Zeitenwende versus Panzer
Deutschlands Panzermuseum hat eine neue Ausstellung und will weiter in die Offensive. Doch ausgerechnet die Zeitenwende bremst das Vorhaben aus.
Ralf Raths ist wie ein Lucky Luke für Geschichte. Der Direktor des Panzermuseums in Munster schlendert mit federndem Gang durch die Reihen seiner „Gewaltmaschinen“. Raths kann vor jedem Exponat eine Geschichte aus der Hüfte schießen, die trifft. So wie vor dem Merkava-Kampfpanzer der israelischen Armee. „Die Panzer-Kommandanten haben gerne aus der Luke geführt. Das heißt, sie wurden im Kampf oft von Splittern geköpft. Ihre Körper sackten in den Innenraum und bluteten aus. Das Blut auszuwaschen, gelang nie richtig, sodass der Geruch durch ein Auswaschen mit Diesel übertüncht wurde. Erhielten Soldaten also Panzer zugeteilt, deren Kampfraum nach Diesel stank, wussten sie immer was passiert war.“
Die Erlebnisgemeinschaft von Soldaten auszuloten ist das Steckenpferd des Historikers, Jahrgang 1977. Eine seiner neuen Ideen für das Museum ist ein Ausstellungsteil „Musik und Panzer“. Laut Raths zeigt sich in den jüngsten Kriegen, dass unabhängig vom Musikgeschmack des einzelnen Soldaten meist Gangsta-Rap oder Heavy Metall liefen, wenn es auf Patrouille oder ins Gefecht ging – wegen der aufputschenden Wirkung.
Die Beziehungen des Menschen zu seinen Kampfmaschinen aus Stahl, die Kulturgeschichte des Panzers, steht im Fokus des Deutschen Panzermuseums. Bei Militärmuseen alten Schlages dominiert Technikgeschichte. Munsters Markenzeichen ist dagegen reicher Kontext. So erfährt der Besucher auf den Infotafeln vom wahren Ursprung des Kampfkonzepts Panzerdivision. Diese wird gerne als originär deutsche Idee dargestellt. Entwickelt hat die Panzerdivision jedoch die britische Armee. Die Wehrmacht adaptierte das Konzept dann für ihre Blitzkriege. Seit einem Jahr gibt es die vom Team um Ralf Raths und Museumsmanagerin Julia Engau erneuerte Dauerausstellung. Sie reicht vom Ersten Weltkrieg bis zu einem Ausblick auf die mögliche Zukunft des Panzers. Den Schwerpunkt bilden vier deutschen Armeen: die des Kaiserreichs, die Wehrmacht, NVA und Bundeswehr.
Das 1982 gegründete Panzermuseum hat seinen Ursprung als Lehrsammlung der Panzertruppenschule in Munster, und ist es bis heute. Der erste Entwurf für ein Museumskonzept folgte noch ganz den Interessen der Militärs. Kampfeswille, Opferbereitschaft und Tapferkeit sollten als positive Werte an Besucher vermittelt werden – über die Darstellung von Einzeltaten. Das wäre wohl auf platte Heldengeschichten hinausgelaufen à la Ritterkreuzträger XY vernichtet an nur einem Vormittag in der Normandie zahllose Feindpanzer. Dieses Konzept kam nicht. Doch es dauerte fast 20 Jahre, um einen wissenschaftlichen Ansatz zu etablieren.
Impulse aufnehmen, ohne zerrieben zu werden
Das liegt auch an der speziellen Konstruktion des Museums. Es basiert auf einer Kooperationsvereinbarung der Streitkräfte mit der Stadt Munster. Die Bundeswehr verantwortet die Objekte, die Stadt die Ausstellungsgebäude und den Museumsbetrieb. Beide flankiert ein Förderverein. Das Trio hatte lange keine bündelnde Führung. Erst seit den späten 2000er-Jahren tritt das Museum selbst als Akteur in Erscheinung. Verkörpert wird das durch die 2013 neu geschaffene Position des Direktors. Die hat seitdem der gediente Panzergrenadier Ralf Raths inne. Der Sohn eines Fachoffiziers der Luftwaffe begann 2008 auf einer halben Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Panzermuseum. In der Folge machte er sich für die Schaffung der Position eines Museumsdirektors stark. „Ein Direktor bestimmt über die Strategie des Hauses. Er kann Impulse aller drei Akteure aufnehmen, ohne zerrieben zu werden“ , sagt Raths.
Die neue Ausstellung kommt, so ergänzt er, bestens an. „Wenn es Beschwerden gibt, dann meist gegen die Gender-Schreibweise unserer neuen Infotafeln. Aber auch das waren bis jetzt nur 30 Feedbackzettel – von über 3.000.“ Raths ist hier sehr klar in seiner Positionierung: Das Gendern nehme niemandem etwas weg, hole aber andere ab. Generell sollten Museen soziale Akteure sein, die Stellung beziehen, findet Raths. Im Falle des Militärmuseums unter seinen Fittichen bedeutet das auch, keine Zweifel aufkommen zu lassen, dass es auf Seiten der wehrhaften Demokratie nach Grundgesetz steht. Im Museumsshop gibt es deshalb T-Shirts mit den Wahlsprüchen „FDGO-Ultra“ und „Woke & Wehrhaft“ zu kaufen. Wer so agiert, provoziert Widerspruch. Zum Beispiel Grüne, die kein Werbeschild mit Panzer für das Museum in der Innenstadt wollten. Oder konservative Soldaten, die sich an der gendersensiblen Sprache im Museum stören. Und natürlich Rechte, denen der Kontext zur Wehrmachtspanzerwaffe und deren Kriegsverbrechen nicht schmeckt. Raths sagt dazu: „Ich mag die Diskussionen. Ich bin überzeugt genug, um das genießen zu können.“
Im vergangenen Jahr zählte das Panzermuseum üppige 125.000 Besuche. Immerhin ein Viertel der Besucher sind Frauen, und der Altersdurchschnitt sinkt. Die beiden Hauptaltersgruppen bilden inzwischen Besucher zwischen 30 und 40 sowie unter 20-Jährige. Das sind vor allem junge Familien, die als „Heidetouristen“ in Munster und Umgebung unterwegs sind. Die Kulturgeschichte als Anknüpfungpunkt zum Thema Panzer hole viele Frauen ab, ist Raths überzeugt. Die Besucherstruktur verändert sich. Früher dominierten große Besuchergruppen wie ganze Schützenvereine. Heute sind die Gruppen kleiner. Zum Beispiel Panzerenthusiasten, die sich über das Online-Spiel „World of Tanks“ kennengelernt und zu einem gemeinsamen Besuch verabredet haben.
Artefaktejäger des „1. FC Wehrmacht“
Einen bestimmten Besuchertyp hat Raths jedoch auf dem Kieker. Er nennt sie Anhänger des „1. FC Wehrmacht“. „Das sind nicht unbedingt Nazis, aber Fetischisten eines unkritischen Abfeierns von Wehrmachtstechnik und Ästhetik – vor allem der vermeintlichen Superpanzer Tiger und Panther.“ Diesen Leuten bot das Panzermuseum früher mehr Anknüpfungspunkte, wie eine beliebte jährliche Modellausstellung in seinen Räumen. Inzwischen hat das Museum einen anderen Ort für die Ausstellung vermittelt. Zudem sind Artefaktejäger des „1. FC Wehrmacht“ dem Panzermuseum ein Ärgernis. Es kommt immer wieder vor, dass Besucher Bauteile von Exponaten entwenden. So wurden Lichter des Panthers abmontiert und gestohlen. In den Anfangsjahren des Museums verschwand sogar ein komplettes Wehrmachtsmotorrad. Einmal kam ein Besucher mit einem ganzen Schraubnuss‑Koffer –„den haben wir gleich wieder weggeschickt“.
Rechtsradikale seien dagegen kaum ein Problem, meint Museumsdirektor Raths. Die AfD konnte in Munster bis jetzt nicht Fuß fassen. Im Gemeinderat ist sie nicht vertreten. Den dominieren seit Bestehen der Bundesrepublik CDU und SPD. Hin und wieder versuchen Personen mit Kleidungsstücken samt rechter Parolen, wie „Aryan Reconquista“, in die Ausstellung zu gelangen. Ihr Ziel: Sich mit Panzer-Selfies für die Sozialen Medien zu inszenieren. Doch laut Raths werden Rechtsextreme meist treffsicher am Eingang erkannt und ihnen wird der Einlass verwehrt, bis sie die betreffenden Kleidungsstücke im Kofferraum ließen.
Als Museumsdirektor treibt ihn noch manches andere um, seine kaltgestellten Panzer etwa, im wahrsten Sinne des Wortes. Die Ausstellungshallen sind nicht beheizt, was entspannte Besuche im Winter verleidet. Vor allem für das Innere der Exponate mit Holz, Kunststoff und Textilien ist das jetzige Hallenklima Gift. Es fördert ihren Zerfall. Die Hallenbauten werden zunehmend undicht. Helme und Uniformen wurden zu ihrem Schutz ins Magazin verbannt. Auch den Handwaffenbestand hat seit Jahren kein Besucher mehr erblickt. Es gab eine Verschärfung der Sicherheitsvorschriften zur Lagerung von Kriegswaffen. Der bisherige Ausstellungstrakt genügt diesen nicht mehr. Der für die Prüfung zuständige MAD beanstandete die schmalen Fenster als potenziellen Zugang. Es bräuchte einen komplett dichten Neubau, um die Waffen wieder präsentieren zu können.
Für Modernisierung bräuchte es Millionen
Dabei ist das Panzermuseum sogar gesegnet, im Vergleich zu anderen Militärmuseen. Da es seinen Platz auf dem Kasernengelände der Panzertruppenschule Munster hat, ist es militärisch gesichert. Sein Areal wird mit Wachposten samt Hunden bestreift. Deshalb müssen in Munster keine Panzerrohre zerschnitten, Ladetechnik ausgebaut, oder Sichtfenster in Panzerhüllen gefräst werden – alles normalerweise Auflagen für Kriegstechnik, die in zivilen Museen ausgestellt wird.
Für Umbau und Modernisierung der Panzermuseums bräuchte es Millionen. Die Stadt Munster fördert das Museum seit Jahrzenten, ist aber klamm. Laut Ausblick im Haushaltsplan der Gemeinde dürfte das in den kommenden Jahren so bleiben. Allerdings bewilligte der Bundestag dem Panzermuseum 2018 üppige 19,3 Millionen Euro über den Wehretat. Seitdem wird das Geld stets im Verteidigungshaushalt übertragen. Nur geflossen ist es bis heute nicht.
loyal hat beim Verteidigungsministerium dazu nachgefragt. Von dort heißt es, die Zeitenwende bremse die Verwendung der Mittel für das Panzermuseum. „Angesichts des Ziels des Ministers, die Bundeswehr kriegstüchtig zu machen, stehen gegenwärtig Bauprojekte zur Steigerung der Einsatzbereitschaft der Bundeswehr im Fokus“, erklärt eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums. Zuständig für Bauvorhaben der Streitkräfte sind die Bauverwaltungen der jeweiligen Länder. Munster liegt in Niedersachsen. Doch die dortige Bauverwaltung sei bereits mit militärischen Bauvorhaben hoch belastet, so das Wehrressort. Dessen Sprecherin: „Vor diesem Hintergrund werden für den Umbau des Panzermuseums alternative Realisierungsoptionen geprüft, unter anderem über die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben.“
„Hobbykommandanten“ im Ehrenamt
Bis die BMVg-Millionen für das Panzermuseums kommen, wird es somit weiter dauern. Immerhin verfügt das Museum über eine leistungsstarke Instandsetzungstruppe in Kompaniestärke. Zur Pflege der Ausstellungsstücke opfern circa 120 „Hobbykommandanten“ im Ehrenamt ihre Freizeit. Das sind begnadete Panzertechniker, häufig pensionierte Soldaten, die sich auf bestimmte Modelle spezialisiert haben. Rekrutierungsprobleme gibt es nicht. Zurzeit gilt sogar ein Aufnahmestopp. Der Bundeswehr fehlen zurzeit die Ressourcen zur Unterstützung und Begleitung der Arbeit von weiteren Hobbykommandanten, so Raths.
Auch wenn im Museum Vorhaben stocken, gibt es die Sozialen Medien für die Museumsarbeit. Das Panzermuseum ist Vorreiter bei der Vermittlung von Militärgeschichte auf Social Media. Vor allem die YouTube-Videos des Museumskanals erreichen regelmäßig Hunderttausende Aufrufe. Das hat Gründe. Siehe das kürzliche Video „Radpanzer beim Hitlerputsch?“. Raths nutzt deren Rolle bei der Niederschlagung des Nazi-Aufruhrs 1923 geschickt als Aufhänger, um den Zuschauern die spezielle Entwicklung des Radpanzers aufzufächern.
Für Raths ist diese Art der Museumsarbeit ein Beitrag zur Normalisierung von Militärgeschichte in Deutschland. Einen Anfang dazu machte die Wehrmachtsausstellung zu Beginn der 1990er-Jahre, die das Zerrbild der „sauberen Wehrmacht“ erledigte. Heute kommen Analysen dazu, wie die des Historikers Sönke Neitzel, die nüchtern die militärischen Fähigkeiten und Unfähigkeiten deutscher Streitkräfte bis zur Bundeswehr aufzeigen. Das Aussparen unangenehmer Aspekte macht Militärgeschichte nicht besser, ist Raths überzeugt. So schrieb ein Besucher vor einiger Zeit: „Muss die Sache mit den Juden jetzt auch noch im Panzermuseum behandelt werden? Die Gedenkstätte Bergen-Belsen ist doch ganz in der Nähe“. Ja, muss es, antwortete Raths. Denn die Panzerrüstung der Nazis wäre ohne Zwangsarbeit nicht machbar gewesen. Er sieht bei der jungen Generation einen Vorteil für sinnvolle, moderne Militärgeschichte. Gerade auch bei der Bundeswehr. „Die Generation Einsatz definiert sich inzwischen über ihre Erfahrungen und nicht mehr über alte Heldeninszenierungen.“
Deutsches Panzermuseum Munster
Hans-Krüger-Straße 33
29633 Munster
www.daspanzermuseum.de