Die Frau und der Heli
Der Hubschrauber H145 von Airbus ist der momentan erfolgreichste Drehflügler Europas. Hinter der militärischen Variante H145M steht eine Frau. Constance Pinsdorf ist Programmmanagerin für den Hubschrauber – und eine der wenigen Frauen auf Top-Jobs in der deutschen Rüstungsindustrie. loyal traf sie auf dem Werksgelände in Donauwörth.
Eigentlich wollte Constance Pinsdorf ans Forschungszentrum Jülich, jener Großforschungseinrichtung, die sich einst mit Atomreaktoren und heute mit Supercomputern, Wasserstoff- und Quantentechnologien beschäftigt. Für eine Abiturientin um die Jahrtausendwende mit Bestnoten in Naturwissenschaften, Physikleistungskurs und einem Faible für Technik wäre das eine gute Adresse als Arbeitgeber gewesen. Doch dann kam etwas noch Besseres.
„Eine Tages stand da dieser Truck von der Bundeswehr vor der Schule, der weckte meine Neugier“, erinnert sich Constance Pinsdorf. Bis dahin hatte die Schülerin nichts mit der Bundeswehr zu tun gehabt. Doch nach ihrer ersten Begegnung mit dem Karrieretruck war für sie klar, dass das ihr Weg sein würde: eine Laufbahn als Offizierin. Denn neben Zahlen und Technik hatte und hat die 1981 im Kreis Heinsberg bei Aachen Geborene noch eine weitere Leidenschaft: Sport. 100-Meter-Lauf, Hoch- und Weitsprung, Jugend trainiert für Olympia – das war ihr „Ding“ in der Schulzeit. „Ich habe im Sport früh gelernt, mich durchzubeißen und auch dann weiterzumachen, wenn es weh tat“, bekennt die heute 43-Jährige im Gespräch mit loyal. Und wo lässt sich eine naturwissenschaftlich-technische Begabung zusammen mit sportlichen Ambitionen besser zum Beruf machen als in der Bundeswehr! Zumal die Streitkräfte damals, im Januar 2001, alle Laufbahnen auch für Frauen zuließen. Constance Pinsdorf stand mit einem Mal eine ganz neue Welt offen.
Ihren Eltern sagte die Abiturientin kurzerhand: „Ich geh zum Bund.“ Der Vater, ein Bankkaufmann, sagte: „Das geht vorbei.“ Nein, es ging nicht vorbei. Die junge Frau durchlief den dreitägigen Test in der Offiziersbewerberprüfzentrale in Köln – und wurde als eine der ersten Frauen genommen. Dass sie zu den Heeresfliegern nach Bückeburg kam, war wahrscheinlich Schicksal – denn die Drehflügler lassen sie seitdem nicht mehr los. Die grüne Ausbildung war rückblickend für sie herausfordernd. Wenn sie nach einem nicht enden wollenden Marsch den schweren Rucksack ablegte und auf der Stube im Spiegel in ihr dreckverschmiertes Gesicht sah, sich aus den verschwitzten Klamotten schälte, dann fragte sie sich Mal um Mal, wozu sie das eigentlich mache. Damals waren sie nur drei oder vier Frauen, doch die stichelnde Haltung mancher männlicher Kameraden wirkte eher motivierend. Sie biss sich durch. „Ich wollte keine Marscherleichterung. Mein Credo war: Keine Übung wird vorzeitig abgebrochen. Wenn ich etwas mache, dann ziehe ich es auch durch.“
Letzte technische Instanz im Einsatzland
Und wie sie durchzog! Machte die Einzelkämpferausbildung, lernte schweißen und löten, studierte in München an der Bundeswehr-Uni Maschinenbau, Fachrichtung Luft- und Raumfahrt, wurde 2007 Diplom-Ingenieurin (FH) mit einer Arbeit über Turbinen-Prüfstände. Mit den Hubschraubern ging es nach dem Studium weiter, zunächst am gemeinsamen Systemunterstützungszentrum der Firma Eurocopter und der Bundeswehr in München. Pinsdorf tauchte tief in die technische Welt der Hubschrauber NH 90 und Tiger ein, war an der Programmierung des Tigers beteiligt. Wäre sie ihn nicht auch gern geflogen? Sie wiegt den Kopf. „Schon, aber es hatte nicht sein sollen. Leider habe ich die Flugtauglichkeitstests nicht bestanden.“ Auch diese schicksalhafte Weichenstellung sollte für ihr Leben nicht zum Nachteil sein. Anstatt den Hubschrauber zu fliegen, baut sie ihn jetzt.
Nach zwölf Jahren schied sie als Hauptmann bei der Bundeswehr aus und wechselte nahtlos in die Industrie. Eurocopter holte die herausragende Ingenieurin, bei der sich inzwischen auch umfassende Führungsqualitäten gezeigt hatten, als Teamleiterin. 2013 zog sie nach Donauwörth um. Ende des gleichen Jahres wurde sie nach Afghanistan entsandt, wo sie als Firmenvertreterin vor Ort für die technische Einsatzbereitschaft der Tiger-Kampfhubschrauber der Bundeswehr in Masar-e Scharif zuständig war. „Das war ein merkwürdiges Gefühl. Ich war in zivil, bewegte mich aber in dem vertrauten militärischen Umfeld.“ Und es war eine große Verantwortung, denn sie war so quasi die letzte technische Instanz der Firma im Einsatzland für den Tiger. „Zusammen mit den Bundeswehrkameraden in Afghanistan wurde eine Lösung für jedes technische Problem gefunden“, sagt sie.
2014 wurde ging Eurocopter in Airbus Helicopters auf – und hier schaffte es Constance Pinsdorf, stetig die Karriereleiter hinaufkletternd, bis auf ihre aktuelle Stelle – ein Top-Job in der Rüstungsindustrie, auf den vermutlich mancher Mann schielt: Sie ist seit 2021 Programmmanagerin für die militärische Variante des Hubschraubers H145 und damit verantwortlich für die militärische Ausstattung dieses Exportschlagers.
Eine einzigartige Tätigkeit
Man muss wissen, um was für einen Hubschrauber es sich beim H145 handelt, um zu verstehen, was Constance Pinsdorf bei Airbus macht – und wie einzigartig ihre Tätigkeit ist. Der zweimotorige H145 wird zusammen mit Kawasaki Heavy Industries produziert. Die Zelle, Teile der elektrischen Basisverkabelung und andere Komponenten liefert der japanische Partner. Airbus ist für das gesamte Design und die Produktion aller anderen Komponenten wie kundenpezifischer Verkabelung, Avionik und die Endmontage zuständig, oft auch für die Innenausstattung und die auf den jeweiligen Einsatzzweck abgestimmte Ausrüstung.
Als Mehrzweckhubschrauber ist der H145, ebenso wie das Schwestermodell H135 weltweit im Einsatz. In Deutschland wird ihn wahrscheinlich jeder schon einmal gesehen haben: die Luftrettung fliegt ihn ebenso wie die Polizei, er versorgt Offshore-Windanlagen und transportiert VIPs. 2019 stellte Airbus von vier auf fünf Rotorblätter um, was dazu führte, dass der H145 rund 150 Kilo mehr Nutzlast aufnehmen kann. In Donauwörth laufen aktuell etwa 120 Exemplare pro Jahr der Modelle H135 und H145 vom Band.
Detailkenntnisse und diplomatisches Geschick
Die militärische Version H145M wird von einer zunehmenden Zahl von Streitkräften geflogen. In den USA wird er als leichter Mehrzweckhubschrauber eingesetzt, in der Bundeswehr fliegen ihn die Spezialkräfte. Als Leichter Kampfhubschrauber LKH wird er den schweren Kampfhubschrauber Tiger ersetzen. Ob eine neue Generation schwerer Kampfhubschrauber kommt, ist unklar. Der Ukraine-Krieg zeigt, dass die Zeit der schweren Kampfhubschrauber möglicherweise zu Ende geht. Dort werden kaum mehr Kampfhubschrauber für die bodennahe Luftunterstützung eingesetzt, sondern meistens Drohnen. Für leichte Mehrzweckhubschrauber wie den H145M, die vielfältige Aufgaben übernehmen können, gibt es allerdings nach wie vor einen großen Markt. Auch die Streitkräfte Serbiens, Ungarns, Ecuadors, Thailands und von Oman sowie demnächst Zypern, Belgien und Brunei setzen auf das Qualitätsprodukt aus Donauwörth.
Der Job von Constance Pinsdorf ist die Organisation der Umsetzung des gesamten Vertragsprozesses für die militärischen Auftraggeber in aller Welt. Das erfordert nicht nur technische Detailkenntnisse, sondern auch diplomatisches Geschick. Pinsdorf ist bei den Verhandlungen mit den (potenziellen) Auftraggebern dabei. Auf Zypern erlebte sie dabei ihre Feuertaufe. „Die wussten genau, was sie wollten, das hat mich beeindruckt und auch angetrieben“, sagt sie.
Ihr wiederum kommt bei solchen Gesprächen ihr militärischer Hintergrund als Bundeswehr-Offizierin zugute. Sie wird als Gesprächspartnerin ernst genommen. Und bei technischen Fragen ist sie ohnehin in ihrem Element. Das Ganze bewegt sich natürlich auch noch im politischen Raum. Die Programmmanagerin sagt: „Der Job ist politischer geworden.“ Sicherheitspolitik, länderspezifische Eigenheiten, kulturelle Unterschiede, Exportregeln, komplexe Beschaffungsvorgänge in den Bürokratien der jeweiligen Staaten – auch in diesem manchmal schwer zu überschauenden Feld, in dem etliche Minen lauern, muss sie sich bewegen. „Aufgrund der hohen Nachfrage ist ein Ramp-up, also ein Hochlaufen unserer Produktion vorgesehen“, sagt Constance Pinsdorf.
Fingerspitzengefühl und Durchsetzungskraft
Die nächsten Gespräche mit potenziellen Neukunden finden bereits statt. Das bedeutet: wieder andere Gesprächspartner, wieder andere Kundenwünsche, wieder andere technische Herausforderungen. Constance Pinsdorf liebt diese Abwechslung. Dabei stehen ihr nicht mehr wie in ihrer vorherigen Position als Head of Customization des H145 an die 65 Mitarbeiter zur Verfügung, sondern nur noch eine Handvoll. „Wir arbeiten in einer Matrix-Organisation.“ Das heißt, sie muss einen guten Überblick haben und sich die personellen Ressourcen heranziehen, die sie für die Umsetzung eines neuen Auftrags braucht. Vielleicht ist dabei sogar noch mehr Fingerspitzengefühl und Durchsetzungskraft vonnöten als in einem festen Team.
Privat ist die Rheinländerin schon lange in Bayerisch-Schwaben angekommen. Ehemann Ralph arbeitet ebenfalls bei Airbus in Donauwörth. Er war vorher Pilot bei der Bundeswehr, hat den Hubschrauber Bell UH 1D geflogen und arbeitet heute am NH90. Für die gemeinsame Tochter Hanna (9) hat er seine Stundenzahl reduziert, denn Mutter Constance Pinsdorf ist in ihrem Job derart engagiert, dass es zu zeitlichen Einschränkungen im Familienalltag kommt. „Wenn ich von meinem Mann keine solche Unterstützung erfahren würde, könnte ich nicht meine ganze Leidenschaft in den H145M einbringen“, sagt sie.
Den Sport hat sie übrigens trotz der fordernden Tätigkeit nie aufgegeben. Inzwischen spielt sie, wenn der Job es zulässt, im Sportverein ihres Heimatdorfs in der Nähe von Donauwörth Tischtennis. Und weil sie ihr Leben lang bewiesen hat, dass ihr Gegenwind und schwere Anstiege nichts ausmachen, fährt sie leidenschaftlich gern Fahrrad – und zwar bei Wind und Wetter.
Buchtipp
Christian Rastätter
Airbus Helicopters H145M
Einsatzhubschrauber der Spezialeinheiten
Motorbuch-Verlag,
224 Seiten, 29,90 Euro