Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht erwägt den Abzug der Bundeswehr aus Mali. „Wir müssen sehr genau und sehr zeitnah prüfen, wie unser Engagement dort weiterhin aussehen kann“, sagte Lambrecht dieser Tage den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Aufgrund der aktuellen Lage muss ich aber sehr infrage stellen, ob wir uns weiter engagieren können.“ Die Bundeswehr ist in Mali an der EU-Ausbildungsmission EUTM und an der UN-Mission MINUSMA beteiligt. Dafür können insgesamt bis zu 1700 deutsche Soldaten entsandt werden. Das aktuelle Bundeswehrmandat für Mali endet am 31. Mai. Zuletzt hatte die Militärjunta in dem afrikanischen Land die europäischen Truppensteller regelrecht vorgeführt: Sie verhängten ein Flugverbot, das auch für die EUTM- und MINUSMA-Einheiten gilt und sogar Drohnen- und Medevac-Flüge betrifft. Zudem wurde der französische Botschafter des Landes verwiesen – ein einmaliger Vorgang seit der Unabhängigkeit Malis 1958 und ein Affront gegenüber Frankreich, das sich seit 2013 in guter Absicht in dem Land militärisch engagiert.
Die Verschärfung der Lage geht auf Malis Junta-Chef Oberst Assimi Goita zurück, der 2021 durch einen Putsch an die Macht gekommen ist und den damaligen Präsidenten Ibrahim Boubacar Keita stürzte. Goita setzte sich an die Spitze einer Übergangsregierung. Wie es scheint, will er dort sehr lange bleiben: Ein neues Gesetz sieht die Festigung seiner Macht vor, indem das Amt des Vizepräsidenten abgeschafft wird. Laut Junta geht es darum „Doppelarbeit zu vermeiden“. De facto bedeutet es die weitgehende Alleinherrschaft Goitas.
Der 1983 geborene Sohn eines Soldaten wurde auch in der Bundesrepublik ausgebildet. 2008 hatte Goita zunächst am Bundessprachenamt in Hürth drei Monate lang Deutsch gelernt, anschließend einen fünfwöchigen Kompaniecheflehrgang an der Logistikschule der Bundeswehr in Osterholz-Scharmbeck besucht. 2016 nahm er an einem Lehrgang am deutsch-amerikanischen George C. Marshall Europäisches Zentrum für Sicherheitsstudien in Garmisch-Partenkichen teil. Thema: „Terrorism and Security Studies“.
Goita scheint eher Söldnern zu vertrauen
Goita scheint eher russischen Söldnern der Wagner-Truppe zu vertrauen als europäischen Partnern. Nach amerikanischen Erkenntnissen halten sich mehrere hundert Angehörige der übel beleumundeten russischen Söldnerfima in Mali auf, eingeflogen mit russischen Flugzeugen aus Syrien und Libyen. 1,5 Millionen Euro soll der quasi bankrotte malische Staat für die Söldner Monat für Monat bezahlen, zusätzlich gibt es Konzessionen an malischen Goldminen.
Das wirft ein Schlaglicht auf Russlands Präsident Putin. Während Europa und Nordamerika auf die Vorgänge rund um die Ukraine und die russische Bedrohung durch Putin schauen, baut der russische Präsident im Windschatten der Ukraine-Krise seinen Einfluss in Afrika aus. Wagner-Söldner wurden unter anderem in der Zentralafrikanischen Republik, im Sudan, in Moçambique und in Libyen eingesetzt. Neben Libyen ist Mali das strategisch wichtigste Land, in dem die Gruppe präsent ist. Offiziell agieren die Wagner-Leute als privates Militärunternehmen. Tatsächlich haben sie enge Kontakte im russischen Verteidigungsapparat, vor allem im Militärgeheimdienst GRU. Die Verbindungen gehen bis in den Kreml, und es darf als gesichert gelten, dass Wagner mit Wissen und im Sinne Präsident Putins agiert – als eine Art „Stoßtrupp für russische Interessen“, wie es die Neue Zürcher Zeitung formulierte.
Begleitet wird die Ausweitung der Wagner-Aktivitäten in Mali durch eine antifranzösische Propagandakampagne, offensichtlich gesteuert aus dem Kreml. Frankreich ist sich sicher, dass Wagner Teil einer hybriden russischen Kriegführung ist, die auch Cyberangriffe und Desinformationen umfasst. In Paris vermutet man, dass Russland den jahrzehntelangen Konsens zu Schwarzafrika aufgekündigt hat, wonach der Kontinent nicht in Einflusszonen wie im Kalten Krieg aufgeteilt werden solle. Afrika könnte daher im Großen Spiel Moskaus künftig eine wichtige Rolle spielen, um dem Bruch mit dem Westen zu eskalieren – und Mali wäre der Anfang dazu.
Wahl zwischen Pest und Cholera
Vor diesem Hintergrund erscheint die Entscheidung in Paris und Berlin, die Militärmissionen in Mali fortzusetzen oder zu beenden als eine Wahl zwischen Pest und Cholera. Bleiben die internationalen Truppen in dem Land, sähen sie sich nicht nur mehr und mehr als ungebetene Gäste, sondern müssten sie auch eine direkte Konfrontation mit den russischen Söldnern fürchten. Es wäre in Frankreich und Deutschland kaum vermittelbar, wenn deutsche oder französische Soldaten in Gefechten mit von Putin gesteuerten Söldnern stürben. Andererseits ist die Region für Westeuropa von strategischer Bedeutung, denn deshalb sind Deutsche und Franzosen ja dort: Mali ist Quellgebiet und Durchgangsland für massenhafte Migration in die Europäische Union. Würden Frankreich und Deutschland dort abziehen, könnte Putin den Zustrom von Schwarzafrikanern nach Gutdünken steuern und Europa damit womöglich mehr noch als mit seinem Gas erpressen.