Die Alliierten der Ukraine um NATO, EU und G7 wollen ihren militärischen Beistand strategischer aufstellen. Die Waffenhilfe soll über die Versorgung mit einzelnen Systemen wie Leopard-Panzern hinaus gehen und zu einer langfristigen Ertüchtigung der ukrainischen Streitkräfte werden – zu Land, Wasser und zur Luft. Dabei soll auch deren Rüstung nach NATO-Standards erfolgen. Der Zeithorizont dieser „Future Forces Ukraine Initiative“ liegt bei 2030 und Folgejahren. Dafür versucht die die US-geführte Ukraine Defense Contact Group oder „Ramstein-Koalition“ aus 54 Staaten seit Sommer 2023 sogenannte Capability Coalitions – zu Deutsch Fähigkeitskoalitionen – aufzubauen.
Die Ukraine ließ im November 2023 verlauten, es gebe bereits fünf solcher Koalitionen. Für die Luftwaffe, für die Panzerwaffe, Artillerie, Luftverteidigung und Maritime Sicherheit. Jeweils geführt von zwei Staaten mit der Beteiligung von fünf bis zwanzig Ländern. Doch verifizieren lassen sich erst drei Koalitionen.
Luftwaffe
Im Oktober 2023 bildete sich als Erstes eine Luftwaffen-Koalition, die von den USA und den Niederlanden mit Dänemark geführt wird. Des Weiteren dazu gehören Belgien, Kanada, Luxemburg, Norwegen, Rumänien, Polen, Portugal und Schweden. Schwerpunkt ist die Einführung des F-16 Multirollenkampfjets in die ukrainischen Luftstreitkräfte. Langfristig soll jedoch eine „umfassende ukrainische Luftwaffe aufgebaut werden“, so das dänische Verteidigungsministerium. Die Ressourcen dafür müssten über die USA kommen. Das Beispiel F-16: Das Training und erste Abgaben erfolgen von den Europäern. Doch nur die USA haben Reserven über 300 konservierte F-16 Kampfjets.
Luftverteidigung
Auch eine Koalition zur integrierten Luftverteidigung der Ukraine besteht seit Ende 2023. Circa 20 Staaten sollen ihr angehören. Offiziell sind Deutschland und Frankreich deren Führungsduo. De facto gibt es jedoch auch hier eine Triade mit den USA. Denn die leiten die Koalitionsarbeitsgruppe für Systeme, Deutschland jene für Training, Frankreich die zur Kommandostruktur. Laut dem deutschen Verteidigungsministerium wurde ein Zielbild für eine ukrainische Luftverteidigung entwickelt und eine Roadmap dahin erstellt. Genaueres dazu wurde nicht bekannt. Zentrale Bestandteile dürften das US-amerikanische Patriot-System für den oberen Abwehrschirm sein, sowie das deutsche IRIS-T für den mittleren Bereich.
Beide Systeme sind die bisherigen Hauptwaffenhilfen zur Luftverteidigung an die Ukraine. Für die GEM-T Raketen des Patriot-System gibt es inzwischen auch eine Grundlage zur größeren Produktion in Europa. Die NATO-Beschaffungsorganisation NSPA hat vor Kurzem mit einer Gruppe von NATO-Staaten um Deutschland einen Rahmvertrag für 1000 GEM-T ausgehandelt.
Marine
Zuletzt gaben Großbritannien und Norwegen bekannt, unter ihrer Führung eine Marine-Koalition für die Ukraine aufzubauen. Diese will ukrainische Seestreitkräfte aufbauen, die wirksam im Schwarzen-Meer operieren können. Dafür sollen Systeme, Training und Infrastruktur bereitgestellt werden. Als weitere Vorhaben nannte das britische Verteidigungsministerium den Aufbau eines ukrainischen Marine-Korps. Zudem soll eine tiefe Verteidigung der Küsten- und Binnengewässer aufgebaut werden. Unter anderem durch die Entwicklung eines kampfstarken Patrouillenboot-Typs. Diese Maritime Capability Coalition hat eine spezifische Einschränkung ihrer Aufbauarbeit. Großbritannien kündigte jüngst den Transfer zweier alter Minenjagdboote an die Ukraine an, um die maritimen Versorgungsrouten des Alliierten zu stärken. Doch die Türkei untersagt deren Durchfahrt durch die Dardanellen. Sie hat laut dem Montreux-Abkommen von 1936 das Recht, kriegsführenden Nationen die Passage zu verweigern.
Vage: Artillerie und Panzerwaffe
Für eine Artillerie-Koalition gibt es nur einen vagen Ausblick. Eine solche soll laut dem ukrainischen Verteidigungsministerium in diesem Monat ihre Arbeit bei einem Treffen in Paris aufnehmen. Frankreich gehört mit der Lieferung von 30 modernen Caesar-Haubitzen zu einem wichtigen Unterstützer der Ukraine bei indirektem Feuer. Mit Blick auf eine langfristige Ertüchtigung der Ukraine in diesem Bereich sind allerdings Zweifel angebracht, inwieweit Frankreich hier eine Führungsrolle ausfüllen kann.
Denn die Rüstungsplanung bis 2030 sieht lediglich eine Beschleunigung der Caesar-Produktion vor, keine Ausweitung. Auch die Beschaffung von Artilleriemunition ist trotz Ukraine-Kriegs kein Schwerpunkt des französischen Militärplanungsgesetzes bis Ende der Dekade, das 2023 verabschiedet wurde. Für dieses Jahr ist nur ein Zulauf von 20.000 155-Millimeter-Granaten an Frankreichs Armee vorgesehen. Der Schwerpunkt der 16 Milliarden Euro für Munition bis 2030 liegt auf Hightech-Lenkwaffen wie Exocet und Meteor. Verteidigungsminister Sebastien Lecornu machte bei diversen Parlamentsbefragungen und in Interviews deutlich, dass der Fokus von Frankreichs Rüstung darauf liegt, die Streitkräfte für den Indopazifik zu stärken und zu modernisieren.
Völlig unklar ist der Stand einer Panzerwaffen-Koalition für die Ukraine. Im Frühjahr 2023 kam eine Allianz für Leopard-Panzer unter deutsch-polnischem Lead zustande. Allerdings engagierte sich Berlin erst, nachdem es sich einen US-Panzerbeitrag als Flankierung zusichern ließ. Zuvor hatte Polen die grundsätzlich kommunizierte Lieferwilligkeit anderer Europäer genutzt, um Deutschland als „Bremser“ unter Druck zu setzen. Als die Bundesregierung in den Aufbau einwilligte, zeigte sich, dass konkrete Beiträge mühsam verhandelt werden mussten. Auch jetzt ist Deutschland nicht erpicht darauf, bei einer Fähigkeitskoalition Panzer die Führung zu übernehmen. Auf die Frage von loyal, ob und wie sich Deutschland bei den anderen Koalitionen einbringt, antwortet ein Sprecher des Wehrressorts: „Derzeit konzentrieren wir uns auf die Führungsrolle in der Capability Coalition Luftverteidigung.“