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Taugen Staatsbürger in Uniform als Helden?

Der Krieg in der Ukraine zwingt Deutschland zur Auseinandersetzung mit militärischer Gewalt. Die Debatte zum Verhältnis der Deutschen zu ihren Soldaten kommt bisher zu kurz. Ein Kulturvergleich zwischen Deutschland und Frankreich.

Symbolbild: Soldaten des Wachbataillons beim öffentlichen Gelöbnis.

Foto: Bundeswehr/Kraatz

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Ein ARD-Film fragte kürzlich: „Können wir Krieg?“. General Ben Hodges, langjähriger Oberbefehlshaber der US-Streitkräfte in Europa, verneinte das in dem Beitrag, der Stimmen aus dem In- und Ausland zu Auswirkungen des russischen Angriffs auf die Ukraine für die Bundeswehr versammelte. Anlagen seien zwar vorhanden, so Hodges, er habe mit exzellenten deutschen Soldaten zusammengearbeitet. Deutschland fehle aber die entsprechende Kultur. „Die haben sie noch nicht.“

Deutschlands Kultur im Umgang mit Streitkräften und Krieg unterscheidet sich aber nicht nur von dem in den USA, das zeigt der Vergleich mit dem wichtigsten europäischen Verbündeten Deutschlands, Frankreich. Auch dort hat der russische Überfall zwar viele Gewissheiten erschüttert. Die Russlandpolitik Präsident Macrons ist gescheitert, und die militärische Führung wurde von der Dimension des Angriffs überrascht. Sie stellte offen infrage, ob die französischen Streitkräfte vergleichbaren Angriffen standhalten könnten. Während Deutschland am 24. Februar 2022 „in einer anderen Welt aufwachte“ (Annalena Baerbock), mussten weder Frankreich noch die Vereinigten Staaten aufwachen, um zu erkennen, dass militärische Gewalt auch im 21. Jahrhundert Teil der politischen Realitäten auf dem europäischen Kontinent bleibt.

Der Analyst Michael Shurkin hat diesen entscheidenden Unterschied vor Kurzem zugespitzt: Auf die Frage, was französische Soldaten in den Augen ihrer US-Verbündeten auszeichne, antwortete er: „Im Gegensatz zu den Deutschen haben Franzosen den Einsatz von militärischer Gewalt in ihrer politischen Kultur erhalten: Man kann töten und getötet werden.“ Eine der prominentesten Stimmen in der französischen Debatte zum Ukraine-Krieg, Oberst Michel Goya, hat seine eigenen Erfahrungen in einem Buch mit dem Titel „Unter Feuer. Der Tod als Arbeitshypothese“ beschrieben. Vergleichbare Kommentatoren gibt es in Deutschland nicht. Der Politikwissenschaftler Herfried Münkler hat diesen Unterschied 2015 in seinen Beobachtungen zur „postheroischen“ deutschen Gesellschaft beschrieben. Und seit dem erneuten russischen Angriff auf die Ukraine findet diese deutsche Eigenheit im Ausland neue Beachtung.

Selbstbewusste Franzosen

Nirgendwo zeigt sich der Unterschied zwischen Deutschland und seinen Verbündeten deutlicher als in der deutsch-französischen Kooperation. Beide Staaten arbeiten seit Jahrzehnten eng zusammen. 1989, im Jahr des Mauerfalls, wurde eine binationale Brigade geschaffen, Hunderte Offiziere lernen Jahr für Jahr das Partnerland kennen und sollen zum Entstehen einer „gemeinsamen strategischen Kultur“ beitragen. Dass sich die Kulturen der Nachbarländer stark unterscheiden und Soldaten in Deutschland und Frankreich nicht den gleichen gesellschaftlichen Status haben, ist kein Geheimnis. In einem Flyer der Bundeswehr, der für die Ausbildung an der Offiziersschule des französischen Heeres in Saint-Cyr wirbt, wird von Bewerbern „Interesse an einer fremden Kultur“ gefordert und der Wille, „sich so weit wie möglich zu integrieren“. Mit der Frage, was „so weit wie möglich“ bedeutet, setzen sich Jahr für Jahr junge deutsche Offiziere auseinander.

Kadetten der École Militaire Interarmes des französischen Heeres bei der Verleihung des Militärischen Tapferkeitskreuzes im April 2023. Mit dem Kreuz werden herausragende Einzelleistungen im Einsatz geehrt – seit 2011 können auch ganze Einheiten ausgezeichnet werden. (Foto: École Militaire Interarmes)

Denn Frankreichs Militär ist fest in der Gesellschaft verankert und strahlt ein historisch gewachsenes Selbstbewusstsein aus. Einen vergleichbaren Bruch wie mit dem Nationalsozialismus in Deutschland gibt es nicht. Im Gegenteil: Der Gründungsmythos der Fünften Französischen Republik beruht auf der Erzählung, die Kapitulation und Kollaboration des Vichy-Regimes seien Anomalien der französischen Geschichte gewesen. Die Tradition französischer Soldaten ist deshalb ungebrochen, reicht weit über die republikanisch-demokratische Geschichte hinaus. Viele dienen nicht zuerst der Republik, sondern ihrem Vaterland – ein bedeutender Unterschied im Selbstverständnis und entscheidend für das Verhältnis zum zivilen Staatsapparat. Mit Charles de Gaulle war der erste Präsident der Fünften Republik zudem ein General, der in Krisen wie dem Algerien-Krieg den Anzug gegen die Uniform tauschte. Ein kritisches Geschichtsverständnis oder eine Vergangenheitsbewältigung wie in Deutschland hat es in Frankreich nie gegeben.

Die Ausbildung in Saint-Cyr stellt das Selbstbewusstsein der deutschen „Staatsbürger in Uniform“ auf eine harte Probe. Der unreflektierte Blick vieler französischer Soldaten auf die Geschichte, das Pathos und die Heldenverehrung in der Ausbildung – all das muss deutschen Offizieren auffallen, die während der schulischen und militärischen Ausbildung im kritischen Umgang mit der eigenen Vergangenheit geschult worden sind. Die Auseinandersetzung mit Begriffen wie Mut, Ehre, Patriotismus und Diskussionen um charakterliche Eigenschaften eines Offiziers, auch in Abgrenzung zur Zivilgesellschaft, fällt ihnen schwer. Ein hoher deutscher Offizier sagt, halb im Scherz, deutsche Saint-Cyrianer müssten nach der Rückkehr nach Deutschland „resozialisiert werden“.

Selbstkritische Deutsche

Die Konfrontation mit dem französischen Offiziersbild kann Rückversicherung und Quelle des Stolzes auf die eigenen Werte und Prinzipien wie die Innere Führung sein. Sie kann diese Werte aber auch nachhaltig ins Wanken bringen und Zweifel am eigenen Soldatenbild nähren. Viele deutsche Soldaten entscheiden sich für die Ausbildung in Saint Cyr, weil sie die „gewachsene Militärtradition“ Frankreichs fasziniert und sie neben der hochwertigen militärischen Ausbildung vermutlich auch von dem elitären Habitus französischer Offiziere und traditionsreichen Zeremonien während der Ausbildung angezogen sind. Als 2009 erstmals deutsche Offiziersanwärter in Saint Cyr aufgenommen wurden, sagte einer von ihnen über die sogenannte Grande Uniforme, die er zu dieser Gelegenheit trug, diese „muss man sich verdienen“.

Offiziersanwärter bei der 2021 eingeführten „Heeresprägungswoche“ an der Offiziersschule Dresden. Die Prägungswoche bildet mit einem Austausch aller Truppengattungen den Abschluss der Offiziersanwärterausbildung. (Foto: Bundeswehr/Dorow)

Vielen deutschen Soldaten wird in Frankreich in aller Deutlichkeit bewusst, wie einzigartig der deutsche Umgang mit allem Militärischen ist. Dass sich die französische Grande Uniforme zum Beispiel in einer feierlichen Zeremonie verdient werden muss, steht im krassen Kontrast zum Bemühen der Bundeswehr, die Ausbildung von jeglichem Pathos frei zu halten. Seine Erfahrungen in Saint Cyr stellt ein deutscher Offizier der Uniformausgabe in der Kleiderkammer der Bundeswehr entgegen und vergleicht letztere in ihrer Nüchternheit und Beliebigkeit mit einer „Supermarktkasse“.

Unterschiede im Umgang mit Liedgut werden deutschen Soldaten spätestens während der Zeremonie zum Gedenken an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs klar, wenn sie gemeinsam mit französischen Kameraden „Verdun La Victorieuse“ singen, ein antideutsches Lied: „Flieht, Barbaren und Lakaien. Dies ist das Tor von Frankreich, und ihr werdet es nie passieren“.

Platz in der Gesellschaft

Nicht nur die soldatische Identität wird im Ausland auf die Probe gestellt, sondern auch der Platz des Soldaten in einer demokratischen Gesellschaft. Dass, wie amerikanische Beobachter wie Shurkin oder Hodges andeuten, der gesellschaftliche Umgang mit einer möglichen Finalität des Soldatenberufes, töten und getötet werden, in Deutschland vollkommen anders ist als in den meisten anderen Ländern, wird deutschen Offizieren in Frankreich schnell klar. Viele nehmen an Zeremonien und Militärparaden teil, die sie am 14. Juli bis auf die Champs-Elysée führen können. Frankreich feiert sein Militär und seine Soldaten, deren Ansehen nach den Terroranschlägen von 2015 noch deutlich gestiegen ist.

Soldaten der drei Schulen der Militärakademie Saint-Cyr Coëtquidan. (Foto: Académie militaire de Saint-Cyr Coëtquidan)

Fragen nach der Sinnhaftigkeit des Soldatenberufs und dem Platz in der Außen- und Sicherheitspolitik werden kaum gestellt. Französische Soldaten sind nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs fast ununterbrochen in Kampfeinsätze geschickt worden. Dass allein im Rahmen der Barkhane-Mission im Sahel 58 französische Soldaten im Einsatz gefallen sind, gehört dazu. Regelmäßig finden Zeremonien im Invalidendom statt, die die Gefallenen und ihren Beitrag zur Sicherheit Frankreichs würdigen. Dieser Umgang mit Krieg und Tod mag aus deutscher Sicht befremdlich wirken. Französische Soldaten haben aber ein klares Bild ihres Auftrags, den sie im Zusammenspiel mit Politik und Gesellschaft erfüllen. Und das französische Militär wird in Umfragen regelmäßig als die Institution genannt, der eine Mehrheit der Franzosen größtes Vertrauen schenkt – weit vor dem Parlament, politischen Parteien oder den Medien.

Sich der Debatte stellen

Der Krieg in der Ukraine zwingt Deutschland, sich im Umgang mit den eigenen Soldaten ehrlich zu machen. Der Blick auf unseren Verbündeten macht deutlich, dass die deutsche Kultur im Umgang mit Krieg und Gewalt weiterhin von Tabus geprägt und dabei ausgesprochenen unehrlich ist. Davon können alle Soldaten berichten, die Ausbildungen im Ausland durchlaufen haben. Marcel Bohnert, Johannes Clair und andere Soldaten der „Generation Einsatz“ haben ihre Erfahrungen teils ausführlich öffentlich aufgearbeitet. Sie wollten eine Debatte anstoßen und dem Leitbild der „Inneren Führung“ und der „Parlamentsarmee“ Bundeswehr gerecht werden .

Diese Debatte hat die deutsche Öffentlichkeit auch im Kontext des russischen Angriffs auf die Ukraine bisher verweigert. Das ist umso unverständlicher, als sie gleichzeitig den heroischen Widerstand der ukrainischen Soldaten feiert. Es stünde Deutschland gut zu Gesicht, in Zukunft genauer hinzuhören, wenn wohlgesonnene Beobachter wie Hodges oder Shurkin oder unsere französischen Verbündeten auf die Widersprüche im deutschen Umgang mit Militär und Krieg hinweisen. Die Frage, ob es eine „vollständig postheroische Armee“ geben kann oder ob diese ein „Widerspruch in sich“ ist, wie Marcel Bohnert gefragt hat, stellt sich heute dringlicher denn je.


Der Autor

Jacob Ross ist Research Fellow mit dem Schwerpunkt deutsch-französische Beziehungen im Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen.

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