Der russische Präsident Wladimir Putin hat seine Machtdemonstration an der ukrainischen Grenze beendet. Mehrere zehntausend Mann, die zum Teil aus entfernten Landesteilen in den Westen Russlands verlegt worden waren, sind wieder abgezogen worden. Der Westen rätselt über den Sinn und Zweck dieser Machtdemonstration. Dabei scheint die Antwort recht einfach.
Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyi reagierte auf den Truppenaufmarsch des großen Nachbarn mit einem Gesprächsangebot an Russland, das Putin nur als Demutsgeste auffassen konnte. Schon in seiner Rede zur Lage der Nation hatte Putin abgerüstet, danach folgte der Anzug seiner Truppen – er hatte sein Ziel erreicht. Und das war, dem Westen zu zeigen, dass er nach Belieben jederzeit einen Konflikt hochfahren und auch wieder abkühlen kann.
Russlands einzige Stärke ist seine militärische Macht, die Putin beständig ausbaut und modernisiert. Das russische Gesellschaftsmodell hat keinerlei Anziehungskraft, wie der Umgang mit politischen Gegnern wie Alexei Nawalny zeigt. Wirtschaftlich spielt das Riesenreich ebenfalls global keine Rolle. Seine Exportschlager sind Rohstoffe wie Erdgas. Höherwertige russische Produkte sind auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig. Das unterscheidet Russland eklatant von China, das mit seiner Wirtschaftsmacht immer weiter ausgreift und mit Projekten wie der Neuen Seidenstraße und seinem Engagement in Afrika auch immer mehr Abhängigkeiten schafft.
Russland und China verbindet die Tatsache, dass beide Länder territorial nicht saturiert sind. China sieht Taiwan als integralen Bestandteil an. Russland hat die Loslösung der Ukraine nie verwunden. Einen Teil des Nachbarlandes, die Krim, hat es sich bereits zurückgeholt; in der Ostukraine ist die Lage ungeklärt, hier hält Moskau einen niedrigschwelligen Konflikt am Köcheln.
So bleibt also als einzige Sprache der Macht Putins Militär, um ernstgenommen und als gleichwertiges Gegenüber behandelt zu werden. Aus Putins Sicht ist Russland eine Supermacht – allein die Füße, auf denen sie steht, sind tönern. Mit dem Säbelrasseln an der ukrainischen Grenze hat Russland in den vergangenen Wochen gezeigt, dass man mit ihm rechnen muss. Hätte Moskau den Konflikt eskalieren lassen, wäre dem Westen, wäre der NATO nichts anderes übriggeblieben, als ihn gewähren zu lassen. Es wäre ein Vabanquespiel geworden. In den Ukrainekonflikt militärisch einzugreifen, kommt für die NATO nicht in Frage.
Momentan reichte es für Putin, dass in Europa und Nordamerika alle wieder einmal dran erinnert worden sind, dass er im globalen Machtpoker immer noch mit am Tisch sitzt. Er hat nicht zuletzt gegenüber dem neuen amerikanischen Präsidenten Biden deutlich gemacht, dass mit ihm zu rechnen ist. Diese Runde ging an ihn. Es wird nicht die letzte gewesen sein.