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Wehrhaft & freizügig?

Die Bundeswehr regelt mit einer neuen Vorschrift, was Soldaten in Sachen Sexualität dürfen und was nicht. Dabei vollzieht sie eine Kehrtwende. Einbruch in die Kameradenehe, private Sexvideos, freizügige Worte auf Datingplattformen – alles grundsätzlich kein Fall fürs Truppengericht mehr.

Symbolbild. Die Bundeswehr regelt mit einer neuen Vorschrift, was Soldaten in Sachen Sexualität dürfen und was nicht.

Foto: Olga Yastremska, New Africa / stock.adobe.com

bundeswehrloyalsexualität

Es war eine kurze, aber heftige Affäre. Frau K., Ehefrau des Soldaten K., lernte den Sanitätsoffizier O. bei einer Zahnbehandlung kennen. Beide fanden sich sympathisch. Und bei den K.s lief es seit Monaten nicht mehr gut. K. war ständig unterwegs, seine Frau hatte das Gefühl, sein Beruf sei ihm wichtiger als sie. Frau K. und der Sanitätsoffizier schrieben sich erst eine Weile, lernten sich besser kennen, verliebten sich. In der Sprache des Bundesverwaltungsgerichts liest sich das so: „Der Soldat, ein Sanitätsoffizier in der Rechtsstellung eines Soldaten auf Zeit, hatte die Ehefrau des Kameraden K. im Rahmen einer Zahnbehandlung kennengelernt und zu ihr einen fortlaufenden Gesprächskontakt hergestellt, der auf Seiten der Zeugin K. Sympathie und wachsende Zuneigung zu dem Soldaten hervorrief.“ Das ging eine Weile so. Dann hatten O. und K. über mehrere Wochen Sex („beide setzten bis Mitte Juli ihren Intimverkehr ein- bis zweimal wöchentlich fort“). Im Juli beendeten die beiden dann ihre Affäre.

Jeden Tag passiert Ähnliches tausendfach in Deutschland. Das ist zwar oft Thema für Tratsch und Klatsch, aber beschäftigt eher selten die Gerichte. Doch dieser beschriebene Fall stammt aus einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. Denn: Der „gehörnte“ Soldat K. zeigte den Sanitätsoffizier O. bei dessen Disziplinarvorgesetzten an. Dieser kam zu der Einschätzung, dass hier das Dienstvergehen „Einbruch in die Kameradenehe“ vorlag. Auch das Truppengericht und das Bundesverwaltungsgericht kamen zu dieser Entscheidung. Sanitätsoffizier O. wurde zu einer Gehaltskürzung von einem Zehntel seiner Dienstbezüge über 15 Monate verurteilt. Die Begründung des Bundesverwaltungsgerichts: Die „Einsatz- und Funktionsfähigkeit der Truppe“ hinge nicht zuletzt von ihrem „inneren Zusammenhalt“ ab. Und: Sanitätsoffizier O. habe die Pflicht zur Kameradschaft verletzt. Die Affäre sei „durchaus dazu geeignet, das gegenseitige Vertrauen und die Bereitschaft der Soldaten füreinander einzustehen, nachhaltig in Frage zu stellen“. Das Urteil stammt aus dem Jahr 1992.

Die Rechtsprechung

Juristen der Bundeswehr orientierten sich seitdem an diesem Urteil. Das Dienstvergehen „Einbruch in die Kameradenehe“, in den Anfangstagen der Bundeswehr eingeführt, wurde weiterhin oft verfolgt. Auf Anfrage von loyal schreibt das Verteidigungsministerium, dass in den vergangenen zwanzig Jahren 71 Verfahren im Bereich der „Missachtung der Kameradenehe“ durch die Bundesdisziplinaranwaltschaft erfasst wurden. Die meisten „Delinquenten“ wurden, wenn schuldig befunden, mit Beförderungsverboten, Kürzungen der Dienstbezüge oder einer Herabsetzung des Dienstgrades bestraft, so das Verteidigungsministerium. Und das sind nur diejenigen Verfahren, die vor Truppendienstgerichten verhandelt wurden.

Deutlich mehr „Delikte“ dieser Art dürften jedoch allein von Disziplinarvorgesetzten behandelt worden sein und deshalb außerhalb der Statistik liegen, da ist sich Christian Sieh, Justiziar beim Bundeswehrverband, sicher. Sieh und die anderen Juristen des Bundeswehrverbands haben häufig mit Anschuldigungen im Bereich des Ehebruchs zu tun. Noch im Oktober 2023 wurde laut Verteidigungsministerium ein „Einbrecher in die Kameradenehe“ mit einem Beförderungsverbot und einer Kürzung der Dienstbezüge bestraft.

Neue Ausrichtung

Doch das hätte eigentlich nicht mehr sein dürfen. Denn seit 1. September 2023 gilt eine neue Vorschrift, die den Umgang der Bundeswehr mit Sexualität neu regelt. Die Vorschrift mit dem Titel „Umgang mit Sexualität und sexualisiertem Fehlverhalten“ bringt eine klare Kehrtwende. Darin heißt es klipp und klar: „Eine außerhalb des Dienstes erfolgte, einvernehmliche Aufnahme sexueller Beziehungen durch Angehörige des GB BMVg (also alle Angehörigen der Bundeswehr, Anm. d. Red.) berührt grundsätzlich keine dienstlichen bzw. arbeitsrechtlichen Interessen.“ Das heißt unter anderem: Das Delikt „Einbruch in die Kameradenehe“ wird bei Soldaten nicht mehr verfolgt, anhängige Verfahren sollen eingestellt werden. Doch es gibt Ausnahmen: Etwa dann, wenn ein Vorgesetzter einen untergebenen Soldaten auf einen Lehrgang schickt, um etwas mit dessen Ehefrau anzufangen. In diesem Fall würde der Vorgesetzte seine gebotene Objektivität verletzen und den Dienstfrieden damit stören, heißt es in einem Begleitschreiben zur neuen Vorschrift.

Warum war die neue Vorschrift nötig? Und warum kam sie gerade jetzt? Auf Anfrage von loyal argumentiert das Verteidigungsministerium, in der neuen Vorschrift wolle man „veränderte gesellschaftliche Werte“ abbilden. Außerdem wolle man damit eine klare und rechtssichere Abgrenzung von strafbarem und nicht strafbarem Handeln liefern und die Erwartungen, die die Dienstherrin an die Soldatinnen und Soldaten habe, definieren.

Der „Fall Biefang“

Doch das ist nur die halbe Wahrheit. Es ist davon auszugehen, dass das Verteidigungsministerium mit der neuen Vorschrift auch einer Entscheidung des Verfassungsgerichts zuvorkommen will. Hintergrund ist der Fall Anastasia Biefang und ihr Tinder-Profil. Anastasia Biefang, erste Transgender-Kommandeurin der Bundeswehr, hatte im Jahr 2019 in ihrem Profil auf der Datingplattform „Tinder“ folgende Worte geschrieben: „Anastasia, 42, spontan, lustvoll, trans*, offene Beziehung auf der Suche nach Sex, all genders welcome.“ Damals war die Berufsoffizierin Kommandeurin und Standortälteste beim Informationstechnikbataillon 381 in Storkow. Ein Soldat sah das Profil auf Tinder, machte einen Screenshot davon und legte es Biefangs Disziplinarvorgesetzen vor. Dieser bestrafte Biefang daraufhin mit einem Verweis. Das ist die mildeste Form einer Disziplinarstrafe. Der Verweis verbleibt drei Jahre in den Personalakten der betroffenen Person, es gibt keine Geldstrafe, keine Beförderungshindernisse.

Foto: Screenshot/Instagram

Doch Biefang sah nicht ein, warum sie für ihr privates Profil auf einer Datingplattform bestraft werden sollte, das keinerlei Bezug auf ihren Dienst bei der Bundeswehr nahm. Sie legte gegen den Verweis Beschwerde ein. Doch sowohl das Truppendienstgericht als auch das Bundesverwaltungsgericht gaben ihrem Vorgesetzten recht. Biefang habe mit ihrer Wortwahl in ihrem Tinder-Profil „den Anschein sexueller Zügellosigkeit“ erweckt und damit ihrem Ansehen als Vorgesetzte und dem Ansehen der Bundeswehr geschadet. „Die außerdienstliche Wohlverhaltenspflicht verlangt von einem verheirateten/verpartnerten und als solchen identifizierbaren Bataillonskommandeur, dass er bei der Inanspruchnahme von Partnerschaftsvermittlungsdiensten für sexuelle Zwecke bei der äußeren Gestaltung und Formulierung von Internetauftritten auf Integritätserwartungen Rücksicht nimmt“, heißt es im Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 25. Mai 2022.

Auch damit wollte sich Biefang nicht abfinden, ihr ging es ums Prinzip und um ein selbstbestimmtes Liebesleben. Im Herbst 2022 legte sie Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Es ist durchaus möglich, dass sie dort recht bekommt. Dann kann das Verteidigungsministerium nach Verabschiedung der neuen Vorschrift sagen: Wir sind doch längst soweit, wir mischen uns nicht mehr in die Sexualität unserer Soldaten ein – wenn diese nicht straf- oder ordnungsrechtlich relevant ist und einvernehmlich stattfindet.

Zwar wird Anastasia Biefang in der neuen Vorschrift und im dazugehörigen Begleitschreiben mit keinem Wort erwähnt. Aber im Begleitdokument gehen die Juristen des Ministeriums in einem ihrer Fallbeispiele auf den Fall Biefang ein – wenn auch verklausuliert. Dort heißt es: „Die verheiratete BtlKdr Z veröffentlicht im Internet eine Kontaktanzeige unter anderem mit dem Wunsch nach Ausübung von Geschlechtsverkehr, dabei erfolgt keinerlei Hinweis auf die Zugehörigkeit zur Bundeswehr.“ Was ist nun zu tun? Darauf gibt der Text sogleich eine Antwort: „Unter Berücksichtigung der neuen Regelung und der damit verbundenen grundsätzlichen Bewertung des Dienstherrn berührt das beschriebene Verhalten grundsätzlich keine dienstlichen Interessen (vgl. Nr. 301 der Allgemeinen Regelung A-2610/2).“ Weiter heißt es, dass „das Sexualleben ohne Berührungspunkte mit dem Dienst regelmäßig nicht von disziplinarer Relevanz“ sei.  Der Dienstherr habe nun keine besondere Erwartungshaltung mehr an die moralische Integrität als Anknüpfungspunkt von Achtung und Vertrauen, schreiben die Juristen des Verteidigungsministeriums.

Stand der Dinge

Was jetzt auch erlaubt ist: Offizierinnen dürfen Aktbilder mit freiem Oberkörper machen lassen und veröffentlichen, auch darauf gehen die Juristen in einem weiteren Fallbeispiel im Begleitschreiben zur neuen Vorschrift ein. Bei der Abbildung von Genitalien hört die Freizügigkeit allerdings auf. Dann könnte das Dienstvergehen „geschlechtsbezogene Zurschaustellung“ greifen, so das Verteidigungsministerium. Denn in der neuen Vorschrift heißt es dazu: „Die öffentliche geschlechtsbezogene Zurschaustellung (z.B. durch Druck-, Film-, Bild-, und Tonerzeugnisse, Soziale Medien, Internet) kann zu einer Beeinträchtigung der Achtungs- und Vertrauenswürdigkeit von Angehörigen des GB BMVg führen, wenn die Darstellung die Grenze zur Obszönität, Pornografie oder Menschen- und Geschlechterverachtung überschreitet.“ Insbesondere ist das der Fall, wenn dazu noch ein Bundeswehrbezug hergestellt werden kann, etwa durch die Abbildung von Wappen, Uniform oder Ausrüstung. Doch: Was ist obszön? Obwohl das Ministerium ja explizit definitorische Klarheit schaffen wollte: Was als obszön anzusehen ist, das ist und bleibt wohl Auslegungssache.

Schon der Verweis für Anastasia Biefang hatte bei jungen Soldaten Unsicherheit im Umgang mit Sozialen Medien ausgelöst, schreibt die Wehrbeauftragte Eva Högl in ihrem aktuellen Bericht. Was ist auf den Sozialen Medien erlaubt? Wie frei darf ich mich zeigen? Eine Recherche auf dem sozialen Netzwerk „Instagram“ ergibt, dass dort viele Soldatinnen und Soldaten ein Profil haben, auf dem sie auch ihren Beruf angeben. Und: Dort sind zahlreiche Fotos von Soldatinnen zu finden, auf denen sie sich nur mit Unterwäsche bekleidet und mit laszivem Blick auf dem Bett räkeln – neben Fotos, auf denen sie in Uniform zu sehen sind.

Aus Sicht von Christian Sieh ist das aber kein Problem: „Die großen sozialen Netzwerke wie Instagram oder Facebook haben sehr enge Richtlinien in Bezug auf freizügige Fotos oder Videos, und nichts anderes gilt für die bekannten Datingplattformen“, sagt er. Bei Brustwarzen hört es bei Frauen da schon auf, solche Bilder werden mitsamt der Accounts von den Betreibern gesperrt. Zudem gelte: „Wenn nicht mehr zu sehen ist als zum Beispiel auch im Freibad, ist die kritische Schwelle offensichtlich nicht erreicht.“

Das häufigste Problem

Viel häufiger als die oben beschriebenen Delikte, kommen laut Christian Sieh sowieso andere Dienstpflichtverletzungen im sexuellen Bereich vor: Nämlich Fälle von sexueller Belästigung. Der aktuelle Bericht der Wehrbeauftragten listet 357 Meldungen über Verstöße gegen die sexuelle Selbstbestimmung im Berichtsjahr. An der Ahndung von sexuellen Übergriffen ändert sich durch die neue Vorschrift übrigens nichts – diese bleibt gleichbleibend streng. „Sexualisiertes Fehlverhalten wird im dienstlichen Umfeld nicht toleriert und hat keinen Platz in der Bundeswehr“, schreibt das Verteidigungsministerium dazu.


Foto: Screenshot/Instagram

Was darf ich in den Sozialen Medien?

Wie sexy und freizügig darf ich mich zeigen? Diese Frage stellten sich viele Soldaten, nachdem Anastasia Biefang wegen ihres Profiltextes auf der Datingplatform Tinder einen Verweis durch ihren Vorgesetzten bekommen hatte. Eine Recherche durch loyal zeigt: Auf der Plattform Instagram zeigen sich einige Soldaten und Soldatinnen durchaus in sexy Posen. Das ist aber kein Problem, sagt Christian Sieh, Justiziar beim Bundeswehrverband.

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