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Die Bundeswehr zeigt afghanischen Journalisten, wie sie den Taliban an der Nachrichtenfront beikommen können. Die neuen Afghanistanpläne der US-Regierung erschweren dies jedoch.
September 2015: Vermummte Taliban posieren vor einem
Verkehrskreisel im Zentrum von Kundus. Das Bild ging um die Welt.
Ein Jahr später gelang den Aufständischen dieser Coup erneut.
Allerdings nur für die Dauer einer Fotoaufnahme. Das Bild verbreitete
trotzdem Angst und Schrecken in den sozialen Medien.
(Foto: Standbild aus IS-Propagandavideo, via youtube.com)
Es war ein perfekter Propagandacoup der Taliban. Im Sommer vergangenen Jahres veröffentlichten sie auf ihrer Internetseite ein Foto. Es zeigte einen Verkehrskreisel in Kundus. Davor Vermummte, die eine weiße Flagge in der Hand halten. Dazu stand geschrieben, mit Allahs Hilfe hätten die Mudschaheddin die Stadt erobert. Viele Leser glaubten die vermeintliche Nachricht. Verängstigt flüchteten viele Bewohner aus Kundus. Sie fürchteten einen erneuten Albtraum. Schon ein Jahr zuvor war es den Taliban gelungen, die Stadt einzunehmen. Damals hatten sie die Einwohner tagelang terrorisiert. Es gab Hunderte Tote. Erst nach schweren Kämpfen konnte die afghanische Armee die Stadt zurückerobern. Der Kommandeur der Nato-Truppen in Afghanistan, John Nicholson, erklärte daraufhin, Kundus werde nie wieder an die Taliban fallen.
Von Marco Seliger
Sollte der General so schnell eines Besseren belehrt worden sein? Es dauerte fast einen ganzen Tag, ehe sich herausstellte, dass die Taliban die Öffentlichkeit getäuscht hatten. Es ist ihnen zwar tatsächlich gelungen, ein paar ihrer Gefolgsleute für einen kurzen Moment auf dem Verkehrskreisel vor der Kamera posieren zu lassen. Doch so schnell, wie sie aufgetaucht waren, waren die Vermummten in der Stadt wieder untergetaucht. Die Nato und die afghanische Regierung brauchten Tage, um die Bevölkerung davon zu überzeugen, dass es sich um eine Falschmeldung gehandelt hatte.
Bote guter Nachrichten
Shirshah Amiry ärgert sich noch heute über das Geschehen vor gut einem Jahr. Der 31-jährige afghanische Journalist versteht sich als Bote guter Nachrichten. Shirshah Amiry leitet das Bayan-e-Shamal-Medienzentrum in Mazar-i-Sharif, der Millionenstadt in Nordafghanistan. In den Büros einer großen Villa hinter dicken Mauern und Stacheldraht arbeiten mehr als 60 Frauen und Männer unter seiner Führung daran, der Propaganda der Taliban positive Geschichten über die Arbeit der afghanischen Regierung und ihrer Sicherheitskräfte entgegenzusetzen. Sie werden dafür von der Bundeswehr bezahlt, die das Medienzentrum vor gut neun Jahren mit dem Ziel gegründet hat, in der afghanischen Bevölkerung ein besseres Verständnis für den Kampfeinsatz der internationalen Truppen zu schaffen. Inzwischen sind die meisten internationalen Soldaten abgezogen. Nun sind es vor allem afghanische Sicherheitskräfte, die gegen die Taliban kämpfen. Das Mediencenter soll dabei helfen, diesen Kampf für die Regierung zu gewinnen.
Doch die Nachrichtenleute tun sich manchmal schwer. Das zeigt der Propagandacoup der Taliban vor einem Jahr in Kundus. „Unsere Reaktion war nicht gut“, sagt Shirshah Amiry. Das sieht auch Major Katja Neumann (Name zum Schutz der Soldatin geändert) so. Sie ist eine von sechs deutschen Soldaten, die den afghanischen „Kollegen“ als Berater zur Seite stehen. Katja Neumann und ihre Kameraden haben in der Bundeswehr gelernt, die öffentliche Meinung in einem Einsatzgebiet so zu beeinflussen, dass sich das für die Militärs positiv auswirkt. Für die Verbreitung ihrer Nachrichten nutzen sie Radio- und Fernsehsender, Zeitungen und Magazine, Facebook und Twitter, Werbespots und Plakate. Die Bundeswehr bezeichnet diese Tätigkeit als „Operative Kommunikation“, was sich besser anhört als das, worum es sich tatsächlich handelt: Propaganda.
Lernen und anwenden
Die afghanischen „Kollegen“ seien inzwischen sehr professionell, sagt Katja Neumann. Sie produzieren Radiosendungen und moderieren politische Diskussionen im Fernsehen. Sie geben Magazine heraus und posten Nachrichten in sozialen Netzwerken. Kürzlich kommentierte Chefredakteur Shirshah Amiry auf Facebook den Terroranschlag auf eine schiitische Moschee in Kabul. Amiry schrieb, wer Menschen, egal welchen Glaubens, töte, könne kein Moslem sein. Der Eintrag wurde mehr als 250.000 geklickt und mit mehreren hundert Likes versehen. Äußerungen von Facebook-Nutzern in der Kommentarspalte deuteten jedoch darauf hin, dass Amirys Auffassung nicht von jedem geteilt wurde. So schrieb ein Leser, dass die Aufregung überflüssig sei. Bei den Toten handele es sich schließlich nur um Schiiten. Der Kommentar zeigt: In Afghanistan herrscht eine tiefe Spaltung zwischen der sunnitischen Mehrheit und der schiitischen Minderheit.
Das Mediencenter versteht sich als Nachrichtenagentur der afghanischen Sicherheitskräfte. Deshalb, sagt Chefredakteur Amiry, sei klar, dass sie nur positive Nachrichten vermeldeten. Alles andere würde dem Gegner in die Hände spielen. Der afghanische Journalist Serajuddin hält die Nachrichten des Mediacenters deshalb größtenteils für unglaubwürdig. „Egal, ob Taliban oder Regierung – jeder verbreitet seine Sicht der Dinge. Oft sind es Lügen“, sagt er. Serajuddin, der seinen vollen Namen aus Angst vor Repressalien nicht nennen will, arbeitet für eine Zeitung in Mazar-i-Sharif.
Katja Neumann sieht das anders. Das Mediencenter lasse seine Arbeit regelmäßig in der Bevölkerung evaluieren. Die Befragungen ergäben, dass ein Großteil der Afghanen die Nachrichten für glaubwürdig hält. Doch der „Fall Kundus“ habe gezeigt, dass noch nicht alles gut liefe. „In dieser Situation wäre es von Vorteil gewesen, die Sicherheitskräfte hätten durch ein Foto oder Video schnell beweisen können, dass die Nachricht der Taliban nicht stimmt“, sagt Katja Neumann. Warum das nicht geschehen sei, wisse sie nicht.
Facebook und Twitter sind in Afghanistan beliebte Informationskanäle
Die Taliban sind Medienprofis. Sie haben eigene Internetseiten und „Pressesprecher“. Sie twittern ihre Angriffe in Echtzeit und preisen sie auf Facebook. Das verfehlt in einem Land, in dem die junge Generation genauso mit dem Smartphone aufwächst, wie in anderen Teilen der Welt, seine Wirkung nicht. Vor allem Facebook und Twitter sind in Afghanistan beliebte Informationskanäle, auf denen sich die Menschen immer stärker austauschen. Das Bayan-e-Shamal-Medienzentrum versucht dagegenzuhalten. Es produziert Videoclips, in denen etwa die neuen Kampfhubschrauber der afghanischen Luftwaffe gepriesen werden, und postet sie auf Facebook. Es lässt Handzettel aus der Luft über Dörfern abwerfen, auf denen Taliban als Mörder und die einheimischen Soldaten als Beschützer dargestellt werden. Oder es schaltet Werbespots, in denen junge Männer zum Dienst für das Vaterland aufgerufen werden. Die Bundeswehr finanziert all dies mit mehr als 1,6 Millionen Euro im Jahr.
Die Taliban hält das nicht auf. Sie haben inzwischen knapp die Hälfte der gut 400 Distrikte Afghanistans vor allem im Süden und Osten des Landes in ihrer Hand. Ihre Machtbasis befindet sich vor allem auf dem Land. Die Regierung hält die Städte, wenn auch unter immer größeren Mühen. Den letzten großen Angriff auf Kundus, wo bis vor vier Jahren die Bundeswehr stationiert war, hat es in diesem Frühjahr gegeben. Er habe, wie es in Nato-Kreisen heißt, mit schweren Verlusten für die Aufständischen geendet. Der Raum Kundus ist inzwischen der Operationsschwerpunkt der einheimischen Armee und der internationalen Truppen in ganz Afghanistan. Das hat mit der strategischen Lage des Gebiets zu tun. Wenn dort die Taliban vollständig die Macht übernähmen, dann wäre die Hauptstadt Kabul vom Norden abgeschnitten. Das wäre eine Katastrophe.
US-Antiterrorkampf geht weiter
So sieht das offenbar auch die amerikanische Regierung. Aus Nato-Kreisen heißt es, die von US-Präsident Donald Trump angekündigte Truppenerhöhung ziele nicht zuletzt auf den Norden ab. So sollen etwa 100 Infanteristen der 82. Luftlandedivision aus North Carolina in Mazar-i-Sharif stationiert werden. Ihre Aufgabe ist es, amerikanische Spezialkräfte zu unterstützen, deren Zahl ebenfalls deutlich steigt. Außerdem sei geplant, Erdkampfflugzeuge vom Typ A-10 nach Mazar-i-Sharif zu verlegen. Sie sind mit einer 30-Millimeter-Bordkanone, Lenkflugkörpern, Raketen und Bomben ausgerüstet und unterstützen in der Regel die Bodeneinsätze der Spezialkräfte. Worin die Aufgabe der zusätzlichen Truppen besteht, hat der US-Präsident kürzlich deutlich gemacht. „Wir bauen nicht wieder eine Nation auf, sondern wir töten Terroristen“, sagte Trump, als er seine Afghanistan-Pläne vorstellte. Ob er mit „Terroristen“ auch die Taliban meinte, ließ er offen. Zugleich kündigte er an, die Truppen sollten wieder mehr „Beinfreiheit“ bekommen. Unter Präsident Barack Obama waren die Einsatzregeln für die US-Streitkräfte deutlich verschärft worden, um zivile Opfer zu vermeiden. Diese Maßnahmen sollen nun rückgängig gemacht werden.
Mit den Amerikanern wird auch die Nato den Schwerpunkt ihrer Tätigkeit in Afghanistan ändern. Bisher beraten die Soldaten aus mehr als 40 Ländern vor allem Führungspersonal in der afghanischen Armee. Der Vormarsch der Taliban im Land hat jedoch gezeigt, dass das nicht reicht. Die Armee benötigt nach wie vor Unterstützung bis auf unterste Ebene. Doch dazu müsste die Nato Tausende Ausbilder und Berater mehr schicken, wozu die Mitgliedstaaten nicht bereit sind. Deshalb haben sie nun beschlossen, ihre Bemühungen auf die kampfstärksten und wirkungsvollsten afghanischen Verbände zu konzentrieren. Das sind die Spezialkräfte und die Luftwaffe. Beide tragen inzwischen die Hauptlast im Kampf gegen die Taliban. Der „Kampfwert“ der Spezialkräfte soll dem Niveau deutscher Fallschirmjäger entsprechen, heißt es in der Nato.
Die Intensivierung des amerikanischen Antiterrorkampfes in Afghanistan wird auch für die Mitarbeiter des Bayan-e-Shamal-Mediencenters nicht ohne Folgen bleiben. Schon in der Vergangenheit hat das mitunter rücksichtslose Vorgehen der US-Eliteeinheiten für Unmut und Empörung in der Bevölkerung gesorgt. „Wenn jetzt wieder ausländische Soldaten in den Dörfern auftauchen, um angebliche Terroristen zu bekämpfen, dann stärkt das nicht die Glaubwürdigkeit unserer Sicherheitskräfte, sondern nur die Taliban“, sagt der Journalist Serajuddin. Die Herausforderung für Shirshah Amiry und seine Mitarbeiter lautet, daraus positive Nachrichten zu machen.