Bereit für die Klimafront?
Die Bundeswehr nimmt sich eines vernachlässigten Themas an: Der Klimawandel betrifft auch die Truppe. Welche Konsequenzen daraus zu ziehen sind, zeichnet sich allmählich ab. Andere Länder sind schon weiter.
Im Frühjahr hat das Bundesministerium der Verteidigung die „Strategie Verteidigung und Klimawandel“ veröffentlicht und damit eine Vorgabe des Strategischen Kompasses der EU erfüllt. Deutschland folgt damit Verbündeten wie den USA, Frankreich und Großbritannien, die sich dem Thema seit Jahren widmen. „Klima? Nicht mein Auftrag.“ – Das bekam man oft zu hören, wenn man in der Vergangenheit mit Angehörigen der Bundeswehr über das Thema sprach. Im deutschen sicherheitspolitischen Diskurs war die Thematik lange abwesend und bleibt bis heute oft ein Randthema. Doch die Realität holt die Truppe ein – ob im Ahrtal, seinerzeit in Mali oder in Form kritischer Fragen interessierter Schüler gegenüber Jugendoffizieren.
Im Spannungsfeld von Stabilisierungsmissionen einerseits und Landes- und Bündnisverteidigung andererseits hatte die strategische Ausrichtung der Streitkräfte auf klimatisch veränderte operative Bedingungen bislang keine Priorität. Mit dem Argument der „THW-isierung“ wurde das Thema oft beiseitegewischt. Damit soll jetzt Schluss sein. Die Reaktion auf die Klimakrise hat mit dem neuen Dokument endlich Priorität bekommen.
Nimmt man die Klimakrise als Herausforderung für die Bundeswehr ernst – und die neue Strategie ist hier der erste Schritt auf einem langen Weg – ergeben sich daraus klar erkennbare Interessenskonflikte und Spannungen: Jetzt schon gibt es nicht genug Geld für die Bundeswehr, und dann soll sie noch die Kosten für Klimaanpassung stemmen? Viele Einheiten sind mit Aufgaben überfrachtet – können sie noch zusätzliche Missionsprofile abbilden? Wie kann trotz aller Schwierigkeiten dekarbonisiert, wie können Systeme resilienter gemacht werden? Die Herausforderungen sind immens. Warum also nimmt die Bundeswehr sich dieser zusätzlichen Aufgabe an?
Die Klimakrise ist auch eine militärische Krise
Wie die Klimakrise jeden Bereich des menschlichen Lebens tangiert, so berührt sie auch jede Facette militärischer Tätigkeiten und jedes Führungsgrundgebiets. Einsatzprofile, operative Umgebung, Waffensysteme, Infrastruktur, Personal, Munition, Sensorik, Logistik, Verpflegung – nichts kann sich einer so fundamentalen Veränderung entziehen. Klima ist nicht gleich Wetter, aber am anschaulichsten erleben wir klimatische Veränderungen in Wetterextremen. Durch die Klimakrise nehmen Extremwettereignisse in Frequenz und Intensität zu. Militärisches Personal, Material und militärische Infrastruktur sind sowohl langfristigen Klimatrends als auch kurzfristigem Extremwetter ausgeliefert. So kostete im Juli 2022 ein plötzlicher Sturm über der Norfolk Naval Base in Virginia die US-Navy zehn Helikopter. Abgeknickte Rotorblätter, ganze Maschinen umgeweht, alle Drehflügler wurden schwer beschädigt. Es war eine herbe Klatsche in Friedenszeiten auf einem Stützpunkt in der Heimat. In Kriegszeiten im Einsatzgebiet hätte ein solches Ereignis unter Umständen katastrophale Folgen.
Doch derartige Schäden sind nur ein Aspekt der Sicherheitsdimension Klimakrise. Selbst wenn wir die großen Themenfelder menschlicher Sicherheit, darunter Wasser und Ernährungssicherheit, und die klimabedingte Migration für eine militärische Analyse ausklammern, bleibt ein breites Spektrum an Einflüssen. Die NATO hat dazu 2022 das „Climate Change & Security Impact Assessment“ veröffentlicht. Zu den zentralen Einflüssen zählt es die Veränderung von operativen Umgebungen, die Beeinträchtigung der Gesundheit von Soldaten, technisches Versagen von Infrastruktur und Material, politische Instabilität und eine Verschiebung von Missionsprofilen hin zu mehr humanitärer Hilfe. Bei Letzterem ist in Deutschland besonders die zivil-militärische Zusammenarbeit gefragt, weil die Blaulichtorganisationen zwar das Mandat, aber nicht immer die Ressourcen haben. Gesamtverteidigung ohne ausreichende Berücksichtigung der Klimadimension hat keine Aussicht auf Erfolg.
In der Praxis bedeutet das etwa für die Marine, dass es trotz der Ausrichtung auf Landes- und Bündnisverteidigung weltweit zu einer erhöhten Nachfrage nach humanitärer Unterstützung kommen kann. Wenn diese in klimatisch besonders betroffenen Einsatzgebieten geleistet werden soll, aber auch bei potenziellen Kampf– und Stabilisierungseinsätzen, sind Schiff und Besatzung einer Reihe von Herausforderungen ausgesetzt, für die das Schiff nicht gebaut wurde. Wärmeres Oberflächenwasser der Ozeane reduziert den Wirkungsgrad der Kühlung, für die es genutzt wird. Heißere Luft hat eine geringere Dichte, sodass der Bordhubschrauber einen verkleinerten Einsatzradius hat oder weniger Zuladung über dieselbe Distanz transportieren kann. Der erhöhte Verschleiß am Schiff, der vor allem bei äquatornah eingesetzten Einheiten oft zu beobachten ist, kann sich noch verschärfen oder in anderen Breitengraden auftreten. Auch Einflüsse von extremerer Hitze und Veränderungen von Salzgehalt und Wasserdichte auf die Bordsensorik müssen bedacht werden.
Klimaziele beziehen sich oft auf das Jahr 2050, Schiffe haben meist eine Lebenserwartung von 30 Jahren oder mehr. Ob die Schiffe, die heute gebaut werden, dem Klima und den Missionen im Jahr 2050 gewachsen sind, ist zumindest fraglich. All das berücksichtigt noch nicht die Bedeutung der Klimakrise für die Marine in Hinblick auf die Arktis. Die prognostizierte Verschiebung globaler Schifffahrtsrouten stellt die Marinen Nordeuropas zudem vor neue Herausforderungen, wenn das ewige Eis weiter zurückweicht.
Über die Auswirkungen sprechen
Forschung und Analysen zur sicherheitspolitischen Bedeutung des Klimawandels gab es schon im Kalten Krieg.Auch nach dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989/1990 fanden die warnenden Stimmen kein Gehör. Das Dilemma der Mahner: Langfristig katastrophale Auswirkungen verlieren im Wettkampf um Aufmerksamkeit gegen akute Bedrohungen und Tagespolitik immer. Nur verschwinden sie dadurch eben nicht.
In den Nullerjahren nahm die Publikationsfrequenz zu Klima-Sicherheitsfragen stark zu, doch analog zur internationalen Klimapolitik ging es erst nach dem Klimaabkommen von Paris 2015 etwas voran. Während in vielen Ländern Menschen für besseren Klimaschutz auf die Straße gingen, gewann das Thema um 2019 auch in Sicherheitskreisen an Aufmerksamkeit. In der Bundeswehr zeigten vor Veröffentlichung der neuen Strategie vor allem die Studien der Institute GIDS und Metis die wachsende Wahrnehmung. Heute ist die militärische Klimadimension auf EU- und NATO-Ebene fest etabliert. Nun geht auch Deutschland bei den eigenen Streitkräften den entscheidenden Schritt von der Analyse zur Umsetzung.
Anpassung allein ist nur die halbe Miete
Die Vorbereitung der Streitkräfte auf ein sich wandelndes Klima beschränkt sich nicht auf besseren Regen- und Hitzeschutz, sondern erfordert auch eine Dekarbonisierung. Da militärische Systeme enorm energieintensiv sind, halten viele die Vorstellung, ohne Verbrennungsmotoren auszukommen, für abwegig. Mehr noch, sie fürchten, dass unausgereifte CO₂-neutrale Systeme am Ende das Leben von Soldaten im Einsatz gefährden. Dies steht jedoch gar nicht zur Debatte und verkennt, wo die Verwundbarkeit tatsächlich liegt. Natürlich dürfen keine Abstriche bei der Sicherheit der Truppe gemacht werden. Genau das passierte allerdings in den letzten 20 Jahren im Irak und in Afghanistan, weil Nachhaltigkeit eine so untergeordnete Rolle spielte.
Versorgungskonvois der Koalitionen für Treibstoff und Wasser waren eines der Hauptangriffsziele der Gegner und verantwortlich für einen hohen Anteil an Toten und Verwundeten. Weder Fregatten noch F-35 sind sinnvoll elektrifizierbar. Bei Landsystemen liegt die Einführung (teil)elektrischer Kampffahrzeuge in weiter Ferne. Der Treibstoff wird in Zukunft wohl synthetisch hergestellt. Doch in der Versorgung von Feldlagern gibt es schon heute große Einsparungspotenziale bei der Bereitstellung von Energie und Frischwasser. Deshalb gilt: Jede Tonne Treibstoff, die nicht verbrannt wird, muss nicht transportiert und nicht unter Einsatz des Lebens geschützt werden.
Deutschland braucht einen Klimabotschafter in Uniform
In den Streitkräften unserer Verbündeten hat Klimasicherheit oft aufgrund von mehr Einsatzerfahrungen einen prominenteren Stellenwert. Meist waren aber auch dort Vorreiter notwendig, die sich für das Thema einsetzten.
In Großbritannien startete Generalleutnant Richard Nugee 2020 kurz vor seiner Pensionierung ein damals kaum prestigeträchtiges Unterfangen: eine Klimastrategie für die britischen Streitkräfte zu schreiben. Ohne eine solche, so sagte Nugee, würde er seine Karriere beenden, ohne eine der größten Sicherheitsgefahren zu adressieren, auf die sein Land zusteuerte. Er war erfolgreich. In den Niederlanden wurde der ehemalige Generalstabschef Tom Middendorp zu einem der bekanntesten Verfechter klimasicherheitlicher Überlegungen, was ihm auch den Spitznamen „Klima-General“ einbrachte.
In Frankreich macht sich, nach Veröffentlichung der französischen Strategie, besonders Admiral Pierre Vandier für das Thema stark. Seit diesem Monat ist Vandier auf der wichtigen NATO-Position des Supreme Allied Commander Transformation. Die US-Streitkräfte brauchten nicht unbedingt eine prominente Führungsfigur für das Klimathema, weil die Grundsensibilisierung schon länger existiert als in Europa und man auch in der Umsetzung weiter ist. Neben den nationalen Strategien verfügen die US-Streitkräfte seit 2022 über Strategien für jede Teilstreitkraft.
Ob die Klimabotschafter in Uniform selbst an der Umsetzung arbeiten oder Aufmerksamkeit auf das Thema lenken, sie sind maßgeblich für die Sensibilisierung der Streitkräfte, von den Stabsoffizieren bis zu den Mannschaften. Auch nach außen können sie entscheidende Signale senden: Klimaschutz ist eine Sicherheitsfrage, die uns alle angeht. Gerade weil das Thema in der Bundeswehr so lange außen vor geblieben ist, braucht sie eine hochrangige Führungsperson, die sich des Themas mit professionellem Ernst und Expertise, aber auch Leidenschaft annimmt.Die Herausforderungen sind massiv, die Risiken von Fehlsteuerungen fatal. Doch eins ist sicher: Papier ist geduldig, das Klima ist es nicht.
Der Autor
Arnaud Boehmann hat in Hamburg und Chengdu Sinologie und anschließend Militär und Sicherheitspolitik an der S. Rajaratnam School of International Studies in Singapur studiert. Gegenwärtig absolviert er die Attaché-Ausbildung im Auswärtigen Amt. Der Autor gibt seine private Meinung wieder.