NATO-Gipfel: Einer kommt rein, einer bleibt draußen
Der NATO-Gipfel in Vilnius stärkt das Bündnis, doch einen Beitritt der Ukraine wird es vorerst nicht geben.
Der NATO-Gipfel in Vilnius war im Vorfeld zum wichtigsten Treffen der Allianz seit Jahrzehnten hochstilisiert worden. Dann, wenige Tage vor dem Treffen in der litauischen Hauptstadt, war plötzlich von einem Scheitern die Rede. Am Ende ist ein Ergebnis herausgekommen, das sich sehen lassen kann und das das Bündnis stärkt.
Noch einen Tag vor dem Gipfel fassten sich Beobachter an den Kopf: Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte den Preis für seine Zustimmung zu einem Beitritt Schwedens zur NATO noch einmal in schwindelerregende Höhen geschraubt. Ging es ihm anfangs um den Umgang Schwedens mit dorthin geflüchteten PKK-Kämpfern, so setzte der türkische Präsident bald noch eine Forderung nach F16-Kampfjets drauf. Und dann, kurz vor dem Gipfel, ließ er die Bombe platzen: Ohne Beitritt der Türkei zur Europäischen Union kein Beitritt Schwedens in die NATO. Das allerdings sind zwei Dinge, die rein gar nichts miteinander zu tun haben, wobei Erdoğan selbst die europäische Perspektive durch den autokratischen Umbau seines Landes und seine unrühmliche Rolle in Syrien zumindest bis auf weiteres selbst verspielt hat. Der Gipfel drohte wegen eines Alleingangs der Türkei zu einem Fiasko zu werden. Nichts wäre schlimmer gewesen als ein Zeichen der Uneinigkeit.
Doch dann besann er sich und stimmte dem Beitritt Schwedens Stunden vor Gipfel-Beginn zu – eine weitere Volte des unberechenbaren Mannes aus Ankara. Noch weiß man nicht, was er dafür herausgehandelt hat. In jedem Fall war dies ein Erfolg des unermüdlich auf die NATO-Erweiterung hinarbeitenden NATO-Generalsekretärs Jens Stoltenberg, der seine lange Amtszeit mit dem Beitritt Finnlands und nun auch Schwedens krönen kann. Schweden kommt also rein, die Ostsee wird dadurch de facto zu einem NATO-Binnenmeer, und das Bündnis bekommt mit dem skandinavischen Land ein leistungsstarkes neues Mitglied. Schon Finnland war ein Gewinn – ein Land, in dem Verteidigungsfähigkeit und Resilienz so ausgeprägt sind wie in nur wenigen NATO-Staaten.
Draußen vor der Tür bleiben muss vorerst die Ukraine, die lautstark und diplomatisch nicht immer geschickt die Aufnahme gefordert hatte. Der klare Zeitplan für einen NATO-Beitritt kommt zunächst nicht zustande, Sicherheitsgarantien gibt es nicht. Das muss für den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyi und sein tapfer gegen die russische Aggression kämpfendes Volk eine bittere Pille sein. Während des Krieges wäre eine Mitgliedschaft der Ukraine in der NATO ohnehin nicht in Frage gekommen, da der Krieg in der Ukraine dann sofort ein Krieg Russlands gegen die NATO geworden wäre. Aber auch für die Zeit nach dem Ende des Krieges hat Kyjiv noch keine konkrete Beitrittsperspektive erhalten. Vor allem in den USA und in Deutschland waren die Vorbehalte zu groß, heißt es in Vilnius.
Doch Selenskyi fährt nicht ohne Erfolg nach Hause. Der neue NATO-Ukraine-Rat ist ein deutliches Signal an Russland, dass der Westen das geschundene Land unterstützt. Es handelt sich um ein Gremium, das auch die Ukraine alleine einberufen kann – ein besonderes Privileg. Außerdem haben die wirtschaftsstarken G7-Staaten der Ukraine langfristig militärische und finanzielle Hilfe zugesagt. Der Westen bindet die Ukraine enger in seine Strukturen ein, er wird die Ukraine nicht fallen lassen und weiterhin größte Anstrengungen unternehmen, damit sie sich gegen den Aggressor Russland verteidigen kann.
Aus Moskau kamen erwartungsgemäß Drohgebärden. Von „Vergeltungsmaßnahmen“ für die Aufnahme Schwedens ist die Rede, von „legitimen eigenen Sicherheitsinteressen“, die es zu schützen gelte. Wie so oft verdreht das Moskauer Regime Ursache und Wirkung. Nicht die Aufnahme neuer Mitglieder in die NATO hat Russlands Krieg in der Ukraine provoziert, sondern umgekehrt: Vor der russischen Aggression suchen immer mehr Länder den Schutz der NATO. Wladimir Putin hat mit dem Einmarsch in die Ukraine einen Fehler von historischer Tragweite begangen, dessen Folgen bis jetzt noch gar nicht abzusehen sind. Sie werden aber in jedem Fall zu einem Niedergang Russlands führen, der schon längst begonnen hat.
Die NATO ist nach dem Gipfel in Litauen stärker denn je. Mit neuen Mitgliedern, einer noch stärkeren Unterstützung der Ukraine und nicht zuletzt auch erhöhten eigenen Verteidigungsanstrengungen. Das Zwei-Prozent-Ziel ist nun keine Obergrenze mehr, sondern ein Minimum. Darauf werden sich manche Länder einstellen müssen – insbesondere Deutschland. Und man darf gespannt sein, wie sich diese Vorgabe im nächsten Bundeshaushalt widerspiegelt.