Pflichtdienst – was Schüler denken
Dienst an der Gesellschaft? Ja, aber nicht verpflichtend. Die Bundeswehr? Notwendig, aber nicht so wichtig wie andere Organisationen. Sieben Gymnasiasten aus der Alten Landesschule in Korbach geben überraschende Einsichten in die Gedankenwelt junger Menschen. Moderation: Nicholas Czichi-Welzer.
loyal: Im vergangenen Sommer kam die Diskussion über einen allgemeinen Pflichtdienst auf. Dieser könnte nicht nur bei der Bundeswehr oder in der Pflege abgeleistet werden, so die Idee, sondern auch in Bereichen wie Umweltschutz oder Katastrophenhilfe. Habt ihr davon gehört?
David Kor (19): Das war doch eine Sommerlochdebatte.
Moritz Schäfer (18): Man kriegt das in den Nachrichten schon mit, etwa in der Tagesschau.
Und wie findet Ihr die Idee?
Anna Bödefeld (17): Ich finde es ganz interessant, dass das Thema wieder aufgeworfen wurde. Ich persönlich kann mich nicht so sehr damit anfreunden, weil ich schon weiß, was ich nach dem Abitur machen möchte. Ich will Betriebswirtschaftslehre studieren. Als Berufsanstoß brauche ich so einen Dienst also nicht. Aber ich halte es für eine gute Idee, wenn man noch nicht genau weiß, in welche Richtung man gehen möchte. Auch weil ja beim allgemeinen Pflichtdienst vielfältige Wahlmöglichkeiten erwogen werden.
Jan Heiner Hast (17): Ich finde die Idee nicht gut. Bei der Einführung von G8 (des auf acht Jahre verkürzten Gymnasiums; Anm. d.R.) wurde gesagt, die verkürzte Schulzeit solle Schülern ermöglichen, früher ins Berufsleben zu starten. Jetzt wird zwar wieder umgestellt auf G9, aber es ergibt doch trotzdem keinen Sinn, da jetzt noch ein Jahr verpflichtend dranzuhängen.
Kamil Cuppok (18): Für einen Pflichtdienst würde sprechen, dass er den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärken könnte. Und dass man angesichts der derzeitigen Entwicklungen Menschen näher zusammenbringt. Ich persönlich finde die Idee eigentlich ganz interessant, wobei ich mir unsicher wäre, wo ich das dann machen würde. Also ob ich zum Beispiel dazu geeignet bin, Menschen mit Behinderung zu helfen.
Sarah Neige (18): Ich würde diesen Dienst schon machen, ich fände das nicht schlimm. Aber bei mir ist es ähnlich, ich habe ein bisschen Bedenken, ob ich zum Beispiel mit alten, kranken Menschen arbeiten könnte. Wenn ich mitbekommen würde, wie sie sterben – das würde mir, glaube ich, sehr nahe gehen.
Sollte ein Dienst an der Gesellschaft – ob bei der Bundeswehr oder anderswo – denn verpflichtend sein?
Vanessa Herzen (17): Ich finde den Zwang nicht gut. Es stellt sich auch die Frage: Was ist denn mit Leuten, die sich komplett querstellen, die sagen: Ich mache dann einfach gar nichts? Müssen die dann bestraft werden?
Moritz: Der Zwang ist eigentlich das Einzige, was mich an der Idee stört. Ein freiwilliges Angebot ist gut. Aber es gibt halt einfach Leute, und das muss man auch ganz klar so sagen, die unqualifiziert sind für Berufe, die Interaktion mit Menschen erfordern.
Anna: Für Leute, die schon genau wissen, was sie nach dem Abitur machen wollen, ist es nur ein zusätzliches Jahr, das sie ableisten müssen. Das widerspricht doch dem, was wir sonst immer gesagt bekommen: Geht schnell studieren, geht schnell arbeiten!
Jan Heiner: Ich stimme Anna zu, dass dieser Dienst junge Leute in ihrer Selbstentfaltung einschränken würde. Die meisten sind nach dem Abitur volljährig und können selbst entscheiden, was gut für sie ist. Der Charakter eines Pflichtjahres gibt uns eher das Gefühl: Ihr seid noch nicht reif, wir müssen euch auf den richtigen Weg bringen mit der Bundeswehr oder gesellschaftlichem Engagement. Ihr könnt das noch nicht selbst entscheiden.
Was haltet Ihr von Angeboten wie dem Freiwilligen Sozialen Jahr oder dem Bundesfreiwilligendienst?
David: Man sollte freiwillige Angebote wie den Bundesfreiwilligendienst besser ausbauen. Wenn man einen Pflichtdienst einführt, kostet das den Staat Milliarden Euro. Da sollte man das Geld lieber in etwas investieren, das es schon gibt.
Jan Heiner: Ich mache nach dem Abi ein Jahr Bundesfreiwilligendienst bei der Lebenshilfe. Das finde ich wichtig, weil man im Alltag sonst kaum in Kontakt mit Menschen mit Behinderung kommt. Die Erfahrung kann einem für später weiterhelfen. Aber ich finde, es sollte schon eine bewusste Entscheidung sein. Man kann niemanden zu sozialem Engagement verpflichten.
Sarah: Ich weiß noch nicht so genau, was ich nach der Schule machen will und deshalb ist diese Option immer noch im Rennen. Ich fände es auch nicht so schlimm, wenn ein sozialer Dienst verpflichtend wäre, weil ich das vielleicht sowieso machen würde.
Für Statements in die Galerie klicken. (Fotos: Jonas Ratermann)
Als die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer den Vorschlag des Pflichtdienstes machte, begründete sie das auch damit, dass wir stärker für die Sicherheit unseres Landes, nach innen und außen, sorgen müssten. Habt Ihr das Gefühl, unsere Sicherheit ist bedroht?
Moritz: Ich glaube, dieser Sicherheitsaspekt wird immer nur vorgeschoben vor die wirklichen Probleme. Es sollte in unserem Land viel mehr darum gehen, Menschen von der Straße wegzuholen. Wenn man in Frankfurt am Main durch das Bahnhofsviertel geht, sieht man Obdachlose an jeder Ecke und ich finde, diesen Menschen sollte man erst einmal helfen. Fehlende Sicherheit kann man immer leicht beklagen, ein bisschen Geld dahinschieben. Das reicht dann. Aber den Obdachlosen, Pflegebedürftigen und den Kindern, die in Armut leben müssen, zu helfen, das ist eine ganze Ecke schwieriger. Und davor scheut sich die Politik.
David: Deutschland ist ziemlich sicher. Wenn man das mit anderen Ländern vergleicht, wo es mehr Unruhen gibt, dann hab ich, ehrlich gesagt, keine Angst. Auch nicht vor Terrorismus – ich fühle mich sicher.
Jan Heiner: Ich fühle mich auch sicher in Deutschland. Das liegt vielleicht auch daran, dass wir alle hier in einer idyllischen Gegend aufgewachsen sind. Die Sicherheit des Landes im Äußeren und Inneren mit dem Pflichtdienst zu stärken, würde ja einen Bundeswehreinsatz im Innern beinhalten. Und dafür braucht es ja gewisse Umstände. Von daher finde ich, dass die größere Herausforderung erst einmal die wachsende soziale Ungleichheit ist. Auch der Fakt, dass die Leute immer älter werden und mehr Rente brauchen, muss gelöst werden.
Wenn Deutschland sicher ist, brauchen wir die Bundeswehr dann noch? Könnte sie nicht aufgelöst werden?
David: Die Bundeswehr wurde ja schon reduziert. Aber sie komplett aufzulösen, fände ich nicht sinnvoll. In anderen Ländern brauchen die Menschen ja noch Hilfe. Der Militärdienst findet ja jetzt schon häufig in Auslandseinsätzen weltweit statt.
Sarah: Ich sehe das auch so. Wenn man sich die politische Situation heute anschaut, zum Beispiel zwischen den USA und Nordkorea oder auch China, wird das alles irgendwie kritischer. Es gibt immer mehr Spannungen. Die ganze Situation auf der Welt wird brüchiger. Wenn man nun die Bundeswehr auflösen oder krass verkleinern würde, wäre das ein Zeichen, dass Deutschland verwundbar ist. Und, wie David schon sagte, wir müssen Hilfe leisten in anderen Ländern. Wobei das jetzt nicht unbedingt nur militärisch sein muss.
Moritz: Wir haben ein Land mit einer relativ hohen inneren Sicherheit und momentan keinen Krieg auf der Welt, bei dem Deutschland aktiv seine Mitarbeit erklärt hat, abgesehen von der Bekämpfung von Terrormilizen. Ich glaube, dass die Bundeswehr in Deutschland nicht so wichtig ist. Es gibt andere Einrichtungen wie das Technische Hilfswerk oder die Feuerwehr, die zum Beispiel bei Flutkatastrophen durchaus einen ähnlichen Beitrag leisten und dabei viel zu wenig wertgeschätzt werden. Gerade freiwillige Einrichtungen sollten viel mehr gefördert werden, anstatt das auf die Bundeswehr abzuschieben. Dort sind doch die Leute teilweise gar nicht dafür ausgebildet und tragen dann nur Sandsäcke von A nach B. Ich finde auch die Idee von Emmanuel Macron einer Europäischen Armee sehr interessant, also Strukturen zusammenzufassen, um eine größere Schlagkraft für Europa herzustellen.
Was haltet Ihr von einer Wiedereinführung der Wehrpflicht?
David: Ich weiß nicht, inwiefern das der Bundeswehr nützen sollte, wenn sie Rekruten bekommt, die gar nicht zur Bundeswehr möchten. Außerdem: Die Bundeswehr hat doch jetzt schon zu wenig Ausrüstung. Das heißt, man müsste sie erweitern und es würden noch mehr Kosten entstehen. Das fände ich nicht gut.
Kamil: Ich habe mich auch gefragt, worin der Sinn einer Wiedereinführung der Wehrpflicht liegen sollte. Die Bundeswehr hat ja eher Probleme, qualifizierte Rekruten zu finden und braucht nicht auch noch unmotivierte Wehrpflichtige.
Ist Euch denn jemals der Gedanke gekommen, zur Bundeswehr zu gehen?
Vanessa: Ich habe überlegt, ein Studium bei der Bundeswehr zu machen. Ich habe mich auch prüfen lassen, wurde aber nicht angenommen. Es war eine Überlegung wert. Ich wollte aber nicht als Soldatin zur Bundeswehr gehen, ich wollte Ingenieurin bei der Bundeswehr werden – zivil. Der Hintergedanke dabei war eher, dass die Bundeswehr ein guter Arbeitgeber ist und man danach gute Chancen hat, in der Privatwirtschaft übernommen zu werden.
Moritz: Das war nie eine Option für mich. Ich bin sehr negativ gegenüber der Bundeswehr eingestellt. Deswegen würde ich, wenn es einen Pflichtdienst gäbe, auch eher in einen sozialen Bereich gehen.
Hat Eure Generation ein steigendes Interesse, sich stärker gesellschaftlich zu engagieren, vielleicht gerade auch aufgrund der gegenwärtigen politischen Entwicklungen?
Moritz: Ich glaube, so pauschal war das politische Interesse bei jungen Leuten nie weg. Aber man sieht, dass gerade durch den Aufstieg rechter Randgruppen und rechter Parteien politisches Engagement immer weiter ins Bewusstsein von Jugendlichen rückt. Gerade wenn man sich diese „Fridays for Future“-Demos anguckt. Tausende Schüler gehen auf die Straße, um gegen den Klimawandel zu demonstrieren, weil die „alten“ Politiker es nicht auf die Reihe kriegen. Da müssen dann die Jugendlichen zeigen: Ihr verbaut uns gerade unsere Zukunft – macht was dagegen!
Anna: Wir haben in der Schülervertretung überlegt, ob wir das mit „Fridays for Future“ hier in Korbach auch starten sollten. Ich finde das Thema ziemlich wichtig und deshalb auch gut, wenn man die Möglichkeit hätte, sein Jahr in diese Richtung – Umweltschutz oder Entwicklungshilfe – zu absolvieren. Das sind Themen, bei denen es wichtig ist, ein Interesse und vor allem ein Bewusstsein bei Jugendlichen zu wecken.
David: Es ist ja auch so, dass Jugendliche vor allem in der Politik zu wenig vertreten sind. Das heißt auf den Pflichtdienst bezogen: Wenn das entschieden werden sollte, dann haben die Jugendlichen keine Chance zu entscheiden: „Wollen wir das? Oder wollen wir das nicht?“ Es wird sozusagen über unsere Köpfe hinweg entschieden. Wenn die ganzen Jugendparteien die ältere Generation ersetzen würden, die jetzt in der SPD, CDU und den anderen Parteien ist, würde vielleicht ein bisschen frischer Wind in den Bundestag kommen und es entstünden andere Ideen.
Habt Ihr das Gefühl, dass die Diskussion um einen allgemeinen Pflichtdienst an dem vorbeigeht, was Eure Lebenswelt betrifft und was Ihr euch wünscht?
Kamil: Es ist natürlich sehr interessant zu sehen, dass eigentlich fast nur alte Menschen über das Pro oder Contra der Wehrpflicht diskutieren und sehr wenig Junge in diesen Debatten vorkommen. Dadurch, dass junge Menschen nicht gefragt werden, fühlt man sich natürlich übergangen. Und auch in den Medien werden die Sichtweisen von Jugendlichen auf das Thema nicht erläutert, sondern immer nur das, was ein paar alte Politiker denken.
Vanessa: Ich denke auch, dass es sehr wichtig ist, dass man auch mal uns fragt, vor allem bei solchen Themen, die uns Jugendliche wirklich interessieren und betreffen. Und dass es Diskussionsrunden wie heute gibt, die Politikern zeigen, dass auch wir eine Meinung zum Thema haben.
Kamil, Anna, Jan, Vanessa, David, Sarah und Moritz, vielen Dank, dass Ihr Euch an der Diskussion beteiligt habt.
Wir danken zudem der Leitung der Alten Landesschule in Korbach für die Unterstützung bei der Organisation der Gesprächsrunde.