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Droht uns ein nukleares Armageddon?

Die vermeintliche Wunderwaffe „Oreshnik“, eine veränderte Nuklearstrategie, immer neue Ankündigungen – seit Beginn der russischen Invasion in der Ukraine droht der russische Präsident Wladimir Putin immer wieder mit einem Einsatz von Nuklearwaffen. Doch wie groß ist die Gefahr tatsächlich?

Test einer Interkontinental-Rakete in Nordwestrussland. Will Wladimir Putin die Mittelstreckenrakete RS-26, in abgewandelter Form als Oreshnik bekannt, wirklich nuklear bestücken und einsetzen?

Foto: picture alliance / AP

atomwaffenloyalrussland

Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine hängt ein nuklearer Schatten über Europa. In den letzten Monaten, so scheint es – und besonders im Kontext des Streits über die Lieferung westlicher Langstreckenwaffen an die Ukraine und der Erlaubnis, diese auf russischem Territorium einsetzen zu dürfen – haben sich Russlands Nukleardrohungen zugespitzt.

Ende November vergangenen Jahres hat Russland seine Nukleardoktrin verändert und die Schwelle für den Einsatz von Nuklearwaffen gesenkt. Sie erlaubt nun russische Atomschläge selbst bei Angriffen von Nicht-Atommächten, wenn diese von Atommächten unterstützt werden. Wenige Tage später, am 21. November 2024, feuerte Russland eine zuvor nicht gesehene ballistische Rakete mit dem Namen „Oreshnik“ auf die ukrainische Stadt Dnipro ab. Der russische Präsident Putin bezeichnete die Rakete als „Wunderwaffe“, sie sei besonders schnell und deshalb von den westlichen Flugabwehrsystemen nicht abfangbar. Und sie könne Nuklearwaffen tragen.

Obwohl neuere Erkenntnisse besagen, dass „Oreshnik“ keinesfalls so neu und gefährlich ist, wie Putin das behauptet, bleibt doch der Eindruck: Die Gefahr einer nuklearen Eskalation vonseiten der Russen steigt. Wie hoch ist die Gefahr eines russischen Atomschlags auf die Ukraine oder westliche Länder tatsächlich? Die schlechte Nachricht ist, dass wir nicht in die Köpfe der russischen Entscheidungsträger blicken können und daher keine eindeutige Antwort erhalten werden. Die gute Nachricht ist jedoch, dass es derzeit keine Anzeichen dafür gibt, dass Putin einen Atomschlag ernsthaft in Erwägung zieht oder dass ein solcher gar unmittelbar bevorsteht. Dies liegt hauptsächlich daran, dass die Nachteile für Russland deutlich größer wären als die möglichen Vorteile.

Was kann Putin mit einem Nuklearschlag erreichen?

Sollte Putin Nuklearwaffen einsetzen, wird er vermutlich einen oder mehrere der folgenden Vorteile anstreben: militärische Vorteile auf dem Schlachtfeld, einen moralischen Schock, der die Ukraine zur Kapitulation bewegt, und einen drastischen Rückgang der politischen und militärischen Unterstützung für die Ukraine durch den Westen. Im besten Fall könnte Russland alle drei Ziele gleichzeitig erreichen. Der resultierende Vor­teil wäre gegebenenfalls enorm. Aber warum hat Putin dann nicht bereits so gehandelt?

Für Russland gibt es keine Garantie, dass ein Nuklearschlag seine Probleme in der Ukraine löst. Militärisch sind die Frontabschnitte so dünn besetzt, dass ein Atomschlag keine große taktische Wirkung entfalten würde. Ein taktischer Nuklearwaffeneinsatz hätte also kaum einen entscheidenden Effekt und würde hauptsächlich leere Flächen treffen.

Wladimir Putin. (Foto: picture alliance / dpa / TASS)

Auch politisch gibt es keine eindeutigen Anzeichen dafür, dass ein Atomschlag auf ein symbolisch wichtiges Ziel oder eine ukrainische Stadt den Widerstandswillen der Bevölkerung brechen könnte. Das Land kämpft bereits ums Überleben. Ob die Bedrohung durch Nuklearwaffen oder russische Besatzung besteht, macht für viele keinen Unterschied. Umfragen der ukrainischen Bevölkerung haben dies wiederholt bestätigt.

Gleichzeitig würde Russland sich international noch weiter isolieren und den Verlust seiner wichtigsten Partner China und Indien riskieren. Nach einem Atomwaffeneinsatz könnten diese Staaten Putins Handlungen nicht mehr mittragen und unterstützen. Das kann sich Putin nicht leisten. Zudem müsste Putin eine direkte Intervention der NATO fürchten, die einen Nuklearwaffeneinsatz, selbst wenn er nur gegen die Ukraine und nicht gegen die NATO gerichtet ist, als harte rote Linie bezeichnet hat.

Würde Putin den Westen, ob konventionell oder atomar, angreifen, befände er sich im direkten Krieg mit der NATO. Russland kann schon in der Ukraine keine deutlichen Gewinne erzielen. Wie soll sich das Land in einem Krieg behaupten, in dem 90 Prozent seiner Truppen in der Ukraine gebunden sind und es sich dann auch noch zusätzlich der geballten Macht der NATO gegenübersähe? Und ja, in einem großen Nuklearkrieg gewinnt keiner. Das gilt aber auch für Russland.

Letztlich muss man sich auch fragen, warum Putin gerade jetzt einen Atomwaffenschlag durchführen lassen sollte. Zwar erleidet Russland erhebliche Verluste in der Ukraine, die Wirtschaft leidet und die Rüstungsindustrie des Landes ist kapazitätstechnisch am Limit, doch gibt es keine Anzeichen dafür, dass Russlands Frontlinien vor dem Zusammenbruch stehen. Im Gegenteil, in den letzten Monaten konnte Russland inkrementelle, wenn auch kostspielige, Landgewinne erzielen.

Seit Januar 2025 sitzt außerdem ein neuer Präsident im Weißen Haus. Dieser hat bereits mehrfach offen angekündigt, die amerikanischen Hilfslieferungen an die Ukraine überdenken und den Krieg so schnell wie möglich beenden zu wollen, selbst wenn dies substanzielle Gebietsabtritte der Ukraine an Russland bedeuten würde. Gleichzeitig scheint Europa nicht in der Lage, den Ausfall amerikanischer Hilfslieferungen, vor allem in den Bereichen der Raketenabwehr, Raketenartillerie und Langstreckenwaffen, kompensieren zu können.

Warum sollte Putin gerade jetzt zu Atomwaffen greifen, was selbst unter optimistischen russischen Annahmen ein äußerst risikoreiches Unterfangen wäre, das leicht nach hinten losgehen könnte?

Keine Vorbereitungen für einen Atomwaffeneinsatz

Selbst wenn Putin die Kosten-Nutzen-Analyse grundsätzlich anders sehen sollte, gibt es immer noch Grund zur Ruhe. Denn: Russland hat bislang keine Vorbereitungen für den Einsatz von Nuklearwaffen getroffen.

Ein russischer Nuklearschlag wäre eine rote Linie für den chinesischen Präsidenten Xi Jinping. (Foto: picture alliance / abaca)

Sollte Putin einen taktischen Atomschlag auf die Ukraine oder den Westen befehlen, müssten – anders als bei Russlands strategischen Nuklearwaffen – zunächst die nuklearen Sprengköpfe aus zentralen Lagern in Russland entnommen und auf nicht strategische Raketen- und Flugkörpersystemen montiert werden. Dazu müssten bestimmte Truppenkontingente in Russland aktiviert werden, die für die Logistik und den Schutz beim Transport von Nuklearwaffen zuständig sind. Diese Maßnahmen würden zahlreiche Signale hinterlassen, die sowohl westliche Geheimdienste als auch unabhängige Analysten erkennen könnten.

Ein weiteres Signal wäre, wenn die Kinder und Familienangehörigen der russischen Oligarchen, die weiterhin ein luxuriöses Leben in London, Paris, Berlin und Monaco führen, Europa in großen Zahlen verlassen würden. Putin kann es sich kaum leisten, einen potenziellen Atomkrieg mit dem Westen zu beginnen, wenn er damit die Liebsten seiner wichtigsten Unterstützer gefährdet.

Das sollte uns immer wieder Gelegenheit zum Durchatmen geben. Sollte Putin tatsächlich einen Nuklearwaffeneinsatz planen, würde dieser aller Voraussicht nach nicht überraschend kommen. Es gäbe eine gewisse Vorlaufzeit, die uns die Möglichkeit geben würde, unser Verhalten anzupassen und politische, diplomatische sowie militärische Anstrengungen zu unternehmen, um einen solchen Atomschlag zu verhindern.

Die Krim ist zentral

Obwohl es derzeit keine Anzeichen dafür gibt, dass ein russischer Nuklearwaffeneinsatz bevorsteht, gibt es keine Garantie, dass dies für immer so bleiben muss. Zum Beispiel: Sollte die Ukraine in die Lage versetzt werden, glaubwürdig eine Rückeroberung der Krim androhen zu können, könnte sich die Kosten-Nutzen-Kalkulation zu einem Nuklearwaffeneinsatz ändern. In vielerlei Hinsicht stellt die Krim den politischen Schwerpunkt des Konflikts zwischen Russland und der Ukraine dar.

Nicht zuletzt begann der Krieg 2014 mit der russischen Invasion der Krim und weitete sich auf den Donbass und Luhansk und ab 2022 auf die gesamte Ukraine aus. Militärisch betrachtet ist die Krim Russlands Tor zum Schwarzen Meer, und ein Verlust würde die russische Südwestflanke für mögliche Militäroperationen der NATO öffnen. Um die Krim zu halten, könnte Russland deshalb zur Nuklearwaffe greifen. Auch wenn ein russischer Nuklearschlag somit nicht kategorisch ausgeschlossen werden kann und die Sorgen vor einem Atomschlag berechtigt sind, müssen wir uns bewusst machen, dass es keine wirkliche Alternative zur Standhaftigkeit gibt.

Sich Russlands Nukleardrohungen zu beugen, würde eine unglaublich gefährliche neue Welt schaffen. Wenn Putin mit seinen Drohungen in der Ukraine davonkommt, warum sollte er dann glauben, dass es anders wäre, wenn er die baltischen Staaten, Polen oder Rumänien bedroht? Natürlich gehören diese Staaten zur NATO, aber wenn die NATO-Mitgliedsstaaten einen Atomkrieg um jeden Preis verhindern wollen, bleibt letztendlich keine andere Alternative, als auch in diesem Fall klein beizugeben – zumindest könnte Putin so denken.

Eine russische Interkontinentalrakete vom Typ RS-24 Yars bei einer Militärparade auf dem Roten Platz in Moskau. (Foto: picture alliance / dpa / TASS)

Auch für uns ist der Kampf in der Ukraine von existenzieller Bedeutung. Für Deutschland und die EU geht es zwar nicht direkt um ihr Überleben, aber um die Erhaltung der europäischen Ordnung, die uns Sicherheit und Wohlstand gebracht hat. Um diese zu bewahren, müssen wir gewisse Risiken eingehen. Das bedeutet nicht, dass wir unüberlegt oder leichtfertig handeln sollten. Aber es heißt, dass wir abwägen müssen, welchen Risiken wir aus dem Weg gehen können und welchen nicht.

Verglichen mit den Risiken eines russischen Sieges in der Ukraine, wie einem gestärkten und ermutigten Russland, Massenflucht aus der Ukraine und dem Zusammenbruch der westlichen Grundordnung, sind die Risiken einer Fortführung und Ausweitung der militärischen Unterstützung für die Ukraine überschaubar und kalkulierbar.


Der Autor

Fabian Hoffmann ist Doktorand an der Universität Oslo, wo er zur Nuklearstrategie sowie zu militärischen Flugkörpertechnologien forscht.

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