessieren. Gary S. Schaal, Professor für Politikwissenschaft an der Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr in Hamburg, weist gegenüber loyal darauf hin, dass in Umfragen schon seit zehn Jahren kein sicherheitspolitisches Thema mehr unter den Top fünf der wichtigsten Probleme Deutschlands ist. Er vermutet, dass weder innere Sicherheit noch Außenpolitik von hoher Bedeutung für die Wahlentscheidung am 26. September sein werden. Ob das jüngste afghanische Drama das ändern wird – eher unwahrscheinlich. Schaal spricht von einem „Prozess der fortschreitenden Depolitisierung der Sicherheitspolitik“ hierzulande. Die Probleme dieses Politikfelds seien „schwer zu kommunizieren, schwer zu lösen“, und ihnen wohne ein hohes Risiko politischen Scheiterns inne, so Schaal.

Das ist nicht nur den Parteien anzulasten. Die Menschen selbst halten in ihrer überwältigenden Mehrheit militärische Themen für vernachlässigbar, Sicherheitspolitik ist für sie nicht relevant. Interessierte Zeitgenossen müssen sich durch Hunderte Seiten Wahlprogramme arbeiten, wenn sie wissen wollen, wie diese oder jene Partei zur Sicherheitspolitik und zur Bundeswehr steht.

Außer bei der Linkspartei finden sich in den Wahlprogrammen der anderen im Bundestag vertretenen Parteien zumindest grundlegende Bekenntnisse zur NATO und zu einer gut ausgestatteten Bundeswehr. Den größten Stellenwert nehmen diese Themen bei CDU und CSU ein, gefolgt mit Abstand von SPD und FDP. Auffällig ist, dass innere Sicherheit und Sicherheitspolitik in den Programmen immer noch getrennt betrachtet werden. Die Wissenschaft ist sich inzwischen weitgehend einig, dass diese Trennung in der heutigen vernetzten Welt nicht mehr sinnvoll ist. Tendenziell reklamieren die eher konservativen Parteien die Sicherheitspolitik für sich, während die eher linken Parteien das Label „Entspannungspolitik“ für sich beanspruchen.

CDU/CSU stellen als einzige Parteien die Sicherheitspolitik mit dem Kapitel „Neue Verantwortung Deutschlands in der Welt“ an den Anfang ihres Wahlprogramms. Auf zwei Seiten bekennt sich die Union zu einer „modernen und voll einsatzbereiten Bundeswehr“. Mit 203.000 Soldaten – unter Einschluss aller Reserveverbände – soll die Truppe „spätestens bis 2030“ ihre Bündnisverpflichtungen erfüllen können. Drohnen-Ausstattung und Cyberwar-Kapazitäten gehören für die Union dazu. Die CSU fügt in ihrem ergänzenden Wahlprogramm Forderungen nach freier Fahrt für Soldaten im ÖPNV und nach öffentlichen Bundeswehrveranstaltungen hinzu. „Unsere Bundeswehr hat einen Platz in den Herzen der Menschen und in der Mitte der Gesellschaft verdient“, schreiben die Christsozialen.

Im SPD-Wahlprogramm finden sich Bezüge zur Bundeswehr erst ganz am Ende im Abschnitt „Frieden sichern“. Aus der Erkenntnis, „dass wir nur mit einer gut ausgestatteten und modernen Bundeswehr unseren Aufgaben als zuverlässiger Partner in Europa und der NATO gerecht werden können“, folgt die Feststellung: „Unsere Soldat*innen verdienen bestmögliche Ausstattung“. Demgegenüber steht allerdings die bisherige Weigerung der SPD, Drohnen zum Eigenschutz der Truppe zu bewaffnen. Die Partei kündigte nach Jahren der Diskussion weiteren Diskussionsbedarf zu bewaffneten Drohnen in den eigenen Reihen an, ließ die Gelegenheiten hierzu allerdings verstreichen. Weder in den Debattencamps dieses Jahres noch auf dem Parteitag im Mai war das ein Thema.

Auch bei den Grünen taucht der Begriff Bundeswehr ganz zum Schluss auf: auf Seite 252 von insgesamt 254. Zuvor geht es den Grünen um „Dekolonisation der internationalen Beziehungen“, Stärkung der auswärtigen Kulturpolitik, einen „neuen Schub“ für die Abrüstung, ferner um die Forderung „Keine deutschen Waffen in Kriegsgebiete und Diktaturen“ und um die internationale Ächtung „autonomer tödlicher Waffensysteme“. Ähnlich wie Union und SPD möchten die Grünen laut Wahlprogramm eine „personell und materiell sicher und planbar“ ausgestattete Bundeswehr. Im Übrigen wünschen sich die Grünen mehr Diversität in der Truppe. Sie schreiben außerdem, „menschenfeindliche Ideologien und rechtsextremistisches Verhalten sind mit dem Auftrag der Bundeswehr und dem Verhalten von „Soldat*innen in keiner Weise vereinbar“. Entsprechende Strukturen seien zu zerschlagen.

Die FDP fasst Ihre Haltung im dritten und letzten Wahlprogramm-Kapitel unter der Aufforderung „Nie waren die Chancen größer: Bewältigen wir die großen Herausforderungen unserer Zeit!“ zusammen. Die Liberalen nehmen darin eine Bestandsaufnahme zur Bundeswehr vor: „Die Waffensysteme der Streitkräfte sind teilweise veraltet oder nur bedingt einsatzbereit. Wichtige Beschaffungsvorhaben verzögern sich oder kommen erst gar nicht zustande, und die Instandhaltung bestehender Ausrüstung wird vernachlässigt. Das muss sich ändern.“ Ein „klarer Modernisierungskurs“ solle daher für die Bundeswehr angelegt werden. Die bisherigen Trendwenden sollen einer Überprüfung unterzogen, die Bundeswehr solle „langfristig finanziell abgesichert“ werden.

Die Linkspartei sieht in ihrem Wahlprogramm eine Militarisierung der Gesellschaft, die einhergehe mit der Aufrüstung der Bundeswehr. Die Truppe als „weltweit agierende Einsatzarmee“ diene „den Interessen von Großkonzernen und Eliten im globalen Kampf um Rohstoffe, Einflusssphären und Absatzmärkte“. Die Opfer einer „hochgerüsteten Bundeswehr“ seien das Gesundheitssystem, die „soziale Infrastruktur“, Bildung und Klimaschutz. Die Linke tritt für einen „Rückbau“ der Bundeswehr zu einer Verteidigungsarmee, „wie es das Grundgesetz vorsieht“, ein. Die Abrüstung müsse zuerst bei „Angriffswaffen“ erfolgen. Die Partei fordert eine Auflösung des Kommandobereichs Cyber- und Informationsraum und des KSK, eine Studie über Rassismus und rechtes Gedankengut in den Streitkräften, das Verbot von „Werbung der Bundeswehr an Jobcentern, Schulen und Hochschulen“ und ein Verbot der Aufnahme von Minderjährigen. Den Einsatz der Bundeswehr im Innern selbst bei Notlagen lehnt die Linkspartei ab.

Die AfD will eine Stärkung der europäischen Säule der NATO und ist gegen Einsätze des Bündnisses außerhalb des NATO-Gebiets. Russland solle in eine „sicherheitspolitische Gesamtstruktur“ eingebunden werden, da Entspannung im Verhältnis zu Moskau „Voraussetzung für einen dauerhaften Frieden in Europa“ sei. Grundsätzlich solle die „Wehrfähigkeit Deutschlands“ wiederhergestellt werden. Die Streitkräfte befänden sich „in einem desolaten Zustand“, daher fordert die AfD mehr Eigenständigkeit der Bundeswehr bei Personal und Material. „Privatisierungen und Zentralisierungen gehören zurückgedreht“. „Die Bundeswehr soll wieder einen starken Korpsgeist, ihre Traditionen und deutsche Werte pflegen“, heißt es im AfD-Wahlprogramm. Und: „Die Tugenden des Soldaten sind Ehre, Treue, Kameradschaft und Tapferkeit.“ Die „besten Traditionen der deutschen Militärgeschichte“ sollten sich auch in der Öffentlichkeit manifestieren.

Fragenkatalog der loyal

loyal wollte konkreter wissen, wie die im Bundestag vertretenen Parteien zur Sicherheitspolitik stehen und hat ihnen daher einen umfangreichen Fragenkatalog geschickt, den auch alle Parteien beantwortet haben – noch vor den dramatischen Ereignissen in Kabul.

Nach dem Mali-Einsatz gefragt, und welche Erfahrungen dort aus dem 20-jährigen Engagement in Afghanistan gezogen werden, schrieben CDU und CSU, sie wollten in Mali „realistische Ziele formulieren“. „Wir wollen die Staaten und die Afrikanische Union ermächtigen, damit sie bald selbst die Aufgabe der Terrorismusbekämpfung aus eigener Kraft übernehmen.“ Die SPD möchte keinen „Blankoscheck“ für die kommende Legislaturperiode ausstellen und setzt sich für einen integrierten Ansatz ein, bei dem wertebasiert und an Rechtsstaatlichkeit und Demokratie orientiert kurz- und langfristige Ziele im Sahel ineinandergreifen. „Das muss auch die Bekämpfung von kriminellen Aktivitäten einschließen“, so die SPD.

Die Grünen sehen eine Lageverschlechterung in Mali und wollen erst „seriös Stellung nehmen“, wenn die nächste Bundesregierung ein Mandat formuliert hat, dass auf diese Lageänderung eingeht. Die FDP ist dafür, die Missionen in Mali „regelmäßig zu hinterfragen“. Die Linkspartei sieht „die Orthodoxie westlicher Militärinterventionen“ wie in Afghanistan „rundweg widerlegt“. Frieden und Entwicklung könnten nicht „herbeigebombt“ werden. In Mali sieht die Linke „genau dieselbe Spirale von Militarisierung und Vertiefung des Konflikts wie schon in Afghanistan“. Die AfD betont, dass sie in der aktuellen Legislaturperiode gegen die Mali-Einsätze gestimmt habe und dass sich diese Position auch im nächsten Bundestag nicht ändern werde.

Wie steht’s um das Zwei-Prozent-Ziel?

Das Zwei-Prozent-Ziel, auf das sich Deutschland verpflichtet hat, ist für CDU und CSU eine Frage der Verlässlichkeit innerhalb der NATO. Die Union bekennt sich dazu, den Verteidigungshaushalt auf zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu erhöhen. Die SPD verweist darauf, dass unter ihrem Finanzminister die Investitionen im Verteidigungshaushalt deutlich erhöht und wesentliche Beschaffungsvorhaben vorangetrieben worden seien. Allerdings heißt es auch: „Der reine Fokus auf Prozentzahlen ist unserer Ansicht nach zu kurz gegriffen.“

Die Grünen lehnen das Zwei-Prozent-Ziel ab, weil es nicht an Fähigkeiten ausgerichtet sei. Die FDP will drei Prozent in internationale Sicherheit insgesamt investieren und sieht damit die Verpflichtungen gegenüber der NATO erfüllt, „die Entwicklungspolitik verstetigt und die Diplomatie gestärkt“. Die Linkspartei meint im Zwei-Prozent- Ziel „Aufrüstungsbestrebungen“ zu erkennen und lehnt es ab. Die AfD steht nach eigenen Angaben zu dieser Verpflichtung, die Deutschland 2014 gegenüber seinen NATO-Partnern eingegangen ist.

Zur Frage, welche Rolle die Sicherheitspolitik bei der Wahlentscheidung am 26. September spielt, verweist die Union darauf, dass sie die Außen- und Sicherheitspolitik an die erste Stelle ihres Wahlprogramms gesetzt hat. „Wir können die großen weltweiten Menschheitsaufgaben nur lösen, wenn wir sie gemeinsam global anpacken“, schreibt die Union. Von einer „untergeordneten Rolle“ des Themas spricht hingegen die SPD und geht davon aus, dass es nicht wahlentscheidend sein werde. Herausragende Themen seien vielmehr die Bewältigung der Folgen der Corona-Pandemie und der Flutkatastrophe, so die SPD. Auch die Grünen sehen vor allem innenpolitische Themen als wahlentscheidend an.

Differenzierter analysieren FDP und Linkspartei. Die Liberalen schreiben: „Die Positionierung der Parteien in der Sicherheitspolitik wird einen Unterschied machen.“ Die Unterscheidbarkeit der Parteien sei gerade in diesem Politikfeld gegeben, allerdings werde die Wahlentscheidung am 26. September „auch auf andere Themen“ fokussiert, räumt die FDP ein. Die Linkspartei geht davon aus, dass „friedenspolitische Themen“ mit dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und der „Intensivierung des Mali-Einsatzes“ wieder an Bedeutung gewonnen hätten. Die AfD kommt zu der Einschätzung: „Traditionell ist die Sicherheitspolitik eher nachrangig für den deutschen Wähler.“

Nachrangig für die Wahlentscheidung

Der Politikwissenschaftler Professor Johannes Varwick, bis Juli Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik, geht davon aus, dass Themen wie Bundeswehr und Außen- und Sicherheitspolitik bei der Wahlentscheidung in diesem Monat nicht die Rolle spielen werden, „die sich Sicherheitspolitiker wünschen“. Andererseits, so Varwick, sei vielen Menschen klar, dass wir in einer instabilen Welt leben und „Themen wie Klimawandel, Flucht, Regionalkonflikte oder aggressiv auftretende Staaten wie Russland und China Probleme sind, denen sich Deutschland stellen muss“. Der Potsdamer Militärhistoriker Professor Sönke Neitzel geht auf Anfrage von loyal „von keiner nennenswerten Bedeutung“ der Sicherheitspolitik am 26. September aus.

Das war nicht immer so. Es gab Wahlkämpfe in der Bundesrepublik, die regelrecht geprägt waren von außen- und sicherheitspolitischen Themen. 1957 stilisierte Konrad Adenauer die Bundestagswahl zur Richtungsentscheidung über Westbindung und Wiederbewaffnung. Die sowjetische Niederschlagung des Ungarn-Aufstands im Jahr zuvor trug zur „Außenpolitisierung“ des Wahlkampfes bei. Adenauer holte mit dem Slogan „Keine Experimente!“ das erste und einzige Mal für die Union die absolute Mehrheit.

1972 konnten die Sozialdemokraten CDU und CSU als zerstrittene Gegner der Entspannungspolitik gegenüber dem Ostblock darstellen, die eine Mehrheit der Deutschen in der Bundesrepublik befürwortete. Die SPD schaffte es, ihre neue Sicherheitspolitik als Ausdruck deutscher Staatsräson zu labeln. Helmut Kohl wiederum gelang es, aus der heftig geführten Debatte um die NATO-Nachrüstung als Sieger bei der Bundestagswahl 1983 hervorzugehen – die Union holte 48,8 Prozent der Stimmen. 2002 konnte SPD-Kanzler Gerhard Schröder mit der moralisch begründeten Ablehnung der Beteiligung Deutschlands an einem US-geführten Krieg gegen den Irak die rot-grüne Wählerschaft mobilisieren. Mit diesem Vorgehen dockte Schröder an den außenpolitischen Grundkonsens der deutschen Gesellschaft seit Weltkriegsende an: Wir sind eine Friedensmacht, die über Handel und Diplomatie ein friedliches Europa in der Welt mitgestaltet. Das Militärische war selbst zu Zeiten der Blockkonfrontation kaum mehr als eine akzeptierte Notwendigkeit.

Verantwortung ja, aber ohne Militär

Dabei ist der Eindruck, den die Öffentlichkeit von der Bundeswehr hat, gar nicht so schlecht. Das zeigt das sicherheitspolitische Meinungsbild, das das Zentrum der Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr (ZMSBw) seit 2013 regelmäßig erhebt. Der desolate Zustand der Armee wird von der Bevölkerung wahrgenommen. Viele Deutsche sind offen für eine Beseitigung der Ausrüstungsmisere der Truppe. Doch genutzt werden sollte das militärische Werkzeug dann lieber nicht, meinen viele. 2014 gab es eine deutlich gestiegene Bereitschaft in der Bevölkerung, die Verteidigungsausgaben „stark zu erhöhen“. Davor lag die Zustimmung bei 32 Prozent und bewegte sich auf bis zu 51 Prozent im Jahr 2018. Seitdem schwindet diese Zustimmung wieder. Aktuell liegt sie bei 42 Prozent. Laut Bundeswehr-Erhebung sind die Deutschen offen für mehr sicherheitspolitische Verantwortung, aber eben nach Möglichkeit nichtmilitärisch: Diplomatie bevorzugt. Ausbildungs- und Stabilisierungseinsätze der Bundeswehr ja, Kampfeinsätze nein.

Die Bundeswehr hat ein massives Ausrüstungsproblem. Vieles fehlt, und von dem vorhandenen Gerät ist meist nur wenig einsatzbereit. Drohnen wie die Heron TP gibt es zwar, aber sie dürfen bis jetzt nicht bewaffnet sein, auch nicht zum Eigenschutz der Soldaten. (Foto: imago/UPI photo)

Dass die Einschätzungen der Deutschen zur Bundeswehr bei der Bundestagswahl eher keine Rolle spielen dürften, erklärt sich Dr. Markus Steinbrecher, Soziologe am ZMSBw, so: „Außen- und Sicherheitspolitik sind kein Teil der unmittelbaren Lebenswelt vieler Bürgerinnen und Bürger. Wenn sie sich überhaupt für Politik interessieren, dann interessieren sie sich für die politischen Fragen, die in ihrem Alltag für sie relevant sind, beispielsweise bezahlbare Wohnungen, baufällige und nicht digitalisierte Schulen oder die Sicherheit ihres Arbeitsplatzes.

Keine Schwergewichte

Der Regensburger Politikwissenschaftler Professor Martin Sebaldt sieht bei der aktuellen Unterordnung der Sicherheitspolitik unter andere Themen die Verantwortung bei der Politik, hier vor allem im personellen Angebot: „Welche Sicherheitspolitiker von Format und politischem Gewicht haben denn die Parteien heute?“, fragt Sebaldt im Gespräch mit loyal. „Sind deren Verteidigungsexperten einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, und haben sie innerparteilich etwas zu melden? Die Zeiten eines Helmut Schmidt und eines Franz-Josef Strauß, die verteidigungspolitische Schwergewichte mit nationalem Bekanntheitsgrad waren und auch konzeptionell etwas zu bieten hatten, sind eben lange vorbei.“

Vielleicht liegt der Bedeutungsverlust der Sicherheitspolitik auch an der Zahl derjenigen Politiker im Bundestag, die selbst noch in der Bundeswehr gedient haben. loyal hat den Parteien auch die Frage gestellt, wieviele ihrer aktuellen Bundestagsabgeordneten Wehrdienst geleistet haben. FDP und Grüne gaben an, diese Daten würden nicht erfasst. Auch die Union schrieb, dass hierzu keine Zahlen vorlägen, „aber unsere Vermutung ist, dass der Anteil höher ist als bei vielen anderen Parteien.“ Die SPD verweist auf das Bundestags-Handbuch, nach dem 11 von 152 SPD-Abgeordnete Wehrdienstleistende gewesen seien. Die Angaben in dem Handbuch sind freiwillig. Die AfD nannte die Zahl 14 von 87 Fraktionsmitgliedern und ergänzte, dies sei „weit über dem Durchschnitt aller im Bundestag vertretenen Parteien.“ Die Linkspartei ließ die Frage unter den Tisch fallen.

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