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Pelzige Helden

Landminen sind auch Jahrzehnte nach Kriegsende eine tödliche Gefahr. 2019 wurden 5.500 Menschen in 55 Ländern bei Unfällen mit Landminen getötet oder verletzt. Das vermeldet der Landminenreport der International Campaign to Ban Landmines. Die belgische Minenräumorganisation Apopo hilft seit 20 Jahren bei der Bergung. In Simbabwe, Angola, Mosambik und Kambodscha haben Minensucher seitdem 140.000 Landminen gefunden und zerstört. Dabei haben die Männer und Frauen besondere Unterstützer: Ratten.

Die Ausbildung einer Ratte zum Minensucher dauert neun Monate und kostet 6000 Dollar.

(Foto: apopo)

Neugierig und konzentriert läuft Ronin durch ein staubiges Feld in Kambodscha. Seine kleinen rosa Pfoten wühlen sich durch den Acker. Um ihren hellbraunen, pelzigen Oberkörper trägt die afrikanische Riesenhamsterratte ein kleines Brustgeschirr. Dort ist sie an einer Leine befestigt, die über das tennisplatzgroße Feld führt.

Der gut ein Kilo schwere Ronin futtert in seiner Freizeit am liebsten Avocados und wird gerne auf der Schulter umhergetragen – aber jetzt ist er im Dienst. Ronin ist Minenspürratte und unterstützt zwei sogenannte „Rat-Handler“ bei ihrem gefährlichen Job mitten im Minenfeld. Die beiden stehen sich auf einem gesicherten Gehweg gegenüber. Ausbilderin Pendo Msegu erklärt das Verfahren: „Zwischen ihnen verläuft eine Schnur, an der die Ratte festgemacht wird. Dann läuft die Ratte von einem zum anderen, die Schnur wird einen halben Meter zur Seite bewegt, und die Ratte läuft wieder hoch. Dabei sucht sie immer nach Landminen. Wenn sie eine findet, kratzt sie an der Stelle am Boden. Dann markieren die ‚Rat-Handler‘ die Stelle und machen systematisch weiter, bis sie am Ende jeden Zentimeter abgesucht haben.“ Den Ratten kann dabei nichts passieren. Sie sind zu leicht, um Minen auszulösen. Nachdem sie gefunden wurden, graben Räumspezialisten die Minen vorsichtig aus. Am Ende werden alle Fundstücke aus sicherer Entfernung gesprengt.

Kleine Nase – großer Effekt

Bis der clevere Ronin soweit war, Landminen und Blindgänger in bis zu 20 Zentimetern Tiefe zu erschnüffeln, musste er ein intensives Training absolvieren. Geboren wurde die Spürratte im 8.000 Kilometer entfernt Tansania, auf der anderen Seite des Indischen Ozeans. Dort liegen die Aufzuchtstation und das Trainingscenter der belgischen Minenräumorganisation Apopo. Die Rattenausbilder arbeiten mit Clickertraining, um die die Tiere zu konditionieren – einem Klick-Geräusch kombiniert mit einem Leckerli, das die Ratten für jede gefundene Mine bekommen. „Am Anfang packen die Trainer Sprengstoff in haushaltsübliche Metall-Tee-Eier und vergraben diese“, erklärt Pendo Msegu. Der Schwierigkeitsgrad wird nach und nach erhöht, bis die Tiere sicher jede Mine finden. Das neunmonatige Training kostet pro Tier 6.000 Euro. Danach arbeiten die unterarmgroßen Ratten vier bis fünf Jahre auf den Minenfeldern der Welt, bis sie schließlich bei Apopo ihr Gnadenbrot bekommen. Tierschutz ist Apopo wichtig, nicht nur aus ethischen Gründen. Die Ratten müssen sich wohlfühlen, sonst arbeiten sie nicht richtig. Deswegen werden alle „Rat-Handler“ in Grundlagen der Tierpflege und Erster Hilfe für Ratten ausgebildet. Laut Apopo wird die Gesundheit der Tiere wöchentlich überprüft.

Landminen sind auch Jahrzehnte nach Kriegsende eine tödliche Gefahr. 2019 wurden 5.500 Menschen in 55 Ländern bei Unfällen mit Landminen getötet oder verletzt. (Foto: apopo)

Millionen Minen und Blindgänger

In Kambodscha leitet Michael Heiman das Minenräumprogramm. Die Organisation arbeitet mit der staatlichen Minenräumbehörde, dem Cambodian Mine Action Centre, zusammen und hat noch viel Arbeit vor sich. Kambodscha gehört zu den am stärksten von Landminen verseuchten Ländern der Welt. Bis zu sechs Millionen sollen dort noch in der Erde sein. „Das Problem ist, dass niemand aufgezeichnet hat, wo die Minen genau liegen. Wenn wir dann 20, 30 Jahre später in ein Verdachtsgebiet kommen, kann uns niemand Informationen geben“, sagt Michael Heiman, und erklärt: „Wir finden immer wieder neue Minenfelder, weil sich Kambodscha sehr schnell entwickelt und die Städte und Dörfer wachsen.“

Außer Landminen sind auch Blindgänger ein Problem; vor allem Reste von Clusterbomben. Zu den Unfallopfern gehören oft Kinder. Sie heben die gefährlichen Sprengsätze aus Neugier auf. Wenn sie bei der Explosion nicht sofort sterben, müssen sie ihr ganzes Leben lang mit den gesundheitlichen Folgen leben. Und das in Ländern, in denen Häuser und Busse nicht auf die Anforderungen behinderter Menschen ausgelegt und Jobs für sie rar sind.

Multitalent Ratte

Die pelzigen Hero-Rats können noch mehr, als nur Minen zu finden: Bei Apopo werden sie auch darauf trainiert, Tuberkulose zu erschnüffeln. TBC gehört zu den tödlichsten Infektionskrankheiten der Welt. Obwohl sie behandelbar ist, sterben weltweit 1,4 Millionen Menschen pro Jahr daran. Das Problem: Laut Weltgesundheitsorganisation wird nur die Hälfte aller Fälle erkannt, weil Testmöglichkeiten fehlen. Die Spürratten von Apopo checken in Laboren Proben von 100 möglichen Infizierten in 20 Minuten. Mit dem Mikroskop würde ein Mensch dafür bis zu vier Tage brauchen. Die Tiere sind nicht nur schnell, sondern auch billig: Eine Probe zu testen kostet nur einen Euro.

Noch in der Erprobung ist ein weiterer Job für die Hero-Rats: verschüttete Personen zu finden, etwa nach Erdbeben. Dafür bekommen die unterarmgroßen Nager einen kleinen Kamerarucksack, der Bilder an die Rat-Handler überträgt. Der Vorteil im Vergleich zu Spürhunden: Die Ratten können durch kleine Gerölllücken näher an die Verschütteten herankommen.

 

Das verheerende an Landminen ist: Einige wenige reichen, um die Bevölkerung zu terrorisieren, sagt Heiman: „Die Menschen schicken ihre Kühe in ein Gebiet zum Grasen, dann hören sie eine Explosion, und die Kühe kommen nicht mehr zurück. Von dem Moment an haben die Menschen im Dorf Angst, sich frei zu bewegen. Es ist egal, wie viele Minen da tatsächlich vergraben sind. Die Leute haben einfach Angst.“

Eine Frage des Überlebens

Michael Heiman gefällt die Arbeit bei Apopo. Der Minenexperte war zuvor für andere Organisationen in der Welt unterwegs. „Manchmal wurden wir gerufen, und es hieß: Es ist dringend! Wir haben die Minen im Boden geräumt, aber mit dem Land ist jahrelang nichts passiert, es wurde gar nicht genutzt.“ In Kambodscha erlebt Heiman, wie wichtig seine Arbeit ist. „Die Leute hier haben schon jahrelang auf uns gewartet. Noch während wir mit den Ratten auf dem Feld sind, kommen die Menschen jeden Tag zu unserer Basis und fragen: ,Wann seid ihr endlich fertig?‘, weil sie das Land bestellen wollen. Und schon während der letzten Tage, an denen wir noch zu Gange sind, bringen die Menschen Traktoren und Bauholz an ihren zukünftigen Acker, so dringend brauchen sie das Land.“ Heiman spürt, wie viel Sinn seine Arbeit hier hat, und das erfüllt ihn

Eine Ratte bei der Suche nach Landminen. (Foto: apopo)

Was man sich in Deutschland dank voller Supermärkte nur schwer vorstellen kann: In ländlichen Gebieten Kambodschas können Menschen nur überleben, wenn sie ihre Nahrung selbst anbauen. Deswegen ist der sichere Zugang zu Ackerland so wichtig. Dafür arbeitet Apopo mit den Menschen vor Ort zusammen. Theap Thoeun ist seit 2014 im Team, zuerst als „Rat Handler“, jetzt in der Planung. Wie viele Kambodschaner hat der 44-Jährige Grauenhaftes erlebt. Seinen Vater hat er nie kennengelernt. Er wurde 1975 von den Roten Khmer ermordet. Als kleiner Junge musste Theap Thoeun mit seiner Mutter und seinem Bruder vor den Roten Khmer fliehen. Er war zu klein, um die Gefahr zu erkennen. Was ihm in Erinnerung blieb: „Meine Mutter und mein Bruder hatten auf der Flucht große Angst, dass einer von uns auf eine Mine tritt.“ Als Erwachsener will Theap Thoeun deswegen dafür sorgen, dass sich niemand mehr vor den Minen fürchten muss. Die Arbeit mit den Ratten gefällt ihm. Die schlauen Tiere können in einer halben Stunde einen Bereich so groß wie ein Tennisplatz absuchen. Ein Mensch mit einem Metalldetektor würde dafür vier Tage brauchen. „Ich mag die Ratten, weil sie sehr ruhig sind und sehr clever. Und nicht nur ich, alle Menschen in Kambodscha sind den Ratten sehr dankbar dafür, dass sie Minen finden können, damit sich Kambodscha weiterentwickeln kann“, sagt der kambodschanische Apopo-Mitarbeiter.

Echte Typen

Jede Ratte habe eine eigene Persönlichkeit: Manche laufen schneller, manche langsamer, manche quieken aufgeregt, wenn sie gefüttert werden, andere sind ganz entspannt. Rund 60 der „Hero-Rats“, wie Apopo die Tiere nennt, sind aktuell in Kambodscha im Einsatz. „Dank der Ratten können unsere Kinder zur Schule gehen, ohne Angst zu haben. Außerdem können wir das geräumte Gebiet an arme Menschen ohne Land übergeben. Ich bin enorm stolz, dabei helfen zu können“, sagt der 44-Jährige

Die Ratte Magawa hat die höchste britische Tapferkeitsauszeichnung für Tiere bekommen. (Foto: apopo)

Gerade ist einer der pelzigen Stars in Rente gegangen: Magawa. Er hat als erste Ratte die höchste zivile britische Tapferkeitsauszeichnung für Tiere bekommen. Die haben vorher nur Hunde erhalten. Seine stolzen menschlichen Kollegen haben ihm die kleine Goldmedaille an sein Brustgeschirr gehängt. Während Magawa seine Rente genießt, sind die anderen Hero-Rats noch im Einsatz. Denn sie haben ein ambitioniertes Ziel: Bis 2025 soll das Land minenfrei sein.


Anmerkung der Redaktion: Die Ratte Magawa ist am vergangenen Wochenende verstorben, wie die Hilfsorganisation apopo in dieser Woche mitteilte. Die Meldung hat zu einem internationalen Medienecho geführt.

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