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Frauen, Power und das Patriarchat




Kristina Lunz ist die Leiterin des Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP), das sich in Deutschland für eine feministische Außenpolitik einsetzt.

Foto: Stephan Pramme

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Die Bundesregierung strebt eine feministische Außenpolitik an. Frauenrechte sollen weltweit gestärkt, mehr Frauen in internationale Führungspositionen gebracht werden. In Deutschland setzt sich das Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP) für eine feministische Außenpolitik ein. loyal sprach mit Leiterin Kristina Lunz. Dabei ging es auch um die Frage: Gibt es eine feministische Sicherheitspolitik?

Frau Lunz, was sind die wichtigsten Ziele feministischer Außenpolitik?

Feministische Außenpolitik ist zentriert auf Menschenrechte und menschliche Sicherheit. Sie setzt sich für Demilitarisierung  und Klimagerechtigkeit ein und kritisiert traditionelle Machtstrukturen.

Welche Rolle spielt dabei die Frage nach der Demilitarisierung?

Wir fragen uns, wie wir zu einer Gesellschaft kommen, die einen Ausweg aus der globalen Hypermilitarisierung findet. 2021 wurden mehr als zwei Billionen Dollar weltweit für Rüstung ausgegeben, das ist der höchste jemals registrierte Wert. Die Gewinne der Rüstungsindustrie haben im siebten Jahr in Folge zugenommen. Das zeigt: Wir leben in einem hypermilitarisierten Zustand. Da müssen wir raus.

Klingt gut, da rauszukommen – ist aber eine idealistische Vorstellung, oder?

Es ist kein Naturgesetz, dass die Welt vor Waffen strotzt. Der gegenwärtige Zustand basiert auf bewussten politischen Entscheidungen in der Vergangenheit und der Gegenwart, die man so treffen konnte, aber eben auch anders. In unserer Denkweise gehen wir seit Jahrzehnten davon aus, dass Staaten grundsätzlich in Gegnerschaft zueinander stehen. Daraus folgt bislang die einzig mögliche Konsequenz, nämlich aufzurüsten, um mehr Macht zu haben als andere Staaten. Das hat sich immer weiter hochgeschaukelt bis zur nuklearen Abschreckung als höchstem Ausdruck dieses Denkens.

Nochmal die Frage: Wie kommt man da raus?

Wir müssen zu einem Zustand kommen, in dem nachhaltiger Frieden, internationale Gerechtigkeit und menschliche Sicherheit herrschen. Das bedarf einer langfristigen Transformation.

Das klingt für mich nicht sonderlich feministisch. Diese Forderungen sind doch eher Punkte auf der klassisch-pazifistischen oder der friedensethischen Agenda…

Der Feminismus geht gegen das Patriarchat vor. Patriarchat bedeutet, es wurden Hierarchien geschaffen – zwischen Männern und Frauen, aber auch zwischen Männern aus dem globalen Norden und Männern aus dem globalen Süden, zwischen heterosexuellen Männer und queeren Männern zum Beispiel. Diese Hierarchien basieren auf Gewalt: Gewalt gegen Frauen, rassistische Gewalt, Gewalt gegen die LGBTQI-Bewegung. Die Gewalt wird aufrechterhalten durch Waffen und militarisierte Sicherheitsstrukturen. Deshalb ist der Kern feministischer Politik allgemein und feministischer Außenpolitik im Speziellen, diese Gewaltstrukturen offenzulegen und zu überwinden. Die klassische Friedensbewegung hat den Fokus auf das Schaffen von Frieden ohne Waffen gelegt, aber ohne die feministische Analyse. Insofern geht unser Ansatz weiter.

Lassen Sie uns nochmal über die Rüstungsexporte sprechen, die Sie erwähnt haben. Deutschland liefert seit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine Waffen dorthin. Man kann darüber streiten, ob die deutsche Waffenhilfe ausreicht oder nicht. Aber was man nicht bestreiten kann, ist, dass die deutschen Waffen helfen, Menschenleben in der Ukraine zu schützen. Sie sind Rüstungskritikerin. Wollen Sie die Waffenlieferungen in die Ukraine stoppen?

Nein. Um es ganz kurz verständlicher zu machen: Wenn eine Frau nachts auf der Straße angegriffen wird, dann soll und dann muss sie sich natürlich wehren dürfen. Auf internationaler Ebene bedeutet das: Wir leben in einer Welt, in der das Militär zu einem Angriffskrieg missbraucht werden kann. In einer solchen Situation muss den Opfern militärischer Gewalt geholfen werden, auch mit Waffen. Wir müssen dabei aber zwischen der kurzfristigen und der langfristigen Perspektive unterscheiden. Kurzfristig sind Waffenlieferungen an die Ukraine die einzig richtige Maßnahme, um den Menschen dort zu helfen. Langfristig müssen wir jedoch schlauer werden und einsehen, dass ein Mehr an Waffen zu einem Mehr an Gewalt, an Kriegen und Konflikten führt. Deshalb führt an Abrüstung weltweit kein Weg vorbei.

Kristina Lunz im Interview mit loyal-Chefredakteur André Uzulis. (Foto: Stephan Pramme)

Schweden war das erste Land, das 2014 unter der Sozialdemokratin Margot Wallström feministische Außenpolitik zur offiziellen Linie erklärt hat. Die neue schwedische Regierung aus Moderaten, Christdemokraten und Liberalen mit Außenminister Tobias Billström hat im Oktober diese feministische Außenpolitik wieder ad acta gelegt. Billström sagt: „Etiketten haben die Tendenz, den Inhalt zu verschleiern.“ Wie sehr schmerzt Sie das?

Das ist ärgerlich, aber es hat mich nicht gewundert, weil die Wahl in Schweden zu einem Rechtsruck geführt hat. Rechte Politiker fürchten nichts stärker als feministische Bestrebungen und empowerte, starke Frauen. Schweden ist in dieser Hinsicht auch ein Rückschlag für uns alle.

In Deutschland werden zwei von drei sicherheitspolitisch relevanten Ressorts von Frauen geführt: Äußeres und Inneres. Wie bewerten Sie die Politik der Ampelregierung und ihrer Ministerinnen unter dem Aspekt feministischer Außen- und Sicherheitspolitik?

Wir haben viel weitergehende Forderungen als das, was die Ampel bislang umgesetzt hat. Bei Fragen nach Sicherheit und Frieden für alle gibt es angesichts der Klimakrise und der herrschenden Gewalt in den internationalen Beziehungen deutlich Luft nach oben, um mehr zu erreichen. Wir würden uns beispielsweise wünschen, dass Klimagerechtigkeit allein schon aus sicherheitspolitischen Gesichtspunkten viel stärker in der Politik berücksichtigt wird. Außenministerin Annalena Baerbock hat hier zwar vorgelegt, indem sie die Klimaaußenpolitik ins Auswärtige Amt geholt hat, aber mir ist das alles noch zu wenig ambitioniert. Da muss mehr kommen. Und in der Innenpolitik wünsche ich mir, dass viel stärker als bislang gegen rechtsextremistische und rassistische Strukturen vorgegangen wird, die ja – wie wir ja bei der großen Razzia gegen Reichsbürger im Dezember gesehen haben – bis in die Sicherheitsbehörden, die Polizei und die Bundeswehr reichen.

Haben wir mit Annalena Baerbock eine feministische Außenministerin?

Wir haben mit ihr eine Außenministerin, die authentisch feministisch ist und sich aufrichtig dafür einsetzt, einen feministischen Wandel in der Außenpolitik durchzusetzen. Sie interessiert sich beispielsweise weitaus mehr als ihre Vorgänger für die Situation von Frauen in den Ländern, die sie besucht. Sie stellt das Thema vor den Vereinten Nationen in den Mittelpunkt. Die Dinge sind mit ihr in Bewegung geraten.

Wie sähe eine feministische Sicherheitspolitik aus?

Feministische Sicherheitspolitik schwenkt den Fokus von der bisherigen Sicherheitspolitik, die vor allem auf militärischer Sicherheit beruht, auf menschliche Sicherheit: Ernährungssicherheit, Sicherheit der Gesundheitsversorgung, Bildung. Das heißt, wir brauchen im feministischen Sinn eine Erweiterung des Sicherheitsbegriffs. 100 Milliarden für die Bundeswehr aufbringen, aber nicht genügend Fieberzäpfchen und Krankenbetten für Kleinkinder haben – das darf nicht sein. Das bisherige Konzept von militärischer Sicherheit schützt die meisten Menschen nicht, sondern bedroht sie.

Nun ist es aber so, dass die NATO den Sicherheitsbegriff auch nicht mehr nur auf die eigentliche militärische Sicherheit bezieht, sondern ihn viel weiter fasst – durchaus auch in den Feldern, die Sie gerade genannt haben. Dennoch kritisieren Sie die NATO.

Die NATO per se ist wichtig, weil es ein Bündnis von Staaten ist, die die gleichen Werte vertreten. Und in der Tat hat sich die NATO auch weiterentwickelt. Frauenthemen zum Beispiel spielen auch im Bündnis eine immer größere Rolle, der Sicherheitsbegriff hat sich deutlich erweitert, das ist gut. Wir sehen allerdings, dass die militärische Sicherheit immer noch absolut im Mittelpunkt steht. Ich würde mir einen Beirat innerhalb der NATO wünschen, der sich intensiver mit den Fragen der menschlichen Sicherheit beschäftigt und dazu beiträgt, dass die NATO noch stärker als bisher ihren sicherheitspolitischen Fokus erweitert. Nicht zuletzt muss kontinuierlich mit schlauen Köpfen daran gearbeitet werden, wie mittel- bis langfristig die NATO von der Doktrin der nuklearen Abschreckung abrücken kann. Noch im September 2020 haben 56 ehemalige Präsidenten, Premierministerinnen, Außenminister sowie Verteidigungsministerinnen von 20 NATO-Bündnispartnern gefordert, dass Staaten dem Atomwaffenverbotsvertrag beitreten. Dieser Weg muss weitergegangen werden.

In vielen Armeen in der NATO, auch in der Bundeswehr, dienen Frauen. Sie sind aus Überzeugung Soldat geworden. Wie sehen Sie diese Soldatinnen aus ihrer feministischen Sicht? Lehnen Sie ihre berufliche Entscheidung ab?

Ich habe Verständnis für ganz viele Lebensentwürfe. Ich mache auch keinen Unterschied zwischen einem Mann, der zur Bundeswehr geht, und einer Frau. Die Bundeswehr ist eine Institution, die als relevant angesehen wird, und ich kann mir vorstellen, dass sie auf Menschen attraktiv wirkt und sie gerne Teil dieser Institutionen sein wollen und etwas für ihr Land machen wollen. In dem Zustand, in dem unsere Welt mit all ihrer Gewalt und ihren Ungerechtigkeiten ist, ist es sinnvoll, Strukturen zu haben, die im Idealfall dazu beitragen, Menschen beschützen zu können. Ich bezweifele bloß, dass das bisherige Konzept von Armeen eine Zukunft hat. Denn die größten Probleme, die auf uns zukommen werden, haben ihre Ursache in der Klimakrise. Und da können Armeen nichts ausrichten.

Sie kritisieren nicht nur das Konzept von Armeen, sondern auch das Konzept der Nation. Für Sie ist der Nationalstaat eine urpatriarchale und imperialistische Institution. Wie erklären Sie diese Einschätzung einem Ukrainer oder einer Ukrainerin, die sich gerade als Nation im Entstehen begreifen und dafür von einem imperialistischen Nachbarn – Russland – mit ungeheurer Brutalität bestraft werden?

Es ist der Staat, der Recht und Ordnung garantiert und auch Schutz bietet. Ich bin niemand, der den Staat auflösen möchte. Ich rege aber eine kritische Sicht an. Gerade Völkern wie die Ukraine, die auf eine Geschichte der Unterdrückung zurückblicken, kann ein eigener Staat, kann die eigene Nation einen Schutzraum bieten und identitätsstiftend sein. Deshalb steht meine Haltung zur Nation in keinem Gegensatz zum Empfinden von Ukrainern und Ukrainerinnen. Nichtsdestotrotz halte ich meine Aussage für richtig, denn gerade das Beispiel Russland zeigt doch, wohin ein patriarchaler und imperialistischer Staat führt: zu Expansion, Rassismus, Sexismus und Unterdrückung.

Vielen Dank für dieses Gespräch.


Kurzvita

Kristina Lunz wurde 1989 als Tochter einer Erzieherin und eines Elektrikers in Oberfranken geboren. Als erste in ihrer Familie studierte sie – unter anderem in London und Oxford. Anschließend arbeitete sie für eine Menschenrechtsorganisation in Kolumbien sowie für die UN in Myanmar und New York. 2018 holte sie den zuvor in London gegründeten Thinktank Centre for Feminist Foreign Policy (CFFP) als gemeinnützige GmbH nach Berlin.

 

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