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Die Rückkehr der Sanitätszüge

Im Kalten Krieg sollten Verwundete auch auf der Schiene transportiert werden. Der Krieg in der Ukraine könnte zu einer Renaissance der Lazarettzüge führen.

Die Ukraine nutzt Züge vor allem, um verletzte Zivilisten aus den Kampfzonen im Osten des Landes in Krankenhäuser der West-Ukraine zu bringen.

Foto: picture alliance / AP

BahnlazarettzügeSanitätsdienst

Der Ukrainekrieg macht deutlich, wie problematisch es ist, massenhaft Verwundete sanitätsdienstlich zu versorgen und abzutransportieren. Der bei westlichen Armeen in den Antiterrorkriegen etablierte Lufttransport ist wegen fehlender Luftüberlegenheit kaum möglich. Teilweise nutzen die Ukrainer deshalb Züge zum Verwundetentransport. Eine Option, die auch die Bundeswehr interessant findet.

Bei einem militärischen Konflikt an der NATO-Ostflanke könnte es effizient sein, verwundete deutsche Soldaten in einem Lazarettzug zur weiteren Behandlung in den rückwärtigen Raum zu bringen, zum Beispiel in die Bundeswehrkrankenhäuser. Ob solche Züge kommen, ist allerdings noch offen. Eine Sprecherin des Verteidigungsministeriums gegenüber loyal: „Zurzeit wird ressortübergreifend ein Bedarf an strategischem Patiententransport formuliert. Ein möglicher Baustein ist hierfür die Schiene. Das Vorhaben bedarf jedoch weiterer konzeptioneller Abstimmung.“

Spezielle Lazarettzüge kamen einst über die Wehrmacht in das deutsche Militär. Deren Anschaffung legte die Kriegssanitätsvorschrift von 1938 fest. Die Züge wurden mit dem Überfall auf die Sowjetunion wichtig. Nur mit ihnen ließ sich die horrende Zahl an schwer verwundeten deutschen Soldaten bewältigen, die über Tausende von Kilometer transportiert werden mussten. Zu diesem Zweck stellte die Wehrmacht nicht weniger als 139 Lazarettzüge zusammen.

Zu einem Lazarettwagen umgerüsteter Waggon wie er in der Ukraine zum Einsatz kommt. (Foto: picture alliance / abaca)

Dafür ließ sie Schnellzugwagen der Reichsbahn umrüsten. Ein Zug bestand meistens aus 37 Wagen, davon 27 für den Krankentransport der transportfähigen Verwundeten nach Deutschland. Die übrigen Waggons wurden genutzt als Küchen-, Vorrats- und Verpflegungswagen sowie als Behandlungswagen und als Unterkunft für das Sanitätspersonal und das bewaffnete Begleitpersonal. Pro Wagen konnten etwa 30 Verwundete liegend untergebracht werden. Ärzte, Pfleger und Rotkreuz-Schwestern arbeiteten im Schichtdienst. Von 1942 an reichten die 139 Lazarettzüge nicht mehr aus. Deshalb setzte man für Leichtverwundete Behelfslazarettzüge aus Güterwagen mit Pritschen ein. Alle Züge waren wegen der häufigen Zerstörungen des Schienennetzes oft tagelang unterwegs.

Prototyp für die Bundeswehr

Nach der Gründung der Bundeswehr spielten Lazarettzüge zunächst keine Rolle. Erst mit der Änderung der NATO-Strategie 1967 vom Konzept der massiven Vergeltung hin zur angemessenen Reaktion (Flexible Response) wurden sie wieder interessant. Denn mit der Vorneverteidigung mussten längere Transportwege eingeplant werden. In der Folge beschaffte die Bundeswehr einen Prototyp mit fünf Waggons. Doch erst mit der Heeresstruktur 4 von 1980 kamen Lazarettzüge wieder in die Bundeswehr – über 24 gekaderte „Krankentrans­portkom­panien Schiene“ mit Reservisten. Jede Kompanie war für einen Lazarettzug vorgesehen, bestehend aus 13 Waggons für insgesamt bis zu 300 Verwundete.

Im Mobilmachungsfall wären dafür Nahverkehrszüge der Baureihen 798 und 628 innerhalb von zwei Tagen zu Lazarettzügen umgerüstet worden – mit speziellen Bausätzen, die in Depots neben Bahnstrecken lagerten. Die letzten Lazarettzug-Umrüstsätze gab die Bundeswehr 2005 auf. Bei den großen NATO-Herbstmanövern wie bei der Übung „Trutzige Sachsen“ 1985 mit über 50.000 Soldaten kamen die Lazarettzüge zum Einsatz. Die Übungsverwundeten wurden mit Krankenwagen und Schienenomnibussen zu den Bahnhöfen gebracht, wo die umgerüsteten Lazarettzüge warteten. Danach ging es auf vorher festgelegten Strecken zu den Reservelazaretten, meistens nach Belgien, Frankreich und in die Niederlande.

Die Pandemie als Anstoß

Für die aktuellen Überlegungen zum Verwundetentransport via Zug, gab bereits die Coronapandemie den Anstoß. „Hier nutzten die Franzosen TGV-Schnellzüge, um Patienten landesweit zu verteilen“, sagte Prof. Dr. Edgar Strauch, Sanitätsexperte beim Reservistenverband, der mit der laufenden Konzeptionierung vertraut ist, im Gespräch mit loyal. Der neue Ansatz wäre ein zivil-militärischer. Es geht nicht um Lazarettzüge wie bei der Wehrmacht und der alten Bundeswehr, die das begleitende Behandeln Verwundeter ermöglichen. Im Fokus steht heute der Abtransport von Massen an Verwundeten nach einer erfolgten Stabilisierung aus Gefahrenzonen. „Das könnten Soldaten in Frontnähe sein, aber auch Zivilisten bei einem Massenanfall von Verletzten oder bei Naturkatastrophen“, erläutert Strauch. Deshalb sind am Konzept für Verwundeten-Transportzüge Verteidigungs-, Innen-, Gesundheits-, und Verkehrsministerium beteiligt.

Eine Medizinerin von „Ärzte ohne Grenzen“ versorgt eine alte Frau in einem Evakuierungszug in der Ukraine. (Foto: picture alliance / AA)

Bisher geht der Ansatz von acht bis zehn ICE-3-Zügen durch die Deutsche Bahn aus – modifiziert mit Umrüstsätzen. Für die Beschaffung würden rund 100 Millionen Euro veranschlagt, der jährliche Betrieb mit 10 bis 15 Millionen Euro, so Sanitätsexperte Strauch.

Vorteile der Schiene

Der zentrale Vorteil der Züge wäre ihre Effizienz. So würden sie im Personenverkehr der Bahn fahren und wären in deren Bewirtschaftungszyklus eingeordnet. Eine Umrüstung im Bedarfsfall soll in 48 Stunden möglich sein. Anders als beim Transport mit Kraftwagen, kann man mit vergleichsweise wenig medizinischem Personal eine große Zahl Verwundeter betreuen. Die Aufnahme wäre flexibel an der Strecke möglich.

Das größte Manko aus Sicht von Strauch ist, dass die unterschiedliche Bahn-Leittechnik in Europa noch keinen durchgängigen Zugbetrieb von Gibraltar bis zum Finnischen Meerbusen ermöglicht. In die schrittweise Harmonisierung der Technik müsste ebenfalls investiert werden, damit der strategische Verwundetentransport via Schiene sein Potenzial entfalten kann. Erste Schritte wären eine Vereinbarung des Konzepts durch die beteiligten Ressorts sowie die Finanzierung im Einzelplan 60 für ressortübergreifende Projekte im Haushalt 2024.

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